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Familienbetriebe

Der Familienbetrieb definiert sich als Betrieb der Hausgemeinschaft (Familie), bei dem die wichtigen Funktionen (Kapital, Leitung, Organisation, Produktion, Vertrieb, Verwaltung) ganz oder mehrheitlich von Familienmitgliedern ausgeübt werden. Eine besondere Form ist das Familienunternehmen, in welchem insbesondere Kapital und Leitung bei der Familie liegen. Der Familienbetrieb ist in der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts die typische Betriebsform der Landwirtschaft und des Handwerks, war aber auch allgemein im Industriesektor verbreitet.

Bäuerliche Familienbetriebe

Der bäuerliche Familienbetrieb hat seine Wurzeln in der Familienwirtschaft der Bauern im Mittelalter (Ganzes Haus). In der ersten Phase der industriellen Revolution verlief die Modernisierung im Agrarsektor (Agrarrevolution) auf betrieblicher Ebene ähnlich wie in der Industrie: Die Zahl der auf Lohnarbeit beruhenden Grossbetriebe nahm zu. Dieses Entwicklungsmuster stiess im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts jedoch an Grenzen: Die Depression der Agrarpreise und die tendenziell steigenden Löhne der Landarbeiter bewirkten, dass die Betriebe, die über familieneigene Arbeitskräfte und Eigenkapital verfügten, gegenüber den auf Lohnarbeit beruhenden Grossbetrieben konkurrenzfähig wurden. Der Hauptgrund liegt darin, dass das Wachstum der noch weitgehend auf biotischer Grundlage beruhenden Ressourcennutzung in der Landwirtschaft den Einschränkungen der biologischen Erneuerungszyklen von Pflanzen und Tieren unterlag. Eine Optimierung im Sinne der industriellen Produktion, wo die Produktionsfaktoren seit dem Verbrauch nichterneuerbarer Ressourcen im frühen 19. Jahrhundert konstant ausgelastet werden können, ist in der Landwirtschaft grundsätzlich nicht möglich. Somit konnte die industrielle Produktionsform nicht vollständig auf den Agrarsektor übertragen werden.

In dem Moment, als sich in der Industrie der Grossbetrieb (Fabrik) durchsetzte, verschwand diese Betriebsform im Agrarsektor wieder. Es fand eine eigentliche «Verbäuerlichung» der Nahrungsmittelproduktion für die rasch wachsende Industriebevölkerung statt. Grossbetriebe überlebten in Europa nur dort, wo die Industrialisierung kaum stattfand oder wo die Kosten für die betriebsfremden landwirtschaftlichen Arbeitskräfte mit repressiven staatlichen Massnahmen und/oder dank billiger Saisonarbeitskräfte besonders tief gehalten werden konnten. Auch in der Schweiz, wo es nur wenige Grossbetriebe gab, kamen diese (wie die Kleinstbetriebe) unter Druck: Ihre Zahl verringerte sich bis in die 1950er Jahre. Der für die Landwirtschaft des 20. Jahrhunderts so charakteristische Familienbetrieb hat sich somit nicht als Folge der hohen ideologischen Wertschätzung etabliert; er ist am Ende des 19. Jahrhunderts vielmehr als Folge der Marktkräfte zur Norm geworden. Erst im Bewusstsein seiner Leistungsfähigkeit ist er von der Agrarpolitik zur Basis der Agrarmodernisierung im 20. Jahrhundert gemacht worden. Die ideologische Überhöhung hat indes nicht verhindert, dass sich die bäuerlichen Familienbetriebe seit den 1960er Jahren faktisch in Einmannbetriebe umgewandelt haben.

Handwerklich-gewerbliche Familienbetriebe

Im Gegensatz zur bäuerlichen Familienwirtschaft war das Handwerk durch die spätmittelalterliche Zunftorganisation (Zünfte) zur Männerdomäne geworden. Erst als Folge ökonomischer Zwänge ab dem 17. Jahrhundert wandelte sich der Meister-Betrieb vorab in übervertretenen Berufen zum Kosten sparenden Familienbetrieb durch die von der Zunft offiziell nicht tolerierte, verdeckte Mitarbeit der Ehefrau und Kinder. Als Familienbetrieb organisiert war zum Teil auch die Heimarbeit im textilen Verlagssystem.

Da sich die ökonomische Situation des Handwerks im 19. Jahrhundert in der neuen Konkurrenzsituation (Handels- und Gewerbefreiheit, Industrialisierung) weiter verschlechterte, kam dem kostengünstig arbeitenden Familienbetrieb laufend mehr Gewicht zu. Zwar war die Mitarbeit der Ehefrau im Familienbetrieb mit der Deregulation nicht mehr «zunftwidrig», doch der handwerklich-gewerbliche Familienbetrieb liess mit Ausnahmen (z.B. im Gastgewerbe) die partnerschaftliche Organisation weiterhin vermissen.

Aus ähnlichen Konkurrenzangst, aus der sich Handwerk und Kleingewerbe noch im 20. Jahrhundert gegen selbstständige Frauenerwerbsarbeit in ihren Berufen wehrten, reklamierten sie auch die Geschäftsführung im Familienbetrieb als Domäne des Meisters. Die im Betrieb mitarbeitende, durch Hausarbeit und Erziehung zusätzlich belastete Ehefrau war als nichtentlöhnte Bürokraft abgestempelt und spielte vor allem in männerdominierten Berufen der Baubranche in der Werkstatt bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Diesem Missstand suchten ab den 1960er Jahren zuerst Berufsverbände, dann das als Selbsthilfegenossenschaft der Berufs- und kantonalen Gewerbeverbände 1966 gegründete Schweizerische Institut für Unternehmerschulung durch Schulungskurse für Gewerbetreibende abzuhelfen, anfänglich mit besonderen Seminaren für Ehefrauen. Seit den 1980er Jahren hat sich deren Stellung im Familienbetrieb mit Lohn-, AHV- und Versicherungsanspruch allgemein verbessert.

Obwohl handwerklich-gewerbliche Familienbetriebe in der Schweiz weit verbreitet sind, liegen keine genauen Zahlen darüber vor, da sie statistisch nicht gesondert erfasst werden. In der Gewerbestatistik sind sie bei den Klein- und Mittelunternehmen (1-50 Mitarbeiter) angesiedelt.

Industrielle Familienbetriebe

Der Familienbetrieb war bis zum frühen 20. Jahrhundert auch in vielen Branchen der Industrie der dominierende Unternehmenstyp (Unternehmen). Er verkörperte idealerweise bürgerlich-liberale Grundwerte wie Familie, Privateigentum, Freiheit, Verantwortung und Leistung und wurde als Garant der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und soziopolitischen Stabilität betrachtet. Noch um 1960 zählte ein Drittel der industriellen Betriebe, überwiegend Klein- und Mittelunternehmen, zu dieser Kategorie. Von den 1970er Jahren an sind manche, zum Teil prominente Familienunternehmen verschwunden oder haben ihre Selbstständigkeit eingebüsst. Dies ist auf tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Politik, aber auch auf den Wandel der Unternehmenskultur und der Familie zurückzuführen.

Die Schweiz gehört zu den europäischen Ländern, in denen sich das Familienunternehmen bis weit ins 20. Jahrhundert selbst in den grossen, kapitalintensiven und multinationalen Unternehmen der Textil-, der Nahrungs- und Genussmittel- sowie der chemischen Industrie behauptete. Weniger ausgeprägt war seine Dominanz in Metallindustrie und Maschinenbau, wo es bereits um 1900 grosse Kapitalgesellschaften gab. Von geringerer Bedeutung war der Familienbetrieb vom späten 19. Jahrhundert an in modernen Branchen wie dem Versicherungs- und Bankgewerbe, der Transport- und Energiewirtschaft (Eisenbahnen, Elektrizität) sowie in Bereichen des Einzelhandels, wo frühzeitig Publikumsgesellschaften, öffentliche und genossenschaftliche Unternehmen aufkamen.

Die industriellen Familienbetriebe des 19. und 20. Jahrhunderts zeigen Merkmale und Probleme, die sie teils prinzipiell, teils graduell von anderen Unternehmensformen unterscheiden: Sie bevorzugen spezifische Arten der Kapitalbeschaffung und Gewinnverwendung (Selbstfinanzierung, Eigenkapital aus dem Familienkreis). Sofern sie sich zwecks Kapitalsammlung und Beschränkung des Haftungsrisikos moderner Handelsgesellschaftsformen bedienen, tun sie das in einer Weise, welche die zur Familie gehörenden Anteilseigner bezüglich Macht und Gewinnchancen privilegiert (Namensaktien, Mehrfachstimmrecht usw.). Sie rekrutieren vor allem die oberste Unternehmensleitung vorzugsweise aus dem Familienkreis. Die üblichen Unternehmensziele werden ergänzt durch Ziele wie «Sicherung und Steigerung von Erwerb, Status und Macht der Unternehmerfamilie» oder «Wahrung von Erbe und Tradition». Der Fortbestand des Familienbetriebs hängt entscheidend vom Generationenwechsel ab. Da die Unternehmensführung aus dem (allenfalls durch Angeheiratete ergänzten) Familienkreis rekrutiert werden muss, wird der Bildung des Nachwuchses eine besondere Bedeutung zugemessen.

Das Familienunternehmen ist eine hybride Organisation. Ziele und Mittel von Unternehmen und Familie müssen in einer dynamischen Umwelt laufend aufeinander abgestimmt werden, damit beide überleben. Dafür gab es Erfolg versprechende Leitbilder und Regeln, die aus der allgemeinen Unternehmensgeschichte sowie aus Erfahrung und Erinnerung der Familie abgeleitet und durch diese legitimiert wurden. Sie halfen bei der Lösung jener Konflikte, die sich aufgrund der Verbindung von Unternehmen und Familie ergaben, etwa bei Entscheidungen über die Gewinnverwendung (für das Unternehmen oder die Lebensführung der Familie), über Tempo, Ausmass und Strategien der Expansion oder über die prinzipielle Frage nach der Fortführung des Unternehmens in Familienhand. Familienunternehmen neigen in der Regel stärker zu paternalistischen Formen in Führung, Organisation und Diskursen (Ideal der «Betriebsfamilie»). Hinsichtlich der Technik, Produkte, Arbeitsverfahren, Vermarktung und Führungsmethoden auf den mittleren und unteren Ebenen unterscheiden sich industrielle Familienbetriebe aber immer weniger von Publikumsgesellschaften und Managerunternehmen.

Quellen und Literatur

Bäuerliche Familienbetriebe
  • N. Koning, The Failure of Agrarian Capitalism, 1994
  • W. Baumann, P. Moser, Bauern im Industriestaat, 1999
Handwerklich-gewerbliche Familienbetriebe
  • HSVw 1, 488-491
  • Das Gewerbe in der Schweiz, 1979
Industrielle Familienbetriebe
  • R. Bertsch, Die industrielle Familienunternehmung, 1964 (21970)
  • H. Siegrist, Vom Familienbetrieb zum Managerunternehmen, 1981
  • F. Jequier, De la forge à la manufacture horlogère, 1983
  • H.G. Schröter, Aufstieg der Kleinen, 1993
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Moser; Anne-Marie Dubler; Hannes Siegrist: "Familienbetriebe", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.09.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014176/2006-09-25/, konsultiert am 11.04.2024.