Mit den verschiedenen Anwendungen der aufkommenden Elektrizität (Energie, Elektrotechnik, Elektrifizierung) entwickelte sich in der Schweiz eine nationale Elektroindustrie. Anfänglich traten mehrere elektromechanische Unternehmen in Erscheinung, die jedoch infolge des Konzentrationsprozesses nach und nach verschwanden.
Ein neuer Sektor (1875-1914)
Viele Unternehmer stiegen in die neuen Märkte ein; sie waren ermutigt durch die einfache Basistechnologie (Dynamos und Lampen) sowie die zahlreichen internationalen Ausstellungen, die zwischen 1878 und den 1880er Jahren für die wundersame Neuheit tüchtig die Werbetrommel rührten. Der Einstieg wurde auch dadurch erleichtert, dass in der Schweiz bis 1888 keine Patentgesetzgebung bestand und somit die Produkte fortschrittlicherer Länder (Deutschland, USA) kopiert werden konnten. Als Anreiz wirkte schliesslich auch die Aussicht, die reichlich vorhandene Wasserkraft zu nutzen.
Ab Ende der 1870er Jahre nahmen Hersteller von Schwachstromgeräten (Telefone, Telegrafen, elektrische Klingeln) und die Société genevoise d'instruments de physique den Betrieb auf. Anfang der 1880er Jahre entstanden Unternehmen, die sich auf die Herstellung neuer Elektromaschinen spezialisierten (de Meuron & Cuénod in Genf, Bürgin & Alioth in Basel, beide 1881). Mitte der 1880er Jahre betraten Zürcher Unternehmen die Szene: Die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) und die Maschinenfabrik Oerlikon (MFO), deren traditionelle Produktion unter der langen, von 1875 bis 1895 andauernden Depression litt, leiteten eine willkommene Diversifizierung ein. Schliesslich wurde 1891 auch das Elektrotechnikunternehmen Brown Boveri (BBC), die spätere Asea Brown Boveri (ABB), gegründet.
Die zunehmende Komplexität der Technik führte bald zu einer Selektion. Die in den 1870er Jahren als erste entstandenen Unternehmen verschwanden bereits im folgenden Jahrzehnt vom Markt. Mit dem Aufkommen der grossen Universalnetze Mitte der 1890er Jahre brach eine neue Ära an, in der mehrere Anbieter auf der Strecke blieben. Es galt, einige besonders schwierige technische Herausforderungen zu bewältigen (Wechselstrom, Dampfturbinen, Elektroantrieb auf grossen Bahnlinien). Zudem mussten Beziehungen mit den grossen Geschäftsbanken, die sich bis dahin meist zurückgehalten hatten, aufgebaut werden. Unter diesen Umständen brachte das 1895 wieder einsetzende allgemeine Wirtschaftswachstum für die Elektrounternehmen paradoxerweise Probleme mit sich. Das Genfer Unternehmen, das nun Compagnie de l'industrie électrique hiess (die Vorläuferin der Ateliers de Sécheron), und die MFO erlitten einen Einbruch. Steil war der Abstieg des Genfer Betriebs, der bis Anfang der 1890er Jahre führend gewesen war und nun die strategische Umstellung auf Wechselstrom nicht schaffte. Für das Unternehmen in Oerlikon bildeten Anfang des 20. Jahrhunderts die Dampfturbinen ein Hindernis, während die Leitung der SLM beschloss, sich wieder auf ihre Haupttätigkeit, die Herstellung von Lokomotiven, zu konzentrieren, wodurch sich der Geschäftsgang erholte. Das Basler Ingenieurunternehmen Alioth wurde 1911 von der BBC übernommen. Das Badener Unternehmen, das als letztes in das Rennen eingestiegen war, ging als klarer Sieger hervor; es bewältigte die meisten technischen Herausforderungen, und die Märkte und Geschäftsbanken zogen nach.
Zwischenkriegszeit: Stabilisierung der Elektrounternehmen
Auf die erste Phase, die durch einen allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung sowie die Schwächung und das Ausscheiden mehrerer Elektrounternehmen gekennzeichnet war, folgte eine Zeit der Wirtschaftskrisen und der Stabilisierung der Elektroindustrie. Eine massgebende Rolle spielten die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), die den Binnenmarkt stimulierten, indem sie ihr gesamtes Netz auf Elektroantrieb umstellten. Den Herstellern von elektrischen Maschinen brachte dies Aufträge über insgesamt mehrere 100 Mio. Franken ein. Die Grundidee bestand Anfang der 1920er Jahre darin, die nationale Industrie aus der Währungskrise herauszuführen, die den Elektrounternehmen schwer zusetzte. Ein anderes wichtiges Anliegen war die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs, damit die Unternehmen nicht ihre Bedingungen diktieren konnten. Deshalb retteten die SBB den angeschlagenen Genfer Betrieb; sie hatten einen dritten Mitbewerber gefordert, um Interessenkonflikte zwischen der BBC und der MFO zu vermeiden. Die Stärke von Sécheron zeigte sich, als die Bundesaufträge versiegten und das Unternehmen sich trotzdem behaupten konnte. Es hatte diese lange Gratwanderung jedoch nicht unbeschadet überstanden und blieb gefährdet, weil es sich in einer von deutlich grösseren Konkurrenten beherrschten Branche entwickeln musste. Die MFO profitierte direkt von den Aufträgen der SBB, vor allem auch dank dem Sohn des Firmengründers, Emil Huber (1865-1939), der Chefingenieur der Abteilung Elektrizität der SBB wurde. Somit hatte die MFO eine eigene Art der Markterschliessung gefunden, wogegen der Konkurrent in Baden sich mit Geschäftsbanken zusammentat, um seine Marktpositionen in der Schweiz und weltweit aufzubauen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg: Von der Auftragsfülle zur Restrukturierung
In den Nachkriegsjahren standen die Zeichen äusserst günstig. Die Schweizer Elektrounternehmen, denen die ausgezeichnete allgemeine Auftragslage zugute kam und die über einen intakten Produktionsapparat verfügten, beteiligten sich an den im Zuge des Wiederaufbaus entstandenen Märkten und waren auf den Weltmärkten gut positioniert. In der Schweiz profitierten sie vom Bau neuer Staudämme in den Alpen, mit dem während des Krieges begonnen worden war. Das goldene Zeitalter währte indes nicht lange, denn ab den 1950er Jahren wuchs die ausländische Konkurrenz und bedrohte die internationalen Positionen der Schweizer Unternehmen. Auch auf dem Binnenmarkt verschlechterte sich die Lage zusehends. Der Sektor Bahnantrieb bewahrte zwar seine Dynamik, doch erwies sich die Erneuerung des Rollmaterials der SBB wegen des Forschungs- und Entwicklungsaufwands als kostspielig. Ab den 1960er Jahren trocknete der Markt der Wechselstromgeneratoren für Wasserkraftwerke allmählich aus, da die Staudammprojekte zum Abschluss kamen. Sécheron und die MFO, die auf die Herstellung solcher Generatoren spezialisiert waren, traf dies besonders hart, zumal sie keine Generatoren für Atomkraftwerke produzierten. Restrukturierungen waren die logische Folge. Sécheron hatte sich,von der guten Auftragslage ermutigt, auf mehreren Gebieten betätigt, ohne sich in einer Marktnische durchzusetzen. Die MFO wurde 1967, Sécheron 1969 von der BBC geschluckt. In der Folge kam es zu Verlagerungen der Aktivität: Ein Grossteil des Sektors Elektroantrieb (Lokomotiven), auf den Genf stolz gewesen war, wurde zunächst nach Baden verlegt, später nach Oerlikon. Die Fusion der BBC mit der schwedischen Asea 1988 leitete das Zeitalter der Firmenzusammenschlüsse auf europäischer Ebene ein, wobei die interkontinentalen Zusammenschlüsse noch bevorstanden.
Neben diesen Grossunternehmen weist die Elektroindustrie auch zahlreiche kleinere Firmen auf, die auf bestimmte Bereiche spezialisiert sind wie etwa elektrische Zähler (Landis & Gyr), Kabel (Brugg und Cossonay, Câbles Cortaillod) oder elektrische Haushaltgeräte (Therma, Jura).
Quellen und Literatur
- G. Forster, Une entreprise romande d'électrotechnique face aux difficultés de l'entre-deux-guerres: le cas de la S.A. des Ateliers de Sécheron, Diplomarbeit Univ. Genf, 1996
- S. Paquier, Histoire de l'électricité en Suisse, 1998, 411-476, 605-722