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Wohnen

Die Wohnung als kleinste Einheit menschlicher Siedlung und engster umwandeter und überdachter Bereich der Umwelt erfüllt grundlegende Ansprüche des Menschen. Sie bietet Schutz-, Abgrenzungs- und Mittlerfunktionen, Raum- und wohntechnische Strukturen wie Wärme, Wasser, Licht für funktionale und soziale Bedürfnisse wie Kochen, Essen, Schlafen, Körperpflege, Arbeit, Geselligkeit, Repräsentation, Privatsphäre, Freizeit oder Konsum. Nachzuempfinden ist das Wohnen in historischen Zeiten in verschiedenen Wohnmuseen der Schweiz sowie im Freilichtmuseum Ballenberg. Unter den hier im Vordergrund stehenden sozial- und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten sind vor allem die Leitbilder des Wohnens, die räumliche Trennung der Wohnfunktionen sowie die Entwicklung der materiellen Wohnkultur von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wichtige Themen. Andernorts ausführlicher behandelt werden architektonische, politische, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte (Miete, Wohnhäuser, Wohnungsbau).

Ur- und Frühgeschichte

Schon sehr früh schützten die Menschen Leib und Gut mit Windschirmen, Hütten oder Zelten vor der Witterung. In der Schweiz stammen die ältesten Belege des Wohnens aus dem Paläolithikum. Höhlen mit ihrem etwas milderen Mikroklima wurden bevorzugt, daneben wurden auch Abris (Felsvorsprünge und Felsnischen) und Randbereiche von Gewässern für Jagdlager genutzt (Wildkirchli, Cotencher, Kesslerloch, Moosseedorf, Hauterive-Champréveyres). Dieselben Siedlungslagen suchten die Menschen auch während des Mesolithikums auf. Die nomadische Lebensweise als Jäger und Sammler in beiden Perioden bedingte eine leicht zu transportierende Innenausstattung (Schlaffelle, Taschen, Beutel, Körbe aus vergänglichem Material) dieser temporären Behausungen; erhalten blieben allenfalls die Feuerstellen. Durch die Verteilung der Fundobjekte (Silex-, Knochen- und Geweihgeräte) können verschiedene Aktivitätszonen innerhalb einer Fundstelle beobachtet werden (Mollendruz-Abri Freymond); bevorzugter Aufenthalts- und Arbeitsplatz war die Feuerstelle.

Mit dem Neolithikum wurde der Mensch sesshaft: Fest gebaute Häuser traten an die Stelle der temporären Behausungen. Als Lebensraum wurden die Uferbereiche von Gewässern bevorzugt (Ufersiedlungen). Andere Standorte sind seltener nachgewiesen. Die rechteckigen Häuser in Pfostenbauweise mit Lehmflechtwänden waren kleinräumig (ca. 20-70 m2), die Böden meist abgehoben konstruiert und mit einem Lehmbestrich versehen; eine Besonderheit des Tessins sind Rundbauten (Bellinzona). Die Feuerstelle war das Zentrum des Hauses. Fenster gab es wohl keine; Tageslicht fiel durch die kleine Tür und durch Firstöffnungen ein. Zusätzlich zum Herdfeuer erhellten Ton- und Geweihlämpchen das Dunkel. Die Einrichtung war karg. Nachgewiesen sind Webstuhl, Vorratsgefässe und Körbe; möglicherweise gab es auch gezimmerte Truhen.

In der Bronzezeit wurden dieselben Plätze belegt wie im Neolithikum; daneben waren auch befestigte Höhensiedlungen bewohnt (Wittnauer Horn). Der Handel über die Pässe und Rohstoffvorkommen im Alpenraum schlug sich in bedeutenden Stationen nieder (Savognin, Montlingerberg). Die Häuser in Pfosten-, Ständer- oder Blockbauweise waren meist ca. 4 x 6 m gross; es gab aber auch Kleinbauten (2 x 2 m) bzw. Grosshäuser (5 x 20 m). Die engen Verhältnisse wurden durch partiell eingezogene Estriche gemildert. Der Aussenbereich der Häuser diente als zusätzlicher Aufbewahrungsort und Arbeitsplatz (Uerschhausen). Wohnraum und Werkstatt befanden sich unter einem Dach. Spezialwerkzeuge belegen ein entwickeltes holzverarbeitendes Handwerk. Dessen Produkte sind zwar nur selten erhalten, doch darf von Truhen und Ähnlichem als Teil der Innenausstattung ausgegangen werden. Die in den Gräbern ablesbare soziale Stufung widerspiegelt sich nicht im Hausbau. Spezielle Möbel wie Klappstühle und Betten als Statusanzeiger einer kleinen Oberschicht sind bei uns bislang nicht nachgewiesen. Die seltenen Hakenschlüssel aus Bronze sicherten eher Spezialeinrichtungen (Tempel, Speicher) als gewöhnliche Häuser.

Mit dem Übergang zur Eisenzeit wurden die alten Siedlungsplätze aufgelassen. Aus dieser Zeit sind sowohl Pfosten- als auch Ständer- und Blockbauten (25-100 m2) auf Trockenböden belegt, im Alpenraum häufig mit steinernen Fundamenten (Brig). Einzelne Grubenhäuser hatten die Funktion von Ökonomiebauten. Der Vorratshaltung dienten Gruben und erhöht gebaute Speicher. In der Spätlatènezeit konzentrierte sich das wirtschaftliche, politische und religiöse Leben in befestigten Zentralorten (Oppidum). Hier ist die räumlicher Trennung von spezialisierten Werkstätten und Wohnhäusern belegt.

Mit der Eingliederung der Schweiz ins Römische Reich zeichnete sich ein markanter Wechsel der Wohnformen ab, der allerdings schon in der Spätlatènezeit eingesetzt hatte: Einfachen Siedlungen (z.B. der Vicus von Vitudurum, Winterthur) standen urbane Zentren mit Infrastruktur und öffentlichen Gebäuden wie Foren, Tempel, Thermen, Theater usw. gegenüber (Augusta Raurica). Hier waren die Holz- oder Steingebäude zweistöckig: unten eine Werkstatt, ein Magazin oder ein Laden, oben die schlichten Wohnräume. Die einheimische Oberschicht orientierte sich am aufwendigen Lebensstil der römischen Nobilitas mit elegantem Stadthaus und Landgütern (etwa die Römischen Gutshöfe in Orbe und Dietikon). Das mehrstöckige Herrenhaus aus Stein war mit Tonziegeln gedeckt, besass einen oder mehrere Portiken und Glasfenster mit schmiedeeisernen Gittern. Erstmals erfüllten die einzelnen Räume eine spezielle Funktion (Speiseraum, Schlafzimmer, Küche). Ein geheiztes Bad gehörte ebenso zur gehobenen Ausstattung wie Repräsentationsräume mit Mosaiken, Wandmalereien und verzierten Möbeln.

Die Kontinuität des Siedlungsplatzes von der Spätantike zum Frühmittelalter ist mehrfach belegt (z.B. Lausen, Schleitheim). Die germanischen Siedler wohnten in Gehöften, die sich aus einem grösseren Haupthaus in Fachwerk (50-200 m2, zum Teil mit Innenunterteilung) sowie kleineren Nebengebäuden, unter anderem als Webkeller genutzte Grubenhäuser, zusammensetzten. Steinbauten sind ebenfalls belegt; im Alpenraum wurden geeignete Felsblöcke als Wände genutzt. Aus Gräbern in Deutschland sind kunstvolle Möbel bekannt (Betten, Schemel, Hocker, Stühle, Truhen, Kerzenständer). Auch in unserem Raum dürfte die Oberschicht ihre Häuser derart ausgestattet haben.

Mittelalter und frühe Neuzeit

Mit dem Wohnen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, insbesondere mit der materiellen Kultur (Möbel, Öfen, Geräte, Dekor) gehobener Gesellschaftsgruppen (Adel, Klerus, städtischer Oberschicht), beschäftigt sich zum einen die Kunstgeschichte. Zum anderen hat dank interdisziplinärer und verfeinerter Methoden (z.B. Dendrochronologie) in neuerer Zeit die Mittelalter-Archäologie, die den archäologischen-baugeschichtlichen Befund mit archivalisch-historischen Quellen verbindet, zahlreiche Erkenntnisse zum Wohnen in Städten und auf Burgen gebracht, die Bauernhausforschung solche zum ländlichen Wohnen.

In manchen Bereichen des Wohnens fand eine (dem Konzept des absinkenden Kulturguts bzw. der Verdrängung von Volks- durch Elitekultur entsprechende) Übertragung von Leitbildern und Formen von oberen zu unteren sozialen Schichten statt: von Burgen und Schlössern oder festen Stadthäusern des Adels auf das städtische Bürgerhaus, vom patrizischen Landsitz auf das Bauernhaus des wohlhabenden Bauern. Während indes gegen Ende des 18. Jahrhunderts Schweizer Patrizier nach wenigen Jahren das Neueste aus Paris übernahmen und reiche Bauern in barocken Stuben wohnten, überdauerten im alpinen Raum, zum Beispiel im Rahmen der Alpwirtschaft, archaische Wohnformen.

Hoch- und Spätmittelalter

Das Haus als Ort des Wohnens hatte im öffentlichen wie im privaten Leben sowie im Rechtsempfinden (Hausrecht, Hausmarken) einen zentralen Stellenwert. Es wurde zum Beispiel namengebend für die Bewohner (Burgen, Namen auf Ca- im italienischen und romanischen Sprachraum). Kernpunkt des Hausfriedens war die Feuerstätte, deren Austilgung als symbolische Zerstörung des Hauses galt. Die Feuerstätte war gleichbedeutend mit dem Haushalt, ihr Inhaber somit Haushaltsvorstand und meist vollberechtigter Bürger oder Dorfgenosse. Nicht die Familien, sondern die Feuerstätten wurden von den Obrigkeiten gezählt und besteuert. Als Herrin über den Herd kam der Hausfrau im häuslichen Leben eine hervorragende Stellung zu. Mit dem Fest(mahl) der Husräuchi wurde das Haus eingeweiht, denn am Rauch erkannte man es von aussen als bewohnt.

Für das Frühmittelalter dürfen wir im ländlichen Raum von einem Wohnen in ebenerdigen, hölzernen Pfostenbauten mit kaum unterteilten Einheitsräumen ausgehen. Verschiedene Gebäude dienten den unterschiedlichen Funktionen des bäuerlichen Lebens, die eingetieften Grubenhäuser zum Beispiel vorwiegend wirtschaftlichen Zwecken. Die Entwicklung des mittelalterlichen Wohnens und der Raumgliederung wurde hauptsächlich durch die Heiz- und Kochbedürfnisse bestimmt. Befand sich die Feuerstätte im Frühmittelalter wohl in der Mitte des bis zum Dach offenen Einheitsraums, so entwickelte sich bis zum 12./13. Jahrhundert der Typus des Dreisässenhauses mit den drei Raumtypen Küche, Stube, Kammer(n), wie er baugeschichtlich im Kanton Schwyz mehrfach belegt ist und sich in Bauernhäusern zum Teil bis ins 19./20. Jahrhundert kaum verändert erhalten hat. Im alpinen Raum, vor allem bei Temporärsiedlungen, hatten dagegen Einheitsräume Bestand, die der Mensch mit dem Vieh teilte. Im inner- und südalpinen Raum erfolgte die räumliche Separation vorwiegend in der Vertikalen, indem über dem Keller eine Wohnküche und darüber die Kammern angeordnet wurden, zu denen oft nur Aussentreppen führten.

Abort mit zwei Plätzen in der Mitte des 16. Jahrhunderts (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 12, Fol. 250v).
Abort mit zwei Plätzen in der Mitte des 16. Jahrhunderts (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 12, Fol. 250v). […]

Zur vertikalen Raumanordnung zwang unter anderem auch die begrenzte Baufläche in den mittelalterlichen Städten. Hier setzte im Hochmittelalter eine «Versteinerung», d.h. eine weitgehende Ablösung der Holz- durch Steinhäuser ein, die von Kirchen, Märkten und Brückenköpfen oder wie in Zürich auch von Wohntürmen adliger Geschlechter (Rindermarkt/Neumarkt) ausging und bald die Häuser bürgerlicher Kreise (Kaufleute, Handwerker) einbezog. Als Bogenportale ausgestaltete Türen führten in den ebenerdig oder im Tiefparterre angelegten und als allgemeinen Wirtschaftsraum verwendeten «Keller», hofseitige Aussentreppen bzw. später ins Innere verlegte Treppenhäuser zu den oberen Stockwerken, von denen das repräsentative erste Obergeschoss (Stube, Saal, piano nobile) je nach Stand und Reichtum des Besitzers besonders prunkvoll ausgestattete Böden, Wände, Decken, Türen und Fenster aufwies. Im 13./14. Jahrhundert schlossen sich die Hausfronten zu geschlossenen Gassenzügen zusammen. Gleichzeitig kamen die hinterseitigen Aborterker (Toilette) über den schmalen Ehgräben auf, welche die Schissgruob im Hof ablösten. Die Lehmziegel ersetzten, auch aus Gründen des Feuerschutzes, die Holzschindeln.

Die einschneidendste Veränderung hinsichtlich des mittelalterlichen Wohnens brachte der Ofen (Ofenbau). Die Trennung von Kochen und Alltagsessen in der Küche von der übrigen Wohnnutzung der Stube bedingte die Doppelfunktion der Feuerstätte als Kochherd und Heizofen. Die Verwendung desselben Rauchabzugs legte die Integration des Ofenherds in die Trennwand zwischen Küche und Stube nahe. Die Küche war der Herdraum, der ofengeheizte Raum die Stube. Noch mehr als im Deutschen, im Rätoromanischen (stüva) und im Dialekt der Tessiner Alpentäler (stüa) kommt dies im Französischen zum Ausdruck, wo der Ofen (poêle) auch gleich dem Raum den Namen gab, während im Italienischen, wo man diesen Raumbegriff im Allgemeinen nicht kennt, stufa nur den Ofenherd bezeichnet. Die Stube war Ort der Geselligkeit und der Repräsentation. Man benutzte sie vor allem in der freien Zeit, für das Gastmahl, zum erholsamen oder feierlichen Beisammensein, allenfalls für leichtere Arbeiten (Stubeten). Entsprechend ihrer Bedeutsamkeit lag die Stube an der Süd- oder Strassenseite des Hauses. Sie besass einen Fussboden aus Mörtel, Holz oder Fliesen, eine hölzerne Decke und Fenster. Diese wurden mit verschiedenen Arten von Läden geschlossen, während ölgetränktes Tuch (Flamen) oder Pergament in verschiebbaren Rahmen Licht durchliess. Butzen- oder rautenverglaste Fenster kamen im 13. Jahrhundert auf, setzten sich aber erst am Ende des Mittelalters durch. Vielleicht auch, weil die aufwendig ausgestattete private Stube anfänglich nur für die adlige Oberschicht erschwinglich war, richteten Gruppen von Stadtbürgern gemeinsam genutzte Stuben ein, die sogenannten Zunft-, Gesellschafts- und Trinkstuben, die zu Keimzellen der zünftischen und städtischen Emanzipation wurden. Die geschlechterspezifische Trennung der Arbeitsbereiche und Wirkungskreise liess die Frau an dieser Entwicklung nicht teilhaben. Als ausserhäusliche Orte waren ihr unter anderem die kommunalen Back- und Waschhäuser vorbehalten. In der französischen Schweiz ging der poêle communal dem Rathaus (Rathäuser) voraus. Da sich in der italienischen Schweiz das öffentliche Leben oft im Freien oder in offenen Säulenhallen abspielte, fehlt dort eine Analogie.

Der bäuerliche und handwerklich-gewerbliche Haushalt, meist ein Familienbetrieb, den eine um Gesinde und Gesellen erweiterte Kernfamilie bildete, war im Mittelalter in der Regel eine Einheit von Produktion und Konsum, von Wohnen und Arbeiten (Ganzes Haus). Das Nebeneinander von Schlafen, Kochen, Körperpflege und Arbeit verschiedener Personen führte eine funktionale und räumliche Separierung herbei. Hatte die beheizte Stube ursprünglich auch zum Schlafen gedient und vielleicht das Bett der Hausherren enthalten, so wurde deren Schlafstube im Zug der räumlichen Differenzierung als intimer Raum abgetrennt. Die sprachlich vom Begriff Kamin abgeleitete Kemenate bezeichnet den heizbaren Raum, der in höheren sozialen Gruppen den Frauen vorbehalten war. Die übrigen Haushaltsmitglieder schliefen in allenfalls indirekt beheizten Kammern in einem oberen Geschoss. Man schlief in ruten- oder riemengefederten Bettgestellen auf Laub-, Stroh- oder Wollsäcken, zwischen Leintüchern unter Fellen oder Decken. Die Betten wurden oft von mehreren Personen zugleich benützt, und es galt als Ehre für einen Gast, das Bett mit dem Gastgeber zu teilen. Schon in gotischer Zeit wurden Betten oberer Schichten mit einem «Himmel» versehen, der die Schläfer vor Ungeziefer schützte. Gekocht wurde in Töpfen aus Keramik oder Bronze, die als dreifüssige sogenannten Grapen direkt über dem Feuer standen oder an Kesselhaken bzw. schwenkbaren Herdgalgen darübergehängt wurden. Das Entfachen des Feuers mittels Bohren oder Funkenschlagen und Zunder war so mühsam und langwierig, dass man alles daransetzte, es nicht ausgehen zu lassen. Vielenorts wurden der Rauch und die trockene Wärme des Feuers zum konservierenden Räuchern und Dörren benutzt. Entsprechende Vorrichtungen haben sich vor allem im zentralen Mittelland bis in die neuere Zeit erhalten.

Der hohen Mobilität der mittelalterlichen Gesellschaft entsprach eine ebensolche der zum Wohnen notwendigen Infrastruktur. So zählten im ländlichen Bereich die Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus Holz in der Regel zur bäuerlichen Fahrhabe. Sie wurden beim Wohnortswechsel zerlegt, an den neuen Standort transportiert und dort wieder zusammengefügt. Da Adlige in Ausübung ihrer Herrschaft häufig zwischen verschiedenen Wohnsitzen unterwegs waren und ihren Hausrat grossenteils mitführten, gehörten viele Möbel (zusammenlegbare Tische, Faltstühle, Truhen) zur beweglichen Einrichtung. Nach beendeter Mahlzeit konnte die Tafel im wörtlichen Sinne aufgehoben und entfernt werden. Die Truhen, die dem Transport von Kleidern und Kostbarkeiten dienten, wurden mit eisernen Schlössern und Beschlägen zum Teil mehrfach gesichert. Unbeweglich waren dagegen Wandbänke, Banktruhen oder Bettgestelle.

Möbel, Öfen, Geschirr und Geräte sowie Wände, Türen und Fenster der Repräsentationsräume waren die Objekte, mittels derer standes- oder wohlstandsgemässes Wohnen zum Ausdruck gebracht werden konnte. Im Spätmittelalter liessen wohlhabende Personen ihre Möbel mit Schnitzwerk verzieren, in der Ostschweiz erfolgte dies eher an den konstruktiven, in der Westschweiz vor allem an den füllenden Teilen. Wer es sich leisten konnte, behing die Wände mit Fellen und Wandteppichen oder liess Wände und Decken mit Wandmalereien bzw. Quadermalerei zur Vortäuschung von Mauerwerk schmücken, wie sie zum Beispiel in Basel im Schönen Haus (letztes Drittel des 13. Jahrhunderts), in Zürich aus den Häusern Zum Langen Keller (um 1300), Zum Loch (1306) oder Zum Kleinen Regenbogen (um 1330) erhalten sind. Die ältesten Vertäfelungen stammen aus dem Spätmittelalter. Steinmetzarbeiten umrahmten Portale und Fenster. Im Bereich des Geschirrs und der Haushaltsgeräte waren vielgestaltige, emailbemalte und mit Nuppen besetzte Becher, Schalen, Kelche und Flaschen aus Glas zuerst Luxusware höfischer Kreise, im Spätmittelalter auch in bürgerlich-handwerklichen Kreisen anzutreffen. Aus Fichten-, Ahorn-, Buchen-, aber auch Eiben- und Kirschbaumholz gedrechseltes, geküfertes und geschnitztes hölzernes Gerät und Geschirr weisen dagegen eine grosse Formenkontinuität und wenige zeitliche, regionale oder schichtspezifische Besonderheiten auf. Ab dem 13. Jahrhundert zeigen vor allem die auf der schnell rotierenden Drehscheibe fabrizierten Keramikgefässe eine zunehmende Formenvielfalt. Koch-, Ess- und Trinkgeschirr, zum Teil ein- oder beidseitig glasiert, aber auch Lampenschalen, waren verbreitet. In gehobenen Schichten fanden zudem Giessgefässe in Tiergestalt, sogenannte Aquamanilen, mit dazugehörigem Auffanggefäss als Handwaschvorrichtungen Verwendung.

Frühe Neuzeit

Ein Salon der guten Zürcher Gesellschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Stich von David Herrliberger für sein Werk Kurze Beschreibung der gottesdienstlichen Gebräuche [...], 1751 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Alte Drucke und Rara).
Ein Salon der guten Zürcher Gesellschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Stich von David Herrliberger für sein Werk Kurze Beschreibung der gottesdienstlichen Gebräuche [...], 1751 (Zentralbibliothek Zürich, Abteilung Alte Drucke und Rara).

Vor allem in Häusern gehobener Kreise setzte sich die räumliche Differenzierung in der frühen Neuzeit fort: Vorzimmer, Arbeitszimmer, Bibliotheken, Bade- und Ankleideräume, Gästezimmer, vor allem aber die Salons, die im 18. Jahrhundert Zentren gebildeter Geselligkeit wurden, sind hier zu nennen. Bürgerliche und grossbäuerliche Wohnhäuser (z.B. mit Knechtenstuben) unterlagen ebenfalls dem Trend der Separierung. Häuser unterbäuerlicher Schichten behielten dagegen oft die einfache Grundform aus dem Hochmittelalter bei. Typische Einheiten von Wohn- und Arbeitsstätte (Heimarbeit) in protoindustrialisierten Landgebieten wurden zum Beispiel im Zürcher Oberland der Flarz (Reihenhaus mit mehreren Wohn-, Arbeits- und Kleintierstallteilen), im Jura das Atelierhaus, im ostschweizerischen Voralpenraum das Haus mit halb eingetieftem Webkeller.

Auch die Ansprüche an die Ausstattung stiegen, namentlich in der Oberschicht. Als neues Aufbewahrungsmöbel kam der Einbauschrank nach Vorbildern aus Kirchensakristeien auf. Das Himmelbett entwickelte sich zu einem mehr oder weniger geschlossenen Alkovenkasten. Als Bettinhalt bevorzugte man die mit Tierhaar gefüllte Matratze. Infolge Platzmangels in ländlichen Wohnräumen entstand das vom 18. Jahrhundert an belegte Schrankbett. Die übrigen Möbel wurden schwerer, prunkvoller und zahlreicher. Auch der Bürger sass nun auf gepolsterten Lehnstühlen, Sesseln und Sofas. Tische und Schränke zierte man mit Intarsien. Selbst die Fussböden wurden durch Parkettarbeiten mit eingelegten Edelhölzern aufgewertet. Zum Anrichten und Aufstellen des Geschirrs diente das Buffet, oft mit Giessfasshalter und fest in der Täfelung verfugt. Die Wände wurden mit Tapeten aus Leder, später Stoff oder Papier bespannt oder mit Landschaften bemalt. Beliebt waren auch Teppiche und andere textile Wandbehänge, bestickte leinene Tischtücher, Kissen- und Bettüberzüge, die häufig von den Töchtern des Hauses kunstreich verfertigt wurden. Im 16. und 17. Jahrhundert waren hölzerne Decken mit dekorativen Grisaillemalereien zwischen den Balken verbreitet. Den mit Architekturmotiven gegliederten Wandtäfelungen entsprachen Kassettendecken. Im 18. Jahrhundert kamen stuckverzierte Gipsdecken in Mode. Allgemein wurden weisse Wände und helle Farben beliebt, und der Geschmack wandte sich unter französischem Einfluss dem leichten und eleganten Möbel zu. Die Fenster waren nun mit Scheiben verglast und von Vorhängen, Draperien oder Lambrequins eingerahmt, die mit Kordeln und Quasten versehen waren. Nicht nur Bilder, sondern auch Spiegel schmückten die Wände. Die Ofenkacheln wurden seit dem 16. Jahrhundert oft bemalt. Zentren wie Winterthur und Steckborn lieferten Prunköfen in die ganze Deutschschweiz und ins angrenzende Ausland. Häufig wurden sie um eine beheizte Sitzbank erweitert, die sogenannte (Holzspar-)Kunst. In der Westschweiz verfertigte man auch Öfen aus Sandsteinplatten, im alpinen Raum aus Speckstein. Die völlige Ummantelung des Küchenfeuers zum Sparherd war in der frühen Neuzeit fast die einzige Neuerung in der Küche. Immerhin erlaubte sie den Einsatz von leichterem Kochgeschirr auf der Herdplatte. Die Küchenmöbel wurden in vereinfachter Form aus der Stube übernommen: Hocker, Schemel, Tisch und Buffet. Im Herrschaftshaus ass das Gesinde in der Küche. Das Wasser musste immer noch für alle häuslichen Verrichtungen aus dem Freien herbeigeschleppt werden.

Eines der ältesten bisher bekannten hölzernen Wohnhäuser, das im Kern um 1287 errichtete Haus Bethlehem in Schwyz, zeigt exemplarisch, wie die Ansprüche der Oberschicht an das Wohnen stiegen. Im Lauf der Jahrhunderte übernahm zuerst die Mittelschicht, dann die Unterschicht die einst der Oberschicht vorbehaltenen Wohnformen: Die Rauchküche in der hinteren Haushälfte war ursprünglich bis zum Dach offen. Von dort gelangte man in die frontseitige Stube bzw. über eine primitive Doppeltreppe in das Obergeschoss mit Schlafkammern. 1544 wurde das Erdgeschoss mit einem Balkenrost unterfangen und angehoben, um Platz für einen Festsaal im Keller zu schaffen; auch die Stube wurde repräsentativ eingerichtet. Der 1573 dort geborene Ital Reding erbaute 1609 auf derselben Hofstatt das schlossartige, prunkvolle Ital-Reding-Haus. Im 18. Jahrhundert wurden in das alte Haus zwei Wohnungen eingebaut, die anspruchslose Mieter bis zur musealen Nutzung Ende der 1980er Jahre bewohnten.

19. und 20. Jahrhundert

Angebot und Nachfrage

Bevölkerungswachstum, Migration und Verstädterung schufen im 19. und 20. Jahrhundert neue Voraussetzungen im Bereich des Wohnens. Um 1800 lebten nur 3,8% der Schweizer Bevölkerung in Gemeinden mit über 5000 Einwohnern, 1900 waren es 30% und 2000 59%. Die Urbanisierung der bis dahin ländlichen Schweiz vollzog sich in konjunkturellen Wellen, besonders schnell in den Jahrzehnten nach 1860, 1890 und 1950. Ausschlaggebend für das Wachstum der Städte war die Zuwanderung.

Die grösste Nachfrage nach neuen Wohnungen bestand in den expandierenden Städten und Industrieorten. Dort wurden seit etwa 1830 Wohnungen bzw. Mietshäuser erstmals als konfektionierte Ware für einen anonymen Markt produziert. Die nötigen Voraussetzungen entstanden einerseits durch die Liberalisierung von Gewerbe- und Bodenrecht, andererseits durch die wachstumsbedingte Nachfrage nach Wohnraum. Kleingewerbliche Baumeister waren im 19. Jahrhundert die Hauptträger des Wohnungsbaus. Daneben traten ab etwa 1870 (Basler Gundeldingerquartier 1872, Berner Kirchenfeldquartier 1883) finanzkräftige, zuweilen internationale Terrain- und Baugesellschaften auf, die in grösserem Stil Bauland erschlossen, parzellierten und überbauten. Diese Tätigkeit wurde schon vor der Jahrhundertwende im öffentlichen Diskurs als Spekulation kritisiert. Im 20. Jahrhundert gewannen institutionelle Anleger und der gemeinnützige Wohnungsbau gegenüber dem privaten Hausbesitz grösseres Gewicht. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich zur Finanzierung von Wohnbauten ein leistungsfähiger Markt für Hypotheken heraus.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in den grösseren Städten zur Ausscheidung stark segregierter Villen-, Mittelstands- und Arbeiterquartiere (Sozialtopografie). Die Oberschichten suchten eine zurückgezogene und geschützte Umgebung in Villenvierteln vor der Stadt. Die immer zahlreicheren ländlichen Zuwanderer kamen in den Altbauten der Stadtkerne unter, wo Häuser unterteilt, aufgestockt und bis zur letzten Ecke vermietet wurden. Die Unterschichten waren auf zentrale Wohnlagen besonders angewiesen und gezwungen, für enge, schlecht belichtete und belüftete Wohnungen überhöhte Mieten zu bezahlen, die, pro Kubikmeter berechnet, die Preise privilegierter Grosswohnungen überstiegen. Die Aufnahme von Untermietern und «Schlafgängern» (Pensionäre) war für sie eine Notwendigkeit. Ausserhalb der Kernstädte, in den expandierenden Vororten und ländlichen Industriezentren, waren die Wohnverhältnisse nicht besser. Zwischen umgenutzten bäuerlichen Bauten wuchsen dort Miet- und Kosthäuser ohne Wasserversorgung und geregelte Entwässerung empor, deren zahlreiche Bewohner stets zu den ersten Opfern von Typhus und Cholera gehörten.

Verhältnisse dieser Art gaben schon um 1860, verstärkt nach der Wende zum 20. Jahrhundert, Anlass zu öffentlicher Kritik. Die aufsehenerregende Basler Wohnungsenquete von Karl Bücher (1889) brachte das Ausmass des Elends ans Licht. Ähnliche Untersuchungen der Wohnsituation nach 1890 in Lausanne, Bern, Zürich und Luzern bestätigten die Basler Studie. Wohnungspolitik als Kritik am Wohnungsmarkt und als erzieherischer Eingriff ins Wohnverhalten wurde ein bedeutendes Thema. An der Diskussion beteiligten sich philanthropische Kreise, Sozialpolitiker und die seit etwa 1890 entstehenden Mieterverbände und Hauseigentümerverbände. Der Ruf nach öffentlicher Intervention verband sich mit der Hoffnung, anstelle der Mietskaserne künftig das idealisierte Einfamilienhaus zur Norm machen zu können.

Der Wohnungsmarkt kannte starke Schwankungen: Auf einem Höhepunkt der Konjunktur meldeten 1874-1876 die Städte Zürich und Bern obdachlose Familien, die in Scheunen, Ställen, Estrichräumen und unter Brücken Unterkunft suchten. In der anschliessenden Rezession entstanden Überangebote und die Neubautätigkeit brach zusammen. Solche Schwankungen setzten sich im 20. Jahrhundert fort. 1917-1923 und 1942-1948 führten kriegswirtschaftliche Engpässe zu extremer Wohnungsnot und Obdachlosigkeit. 1942-1992 blieb das Angebot stets hinter der Nachfrage zurück, ein marktregulierender Leerwohnungsbestand fehlte. Am 1. Juni 2000 betrug die gesamtschweizerische Leerwohnungsziffer 1,49%. Zum Schutz der Mieter vor Missbräuchen wurde 1972 ein Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (BMM) erlassen, der 1990 in das OR überführt wurde.

Wohnleitbilder

Die bürgerliche Gesellschaft entwickelte im frühen 19. Jahrhundert verbindliche Leitbilder des Wohnens. Von zentraler Bedeutung war darin der Begriff der Privatsphäre, der sich auf liberale Freiheits- und Eigentumsbegriffe stützte. Eng damit verbunden war der aufkommende Dualismus zwischen der öffentlichen Erwerbssphäre des Mannes, wo Kampf und Konkurrenz herrschten, und dem abgeschlossenen, weiblich konnotierten Bereich der Familie, wo Harmonie und Musse Platz finden sollten. Immer verbreiteter wurde die räumliche Trennung von Arbeitsstätte und Wohnung. Die häusliche Eigenproduktion (Garten, Kleinvieh- und Geflügelhaltung, Vorratswirtschaft) ging im städtischen Umfeld rasch zurück. Die Betonung bürgerlicher Privatsphäre führte zur strengeren Definition der Wohnung als baulich abgeschlossener Einheit, zur allmählichen Verdrängung von Gesellen, Dienstboten und Untermietern vom Tisch der Herrschaft und aus dem familiären Wohnbereich. Die einst multifunktionale Stube wandelte sich zum Salon oder Wohnzimmer, das einzig der Repräsentation und der Musse diente. Wohnen wurde als eigenständige Tätigkeit aufgefasst, die sich aus dem Gegensatz zur Arbeit definierte. Zugleich verlor die Hausarbeit die Anerkennung als wirtschaftlicher Faktor.

Umschlag der Broschüre Befreites Wohnen, die von Sigfried Giedion in Zürich und Leipzig 1929 publiziert wurde (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Umschlag der Broschüre Befreites Wohnen, die von Sigfried Giedion in Zürich und Leipzig 1929 publiziert wurde (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Ein funktional gestalteter Ausdruck der bürgerlichen Wohnphilosophie war das Biedermeier-Mobiliar, das einen Kanon vollständiger Möblierung umfasste. Typische Symbole der neuen Behaglichkeit waren gepolsterte Sessel und das Sofa anstelle hölzerner Bänke, zudem Vorhänge an den Fenstern und immer häufiger Bilder (Lithographien) an der Wand. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert zog der Besitz solcher Gegenstände eine klare Grenze zwischen Mittelstand und Arbeiterschaft. Bedürfnisse der Repräsentation führten dazu, dass aufstiegsorientierte Beamten und Angestellte am Ende des 19. und im 20. Jahrhundert einen höheren Prozentsatz ihres Einkommens für Miete und Wohnen ausgaben als andere gesellschaftliche Gruppen. Die grossbürgerliche Wohnung entwickelte unter dem Druck mittelständischer Nachahmung nach 1870 überladene Formen: Polster, Draperien, Nippes und Kunstreproduktionen als Trophäen der Bildung und Weltläufigkeit überfüllten die verdunkelten Wohnräume vornehmer Häuser. Gegen diese Entwicklung richteten sich seit der Wende zum 20. Jahrhundert Lebensreformbewegungen mit Forderungen nach Licht und Luft einerseits, nach Sachlichkeit und formaler Reduktion andererseits. Der Schweizerische Werkbund propagierte eine neue, der industriellen Massenherstellung entsprechende Ästhetik der klaren Formen. Unter dem Einfluss der Bauhaus-Bewegung setzte sich dieser moderne Trend um 1930 als neuer Geschmack der Eliten durch.

Zu den typischen Repräsentationsbedürfnissen des Mittelstands gehörte bis über den Ersten Weltkrieg hinaus die Anwesenheit eines Dienstmädchens. Die wachsende Schwierigkeit, willige und billige Arbeitskräfte zu finden, gab als sogenannte Dienstbotennot Anlass zu privaten Klagen und öffentlichen Förderungsmassnahmen, in geringerem Mass zu Bemühungen um bessere Arbeitsbedingungen (Dienstmädchenheime und kommunale Vermittlungsstellen vor 1900, Norm-Arbeitsverträge nach 1920). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg lösten moderne Haushaltsmaschinen die häusliche Dienerin als Statussymbol ab.

Hygiene und Gebäudetechnik

Arbeiterfamilie in Zürich-Aussersihl. Fotografie, um 1900 (Zentralbibliothek Zürich).
Arbeiterfamilie in Zürich-Aussersihl. Fotografie, um 1900 (Zentralbibliothek Zürich). […]

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von der Angst vor Epidemien (Cholera, Typhus), die sporadisch die Städte heimsuchten. Die neue Wissenschaft der Hygiene weckte die Furcht vor üblen Gerüchen, Staub und schädlichen Keimen und eröffnete einen säkularen Feldzug gegen häusliche Unreinlichkeit. Die öffentliche Wasserversorgung und Kanalisation (Abwasser) verbesserten ab 1860 die sanitären Bedingungen in den Städten. Geruchlose Wasserklosetts ermöglichten es, den Abtritt vom Hof oder von der Laube ins Innere des Hauses (Treppe) und schliesslich in die Wohnung zu verlegen. Badezimmer blieben dagegen bis zur Jahrhundertwende eine Seltenheit. Erst nach 1920 erlangten sie, ebenso wie Zentralheizungen (Heizung) und Warmwasserapparate, allgemeine Verbreitung.

Einen Funktionsverlust erlitt während dieser Zeit die Küche, der häufigste Arbeitsplatz der Hausfrau. Als häusliche Produktionsstätte verlor sie durch das Aufkommen der Nahrungsmittelindustrie an Bedeutung. Seit etwa 1870 erleichterten Gaslicht und Wasserleitung die Arbeit, und zwischen 1880 und 1914 verdrängte der Gasherd das Kochen mit Holz. Der Kochvorgang wurde dadurch schneller und effizienter, doch mit dem Herdfeuer verlor die Küche ihren Status als warme Ecke und zentralen Wohnraum, im Grundriss wurde sie immer kleiner dimensioniert und in eine Randposition an der Nordseite der Wohnung verwiesen.

Die neuen bürgerlichen Standards galten bei Weitem nicht für die gesamte Bevölkerung. In den traditionellen Heimindustrieregionen (Jura, Ostschweiz) blieben bis weit ins 20. Jahrhundert Werkbänke, Webstühle oder Nähmaschinen im Wohnbereich typisch, die gesamte Familie war in die häusliche Erwerbsarbeit eingebunden. In ländlichen Verhältnissen beschränkten sich die modernen Einflüsse für lange Zeit auf die Übernahme des Sofas als Statussymbol. Technische Neuerungen wie Wasser, Gas und Elektrifizierung erreichten die ländliche Wohnung erst mit einigen Jahrzehnten Verspätung.

Entwicklungen der Nachkriegszeit

Leitbilder der Raumplanung und erhöhte Mobilität führten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer verstärkten Trennung der räumlichen Funktionen. Das reine «Wohnquartier» wurde zur typischen Vorgabe von Zonenplänen. Gewerbliche Immissionen wurden dadurch ferngehalten, Umweltbelastungen aus dem Strassenverkehr dagegen verstärkt, wodurch das Wohnumfeld verarmte. Der Wohnungsbau in Form von Grosssiedlungen mit Hochhäusern stiess nach 1970 sehr plötzlich auf breite Ablehnung. Die allgemeine Motorisierung ermöglichte stattdessen ab 1980 eine Periurbanisierung, die in praktisch allen Landesteilen zu Zersiedlungserscheinungen führte und zur funktionalen Entmischung beitrug (Agglomeration). Die Zahl der Einfamilienhäuser nahm 1980-1990 um 35% zu. Zwischen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und soziale Aktivität schoben sich insbesondere auf dem Land immer grössere, nur mit dem Auto zu bewältigende Distanzen.

Sich wandelnde Lebensformen veränderten ab etwa 1960 die Erwartungen an den Wohnraum, die Haushaltsformen wurden vielfältiger, klassische Ernährerfamilien seltener. Die Stadt Zürich zum Beispiel zählte 1960 19% Einpersonenhaushalte, 2000 50,7%; schweizweit ist die einstige «Normalfamilie» mit 28,2% der Haushalte minoritär geworden. Dieser Trend zur Individualisierung kann auch Vereinsamung und Anonymität zur Folge haben. In neueren Wohnsiedlungen versuchte man deshalb, Begegnungsmöglichkeiten und gemeinschaftliche Wohnformen zu fördern.

Während die Haushalte schrumpften, nahmen die Wohnungsgrössen zu: 17,8% der vor 1980 gebauten Wohnungen massen mehr als 120 m², von den 1981-1990 gebauten jedoch 32,7%. Entsprechend wuchs die Wohnfläche pro Person. Sie bewegte sich 1990 mit 39 m² 14% über dem westeuropäischen Durchschnitt. Aufgrund der sozialen Unterschiede lagen in der Stadt Zürich die Extreme bei 29,2 (Saatlen, Arbeiterquartier) bzw. 55,8 m² (Fluntern, Villenquartier), bei einem Mittel von 37,2 m². Noch deutlicher bestimmt die Lebensphase oder -form die Wohnfläche: Ältere Menschen und kinderlose Paare haben weitaus am meisten Wohnraum zur Verfügung.

Die Wohnungseinrichtung musste nicht mehr als «Aussteuer» für mindestens eine Generation dienen, sondern wurde mit dem Wandel von Bedürfnissen und Mode in kürzeren Zeiträumen erneuert. Aus der einstigen «guten Stube» wurde das Wohnzimmer. Dessen Zentrum verschob sich vom alten Kern mit Lampe, Tisch und Stühlen zum Fernseher hin, der den Raum und die Kommunikation strukturierte. Immer unbefangener wurde der Aussenraum (Balkon, Garten, Grillplatz) als zusätzlicher Wohnbereich genutzt.

Quellen und Literatur

  • BHM, SLM
Allgemein
  • Hb. der schweiz. Volkskultur 1, hg. von P. Hugger, 1992, 231-250, 317-415
  • Atlante dell'edilizia rurale in Ticino, hg. von G. Buzzi, 9 Bde., 1993-2000
Ur- und Frühgeschichte
  • UFAS, 1-6
  • SPM
  • C. Ebnöther, Der röm. Gutshof in Dietikon, 1995
  • Die Alamannen, Ausstellungskat. Zürich, 1997, (mit Bibl.)
  • G. Pignat et al., Les occupations mésolithiques de l'abri du Mollendruz, 1998
Mittelalter und frühe Neuzeit
  • R. Weiss, Häuser und Landschaften der Schweiz, 1959
  • D.W.H. Schwarz, Die Kultur der Schweiz, 1967
  • J. Hähnel, Stube, 1975
  • J. Tauber, Herd und Ofen im MA, 1980
  • Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch, Ausstellungskat. Zürich, 1992
  • B. Furrer, Die Bauernhäuser der Kt. Schwyz und Zug, 1994, 437-443
19. und 20. Jahrhundert
  • G. Heller, "Propre en ordre", 1979 (21980)
  • M. Albers et al., Wohnungen für unterschiedl. Haushaltsformen, 1988
  • Wohnen, hg. von K. Oester, H.-P. von Aarburg, 1990
  • F. Walter, La Suisse urbaine, 1750-1950, 1994
  • B. Koller, "Gesundes Wohnen", 1995
  • W. Bellwald, Wohnen und Wohnkultur, 1996
  • Y. North et al., Wohnen in der Schweiz, 1996
Weblinks

Zitiervorschlag

Gisela Nagy-Braun; Peter F. Kopp; Alfred Zangger; Daniel Kurz: "Wohnen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.02.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016229/2015-02-03/, konsultiert am 16.09.2024.