Als Vorläufer des grafischen Gewerbes finden sich im Mittelalter vor allem in Klöstern Personen, die sich mit der serienmässigen Herstellung von Handschriften (Schreiber), deren Ausschmückung (Illuminierer, Rubrizierer) und Bindung zum Buch (Buchbinder) befassten. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden, im Gefolge des Block-(Model-)Drucks auf Textilien, auf den in Europa noch jungen Trägerstoff Papier Figuren und Ornamente gedruckt (Blockbuch, Druckgrafik). Rasch entstanden in den Städten neue Berufsstände, deren Bezeichnungen Kartenmacher, Karten-, Brief- oder Helgenmaler die Hauptprodukte nennen: Kartenspiele und Heiligenbilder. Dazu kamen die Hersteller der Druckstöcke, die Formenschneider. Im entfernteren Sinn können auch die Papiermacher zum grafischen Gewerbe gezählt werden. Die Zünftigkeit zeigt die Gemeinsamkeit: Alle diese Berufe wandten sich, wohl wegen der gemeinsamen Wurzel im Import-Detailhandel, den Krämerzünften zu. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des grafischen Gewerbes war damals noch gering. Mit der raschen Einführung des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erweiterte sich die Reihe der zum grafischen Gewerbe gehörenden Berufe um Verleger (Verlage), Buchdrucker, Stempelschneider, Schriftgiesser und Buchführer (Buchhändler). Dazu kamen die Spezialisten des Kupferstichs, die Reisser (Kupferstecher) und Kupferdrucker (Tiefdrucker). Eine im europäischen Vergleich bedeutende Konzentration dieser sehr kapitalintensiven Unternehmen entstand in der Schweiz nur in Basel, wo deren grosse wirtschaftliche Rolle durch Rechnungsbücher der Unternehmen, aber auch durch Handels-, Gerichts- und Steuerakten belegt ist. Ausser in Genf und Zürich, wo ebenfalls wichtige internationale Verbindungen des grafischen Gewerbes nachgewiesen sind, belieferte es lokale oder regionale Kunden. Wichtig war aber, ungeachtet der Grösse und Ausstrahlung der Betriebe, die kulturelle Leistung, die Vermittlung von Wissen und die Verbreitung von Information. Die in den Verlagen von Basel und Zürich besonders hochstehende Typografie, die eine von Künstlern wie Ambrosius Holbein, Albrecht Dürer oder Urs Graf dem Älteren gestaltete Buchillustration einschloss, hat schon damals den Ruf des Schweizer grafischen Gewerbes begründet.
Das unter der mehr oder weniger strengen Aufsicht der Obrigkeiten stehende grafische Gewerbe der frühen Neuzeit litt unter der Zensur und der durch die Zünfte kontrollierten strikten Arbeitsteilung der einzelnen Berufe. Die Revolutionszeit brachte die Befreiung und zugleich neue Techniken: Neben den mechanisierten Buchdruck trat als eigene Berufsgattung die Lithografie, der sich im 19. Jahrhundert Schweizer Künstler wie Franz Niklaus König, Martin Disteli, François Diday und Alexandre Calame bedienten. Die gleichzeitige Industrialisierung der Papiermacherei schuf die Voraussetzungen für eine Massenproduktion von immer häufiger illustrierten Zeitungen und Zeitschriften (Presse) sowie populärer Unterhaltungs- und Bildungsliteratur. Auch die Buchbinderei schaffte den Schritt vom Handwerk zur Industrie und entwickelte neue Einbandformen (Broschüre, Pappband, Kalikoband mit Goldprägungen). Diese Entwicklung beeinflusste auch den typografischen Stil in bedeutendem Masse, der allerdings mit der allgemeinen künstlerischen Entwicklung vom verspielten Rokoko über Klassik und Biedermeier bis zu Historismus und Jugendstil parallel lief. Das Spiel mit verschiedenen Schriftarten und Schriftgrössen wich in der deutschsprachigen Schweiz der Vorherrschaft der Fraktur (Schrift). Ab 1883 erschien in Zürich, später in St. Gallen die weit über die Landesgrenzen hinaus beachtete Fachzeitschrift Schweizer Graphische Mitteilungen (später Typographische Monatsblätter bzw. Revue suisse de l'imprimerie). Gleichzeitig wurde die Bedeutung der Werbung immer deutlicher fassbar, die sich vorerst fast ausschliesslich in der Plakat- und Schriftenmalerei, in Drucksachen aller Grössen und Arten sowie in der Gestaltung von Verpackungen manifestierte. Die Schweiz hat speziell im Plakatwesen Leistungen von Weltrang hervorgebracht (Plakat).
Das grafische Gewerbe spielte ― ausgehend von den Gesellenladen des Ancien Régime ― in der Geschichte der gewerkschaftlichen Organisation und der Arbeitskonflikte eine Vorreiterrolle. 1832 wurde die Typographia St. Gallen gegründet, 1858 der Schweizerische Typographenbund. Als Gegengewicht erschien 1869 der Verein Schweizerischer Buchdruckereibesitzer, später umbenannt in Schweizerischer Buchdruckerverein, heute Verband der Schweizer Druckindustrie. Die Arbeitnehmer sind seit 1980 in der Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) bzw. deren Nachfolgeorganisationen Comedia (seit 1998) und Gewerkschaft Medien und Kommunikation Syndicom (seit 2011) zusammengeschlossen. Als ausgesprochene Spezialisten haben die Angehörigen des grafischen Gewerbes seit jeher höhere Löhne erhalten als der Durchschnitt ihrer Kollegen in anderen Industrien. Der Unterschied in der Bewertung von Männer- und Frauenarbeit tritt jedoch auch hier klar zutage. 1983 umfasste das grafische Gewerbe folgende Berufsgattungen: Schriftsetzer, Buchdrucker, Offsetdrucker, Kleinoffsetdrucker, Serigraf, Tiefdrucker, Kartograf, Fotolithograf, Offsetfotograf, Tiefdruckfotograf, Retuscheur, Tiefdruckretuscheur, Fotolaborant, Buchbinder (Hand-/Industriebuchbinder), Offsetkopist, Offsetandrucker, Schriftenmaler, Grafiker, Dekorationsgestalter und Fotograf.
Lohnentwicklung im grafischen Gewerbe im Vergleich mit anderen Industrien 1922-2002
Jahr | Grafisches Gewerbe (Stundenlohn in Fr.) | Uhrenindustrie (Stundenlohn in Fr.) | Chem. Industrie (Stundenlohn in Fr.) | Genereller Lohnindex (1939=100) | |||
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Arbeiter | Angestellter | Arbeiterin | Angestellte | Arbeiter | Arbeiter | ||
1922 | 2,12 | 1,37 | 1,49 | ||||
1930 | 2,00 | 1,48 | 1,46 | ||||
1939 | 1,86 | 1,42 | 1,44 | 100 | |||
1950 | 185 | ||||||
1960 | 4,87 | 9,17 | 2,28 | 8,23 | 4,55 | 4,39 | 259 |
1970 | 515 | ||||||
1980 | 15,80 | 18,54 | 10,03 | 13,50 | 11,65 | 16,03 | 1 012 |
1992 | 34,71 | 36,77 | 27,88 | 27,79 | 29,56 | 33,31 | 1 788 |
1996 | 36,81 | 39,00 | 29,57 | 29,47 | 31,35 | 35,33 | 1 897 |
2002 | 37,62 | 39,86 | 30,22 | 30,12 | 30,71 | 35,74 | 1 938 |
Im Zuge des allgemeinen Konzentrationsprozesses hat die Anzahl der Betriebe und der Beschäftigten in jüngerer Vergangenheit abgenommen. Der in den 1970er und 1980er Jahren erfolgte Durchbruch des Mengensatzes (Foto- und Computersatz) hat den Bleisatz verdrängt und völlig neue Berufsbilder entstehen lassen. Die noch in den 1940er und 1950er Jahren blühenden Spezialberufe des Chemigrafen, des Stereotypeurs und Galvanoplastikers sind verschwunden. Die Möglichkeit der privaten Gestaltung von Drucksachen am Computer (Desktop-Publishing) hat das grafische Gewerbe vor neue Herausforderungen gestellt. Die ständige Erneuerung der elektronischen Ausrüstungen hat den Kapitalbedarf der Unternehmen des grafischen Gewerbes rasch ansteigen lassen und Übernahmen und Zusammenschlüsse gefördert. Gleichzeitig haben Radio, Fernsehen und insbesondere Internet die Rolle der Printmedien hinsichtlich Information und Werbung zurückgedrängt. Mit dem steigenden Einfluss der Werbung ist aber die Gesamtbedeutung des grafischen Gewerbes stark gestiegen. Die Schweizer Werbeagenda verzeichnete 2005 mehr als 60 Organisationen und Verbände der Kommunikationswirtschaft.
Betriebe, Beschäftigte und Import-/Exportvolumen des grafischen Gewerbes 1880-2003
Jahr | Betriebe | Beschäftigte | Importe (in Mio. Fr.) | Exporte (in Mio. Fr.) |
---|---|---|---|---|
1880 | 225 | 7 356 | 8,6 | 4,5 |
1892 | 9,3 | 4,9 | ||
1900 | 11,3 | 6,1 | ||
1905 | 2 272 | 16 772 | ||
1913 | 24,1 | 6,5 | ||
1920 | 30,8 | 8,2 | ||
1929 | 3 014 | 24 587 | 19,1 | 12,6 |
1935 | 16,3 | 7,1 | ||
1939 | 3 934 | 31 193 | 12,2 | 7,8 |
1955 | 4 892 | 47 510 | 46,6 | 55,9 |
1963 | 114,9 | 65,8 | ||
1975 | 3 499 | 53 187 | ||
1980 | 748,0 | 301,8 | ||
1985 | 3 935 | 63 500 | 946,8 | 290,9 |
1995 | 3 735 | 63 000 | 1 559,0 | 672,0 |
1997 | 60 000 | 4 235,0 | 2 828,0 | |
2001 | 3 867 | 72 000 | ||
2002 | 4 385 | 3 141 | ||
2003 | 66 000 |