Als Hungersnöte werden kurzfristige und zumeist drastisch erfahrene Situationen des Mangels der wichtigsten Lebensmittel für grosse Teile einer Bevölkerung bezeichnet (Hans Medick). Abzugrenzen davon sind Formen des chronischen Hungers, welche den Alltag bestimmter Schichten nicht nur in Krisenzeiten prägen. Ernest Labrousse und an ihn anknüpfend Wilhelm Abel interpretierten die durch Missernten verursachten Hungersnöte als den Haupttyp der umfassenden, unregelmässig wiederkehrenden Krise der vorindustriellen Gesellschaft, als crise de type ancien (Bevölkerungskrisen).
Grosse überregionale Hungersnöte sind für Mitteleuropa vom Mittelalter bis zu Beginn der Industrialisierung überliefert. Über die mittelalterlichen Hungersnöte im Gebiet der Schweiz ist allerdings wenig Konkretes bekannt. Man darf wohl davon ausgehen, dass sie – wie in den Nachbarländern – einerseits im Frühmittelalter, andererseits im Spätmittelalter gehäuft auftraten, während sie zumindest im 13. Jahrhundert seltener waren. Anthropologische Untersuchungen von Skeletten, welche die Verbreitung physiologischer Mangelerscheinungen aufzeigen, liefern zwar neue Erkenntnisse zur Ernährungslage (Ernährung), kaum aber zu genau datierbaren Hungersnöten. Schriftlich belegen lassen sich Hungersnöte in der Schweiz 1438, 1530, 1571-1574, 1635-1636, 1690-1694, 1770-1771 und 1816-1817. Diese Chronologie ist unvollständig, weil eine systematische Aufarbeitung der Hungersnöte noch fehlt. Dazu kommt, dass viele Hungersnöte nur einzelne, beschränkte Regionen betrafen.
Gemäss der klassischen Interpretation von Labrousse und Abel standen Missernten am Ausgangspunkt von Hungersnöten. Direkt wirksam waren dabei die Preise wichtiger Lebensmittel, insbesondere des Getreides, welche aufgrund der Verknappung anstiegen. Eine gesetzmässige Relation zwischen Preisentwicklung und Ausmass der Ernteausfälle lässt sich wegen des Einflusses anderer Faktoren nicht herstellen. Verschärft wurden die Krisen durch Beschäftigungseinbrüche im Gewerbe und bei den Dienstleistungen, weil ein grösserer Teil des Einkommens für Lebensmittel aufgewendet werden musste und deswegen die Nachfrage nach Produkten des längerfristigen Bedarfs stockte. Neuere Untersuchungen differenzieren den relativ einfachen Wirkungszusammenhang zwischen Missernten und Hungersnöten. So waren die Hungersnöte der Jahre 1770-1771 und 1816-1817 mitverursacht durch Konjunktureinbrüche in der Textilindustrie. Diese standen in keinem kausalen Zusammenhang mit der Missernte, hatten jedoch in Gebieten mit protoindustrieller Beschäftigungsstruktur verbreitete Arbeitslosigkeit und damit eine Verschärfung der Hungersnöte zur Folge. Nicht alle Bevölkerungsteile litten im gleichen Ausmass unter Hungersnöten. Betroffen waren in erster Linie jene Schichten, welche für ihren Lebensbedarf Getreide kaufen bzw. im Tausch gegen Leistungen an die Produzenten erwerben mussten. Dies war der Grossteil nicht nur der städtischen, sondern auch der ländlichen Bevölkerung (Unterschichten). Während Menschen, denen die Mittel zur Beschaffung von Lebensmitteln fehlten, massenweise hungerten, konnte es gleichzeitig immer noch Produzenten und Zwischenhändler geben, welche Getreide spekulativ horteten. Ausserdem beeinflussten politisch-herrschaftliche Faktoren massgeblich das Zustandekommen und den Verlauf von Hungersnöten. Der obrigkeitliche Zwang zur Beibehaltung der Dreizelgenwirtschaft mit dem Ziel, das System der Feudalabgaben und den Vorrang der städtischen Nahrungsversorgung abzusichern, verhinderte vor allem in Grenzertragsgebieten eine flexiblere, weniger einseitig auf Getreideproduktion ausgerichtete Anpassung der Agrarstruktur an den Standort und begünstigte damit das Auftreten von Missernten. Die Krise der 1690er Jahre traf Gebiete mit niedriger Ertragsfähigkeit besonders hart. Die Marktpolitik der Stadtstaaten, die primär eine sichere Versorgung der Stadtbevölkerung bezweckte, und die Kornsperren benachbarter Territorien verschärften die Notsituation. In Basel waren für die Teuerung der Jahre 1770-1771 Sperren in höherem Masse verantwortlich als der eigentliche Ernterückgang. Andererseits trugen obrigkeitliche Vorsorge- und Notmassnahmen (Vorratshaltung, Kornpolitik, Kornhäuser, Arbeitsbeschaffung usw.) zur Milderung von Hungersnöten bei, besonders im Laufe des 18. Jahrhunderts, als sie an Effizienz gewonnen hatten.
Zur Demografie der Hungersnöte hat Markus Mattmüller aufgrund der für die Krise der 1690er Jahre in der Schweiz vorliegenden Daten eine Typologie entwickelt. Danach war die Übersterblichkeit zwar signifikant und hielt über mehrere Jahre an (Mortalität). Bedeutsamer jedoch war das markante Absinken der Geburtenzahlen, die auch Jahre nach der Krise noch immer nicht das Niveau des langjährigen Durchschnitts erreichten. Die Heiratszahlen reagierten weniger stark und erholten sich rascher, d.h. die eheliche Fruchtbarkeit war längere Zeit reduziert, sei es aus physiologischen Gründen wie der hungerbedingten Amenorrhöe (Ausbleiben der Menstruation), sei es aus freier Entscheidung der Ehepaare (Nuptialität). Von den vitalstatistischen Daten war es also nicht primär die Übersterblichkeit, welche die Hungersnöte kennzeichnete, sondern der erwähnte Rückgang der Natalität. Es gab auch Hungersnöte, bei denen ausschliesslich der Rückgang der Geburten während und nach der Katastrophe, nicht aber die Übersterblichkeit signifikant war, sodass man von einer crise larvée sprechen kann (wie auf der Basler Landschaft 1770-1771). Ebenso massgeblich wie die vitalstatistischen Faktoren bestimmte die Migration den demografischen Verlauf von Hungersnöten. Insbesondere Angehörige der mittellosen Unterschichten sahen sich angesichts des Hungers zur definitiven Auswanderung gezwungen. Durch das Zusammenwirken der genannten Faktoren resultierte aus Hungersnöten ein Bevölkerungsverlust, der nachhaltiger war als bei Pestepidemien (Pest).
Hungersnöte waren Mangelsituationen in Bezug auf das Hauptnahrungsmittel Getreide. Brot und warm zubereitete Mus- und Mehlspeisen standen als vertraute Nahrung nicht mehr zur Verfügung. Im besseren Fall boten Gemüse und vom 18. Jahrhundert an Kartoffeln einen Ersatz. Eine verbreitete Hungermahlzeit war dagegen warm zubereiteter Kleiebrei. Drastisch erwies sich der Zwang zum Verzehr ungewohnter roher oder tabuisierter Nahrung: Wurzeln, Gras, Nesseln, Heu, Wildgemüse, Rinden, Schlachtabfälle, Katzen-, Hunde- oder Pferdefleisch. Solche Ersatznahrung bot oft wenig nährende Substanz oder war gar schädlich. Zu den gesundheitlichen Folgen von Hunger und Mangelernährung gehörte die allgemeine Entkräftung, welche die Betroffenen zunehmend apathisch werden liess und in extremen Fällen zum Tod, manchmal auf offener Strasse, führte. Neben eigentlichen Hungerkrankheiten wie Hungerödemen und Heisshunger machten sich Infektionskrankheiten breit, die von verdorbener Nahrung oder schlechten hygienischen Verhältnissen herrührten: Ruhr (Dysenterie), Nervenfieber (Flecktyphus oder Fleckfieber) und Typhus. Nicht zu unterschätzen ist das krank machende Erlebnis der Entwürdigung, welche mit dem Verzehr ungewohnter und tabuisierter Nahrung verbunden war.
Hungersnöte stellten nicht nur in physischer, sondern auch in mentaler Hinsicht eine existentielle Bedrohung dar. Sie bedeuteten einen Einbruch der ohnehin schon labilen Normalität einer Gesellschaft. Hungernde verloren den gewohnten Status, konnten religiöse Ansprüche nicht mehr erfüllen (z.B. Kirchenbesuch wegen mangelnder Kleidung; fromme Vermächtnisse für die Verstorbenen wegen Geldmangels) oder mussten gar ihre Sesshaftigkeit aufgeben. Sie nahmen in ihrer Überlebensstrategie massenhaft Zuflucht zum Bettel (Bettelwesen) und waren vermehrt zu Normverletzungen bereit, was etwa zu einem Anstieg der Eigentumsdelikte führte. Die religiöse Deutung dieser Extremsituation als Strafe Gottes war verbreitet und wirkte auch in der Erinnerung an Hungersnöte nach. Es gibt aber Hinweise, etwa aus Ulrich Bräkers Tagebuch von 1770, dass dieses Erklärungsmuster nicht durchgängig akzeptiert war. Es wurde aber von der geistlichen und weltlichen Obrigkeit propagiert und auch als Disziplinierungsmittel eingesetzt. Mit ihm mag es, neben der loyalitätsfördernden obrigkeitlichen Fürsorgepolitik, auch zusammenhängen, dass es kaum zu Hungerrevolten kam.