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CharlesBonnet

13.3.1720 Genf, 20.5.1793 Genf, reformiert, von Genf. Sohn des Pierre Bonnet, Ratsmitglieds, und der Anne-Marie Lullin de Châteauvieux. Cousin von Abraham Trembley, Jacques-André Trembley und Jean Trembley. 1755 Marie-Jeanne De la Rive, Tochter des Horace-Bénédict De la Rive, Anwalts, Auditors und Rats. Schwager des Nicolas de Saussure. Ab 1766 Privatgelehrter auf dem schwiegerelterlichen Landgut in Genthod. 1752-1768 Mitglied des Rats der Zweihundert (Grosser Rat). (Korrespondierendes) Mitglied mehrerer Akademien Europas. Charles Bonnet gehörte zur Genfer Schule des 18. Jahrhunderts, die sich durch die Vermittlung der Hauptrichtungen europäischer Philosophien auszeichnete.

Bildnis Charles Bonnet. Lithografie nach einem Werk des dänischen Künstlers Jens Juel, hergestellt in England 1802 (Bibliothèque de Genève).
Bildnis Charles Bonnet. Lithografie nach einem Werk des dänischen Künstlers Jens Juel, hergestellt in England 1802 (Bibliothèque de Genève).

Wegweisend für den seit seiner Jugend hör- und zunehmend sehbehinderten Bonnet wurden seine akademischen Lehrer Jean-Louis Calandrini und Gabriel Cramer. Auf deren Rat hin korrespondierte er ab 1737 mit dem französischen Naturforscher René-Antoine Ferchault de Réaumur über Beobachtungen an Prozessionsraupen. Inspiriert von Abbé Noël-Antoine Pluches Spectacle de la nature, Jan Swammerdams Bible de la nature und Réaumurs Mémoires sur les insectes wurde Bonnet Entomologe (Entomologie). Das 1739 auf väterlichen Druck begonnene Rechtsstudium beendete er 1743 als Dr. iur. 1740 wurde Bonnet auf Réaumurs Vorschlag jüngstes korrespondierendes Mitglied der Pariser Académie des sciences, dies für seinen empirischen Nachweis der Parthenogenese der Blattläuse. Damit stand für Bonnet ausser Zweifel, dass die Bibel recht hatte und alle Organismen (leibseeliche Einheiten, «Keime») in einem Schöpfungsakt gleichzeitig entstanden seien, jedoch erst im Lauf der Erdgeschichte und zu vorbestimmter Zeit wachsen und sichtbar würden (Präformationstheorie, Ovismus). Seine sensualistisch-spiritualistische Philosophie propagierte die Unsterblichkeit des «Keims», d.h. des im «Seelensitz» (Hirnbalken) enthaltenen ausdehnungslosen Licht- bzw. Ätherleibs, Erinnerungsspeichers aller «Eindrücke» («une neurologie en miniature»), die die Einmaligkeit jedes Individuums gewährleisteten. Vorstellungen entstünden aus Sinneseindrücken in den Hirnfibern, dem physiologischen Substrat intellektueller Vorgänge (Fibernpsychologie).

1745 und 1754 erschienen Bonnets tier- und pflanzenphysiologische Werke: zuerst die Abhandlungen aus der Insektologie in zwei Bänden (deutsch 1773-1774, französisch 1745) – unter anderem über die Regenerationsfähigkeit von Würmern, ein Thema, das er in seinen Œuvres d'histoire naturelle et de philosophie (1779-1783) weiterführte –, dann die Untersuchungen über den Nutzen der Blätter bey den Pflanzen (deutsch 1762, französisch 1754), Vorarbeiten zur Photosynthese der Pflanzen (Botanik). Ebenfalls 1754 erschien in Leiden der anonyme Psychologische Versuch (deutsch 1773, französisch datiert auf 1755), der Bonnets Wende zu naturphilosophischen Schriften bewirkte: Analytischer Versuch über die Seelenkräfte (deutsch 1770-1771, französisch 1760), worin Bonnet ähnlich wie Etienne Bonnot de Condillac eine Erkenntnistheorie anhand einer sukzessiv belebten Statue entwickelte und den von Condillac und dem anonymen Verfasser des Essai de psychologie vertretenen Freiheitsbegriff angriff, Betrachtungen über die organisirten Körper (deutsch 1775, französisch 1762, 1763 ehrenvoll von der Berliner Akademie erwähnt) sowie die in viele Sprachen übersetzte Betrachtung über die Natur (deutsch 1766, französisch 1764), mit der Bonnet erstmals über die Grenzen der Gelehrtenwelt hinaus bekannt wurde. «Eines der ungewöhnlichsten Beispiele spekulativer Verbindung von verschiedenen Elementen in der Geschichte der Wissenschaft und Philosophie» nennt Arthur Oncken Lovejoy in Die grosse Kette der Wesen (deutsch 1985, englisch 1936) Bonnets letztes grosses metaphysisches Werk, die Philosophische Palingenesie (deutsch 1769-1770 durch Johann Kaspar Lavater, französisch 1769), «eine Verknüpfung, kunstvoller noch als bei Leibniz, von Geologie, Embryologie, Psychologie und Metaphysik zu einem Gesamtbild der vergangenen und zukünftigen Geschichten unseres Planeten und seiner Lebewesen». Die Palingenesie ist die Summe von Charles Bonnets philosophischem System.

Quellen und Literatur

  • Candaux, Jean-Daniel: Catalogue de la correspondance de Charles Bonnet conservée à la Bibliothèque de Genève, 1993.
  • Buscaglia, Marino et al. (Hg.): Charles Bonnet, savant et philosophe (1720-1793), 1994.
  • Luginbühl-Weber, Gisela: Johann Kaspar Lavater – Charles Bonnet – Jacob Bennelle: Briefe 1768-1790. Ein Forschungsbeitrag zur Aufklärung in der Schweiz, 2 Bde., 1997.
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Zitiervorschlag

Gisela Luginbühl-Weber: "Bonnet, Charles", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.04.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015877/2011-04-06/, konsultiert am 08.12.2024.