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Geschlechterrollen

Die Geschlechterrollen basieren auf soziokulturellen Normen, die Frauen und Männern je andere Verhaltensweisen und soziale Funktionen zuschreiben. Diese erfuhren im Laufe der Geschichte verschiedene Veränderungen. Die Frauen- und Geschlechtergeschichte beschäftigte sich anfänglich mit Geschlechterrollen, wandte sich dann in den 1990er Jahren zunehmend den Geschlechterverhältnissen zu, da diese ein breiteres Forschungsspektrum boten. Denn während sich die Analyse der Geschlechterrollen auf Frauen- und Männerrollen – oft als Paarbeziehungen – beschränkte, fragten die Studien über Geschlechterverhältnisse nach der Situation von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Frau und Mann im Mittelalter

Ehe und Erbrecht

Den Germanischen Stammesrechten und den St. Galler Urkunden sind einigermassen verlässliche Angaben über die frühmittelalterlichen Geschlechterrollen zu entnehmen. Charakteristisch für das Mittelalter war die Kernfamilie (Familie), eingefügt in den Verwandtenkreis der Sippe. Sie stand als vermögensrechtliche Einheit unter der personenrechtlichen Vormundschaft des Gatten und Vaters, der sogenannten Munt. Die häufigste Form der mittelalterlichen Ehe war die Muntehe (Eherecht). Sie entsprach am ehesten der von der Kirche allein anerkannten Ehe im gegenseitigen Einverständnis. Bei der Eheschliessung wurde die Vormundschaft über die Frau von ihrem Vater auf den Ehemann übertragen. Die Frage, ob Witwen einen Vormund brauchten, war rechtlich umstritten. Da die Frau nicht Erbin des Mannes war, erhielt sie bei der Heirat Grundbesitz und weitere Vermögenswerte als Witwengut (Wittum). Verheiratete Frauen bestimmten sowohl allein als auch zusammen mit ihrem Ehemann über Besitz. Je nachdem, woher der jeweilige Besitz stammte, konnte bei den Alemannen Gütertrennung oder Gütergemeinschaft herrschen. Wenn die Ehefrau eine Erbschaft erhielt, blieb diese in ihrem Sondervermögen (Erbrecht).

Nicht nur in männlicher, auch in weiblicher Linie galten Blutsverwandte als Familienmitglieder. Eine Frau schied daher mit ihrer Heirat nicht aus ihrer Familie aus, sondern war Bindeglied der durch die Ehe erweiterten Familie und musste als Erbin mitberücksichtigt werden. Die frühmittelalterlichen Erbschaftsregelungen ordneten die Töchter den Söhnen nach. Töchter konnten aber Grundbesitz erben.

Obige Regelungen galten vor allem für die landbesitzende Oberschicht und die Freigelassenen. Ehen zwischen Unfreien, auch von verschiedenen Grundherren, waren üblich. Bei den auch nicht seltenen Heiraten zwischen Freien und Unfreien wurde die Hörigkeit eines Elternteils auf die Kinder übertragen. So fiel die grundherrliche Familia nicht auseinander und die Arbeitskräfte verblieben beim Grundherrn (Ehegenossame).

Kirche, Kloster und Sexualität

Im Mittelalter wurde die eheliche Beziehung in theologisch-dogmatischen und seelsorgerischen Texten thematisiert. Diese gingen davon aus, dass beide Geschlechter von sexuellem Verlangen heimgesucht würden und daher der Ehe bedürften, um dieses in geordneten Bahnen auszuleben. Dabei dürfe der Mann von seiner Ehefrau keine sexuelle Treue verlangen, wenn er selbst dazu nicht in der Lage sei. Auch solle der Ehebruch des Mannes genauso schwer bestraft werden wie der einer Frau. Diese Gleichstellung sexueller Pflichten forderte bereits Paulus im 7. Kapitel des ersten Korintherbriefes.

Siegel der Äbtissin Hemma an einer Urkunde (heute verloren) über eine Jahrzeitstiftung vom 11. Februar 1282 aus dem Zisterzienserinnenkloster Rathausen. Lithografie, um 1845 (Universitätsbibliothek Bern).
Siegel der Äbtissin Hemma an einer Urkunde (heute verloren) über eine Jahrzeitstiftung vom 11. Februar 1282 aus dem Zisterzienserinnenkloster Rathausen. Lithografie, um 1845 (Universitätsbibliothek Bern). […]

Eine Alternative zur Ehe war der Eintritt in ein Kloster. Die Frauen (Ordensfrauen) konnten dadurch nicht nur in den Genuss von Bildung und Führungsaufgaben gelangen, sondern näherten sich auch dem christlichen Ideal der Jungfräulichkeit. Der Gang ins Kloster wurde teilweise aus heirats- oder erbschaftspolitischen Gründen von den Eltern erzwungen oder durch familiäre Bindungen an ein bestimmtes Kloster (Stiftung, Begräbnisort usw.) begünstigt. Das Kloster bot beiden Geschlechtern eine gesicherte Existenz und ein standesgemässes Leben. Die Mönche und Nonnen mussten Fürbitte für ihre Familien leisten, waren also für deren Seelenheil mitverantwortlich. Da der Zugang zum Priestertum den Männern (Klerus) vorbehalten war, oblag ihnen die geistliche Betreuung der Nonnen. Zusammenschlüsse von Frauen ohne Ordenszugehörigkeit in Beginenhäusern boten zu Verdächtigungen und Verfolgungen Anlass (Beginen und Begarden).

Die Welt des Adels

In der adligen Welt (Adel) waren Ehen vor allem funktional wichtig: Eine geschickte Heirats- und Erbschaftspolitik bot eine Möglichkeit der Herrschaftserweiterung über die weibliche Linie. Adlige Geschlechterrollen zeigen sich exemplarisch in der Manessischen Handschrift. Die in den Minneliedern besungene «Milde, Treue, Zucht, Mässigkeit, Scham und Verehrung der Frauenwelt» als Tugenden des werbenden Ritters und die «Schönheit, Anständigkeit, Edelmütigkeit und Güte» der umworbenen, verheirateten Dame waren eher ritterliches Ideal als Wirklichkeit. Die Hauptbeschäftigung männlicher Adliger bestand in der Ausübung von Herrschaftsrechten. Die häuslichen, grund- und vogteiherrlichen Tätigkeiten wurden durch die Teilnahme an Hoftagen, Spielen und Festen, Turnieren, Jagden oder Kriegen aufgelockert. Die adlige Dame war Repräsentantin ihres Standes und Adelsgeschlechts. Wenn dynastische Gründe oder die Abwesenheit ihres Gatten es erforderten, konnte sie herrschaftliche Aufgaben übernehmen. Als Vorsteherin des höfischen Haushalts wirkte sie als Gesellschafterin und Hausfrau, deren textile, musische und intellektuelle Fertigkeiten in gleichem Masse gefragt waren. Adlige Frauen erzogen ihre Töchter bis ins Erwachsenenalter, ihre Söhne aber meist nur im Kindesalter (Kindheit).

Arbeitsteilung im Dorf

Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies. Ausschnitt aus einer Wandmalerei mit der Darstellung der Schöpfungsgeschichte in der alten Pfarrkirche St. Maria in Lantsch/Lenz (GR), um 1400 (Fotografie Romano Pedetti, Bad Ragaz).
Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies. Ausschnitt aus einer Wandmalerei mit der Darstellung der Schöpfungsgeschichte in der alten Pfarrkirche St. Maria in Lantsch/Lenz (GR), um 1400 (Fotografie Romano Pedetti, Bad Ragaz). […]

Einsichten in die geschlechterspezifische Aufgabenteilung der ländlichen Gesellschaft lassen sich aus den Verordnungen über das dörfliche Zusammenleben gewinnen, den spätmittelalterlichen Offnungen. In der Forschung ist umstritten, ob es im Mittelalter eine ausgeprägte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gab. Es wird davon ausgegangen, dass Männer risikoreiche, grosse Körperkraft erforderliche und vom Wohnort entfernte Tätigkeiten übernahmen, etwa die Wald- und Holzwirtschaft, Feldarbeiten wie Pflügen, Aussäen und Dreschen, Fuhrarbeiten und Viehhüten. Frauen arbeiteten vor allem in und um Haus und Hof. Gemäss archäologischen Grabungen und Textzeugnissen gab es im Früh- und Hochmittelalter Frauenwerkstätten (Gynäceen); die Webstühle der Mägde standen in feuchten Grubenhäusern. Ferner waren die Frauen für das Kochen (Ernährung), Wasserholen, die Vorratshaltung sowie für Hygiene und Krankenpflege, Kleiderherstellung und Wäsche zuständig. Auch Gemüseanbau, Klein- und teils Grossviehhaltung sowie Mitarbeit im Feld oblagen ihnen. An der Heu- und Getreideernte waren beide Geschlechter beteiligt. Die nebengewerbliche Textilproduktion bot vor allem verwitweten und ledigen Frauen eine Verdienstmöglichkeit. In den im Spätmittelalter entstandenen Gemeinden finden sich neben den untergeordneten Ämtern der Förster, Dorfwächter, Kuh- und Schweinehirten auch die von der «Weibergemeinde» gewählten Hebammen.

Ehe und Gewerbe in der spätmittelalterlichen Stadt

In den Stadtrechten und Zunftverordnungen des Spätmittelalters wurde zwischen verheirateten und unverheirateten Frauen sowie Witwen klar unterschieden. Für Ehefrauen galten weiterhin die Regeln, die sich aus der Vormundschaft des Mannes ableiteten. Um eine Geschäftstätigkeit aufzunehmen, brauchten sie die Zustimmung ihres Mannes, sogar wenn sie über ihr eigenes, in die Ehe eingebrachtes Gut verfügten. Bei Witwen und Unverheirateten verlor die Geschlechtsvormundschaft allmählich an Bedeutung. Sie konnten ihren Vertreter vor Gericht selbst wählen – oder erhielten einen vom Gericht zugewiesen – und meist frei über Besitz und Vermögen bestimmen. In den Zunftsatzungen wurde den Witwen in sogenannten Witwenrechten erlaubt, den Betrieb des verstorbenen Meisters weiterzuführen, bis einer ihrer Söhne ihn übernahm oder sie wieder heirateten (Frauenerwerbsarbeit). Gelang beides nicht oder war sie hochbetagt, konnte die Frau die Zunftmitgliedschaft verlieren und damit den Anspruch auf die zünftige Finanzierung von Bestattung und Totengedenken.

Erwerbstätige Frauen waren in den Städten vor allem im Textilhandwerk anzutreffen, als Kürschnerinnen, Weberinnen oder Näherinnen. Gemäss der Basler Zunftordnung der Kürschner von 1226 konnten Frauen wie Männer Pelze an- und verkaufen. Umstritten ist jedoch, ob männliche und weibliche Zunftmitglieder gleiche Rechte genossen. In Zürich gab es erst nach 1336 die Frauenzunft der Seidenweberinnen. In der Baderzunft waren Knechte und Mägde von öffentlichen Bädern organisiert, die aus niederen sozialen Schichten stammten. Diesen Mägden wurde eine Nähe zur Prostitution nachgesagt. In den Baderordnungen selbst waren – zumindest in Freiburg im Breisgau und Strassburg – gleiche Rechte für beide Geschlechter festgeschrieben.

Ausgelöst durch die Agrarkrise des 14. und 15. Jahrhunderts verlagerte sich die gewerbliche Produktion von den ländlichen Wirtschaftshöfen in die Städte. Die damit verbundene Zunahme landwirtschaftlicher und gewerblicher Lohnarbeit bot neue Heiratschancen und ermöglichte die Loslösung aus herrschaftlichen Abhängigkeiten. Frauen und Mädchen fast aller sozialer Schichten in Stadt und Land dienten in fremden Haushalten (Gesinde).

Umbruch in der frühen Neuzeit

Am Vorabend der Reformation häuften sich Klagen über Winkelehen, nichteheliche Beziehungen und nicht eingehaltene Eheversprechen. Die von den Reformatoren gepredigte Ethik wollte die Menschen zu einem ehrbaren Lebenswandel verpflichten und die Ehe als einzig legitimen Ort sexueller Beziehungen etablieren. In den reformierten Städten erzwangen die Obrigkeiten die Befolgung dieser Ideale mittels Sittengerichten und Sittenmandaten, auf der Landschaft mittels besonderer Behörden. Damit wurde die bisherige bischöfliche Ehegerichtsbarkeit ersetzt. Das neue Eheideal teilte Mann und Frau hierarchisch geordnete Aufgabenbereiche zu und betonte die Verantwortung beider für das Gelingen der Beziehung.

In der Frühneuzeit wurde die sogenannte Hausväterliteratur normbildend für die Geschlechterrollen. In diesen hauswirtschaftlichen, moralisch-didaktischen Lehrbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts wurden Regeln aufgestellt, nach denen das Ganze Haus als hierarchisch gegliederte Gemeinschaft von Hausvater, Hausmutter, Kindern und Gesinde funktionieren sollte. Ziel der Hausgemeinschaft war eine statusgemässe Versorgung aller Mitglieder, die Besitzerhaltung und -vergrösserung und das Aufziehen von Kindern und Enkeln.

Ab dem 17. Jahrhundert entwickelten sich die städtischen Eliten zu einer Geldaristokratie, die ihren Reichtum zur Schau trug. Frauen aus dieser Oberschicht waren rechtlich eigenständig. Sie konnten Testamente ausstellen und Urkunden mit persönlichen Siegeln versehen. Die Altersvorsorge der Witwen war meist ausreichend geregelt, da das Männer- und das Frauengut nicht vermischt wurden.

In der Protoindustrialisierung des 18. Jahrhunderts führten Heimarbeiterinnen und -arbeiter die Aufträge der städtischen Textilverleger aus (Heimarbeit). Männer betätigten sich dabei vor allem als Weber, während das Spinnen in erster Linie Sache der Frauen und Kinder war. Die Heimarbeiterfamilien wandelten ihren Lebensstil, kleideten sich modern, konsumierten, vergnügten sich und pflegten einen lockeren Umgang mit dem anderen Geschlecht.

Geschlechterdiskurs in der Aufklärung

Die Moderne brachte nicht nur die Herrschafts-, sondern auch die Geschlechterverhältnisse ins Wanken. Vor der Aufklärung war die Gesellschaft in erster Linie ständisch gegliedert, die Kategorie Geschlecht führte erst zu einer sekundären Distinktion (Ständische Gesellschaft). Was die Handlungsmöglichkeiten eines Individuums betraf, war die Herkunftsfamilie entscheidend, nicht das Geschlecht. Dies galt auch in der Schweiz, trotz republikanischer Tradition. Männer aus herrschenden Familien besassen Privilegien, etwa den Zugang zur politischen Macht. Von den Männern aus niederen Schichten hoben sie sich – wie auch ihre weiblichen Familienangehörigen – durch eine aufwendige Selbstdarstellung ab, die auch das Tragen von Seidenstoffen und Perücken sowie die Betonung körperlicher Feingliedrigkeit einschloss (Kleidung).

Mit der Aufklärung und dem Beginn der liberalen Bewegung (Liberalismus) kam ein dualistischer Geschlechterdiskurs auf, der nicht nur die gesellschaftliche, sondern auch die politische Ordnung der Geschlechter betraf. Die neue politische Figur des Bürgers wurde männlich konzipiert und mit ebensolchen Attributen (z.B. Wehrhaftigkeit) versehen. In der bürgerlichen Gesellschaft sollten die Männer gleichberechtigt sein, die Frauen ihnen aber untergeordnet bleiben. Abgestützt wurde das qualitativ neue dualistische Geschlechterverhältnis auf einen biologistischen, anthropologischen Diskurs, der das Konstrukt der Geschlechtscharaktere wissenschaftlich legitimierte.

Der Bundesstaat und die Geschlechterdualität

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Geschlechterrollen im Rahmen der Gründung des Bundesstaats rechtlich und sozial neu umrissen und stärker festgeschrieben. Die Bundesverfassung von 1848 proklamierte die Rechtsgleichheit, verfügte die allgemeine Wehrpflicht und gewährte allen Schweizer Männern christlichen Glaubens dieselben staatsbürgerlichen Rechte. Die politische Integration aller Männer ging mit der Ausgrenzung der Frauen einher. An die Stelle der ständischen Abriegelung des Zugangs zu politischer Macht trat die staatsbürgerliche Diskriminierung der Frauen. Der Geschlechterdualismus erhielt so in der Schweiz eine nachhaltige Legitimation. Dies ungeachtet der Tatsache, dass – vor allem im bäuerlich-kleingewerblichen Milieu – noch jahrzehntelang weiterhin beide Geschlechter zum Familieneinkommen beitrugen.

Der Bundesstaat war als Männerbund konzipiert. Anfänglich waren allerdings nicht alle Schichten gleichermassen in den Staat eingebunden, dies geschah erst mittels einer Angleichung der Männerbilder. Ständische Distinktionen galten zunehmend als verpönt, der Schweizer Mann sollte wehrhaft, arbeitsam und freiheitsliebend sein. Auf diesen Kanon schworen Männer liberaler, konservativer, später auch sozialistischer Gesinnung. Für dessen Verbreitung sorgten unter anderem die patriotischen Massenveranstaltungen, Schützen- und Sängerfeste (eidgenössische Feste) und der Militärdienst. Die Einbindung der Elite übernahmen die landesweit organisierten Studentenverbindungen.

Die Schweizer Hausfrau

Das Ideal der Schweizer Hausfrau wurde bereits im 19. Jahrhundert entwickelt und propagiert, zur Realität für eine Mehrheit der Frauen wurde es aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Es basierte auf dem dualistischen Rollenverständnis, das den Männern die ausserhäusliche Erwerbsarbeit und den Frauen die innerhäusliche Hausarbeit sowie Betreuungsaufgaben zuwies.

Der grössere ökonomische Spielraum der Männer ging einher mit einer Festschreibung von Regeln, die die männliche Vorherrschaft über die Frauen im 19. Jahrhundert auch privatrechtlich definierten. Diese betrafen nicht nur häusliche Angelegenheiten, sie stellten auch sicher, dass Frauen nicht ohne Einverständnis der Ehemänner oder Väter erwerbstätig sein durften und dass sie bei der Heirat die Verfügung über ihr Vermögen verloren. Die familienrechtliche Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse wurde – mit graduellen Unterschieden – in allen Kantonen ähnlich realisiert und im Zivilgesetzbuch 1907 festgeschrieben (seit 1912 in Kraft).

Das Ideal der sparsamen Hausfrau, die ihrem Mann den Rücken für seine ausserhäusliche Tätigkeit freihielt, wurde von Männern aller sozialer Schichten und Berufe begrüsst. Man war sich darin einig, dass sich die Rolle der Frau in Bezug auf ihren Vater, Ehemann oder verstorbenen Gatten definierte und ihre Aufgabe darin bestand, den männlichen Familienmitgliedern zu dienen. Junge Frauen wurden früh darauf eingestimmt und in die häuslichen Arbeiten eingebunden. Das Hausfrauenideal setzte sich nur langsam durch: 1870 waren über 50% der (über 15-jährigen) Erwerbstätigen Frauen, nach dem Ersten Weltkrieg bis Mitte der 1970er Jahre sank ihr Anteil aber stetig. Gleichzeitig stieg die Bereitschaft der Wirtschaft, den Männern sogenannte Ernährerlöhne zu bezahlen. Hausfrauenarbeit wurde mit dem Anspruch auf Unterhalt abgegolten. Auch das Schulwesen und die Sozialversicherungen wurden auf das dualistische Geschlechtermodell ausgerichtet.

Lithografie eines unbekannten Künstlers, Ende 19. Jahrhundert (Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, Wädenswil).
Lithografie eines unbekannten Künstlers, Ende 19. Jahrhundert (Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, Wädenswil). […]
Lithografie eines unbekannten Künstlers, Ende 19. Jahrhundert (Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, Wädenswil).
Lithografie eines unbekannten Künstlers, Ende 19. Jahrhundert (Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, Wädenswil). […]

Wie das Männer- erhielt auch das Frauenbild eine patriotische Note. Die bereits in der familiären Produktionsgemeinschaft geltenden Werte Ordnung, Reinlichkeit, Sparsamkeit und Fleiss entwickelten sich ab Mitte 19. Jahrhundert zum Kanon, nach dem sich die Schweizer Hausfrauen zu richten hatten. Fortan galt Haushaltskunde (Hauswirtschaft) als wichtiges Element weiblicher Ausbildung (Mädchenerziehung). Ihre Einführung wurde von Frauenorganisationen wie dem Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenverein vorangetrieben. Im 20. Jahrhundert rundete das sogenannte Welschlandjahr nicht nur die hauswirtschaftliche Ausbildung ab, sondern ermöglichte den jungen Frauen den Kontakt zu anderen Schichten und anderssprachigen Landesteilen, den die Männer teilweise durch Studium, Berufsbildung oder Militärdienst herstellten.

Stagnation und Wandel im 20. Jahrhundert

In der Schweiz wurde das allgemeine Wahlrecht für Männer im internationalen Vergleich zwar besonders früh eingerichtet, blieb aber auch besonders lange auf diese beschränkt. Dazu kam das Initiativ- und Referendumsrecht, das den Männern zusätzliche politische Rechte eröffnete und die politischen Entscheidungsbefugnisse nicht, wie in anderen Ländern üblich, auf die Wahl des Parlaments beschränkte. Diese umfassenden demokratischen Rechte wie auch die vorherrschenden Geschlechterrollen verstärkten die Position der Männer in den Familien und erschwerten den Frauen den Kampf um ihre politischen Rechte. Indem in jeder Familie mindestens ein Mann stimmberechtigt war, so wurde argumentiert, könne die Frau indirekt über ihren Mann oder Vater die politischen Geschicke mitsteuern.

Zweiter Schweizerischer Kongress für Fraueninteressen in Bern im Oktober 1921. Fotografie aus der Zeitschrift La Patrie suisse, 1921, Nr. 733.
Zweiter Schweizerischer Kongress für Fraueninteressen in Bern im Oktober 1921. Fotografie aus der Zeitschrift La Patrie suisse, 1921, Nr. 733. […]

Trotz dem Verzicht auf politische Rechte wurde aber von den Frauen ab dem 19. Jahrhundert erwartet, dass sie mehr Verantwortung übernähmen, vor allem in der Kindererziehung und teilweise auch bezüglich des Verhaltens des Ehemannes. Die Frauenorganisationen unterstützten diese Argumentation, da sie darin ein partnerschaftliches Modell sahen, das die Voraussetzung für die rechtliche Gleichstellung bildete.

Die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz geschah 1971 in der Periode der gesellschaftlichen Umbrüche der 1968er-Bewegung (Jugendunruhen), in deren Folge sich die Geschlechterrollen ein Stück weit aufweichten. Besonders umstritten war in den 1970er Jahren der Aufbruch der Männer aus den alten Rollenmustern, den sie unter anderem mit langen Haaren sichtbar machten. Auch Frauen begannen vermehrt Hosen und andere bisher männlich konnotierte Kleidungsstücke zu tragen und in der Öffentlichkeit zu rauchen. Männer lehnten sich gegen die von ihnen erwartete Wehrhaftigkeit (Dienstverweigerung) und Karriereorientierung auf, während Frauen gegen die Hausfrauen- und Mutterrolle aufbegehrten. Gleichzeitig rebellierte die junge Generation gegen die Beschränkung der Sexualität auf die Ehe. Ungeachtet bestehender Gesetze und Normen nutzte sie den durch chemische Empfängnisverhütung ermöglichten sexuellen Freiraum aus und erprobte neue Formen des Zusammenlebens (Konkubinat).

Mütter mit Kindern in einem Supermarkt in Genf. Fotografie, 2001 (Interfoto, Genf).
Mütter mit Kindern in einem Supermarkt in Genf. Fotografie, 2001 (Interfoto, Genf). […]

Ab den 1970er Jahren stieg auch die Erwerbsquote der Frauen deutlich an. Die geschlechtliche Segregation auf dem Arbeitsmarkt und das Engagement der Männer im Haushalt veränderten sich jedoch nur geringfügig. Auch die gesellschaftlichen Strukturen wandelten sich nur langsam. So müssen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Schweiz viele Frauen zwischen Kindern und Karriere entscheiden, weil sie weder auf eine – in anderen Ländern übliche – ausserhäusliche Betreuung (Kinderhorte), noch auf die Hilfe ihrer Partner zurückgreifen können und ausserdem ihre Löhne markant tiefer sind als jene der Männer. Folglich geben die Frauen in der Schweiz bei der Geburt ihres ersten Kindes weitaus häufiger die Erwerbsarbeit auf als in anderen europäischen Staaten. Ausserdem ist die hiesige Geburtenzahl seit den 1960er Jahren im europäischen Vergleich überproportional zurückgegangen (2008 1,48 Kinder pro Frau).

Das erweiterte Rollenrepertoire und die formale und rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau 1981, die sich auch im neuen Eherecht von 1988 niederschlug, haben dazu geführt, dass die Geschlechterrollen zunehmend als selbst gewählt erlebt werden. Die sinkenden Heiratsquoten und die steigende Zahl an Scheidungen, Trennungen und Singlehaushalten (2004 30%) werden nicht als Problem des Zusammenlebens von Mann und Frau angesehen, sondern als Zeichen des wachsenden gesellschaftlichen Individualismus. Die Angleichung der Geschlechterrollen findet seit Ende des 20. Jahrhunderts im Rahmen verschiedener Reorganisationen in die Sozialgesetze Eingang. Parallel zur Aufweichung der Geschlechterrollen gewann auch die homosexuelle Lebensweise und Partnerschaft an Akzeptanz (Homosexualität).

Quellen und Literatur

  • Joris, Elisabeth; Witzig, Heidi (Hg.): Frauengeschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz, 1986 (20014).
  • Ehlert, Trude: «Die Rolle von "Hausherr" und "Hausfrau" in der spätmittelalterlichen volkssprachlichen Ökonomik», in: Ehlert, Trude (Hg.): Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit. Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 6.-9. Juni 1990 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universiät Bonn, 1991, S. 153-166.
  • Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib, 1750-1850, 1991.
  • Wunder, Heide: «Er ist die Sonn', sie ist der Mond». Frauen in der Frühen Neuzeit, 1992.
  • Jaun, Rudolf; Studer, Brigitte (Hg.): Weiblich – männlich. Geschlechterverhältnisse in der Schweiz. Rechtsprechung, Diskurs, Praktiken, 1995.
  • Wunder, Heide; Burghartz, Susanna et al. (Hg): Eine Stadt der Frauen. Studien und Quellen zur Geschichte der Baslerinnen im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit (13.-17. Jahrhundert), 1995.
  • Geschlecht und Staat, 1996 (Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 46/3).
  • Blattmann, Lynn; Meier, Irène (Hg.): Männerbund und Bundesstaat. Über die politische Kultur der Schweiz, 1998.
  • Hellmuth, Doris: Frau und Besitz. Zum Handlungsspielraum von Frauen in Alamannien (700-940), 1998.
  • Simon-Muscheid, Katharina (Hg.): «Was nützt die Schusterin dem Schmied?» Frauen und Handwerk vor der Industrialisierung, 1998.
  • Schnegg von Rütte, Brigitte: «Die zweyte Seyte auf dem Blatte der Menschheit». Geschlechterdiskurse und Geschlechterverhältnisse in der Schweizer Aufklärung, 1999.
  • Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert, 2002 (Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 52/4).
Weblinks

Zitiervorschlag

Martin Gabathuler; Lynn Blattmann: "Geschlechterrollen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.03.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015988/2011-03-24/, konsultiert am 19.03.2024.