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Glas

Glas ist ein spröder Werkstoff, der durch das Schmelzen von anorganischen Stoffen (Quarzsand, Asche, Kalk) hergestellt wird. Aus Glas werden unter anderem Hohl- und Flachgläser, Ziergegenstände, Röhren, Glühbirnen, Lampen, Schmuck, Isolationen, Brillen, Spiegel sowie Spezialgläser für die Bereiche Chemie, Medizin, Optik, Elektronik, Haushalt und Bau gefertigt.

Älteste Glasfunde in der Schweiz

Graburne aus geblasenem Glas, 15 cm hoch, zwischen 70 und 150 n.Chr., gefunden im Nordwestgräberfeld der römischen Kolonie Augusta Raurica (Augusta Raurica).
Graburne aus geblasenem Glas, 15 cm hoch, zwischen 70 und 150 n.Chr., gefunden im Nordwestgräberfeld der römischen Kolonie Augusta Raurica (Augusta Raurica). […]

Die Anfänge der Glasproduktion im Gebiet der heutigen Schweiz liegen im Dunkeln. Archäologische Glasfunde belegen zwar die Verwendung von Glas, sagen aber nichts aus über dessen Herstellungsort. Glas wurde in Form von Barren oder als fertiges Produkt importiert. Zahlreiche Funde (keltische Glasarmringe aus dem 3. Jh. v.Chr.) in Bern und Basel lassen auf eine lokale Produktion schliessen. Erst in römischer Zeit, nach der Erfindung des Glasblasens, wurden transparente und einfarbige Glasgefässe sowie Glasschmuck und erstmals auch Fensterglas in beachtlichen Mengen in der Schweiz produziert. Bei Ausgrabungen in römischen Siedlungen stiess man auf mehrere Glashütten. In Aventicum, einem Zentrum der römischen Glasproduktion, blieb mit vier Öfen und einem Kühlofen ein grosser Teil der Infrastruktur der Glashütten erhalten. Aufgefundene Glasbarren, Fabrikationsabfälle und Glasgefässe von hoher Qualität zeugen von der Produktionsart und Formenvielfalt in der Glasherstellung Mitte des 1. Jahrhunderts n.Chr. Römische Glashütten mit Öfen und Produktionsabfällen wurden auch in Augusta Raurica entdeckt. Diese Betriebe stellten vom 1. bis ins 3. Jahrhundert Hohl-, aber auch Fenstergläser her. Die römischen Glashütten auf Schweizer Boden verwendeten keine Rohmaterialien aus ihrer Umgebung, sondern importierten Rohglas, schmolzen Altglas ein und verarbeiteten es zu Endprodukten.

Verwendung und Produktion von Glas ab dem Mittelalter

Aus dem Frühmittelalter gibt es kaum mehr Nachweise von Glaswerkstätten im Raum der Schweiz. An Produkten aus dieser Zeit fehlt es indes nicht. Gefässe und farbige Glasperlen wurden in Gräbern und Siedlungen entdeckt. Dabei handelt es sich zum Teil um Erzeugnisse aus oberitalienischen und fränkischen Werkstätten, die sich nur die Oberschicht leisten konnte. Im 7. Jahrhundert wurden deutlich weniger Glasprodukte importiert.

Erst in Zusammenhang mit dem mittelalterlichen Klosterhandwerk sind lokale Glasmacher in schriftlichen Quellen fassbar, zum Beispiel im 9. Jahrhundert der Glaser Stracholfas im Kloster St. Gallen. In der Folgezeit blieb die Glasherstellung klösterlichen Betrieben vorbehalten, die vorwiegend Flachglas für den Eigenbedarf produzierten. Hohlgläser hingegen wurden vermutlich importiert. Etwa ab dem 10. Jahrhundert nahm die Produktion von farbigem Flachglas einen wichtigen Stellenwert ein (bis ins 13. Jh.). Frühe bemalte Glasfenster (Glasmalerei) und die im Jahr 1100 vom Priester und Goldschmied Theophilus Presbyter (bzw. Roger von Helmarshausen) verfasste Traktatsammlung Schedula diversarum artium sind bedeutende Quellen mittelalterlicher Glashüttentechnik.

Um eine Glashütte zu errichten, brauchte es ausreichende Vorkommen an Holz, Wasser und Sand. Die Hütten lagen deshalb an einem Fluss, an einem Bach oder mitten im Wald. War der angrenzende Wald gerodet, wurden sie verlegt. Im Schwarzwald sind ab Mitte des 13. Jahrhunderts Glashütten nachweisbar. Diese dürften auch die Städte in der Nordwestschweiz mit Glas beliefert haben. Feinere und kostbarere Gläser wurden aus den italienischen Hütten auf Murano bei Venedig eingeführt. Spätestens im 14. Jahrhundert war die Glasproduktion ein lokales Handwerk. Im 15. Jahrhundert entstanden überall in Europa sogenannte Waldglashütten, die erschwingliches Glas für den täglichen Gebrauch in grossen Mengen produzierten und damit die Städte belieferten. Bis ins 18. Jahrhundert waren sie die Hauptlieferanten für Gebrauchsgläser. Wegen ihrer abgeschiedenen Lage waren sie auf ein durchorganisiertes Verteilsystem angewiesen, zu dem auch Glasträger und Glashändler gehörten. Nur wenige dieser Hütten sind aktenkundig. Flurnamen und Ortsbezeichnungen wie La Verrière (bei Berolle), Vordere oder Hintere Glashütte (z.B. im Boowald nahe St. Urban) oder Glasbach und La Heutte weisen auf einstige Glasmachersiedlungen hin. Im Mittelalter hatten sich im Stand Bern Hütten in Guggisberg (1347-1400) und in Röthenbach im Emmental (erwähnt um 1400) angesiedelt. Mehrere Berner und Solothurner Produktionsstätten lagen im Jura, wie etwa diejenigen in La Heutte (1370 erwähnt) und in der Klus (1423-1581). Für die Innerschweiz ist 1433 eine Hütte zwischen Schüpfheim und Flühli belegt.

Von der Glashütte zur Glasindustrie

In den Glashütten im Berner und Solothurner Jura lief die Glasproduktion in der frühen Neuzeit ohne Unterbrechung weiter. Während der Blütezeit des venezianischen Glases im 16. und 17. Jahrhundert versuchten die heimischen Glashütten die teuren Gläser à la façon de Venise zu kopieren, wobei sie sich zum Teil auf eingewanderte Glasbläser stützen konnten, welche die Techniken aus Murano einführten.

Die Hütte in der Klus wurde allmählich von derjenigen in Gänsbrunnen abgelöst (um 1562 erwähnt), in La Heutte und Le Chaluet bestanden ab 1594 bzw. 1657 je vier Hütten, weitere solche lagen im Rüschgraben (Oberdorf SO, 1633 erwähnt), in Court und in Lobschez bei Soubey (1659 erwähnt). Zehn weitere Gründungen erfolgten im 18. und 19. Jahrhundert. In der Klus waren auch Unternehmer aus dem Reich und Lothringen tätig; zu eigentlichen Glasmacherdynastien entwickelten sich von ihrer Basis in Gänsbrunnen aus neben dem Geschlecht Hug die zwei Familien Rubischung und Schmid, die ab 1600 im Schwarzwald, ab 1645 im Sundgau und im Elsass, ab 1660 in der Freigrafschaft Burgund und dann auch im übrigen Frankreich als Hüttengründer und Glastechniker eine wichtige Rolle spielten. In Gänsbrunnen lassen sich bereits um 1580 Glasmacher aus Böhmen feststellen, die später unter den Konzessionären der Hütten bei La Heutte (1594 und 1599) und im Entlebuch (1608) erscheinen.

Plakat für die Glashütte Bülach, gestaltet 1933 von Carl Böckli (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat für die Glashütte Bülach, gestaltet 1933 von Carl Böckli (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Die Gebrüder Siegwart, Glasmacher aus St. Blasien (Schwarzwald), errichteten 1723 die Glashüttensiedlung Südel zwischen Flühli und Sörenberg. Damit legten sie den Grundstein für einen über mehrere Generationen existierenden, landesweit bedeutenden Betrieb im Entlebuch, der bis ca. 1870 bestand. Mitglieder dieser Glasmacherfamilie wanderten in die Südschweiz aus. Meinrad Siegwart übernahm 1775 die 1736 erstmals bezeugte Glashütte in Personico. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts führte ein neuer Aufschwung zu zahlreichen Gründungen, etwa in Schangnau, Semsales und Lodrino, wo ein Zweig der Familie ab 1782 eine Hütte führte.

Im Zuge der Industrialisierung und mit der Verwendung von Kohle als Brennstoff wurden die Glashütten entlang des Schienennetzes oder der Wasserwege angesiedelt. Die Eisenbahn lieferte die Kohle und beförderte die Glasprodukte. Die Hütten in abgelegenen Wäldern rentierten nun nicht mehr. 1817 eröffneten die Gebrüder Siegwart einen Betrieb in Hergiswil (NW). An Eisenbahnlinien entstanden die auf Hohlglas spezialisierten Glasfabriken Monthey (1822), Küssnacht (SZ, 1851), Wauwil (1879), Bülach (1890), Saint-Prex (1911) und Altstetten (1914). 1840 öffneten die Glaswerke in Moutier ihre Tore, die als einzige Fensterglas herstellten. Die Entlebucher Glasindustrie stellte bis ins 19. Jahrhundert 95% der Grün- und Waldglasprodukte der Schweiz her, ausserdem Flaschen und Fensterscheiben.

1859 wurde die erste halbautomatische Flaschenblasmaschine in Betrieb genommen. Die Gasfeuerung mit Wannenofensystem löste 1870 das Hafenofensystem ab. Maschinenarbeiter ersetzten die einst schöpferischen Handwerker und produzierten mit doppelter Leistungsfähigkeit. Hergiswil und Küssnacht schlossen sich 1900 zur Schweizerischen Glasindustrie Siegwart & Co. AG zusammen. Mit der sogenannten zweiten Industrialisierung wurden vermehrt Glaserzeugnisse für die chemische Industrie produziert. Gesamthaft verringerte sich die Zahl der Glasfabriken wegen Holzmangels, ungenügender Sandqualität und internationaler Konkurrenz zwischen dem 18. und dem Ende des 19. Jahrhunderts von 18 auf 5 Betriebe.

1935 wurde im freiburgischen Romont der erste elektrische Schmelzofen eingesetzt. Dieses System hatte international Erfolg. Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigten die fünf Hohlglasfabriken in Saint-Prex, Wauwil, Bülach, Küssnacht und Hergiswil rund 1500 Angestellte. Die jährliche Produktion belief sich auf ca. 25'000 t. Gleichzeitig importierte die Schweiz jährlich 6000 t Hohlglas. Mit den Fensterglasfabriken Moutier und Romont gehörten die obgenannten Betriebe der 1931 ins Leben gerufenen Vereinigung der Schweizerischen Glasindustrie an. 1966 gründeten die Fabriken Saint-Prex, Wauwil und Bülach die Firma Vetropack. Das Unternehmen nimmt als einzige Herstellerin von Verpackungsglas in der Schweiz mit Zweigstellen in Ost- und Westeuropa am internationalen Glashandel teil und zählte 2011 mit einem Umsatz von 589,4 Mio. Franken zu den grössten Verpackungsglasherstellerinnen in Europa. 2011 konnten in der Schweiz 94% des zu Verpackungszwecken verwendeten Glases wiederverwertet werden. Das Glasmuseum der Glasi Hergiswil, die 1976 von Roberto Niederer übernommen worden war, besteht seit 1992.

Quellen und Literatur

  • Zaugg, Ernst: Die schweizerische Glasindustrie, 1922.
  • Michel, Charles-Alfred: Les Verreries du Doubs, 1935.
  • Cornaz, Max H.: L'histoire du verre et la verrerie en Suisse, 1945.
  • Schweizerische Gesellschaft für Statistik und Volkswirtschaft (Hg.): Handbuch der Schweizerischen Volkswirtschaft, Bd. 1, 1955, S. 592-593.
  • Glashütte Bülach AG (Hg.): 75 Jahre Glashütte Bülach AG, 1965.
  • Horat, Heinz: Flühli-Glas, 1986.
  • Glatz, Regula: Hohlglasfunde der Region Biel. Zur Glasproduktion im Jura, 1991.
  • Rütti, Beat: Die römischen Gläser aus Augst und Kaiseraugst, 1991.
  • Müller, Wolfgang: «Glasherstellung und Bleiverglasung», in: Lindgren, Uta (Hg.): Europäische Technik im Mittelalter. 800 bis 1200. Tradition und Innovation. Ein Handbuch, 1996, S. 289-300.
  • Glatz, Regula: «La production du verre dans le Jura au Moyen Age», in: Intervalles, 53, 1999, S. 26-42.
  • Glatz, Regula: «Verres creux découverts dans la région de Bienne», in: Intervalles, 53, 1999, S. 11-25.
  • Amrein, Heidi: L’atelier de verriers d’Avenches. L’artisanat du verre au milieu du 1er siècle après J.-C., 2001.
  • Gerber, Christophe et al.: Court, Pâturage de l'Envers. Une verrerie forestière jurassienne du début du 18e siècle, 4 Bde., 2010-2015.
  • Lüönd, Karl: Zeitgeist im Glas. In 100 Jahren von der Verrerie de St-Prex zu Vetropack. Ein dynamisches Schweizer Familienunternehmen im Wandel von Technik, Markt und Umwelt, 2011.
  • Roth, Alexander; Schaffner, Walter: Glasmacher in Gänsbrunnen und La Heutte im Solothurner und Berner Jura. Drei Beiträge in der Pressglas-Korrespondenz, 2013 (Separatdruck).
Weblinks

Zitiervorschlag

Christine Keller: "Glas", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 28.08.2024. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014023/2024-08-28/, konsultiert am 06.10.2024.