Mutterschaft umfasst Schwangerschaft, Geburt, Pflege und Erziehung der Kinder. Religiöse, kulturelle, soziale und rechtliche Normen prägen ihre gesellschaftliche Bedeutung. Im Laufe der Jahrhunderte begleiteten und strukturierten verschiedene magische, religiöse und säkularisierte Rituale und Symbole den sozialen und biologischen Prozess der Mutterschaft. In der christlich-abendländischen Kultur verkörpert die Jungfrau Maria das Ideal der sich aufopfernden Mutter. Eine neue Form der öffentlichen Mutterverehrung ist der Muttertag, der sich nach dem Ersten Weltkrieg von den Vereinigten Staaten ausgehend auch in Europa durchsetzte und zu einem von kommerziellen und ideologischen Interessen gespiesenen Ritual wurde. Durch die Verbreitung neuer Fortpflanzungstechnologien am Ende des 20. Jahrhunderts und die Möglichkeit einer Leihmutterschaft fällt zusätzlich zur sozialen auch die genetische nicht mehr zwangsläufig mit der biologischen Mutterschaft zusammen.
Mütter in der Familienwirtschaft
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nahmen die Mütter innerhalb der jeweiligen Familienökonomie eine zentrale Stellung ein. Bereits das Arrangement und die Schliessung der Ehe waren eng mit Besitz und Güterübertragung verknüpft und rechtlich eingeschränkt. Für die Struktur und Funktion insbesondere der ländlichen Familie bildete der Güterbesitz die unabdingbare Grundlage des Lebensunterhalts, weshalb Heiraten und Erben nebst Geburt und Tod die wichtigsten Ereignisse im Lebenszyklus der Frauen und Männer darstellten.
Der bäuerliche Haushalt bildete die grundlegende Wirtschafts- und Sozialeinheit. Er setzte sich je nach Familienphase ganz unterschiedlich zusammen, umfasste nebst der Kernfamilie oft auch mindestens einen Elternteil, Verwandte und Gesinde. Die Bäuerinnen stillten ihre Kinder selbst, erzogen sie im Rahmen der Familienwirtschaft und hielten sie schon früh zum Mitarbeiten an. Zu ihren Tätigkeiten gehörte die Haushaltsführung, Kochen, Waschen, die Verarbeitung von Obst und Gemüse, der Gartenbau und nebst der Mithilfe bei fast sämtlichen Feldarbeiten auch die Herstellung von Textilien (Geschlechterrollen).
Zur durchschnittlichen Anzahl der Geburten einer Frau ist wenig bekannt (Demografie). In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ernährte eine städtische Kernfamilie in Luzern im Durchschnitt zwei Kinder; die Zahl der Geburten lag aber höher, denn die Kindersterblichkeit war ebenfalls hoch (Fruchtbarkeit). Die Familiengrösse korrelierte mit dem Güterbesitz. Gute materielle Bedingungen erhöhten die Überlebenswahrscheinlichkeit, doch das Risiko, im Kindbett zu sterben, blieb für Wöchnerinnen hoch.
Frauenbild und Mütter im 19. Jahrhundert
Die Industrialisierung, die vermehrten Lohnarbeitsmöglichkeiten für Frauen (Fabrikarbeit) und der strukturelle Wandel der Familie veränderten die gesellschaftliche Rolle der Mutter und die Bedeutung der Mutterschaft nachhaltig. Die geschlechtsspezifische Trennung in ausserhäusliche Erwerbstätigkeit und innerhäusliche Hausarbeit beschränkte die der Frau und Mutter zugeordneten Aufgaben zunehmend auf die Haushaltsführung und Kindererziehung. Das neue Rollenverständnis beinhaltete die Pflege der Intimität und Häuslichkeit, die "Aufzucht" der Kinder sowie die Versorgung des Ehemanns aus "Liebe" und aufgrund "weiblicher Bestimmung" und schloss die finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann mit ein.
Bereits im Zuge der Aufklärung hatte Jean-Jacques Rousseau neue Anforderungen an die Mutter im Bereich der Säuglingspflege und Kindererziehung formuliert und die geforderte Selbstaufopferung der Mutter mit der "Natur der Frau" legitimiert. Während sich in den Schriften von Johann Heinrich Pestalozzi der Erziehungsauftrag noch an beide Elternteile richtete, adressierten Pädagogen und Ärzte im 19. Jahrhundert neue Anforderungen an die Pflege und Erziehung der Kinder ausschliesslich an die Mutter, die zunehmend in die Rolle der allein verantwortlichen Erzieherin der Kinder gedrängt wurde. Auf der Basis von "Mutterliebe" wurde die emotionale Beziehung zwischen Mutter und Kind ins Zentrum der Mutterrolle gerückt.
Die gestiegenen mütterlichen Anforderungen im familiären Bereich korrelierten einerseits mit dem gesellschaftlichen Ausschluss der Frauen auf politischer Ebene (Frauenstimmrecht), der mit der Fähigkeit der Frauen, Kinder zu gebären und diese zu stillen, also mit ihrer natürlichen Bestimmung zur Mutter, begründet wurde. Die Mutterschaft und Hauswirtschaftsführung bot andererseits als Konzept eine Legitimation sowohl für weibliche Wohltätigkeit als auch für Berufsarbeit (Frauenerwerbsarbeit) im Bereich der Fürsorge (soziale Arbeit), der Krankenpflege, des Erziehungs- und Textilwesens. Neu von Wohlfahrtsverbänden und Frauenvereinen (Vereine) geschaffene Einrichtungen zur Mütterschulung und Mütterfürsorge halfen mit, die erwünschten "Mütterleistungen" gesellschaftlich sicherzustellen.
Bürgerliches Ideal erwerbstätiger Mütter
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde das christlich-bürgerliche Idealbild der sich aufopfernden Mutter zunehmend auch von den Unterschichten adaptiert und vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten neu belebt. Bevölkerungspolitische und eugenische Interessen (Eugenik) in der Zwischenkriegszeit verstärkten die Ideologisierung der Mutterschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte die psychologische Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung in den Vordergrund. Unter dem Einfluss der Bindungstheorie des Engländers John Bowlby unterstützten Psychiater, Kinderärzte und Pädagogen ab den 1950er Jahren das Postulat der Allgegenwart der Mutter während der Kleinkindphase und lehnten folglich eine ausserhäusliche Berufstätigkeit verheirateter Mütter ab. Dagegen kritisierten Akademikerinnen und Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung solche Ansprüche an die Mütter und stellten die ausschliessliche Zuständigkeit der Ehemänner und Väter für den Unterhalt der Familie zunehmend in Frage. Vielmehr forderten sie ein Recht auf bezahlte Berufstätigkeit auch für Frauen mit Kindern.
Im Kontext der sogenannten Neuen Frauenbewegung (Frauenbefreiungsbewegung) forderten ab Ende der 1960er Jahre immer mehr Frauen und Mütter Eigenständigkeit, Selbstverantwortung und das Recht auf Abtreibung. Ab den 1980er Jahren verlangten Frauen wie Männer die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter. Steigende Teilzeitarbeitsmöglichkeiten förderten die Integration der Frauen und Mütter in den Arbeitsmarkt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war die Berufstätigkeit der Frauen mit minderjährigen Kindern gesellschaftlich akzeptiert. Der Ausbau der Infrastruktur für familienergänzende Kinderbetreuung und die vermehrte Präsenz der Väter in Haushalt und Kindererziehung kamen und kommen jedoch nur langsam voran. Mutterschaft bedeutet in der Regel eine Verschlechterung der beruflichen Position und ist für viele alleinerziehende Mütter ein soziales Risiko (neue Armut).
Mutterschaftsversicherung
Eine Versicherung bei Mutterschaft zielt auf einen Ausgleich der finanziellen Nachteile, die erwerbstätige Frauen durch eine Geburt erfahren. Das Eidgenössische Arbeitsgesetz sah bis 2005 für Frauen, die in einem Beschäftigungsverhältnis standen, ein sechs- bis achtwöchiges Arbeitsverbot nach der Niederkunft vor, ohne die finanzielle Entschädigung für diese Zeit zu regeln. Das Obligationenrecht sicherte ab 1989 eine partielle Lohnfortzahlung, die sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses richtete und im Krankheitsfalle anteilmässig um die Zeit der Krankheitsdauer gekürzt wurde.
Die ersten Arbeitsverbotsmassnahmen für werdende Mütter wurden im Rahmen der ersten Fabrikgesetze (Glarus 1864, Eidgenössisches Fabrikgesetz 1877) erlassen. Sie schrieben ein Arbeitsverbot von sechs bzw. acht Wochen nach der Geburt vor, ohne die Frage der Lohnfortzahlung während dieser Zeit zu regeln (Arbeitsrecht, Arbeiterschutz). 1921 verwarfen der Bundesrat und das Parlament das Übereinkommen Nr. 3 der Internationalen Arbeitsorganisation, das Frauen vor und nach der Geburt ein Beschäftigungsverbot mit Kündigungsschutz und mit finanzieller Sicherung des Lebensunterhalts während dieser Zeit gewährleisten sollte. Der Bundesrat formulierte lediglich den Auftrag, die Schaffung einer Mutterschaftsversicherung zu prüfen, der dann 1945 als Artikel 34quinquies der Bundesverfassung (Artikel 116 BV 1999) aufgenommen und als Familienschutzartikel bezeichnet wurde.
In der Folge scheiterte die gesetzliche Umsetzung einer Mutterschaftsversicherung mehrfach auf der vorparlamentarischen Stufe. 1984, 1987 und 1999 wurden weitere Vorlagen in eidgenössischen Volksabstimmungen abgelehnt. Auf kantonaler Ebene richtete einzig Genf eine Mutterschaftsversicherung ein. Erst 2004 fand ein Vorschlag des Parlaments, der eine Lohnfortzahlung im Rahmen der Erwerbsersatzordnung vorsah, eine Volksmehrheit. Das Gesetz trat 2005 in Kraft.
Quellen und Literatur
- E. Badinter, Die Mutterliebe, 1981 (franz. 1980)
- M. Borkowsky, Krankheit Schwangerschaft?, 1988
- R. Sablonier, «Innerschweizer Gesellschaft im 14. Jh.», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 2, 1990, 65-75
- E. Joris, H. Witzig, Brave Frauen, aufmüpfige Weiber, 1992
- E. Sutter, "Ein Act des Leichtsinns und der Sünde", 1995
- R. Wecker, «Equality for men?», in Protecting Women, hg. von U. Wikander et al., 1995
- R. Wecker, «Staatsbürgerrechte, M. und Grundrechte», in SZG 46, 1996, 383-410
- B. Studer, «Familienzulagen statt Mutterschaftsversicherung?», in SZG 47, 1997, 151-170
- A. Head-König, L. Mottu-Weber, Femmes et discriminations en Suisse, 1999
- T. Bauer, Die Familienfalle, 2000
- H. Witzig, Polenta und Paradeplatz, 2000
- C. Rickenbacher-Fromer, Mutterbilder und ihre ideolog. und religiösen Bezüge, 2001
- R. Wecker et al., Die "schutzbedürftige Frau", 2001
- C. Opitz-Belakhal, Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung, 2002
- Traverse, 2005, H. 2
- G. Sutter, Berufstätige Mütter, 2005
- A. Bloch Pfister, Priester der Volksbildung, 2007
- Guzzi-Heeb, Sandro: «Mère aimée, mère domestiquée? Mères valaisannes du XVIIIe siècle et leurs fonctions sociales», in: La Madre / The Mother, 2009, S. 437-462 (Micrologus, 17).