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Gasthäuser

Wirtshäuser

Gasthäuser oder Tavernen (von lateinisch taberna) waren Wirtshäuser mit Speisungs- und Beherbergungsrecht für Personen und ihre Pferde. Sie waren Träger öffentlicher Funktionen und als Ehaften an bestimmte Gebäude gebunden und konzessionsabhängig. Von Gasthäusern unterschieden sich Schenken (Pinten usw.) ohne Beherbergungsrecht und mit Einschränkungen bei den öffentlichen Funktionen sowie beim Speisungsrecht. Im 19. Jahrhundert verloren die Gasthäuser ihre öffentliche Funktion und mehrheitlich ihre Rolle als Herbergen an neue Betriebsformen des Gastgewerbes.

Mittelalter und frühe Neuzeit

Im Lauf des Früh- und Hochmittelalters entwickelten sich Formen von Gastlichkeit aus verschiedenen Wurzeln, die ähnlichen Bedürfnissen dienten, nämlich Leuten auswärts und auf Reisen Unterkunft und Speise zu bieten. Dazu gehörte die standesgebundene Gastfreundschaft zum Beispiel beim Adel oder unter Klöstern. Der Anspruch der Könige und des hohen Adels auf Gastung leitete sich aus ihren offiziellen Ämtern ab. Wachsende Mobilität führte vom 13. Jahrhundert an zu neuen Institutionen der Gastlichkeit: An Transitrouten und auf Pässen entstanden Pilgerherbergen und Hospize, in Städten und bei Klöstern Elendenherbergen (mittelhochdeutsch el[l]end = fremd), Spitäler, Seelhäuser sowie kommerzielle Gasthäuser

Öffentlichkeit

Ursprünglich gehörten Gasthäuser zur gewerblichen Basisausstattung der mittelalterlichen Grundherrschaft. In Städten, wo sie ― als Teil der gewerblichen Infrastruktur gleich wie die Märkte ― anfangs in der Hand des Stadtherrn waren, sind sie ab dem 13. Jahrhundert urkundlich belegt. Sie gewährten Händlern, Kaufleuten und andern Reisenden Unterkunft, warme Speisen und Getränke, Ställe und Futter für Pferde und Warenlager. Schlossen Händler allerdings zur Umgehung städtischer Gebühren ihre Geschäfte in Gasthäusern statt auf dem Markt ab, so schritten Stadtobrigkeiten gegen solche Nebenmärkte ein und verwiesen die Warenlagerung in die öffentlichen Kaufhäuser.

Drei Künstler, auf Reisen in der italienischen Schweiz um 1789, ruhen sich unter einer Pergola in einem Grotto aus. Tuschzeichnung von Ludwig Hess (Kunsthaus Zürich).
Drei Künstler, auf Reisen in der italienischen Schweiz um 1789, ruhen sich unter einer Pergola in einem Grotto aus. Tuschzeichnung von Ludwig Hess (Kunsthaus Zürich).

Gemäss ihrem öffentlichen Auftrag mussten Gasthäuser mit ausreichenden Vorräten versehen sein und jedermann bedienen, der nicht von Rechts wegen ausgeschlossen war (z.B. unehrliche Leute, Geächtete, Randgruppen) und der bar oder mit Pfand zahlte. In öffentlichen Funktion dienten Gasthäuser zur kontrollierbaren Unterbringung von Pfändern ― Menschen im Einlager (Geiselschaft) oder in Gefangenschaft, Waren oder Vieh im Pfandstall ― und als Pflegestätte für Verwundete, gewisse Gasthäuser auch als Freistätten. Durch ihre Öffentlichkeit unterschieden sie sich von den Trinkstuben bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (Adel, Kaufleute, Handwerker, Gesellen, Bürgerschaft).

Im Spätmittelalter bestand auf dem Land ein auf den Grund- und Gerichtsherrschaften beruhendes dichtes Netz an Gasthäusern mit denselben öffentlichen Aufgaben. Als vom 16. Jahrhundert an die lokalen Gerichte nicht mehr im Freien tagten, wurden Gasthäuser, meist mit separater Gerichtsstube, bevorzugte Gerichtsorte. Zur Kennzeichnung der Gasthäuser dienten ursprünglich Ast, Busch, Kranz oder Reif, die bei Schenken erhalten blieben, bei Gasthäusern aber vom individuellen Gasthausnamen und Schild abgelöst wurden. Beliebt waren unter anderem Kirchenpatrone und deren Attribute (z.B. Dreikönigskrone) sowie Wappen der Landesherrschaft (savoyisches Kreuz, habsburgischer Löwe, bernischer Bär usw.).

Tavernenrecht und Wirtepflicht

Ursprünglich erteilten Grund- bzw. Gerichtsherren das Tavernenrecht, vom 16.-17. Jahrhundert an immer häufiger die Städte- und Länderorte in ihren Territorien. Für ein Tavernenrecht zahlten Wirte eine einmalige Gebühr und einen jährlichen Zins. Zur Führung von Gasthäusern waren sie der Obrigkeit mit Eid verpflichtet. Der obrigkeitlichen Regelung und Aufsicht unterstanden die Qualität und Menge des Angebots, die Preistarife, die Öffnungszeiten und das Ungeld. Der Wirt war bei rechtswidrigem Verhalten seiner Gäste zur Anzeige verpflichtet. Bei Übertretungen wurde auch der Wirt belangt, der damit im Spannungsfeld zwischen Gast, Aufsichtsfunktion und eigenen wirtschaftlichen Interessen stand.

Gasthausbetrieb und sozialer Rang

Angesichts der tarifierten Preise suchten Wirte vor allem im Weinhandel und mit Nebenbetrieben zusätzlichen Verdienst. Auf dem Land umfassten Gasthäuser meist einen Hof zur Selbstversorgung (Schlachtvieh, Korn), zum Teil auch eine Bäckerei oder Metzgerei. Der Gesamtbetrieb wurde von der Wirtefamilie mit Hilfe von Knechten und Mägden geführt. Wirte zählten zu den Bessergestellten und sassen in der Stadt wie auf dem Dorf in Räten, Gerichten und Ämtern.

Das Janusgesicht des Wirts. Aquarell von Hieronymus Hess, 1830 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler).
Das Janusgesicht des Wirts. Aquarell von Hieronymus Hess1830 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler). […]

Der ökonomische Erfolg der Gasthäuser hing von der Person des Wirts und vom Standort ab: Geschäftsfördernd waren Lagen an Transitrouten, an Wallfahrts-, Markt- und Messeorten, in städtischen und dörflichen Zentren nahe von Kirche und Markt sowie die Verbindung mit Bädern. Die Gäste, mehrheitlich Männer, stammten in der Regel aus allen sozialen Schichten. Gasthäuser verfügten meist über eine Schankstube für Passanten und eine Gaststube für Logiergäste, wo das Essen für alle gleichzeitig aufgetragen wurde (table d'hôte, Ess- und Trinksitten). Ursprünglich wurden die Gäste in Schlafsälen untergebracht. Die zuerst in städtischen Gasthäusern eingeführten Gastzimmer setzten sich auf dem Land spät, teils erst im 18. Jahrhundert, durch.

19.-20. Jahrhundert

Der rasche sozioökonomische Wandel ab 1800 und der Einfluss von Verkehr und Tourismus bewirkten, dass sich die Gasthäuser alten Stils in zwei Hauptbranchen aufspalteten: das Gastgewerbe mit vielen Betriebsformen der Hotellerie und das Gastwirtschaftsgewerbe mit grosser Vielfalt an Gaststätten zur Verpflegung. Illustre Gasthäuser wandelten sich zu (Nobel-, Romantik-)Hotels (Hotelbau). Ländliche Gasthäuser blieben zum Teil als Gasthöfe erhalten, mehrheitlich aber wurden sie zu Gaststätten ohne Unterkünfte.

Gaststube, um 1920 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Nicole).
Gaststube, um 1920 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Nicole). […]

Gaststätten am Verkehr

Mit der Eisenbahn verbunden waren seit Beginn die Gastbetriebe der Bahnhöfe ― nach 1900 als Buffet und/oder Restaurant ― sowie der Speisewagen, ab den 1950er Jahren zusätzlich mit Minibar oder Bistrobar in den Zügen. Im Individualverkehr kamen mit den Nationalstrassen ab den 1960er Jahren neue Formen der Verpflegung (Schnellimbiss, leichte Mahlzeiten, Selbstbedienung) in Raststätten auf, die in der französischen Schweiz auch alkoholische Getränke anboten. Fernab des grossen Verkehrs erlebten dank zunehmender Motorisierung ländliche Ausflugsrestaurants (u.a. sogenannte Bauernwirtschaften) zumal sonn- und feiertags Zulauf.

Speisewirtschaften, alkoholfreie Gaststätten, Restaurants

Die neue Arbeitswelt, unter anderem mit Frauenerwerbsarbeit, bedingte zunehmend auswärtige Verpflegung. Während Kosthäuser für Arbeiter einer bestimmten Fabrik eingerichtet waren, standen die Speisewirtschaften der Zeit nach 1850 jedermann offen. Aus dem gemeinsamen Kampf, den gemeinnützige Frauenorganisationen und die Abstinenzbewegung gegen den Alkoholismus führten, entstanden ab den 1890er Jahren die alkoholfreien Gaststätten (Gemeindestuben, Volkshäuser usw.). Auch die alkoholfreien Soldatenstuben des Schweizer Verbands Volksdienst (SV-Service), die Kantinen, Wohlfahrtshäuser und vegetarischen Gaststätten waren mit ähnlichen Konzepten von «zeitgemässen, billigen, bekömmlichen Speisen» ohne Alkohol der Volksgesundheit verpflichtet. Ihre rasche Verbreitung bestätigte schon Ende der 1930er Jahre den Erfolg des im damaligen Europa einzigartigen schweizerischen Konzepts. Alkoholfrei waren auch die vom 18. Jahrhundert an entstehenden Milch-, Kaffee- (Café) und Teehäuser (Tea-Room).

Arbeiterrestaurant auf dem Firmengelände der Brown Boveri & Cie. in Baden, um 1910 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F Fc-0004-48).
Arbeiterrestaurant auf dem Firmengelände der Brown Boveri & Cie. in Baden, um 1910 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F Fc-0004-48). […]

Mostschenken mit eigener Presse und Bierschenken mit Brauerei gab es bereits im 18. Jahrhundert, doch erst im 20. Jahrhundert wurde Bier vor Wein zum Hauptgetränk des Deutschschweizers. Zu den neuen Betriebsformen des 19.-20. Jahrhunderts zählen die Wirtschaft für einfache und das Restaurant für höhere Ansprüche, das Buffet für Imbisse und die Bar mit Thekenausschank. Die Begriffe Buffet (ab 1880er Jahre) und Restaurant (vor 1900) kamen in der Deutschschweiz auf und bürgerten sich danach in der französischen Schweiz ein. Verpflegungsketten wie Mövenpick und McDonald's stehen für einen Trend der letzten 40 Jahre zum Fastfood. Spezialitätenrestaurants, ehemals vor allem für Fisch, Fondue oder italienische Gerichte, richteten sich nach 1960 auf weitere europäische, später zunehmend auch auf exotische, insbesondere fernöstliche Küchen ein. Seit den 1970er Jahren haben sich neue Dienstleistungsangebote in der Gastronomie entwickelt, unter anderem der Party-Service und der Take-away-Betrieb.

Rechtliche Verhältnisse

Die Vorrechte der einst ehaften Gasthäuser blieben zum Teil bis nach 1874 (Kanton Bern bis 1879) gewahrt, trotz der Handels- und Gewerbefreiheit, die allerdings sowohl in der Helvetik wie erneut nach 1874 (Artikel 31 aBV) hinsichtlich der Gaststätten bald wieder eingeschränkt wurde. 1885 wurde es den Kantonen überlassen, «auf dem Wege der Gesetzgebung die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes und des Kleinhandels mit geistigen Getränken den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen [zu] unterwerfen» (Artikel 32quater aBV). Die bis 1998 geltende Regelung (Artikel 31ter, 32quater aBV) war schrittweise (1885, 1908, 1930) zustandegekommen: Übereinstimmend hing in allen Kantonen das Führen von Gaststätten von der Erteilung von Wirtepatenten oder Bewilligungen (je nach Betriebsart) ab. Die BV von 1999 verzichtete dagegen auf Auflagen bezüglich des Gastgewerbes. Während bis 1998 sukzessive alle Kantone die sogenannte Bedürfnisklausel gemäss Artikel 31ter aBV abgeschafft hatten, schritten nur die Kantone Glarus, Schwyz, Uri, Zürich, Graubünden, Zug und Solothurn zur weiteren gewerblichen Liberalisierung durch Verzicht auf das Wirtepatent. Die meisten Kantone behielten dieses gestützt auf den obligatorischen gastgewerblichen Fähigkeitsausweis bei. In den Kantonen ohne obligatorisches Wirtepatent bietet der 1891 gegründete Schweizer Wirteverband GastroSuisse, der 2001 über 20'000 Mitglieder (80% aller schweizerischen Gastbetriebe) zählte, eine fakultative, berufsbegleitende Gastro-Grundausbildung an.

Quellen und Literatur

  • HSVw 1, 527-531
  • Das Gewerbe in der Schweiz, 1979
  • F. Dal Negro, Post-Hotel, 1986
  • H.C. Peyer, Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus, 1987
  • V. Bartlome, Die Rechnungsbücher des Wirtes Hans von Herblingen als Qu. zur Wirtschaftsgesch. Thuns um 1400, 1988
  • M. Schlup, Auberges et cabarets d'autrefois, 1988
  • F. Müller, Wirte und Wirtschaften in Zofingen, 1450-1600, Liz. Zürich, 1990
  • A. Radeff, Du café dans le chaudron, 1996, 214-226
  • K. Hürlimann, «Öffentl. Konsum in Wirtshäusern», in Gesch. der Konsumgesellschaft, hg. von J. Tanner et al., 1998, 147-163
Weblinks

Zitiervorschlag

Felix Müller (Brugg); Anne-Marie Dubler: "Gasthäuser", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.11.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016323/2006-11-20/, konsultiert am 19.03.2024.