Gastgewerbe ist in der Schweiz ein amtlich-statistischer Sammelbegriff zur Bezeichnung der vielen Betriebsformen der Hotellerie (Hotels, Pensionen, Motels, Kurhäuser, Gasthöfe) und Parahotellerie (z.B. Fremdenzimmer, Ferienwohnungen, Jugendherbergen, Camping). Er betrifft Unternehmen, die gewerbsmässig Unterkunft und einen Verpflegungsbetrieb bieten – im Gegensatz zum Gastwirtschaftsgewerbe (Gaststätten ohne Unterkünfte) und zu den nicht allgemein-zugänglichen gemeinnützigen Heimen.
Stadthotels für den Reiseverkehr
Die schweizerische Hotellerie des 19.-20. Jahrhunderts wurzelt in der Tradition der Gasthäuser mit Beherbergungsrecht und öffentlicher Zugänglichkeit. Das Hotel (als Begriff weder rechtlich noch betriebswirtschaftlich festgelegt) im Sinne einer grösseren, besser eingerichteten Beherbergungsstätte kam in den 1830er Jahren in Schweizer Städten auf, als der zunehmende Geschäfts- und Reiseverkehr (Reisen, Verkehr) die Kapazität der Gasthäuser überstieg (Tourismus). Die neuen Stadthotels entstanden an guter Verkehrslage bei Postkutschenstationen (1838 Baur-en-Ville, Zürich) und Schiffländen (1835 Schwanen, Luzern), mit der Eisenbahn an Bahnhofplätzen (1858-1959 Schweizerhof, Bern oder 1865 Euler, Basel). Renommierte alte Gasthäuser wurden erweitert oder neu erbaut (1842 Dreikönige, Basel) oder erlebten als Romantik-Hotels im 20. Jahrhundert eine neue Blüte (Zum Wilden Mann, Luzern). Bis in die 1860er Jahre gehörten Stadthotels bzw. Hotels am Stadtrand gemäss Reiseführern zu den besten in der Schweiz.
Hotels als Orte der Erholung
Am Anfang einer Hotellerie, die sich der Erholung und Genesung ihrer Gäste verschrieb, standen die auf den Bädern aufbauenden Badehotels, zum Beispiel in Schinznach-Bad (1824), Bad Ragaz (1841 bzw. 1868), Tarasp oder St. Moritz (1860-1864). In den 1840er Jahren kamen Luft- und Molkenkurorte auf (z.B. Heustrich, Gemeinde Aeschi bei Spiez). Kurhotels und Sanatorien in höherer Lage (u.a. Davos ab 1869, Leysin 1892) folgten vermehrt ab 1890.
Der Alpinismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts förderte die Hotellerie am Alpenfuss (v.a. Luzern und Interlaken), in Bergdörfern und auf Berggipfeln des Voralpen- und Alpenraums (v.a. Innerschweiz, Engadin, Berner Oberland, Wallis). Durchwegs folgten auf eine Pioniergeneration kleiner Hotels grössere und ab ca. 1865 Grand- und Palasthotels. Hotelbau und Hotelkultur richteten sich ganz nach den Ansprüchen der ausländischen Gäste – bis 1914 vor allem Engländer, Deutsche, Russen und Amerikaner –, denen neben dem Naturerlebnis vor allem die Erholung im gehobenen gesellschaftlichen Rahmen wichtig war. Es entstanden Hotelpaläste, zum Teil mit Kursaalbetrieb (u.a. Interlaken 1859), in Strandlage (Lugano, Luzern, Thun, Montreux, Genf), auf aussichtsreicher Anhöhe (z.B. Dolder in Zürich, Mountain House in Caux, Gemeinde Les Planches) bzw. mit Alpenblick (Jungfraublick in Interlaken) und in Bergdörfern (Monte Rosa in Zermatt, Bernina in Samedan, Palace in St. Moritz).
Dem Mittelstand boten kleine Hotels, Pensionen und Gasthöfe, meist im Innern der alpinen und voralpinen Dörfer, erschwingliche Ferienunterkünfte. Kleine Kurhäuser in Hügellage (z.B. Sonnenberg bei Luzern) und viele Bäder im höheren Mittelland zogen dagegen, weil sie abseits lagen, zu wenig Gäste an, um zu rentieren. Dagegen überlebten ländliche Gasthöfe an Überlandstrassen als Passantenherbergen.
Es war die Luxushotellerie, die im Ausland den Ruf der Schweiz als erstklassiges Touristenland begründete. In der Pionierzeit lagen Aufbau und Perfektion bei Einzelnen und Hotelierdynastien (z.B. Seiler, Hauser, Rytz, Haecky, Kienberger, Bon, Scherz), die, oft untereinander verwandt, über mehrere Generationen Know-how und Kapital weitergaben. Als bekannteste Dynastie begründete die Familie Seiler zwischen 1839 und 1889 ihr Oberwalliser Hotelimperium. Noch 1999 war Zermatt mit rund 110 Hotels die hotelreichste Gemeinde der Schweiz.
Blüte und Krise der Hotellerie
Nach 1850 verzeichnete das schweizerische Gastgewerbe trotz einem konjunkturellen Einbruch (1875-1885) eine kräftige Zunahme, sodass um 1890 das Angebot beachtlich war (1887 ca. 1000 Betriebe mit 58'000 Betten). Gemessen an der Bevölkerung wies die Innerschweiz vor Graubünden und dem Wallis die grösste Hoteldichte auf. Ein ungebremster Aufschwung 1890-1910 führte zur grossen Blüte der Hotellerie. In diese Zeit fiel 1882 die Gründung des Schweizer Hotelier-Vereins (SHV, Sitz in Bern), der 1893 in Lausanne die erste Hotelfachschule der Welt ins Leben rief.
Die kapitalintensive Luxushotellerie erwies sich als besonders krisenanfällig: Das Ausbleiben vor allem ausländischer Gäste im Ersten Weltkrieg stürzte sie in eine tiefe Krise. Mit der gesamten Volkswirtschaft verknüpft, war das Gastgewerbe namentlich im Berggebiet zum wichtigen Arbeitgeber geworden. Daher suchten die vor allem betroffenen Kantone Bern und Graubünden, später auch der Bund, dem Gastgewerbe mit Notmassnahmen zu helfen: 1915 wurde die behördliche Bewilligung für neue Hotels eingeführt (Bedürfnisklausel bis 1952); es folgten Preiskonventionen, um Zusammenbrüche zu verhindern, 1917-1918 die Gründung der Schweizerischen Verkehrszentrale (SVZ) und 1921 die Bildung der Schweizerischen Hoteltreuhand AG (SHTG, Sitz in Zürich) zur Sanierung des Gastgewerbes.
Während des Zweiten Weltkriegs dämpfte die Belegung durch einheimische Gäste und durch Internierte die Krise des Gastgewerbes. Der Neubeginn nach 1945 gestaltete sich aber trotz steigender Frequenzen schwierig. Das schweizerische Gastgewerbe zeigte gegenüber dem ausländischen, das aus Ruinen rasch aufgebaut wurde, Nachholbedarf bei der Erneuerung der alten Bausubstanz, doch behinderten hohe Baukosten und der starke Schweizer Franken die Modernisierung. Noch 1970 wies das Gastgewerbe vor allem im Sanitärbereich Rückstände auf (nur 34% der Hotelzimmer mit Bad oder Dusche). Die Wintersaison nahm zwar dank dem Wintersport einen erfreulichen Aufschwung, doch waren viele Hotels mangels Heizungen nicht darauf vorbereitet. Im Wettbewerb mit dem preisgünstigeren Ausland waren Kosten zu senken, unter anderem durch Rationalisierung der Betriebsabläufe und Einsparung von Arbeitskräften. Trotzdem wanderten Gäste ab: Vermehrte Mobilität begünstigte den Tagestourismus und die Parahotellerie, der steigende Lebensstandard machte Ferien im Ausland erschwinglicher.
1945-1975 verzeichnete die Hotellerie einen kräftigen Ausbau, bei Hotels um 22%, bei Gastbetten dank grösseren Neubauten gar um 86,5%. In der Krise der 1970er Jahre folgte die Trendwende: Die Zahl der Betriebe nahm bis 1995 um 25% ab, die der Betten um 11%. Der betriebliche Strukturwandel ging somit vor allem zu Lasten der Klein- und Mittelbetriebe (bis zu 50 Betten), deren Zahl noch 1955 bei 57%, 1995 aber bei 37% lag. Die Tendenz zu grösseren Betrieben zeigt sich auch im Anstieg der durchschnittlichen Beschäftigtenzahl (1955 7,8 Beschäftigte pro Betrieb, 1975 8,9, 1995 14,6).
Hotelbetriebe und Gastbetten in der Schweiz 1905-2005
Jahr | Hotelbetriebe | Gastbetten | Betten pro Betrieb |
---|---|---|---|
1905 | 6 041 | 162 197 | 26,8 |
1929 | 7 606 | 202 159 | 26,6 |
1939 | 7 202 | 184 791 | 25,7 |
1950 | 6 705 | 162 291 | 24,2 |
1955 | 7 692 | 179 512 | 23,3 |
1965 | 7 737 | 220 786 | 28,5 |
1975 | 8 204 | 302 658 | 36,9 |
1985 | 7 244 | 281 547 | 38,9 |
1995 | 6 164 | 269 999 | 43,8 |
2005 | 5 836 | 274 035 | 47,0 |
Ab 1945 ging die Hotellerie die Erneuerung der verschiedenen Betriebsformen an: den Ausbau des Kur- (z.B. Rehabilitationsstätten, Höhenkliniken, Heilbäder) und des Passantenbetriebs (u.a. Motels, Hotel garni), den Aufbau des Aktivferienbetriebs (Familien-, Sporthotels) mit neuen Angeboten (Kurse, Symposien, Kongresse). Der Zunahme der Logiernächte in den 1980er Jahren auf ein Maximum von ca. 80 Mio. folgte in der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre ein Rückgang auf ca. 66 Mio. (1996) und anschliessend eine Stabilisierung bei 65-70 Mio. Logiernächten.
Die Parahotellerie
Während bis 1940 die Hotellerie die Tourismusorte prägte, war dies nach Kriegsende zunehmend die Parahotellerie. Sie hatte ihre Vorläufer in den privat vermieteten «Fremdenzimmern» des 19. Jahrhunderts Von den 1860er Jahren an errichtete der Schweizer Alpen-Club (SAC) seine Hütten im Hochgebirge, Naturfreundehütten folgten. Ab den 1920er Jahren entstanden Jugendherbergen nach deutschem Vorbild. In die Vorkriegszeiten datieren auch private Ferienhäuser und Ferienwohnungen sowie Ferienheime sozialer Institutionen (Ferienkolonien).
Mit dem Bauboom der 1950er und 1960er Jahre schossen im Alpenraum ganze Siedlungen von Ferienhäusern und -wohnungen im Eigentum von Ortsfremden (Zweitwohnungen) aus dem Boden. Einige von ihnen (z.B. in Laax) verdichteten sich zu eigentlichen Ferienstädten. Campingplätze, viele ganzjährig mit fester Kundschaft, erhielten immer aufwendigere Infrastrukturen. In den 1970er Jahren kamen Aparthotels auf (Residences im Eigentum mit Anschluss an eine Hotel-Infrastruktur).
Der noch nicht abgeschlossene Umstrukturierungsprozess im Gastgewerbe ist dadurch gekennzeichnet, dass Ende des 20. Jahrhunderts die Hotellerie ihren Vorkriegsstand zahlenmässig (Betriebe, Gastbetten) zwar erweitert hat, im Bettenangebot aber von der Parahotellerie gesamtschweizerisch bei weitem überflügelt worden ist (Gastbettenanteil 1990: Hotellerie 15,5%, Parahotellerie 48,5%, Zweitwohnungen 36%).
Quellen und Literatur
- Volkswirtschafts-Lex. der Schweiz 2, 1887-89, 49 f.
- P. Grellet, La Suisse des diligences, 1921 (21984)
- HSVw 1, 527 f., 646-652
- 75 Jahre Jubiläum Schweizer Hotelier-Verein, 1956
- Neue Entwicklungen in der Hotellerie, 1972
- F. Ammann, Genealog. Kartei dynast. Hoteliers- und Gastwirte-Fam., 23 H., 1975-79
- L. Gaulis, Schweizer Pioniere der Hotellerie, 1976
- Das Gewerbe in der Schweiz, 1979, 230 f.
- A. Schärli, Höhepunkt des schweiz. Tourismus in der Zeit der "Belle Epoque" unter besonderer Berücksichtigung des Berner Oberlandes, 1984
- Vicende del turismo locarnese, hg. von A. Varini, A. Amstutz, 1985
- H. Müller, P. Saxenhofer, «Die Schweiz als Touristenland ― die Schweizer als Ferienreisende», in Hb. der schweiz. Volkskultur 3, hg. von P. Hugger, 1992, 1199-1218
- Lugano Hôtels, Ausstellungskat. Lugano, 1998
Kontext | Hotellerie |