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Nationalspiele der Schweiz

Plakat nach einem Motiv von N. Bucher. Lithografie von A. Eglin, Luzern (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Plakat nach einem Motiv von N. Bucher. Lithografie von A. Eglin, Luzern (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).

Als Nationalspiele der Schweiz gelten das Schwingen, Steinstossen und im weiteren Sinn das Hornussen. Die Ersteren fanden unter der Bezeichnung «Nationalturnen» 1855 Eingang ins Programm des Eidgenössischen Turnfestes von Lausanne (Feste) – dies im Bestreben, dem deutschen Turnen nach Friedrich Ludwig Jahn eigene, dem Volke angepasste und von ihm entwickelte Übungen entgegenzusetzen. Tatsächlich gehen alle drei Disziplinen auf spätmittelalterliche Wettkämpfe zurück, die meist im Rahmen von Kirchweihen und Schützenfesten stattfanden oder andere volkstümliche Anlässe (Alpaufzug, Mittsommerfeste) ergänzten. Eine Art Fünfkampf jugendlicher Hirten, wie Hans Georg Wackernagel dies annahm, lässt sich nicht nachweisen. Hingegen blieben die oft als alteidgenössisch bezeichneten Übungen vorab in alpinen Regionen populär. Für das Schwingen und Hornussen bildeten im 17. und 18. Jahrhundert das Entlebuch sowie das Emmen- und Haslital ein eigentliches Rückzugsgebiet. Die Unspunnenfeste von 1805 und 1808 stellten einen ersten Versuch dar, den sogenannten Hirtenspielen im Rahmen der patriotischen Erneuerungsbewegung während der Helvetik und Mediationszeit wieder eine überregionale Bedeutung zu verschaffen. Aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand vorab das Schwingen einen breiteren Rückhalt in der Bevölkerung. Der 1864 publizierte Schwinger-Lehrgang des Berner Arztes Rudolf Schärer machte das Kampfspiel auch in Turnerkreisen populär. Der Erfolg eidgenössischer Schwingfeste (meist ergänzt mit Jodel- und Alphorndarbietungen und unter Mitwirkung von Trachtenverbänden) führte 1895 zur Gründung des Eidgenössischen Schwingerverbands (ESV). Die Hornusser schlossen sich 1902 auf Landesebene zum Eidgenössischen Hornusserverband (EHV) zusammen und seit 1907 besteht mit der «Eidgenössischen Schwinger-, Hornusser- und Jodlerzeitung» ein gemeinsames Publikationsorgan. Der anhaltende Erfolg beider Sportverbände (2005: ca. 5100 bzw. 8000 Aktive) erklärt sich nicht zuletzt aus der engen Verbindung sportlicher und brauchtümlicher Elemente.

Schwingen

Die ab der Reformationszeit häufig anzutreffende Formel Ringen und Schwingen legt nahe, dass in der Eidgenossenschaft zwei verschiedene Formen des Zweikampfs unterschieden wurden. Der für das Schwingen typische Kleidergriff, das Festhalten des Gegners im Gestöss, erscheint zwar bereits auf Abbildungen des 13. Jahrhunderts, aber erst ab etwa 1600 lässt sich das Schwingen als spezielle Wettkampfform der Alphirtenkultur nachweisen. Zahlreiche behördliche Ge- und Verbote zeugen von jährlichen Treffen an bestimmten Austragungsorten – meist eine Alp, auf der sich die Vertreter einzelner Ort- oder Talschaften gegenüberstanden, wobei der Bergschwinget oft mit einer Älplerchilbi zusammenfiel. Besonders zahlreich fanden sich solche Treffpunkte rund um das Haslital und Entlebuch, so auf der Alp Seewen, der Axalp, der Engstlen- und Balisalp sowie auf dem Brünig. Austragungsorte an der bernisch-freiburgischen Grenze zeigen, dass das Kampfspiel, als lutte oder lutte suisse bekannt, auch auf einen Teil der Romandie übergriff.

Bereits in den Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts spielte das Schwingen eine stereotype Rolle als alteidgenössischer Hirtenbrauch. Zahlreiche Radierungen und Stiche schildern in meist überhöhter Manier eine idyllische Naturkulisse mit friedlichen Wettkämpfern und in Volkstracht gekleideten Zuschauern. Eine ausführliche Beschreibung mit historischem Rückblick liefert der Entlebucher Pfarrherr Franz Josef Stalder 1797 in seinen «Fragmenten über Entlebuch»: Die von ihm postulierten festen Regeln scheinen nicht die einzigen gewesen zu sein. Andere Quellen belegen, dass an Stelle der heute gebräuchlichen kurzen Überhosen auch Mähergurten oder ein um den Oberschenkel geknüpftes Tuch zum Einsatz kamen. Auch die Dauer des einzelnen Wettkampfs, Gang genannt, war keineswegs einheitlich reglementiert.

Die seit der Gründung des Eidgenössischen Schwingerverbands gültigen Regeln sehen eine Wettkampfdauer von 10-12 Minuten vor. Der Sieger muss den Gegner so auf den Rücken legen, dass beide Schulterblätter den Boden berühren, und dies ohne Loslassen der Hosengriffe. Ein Kampfgericht bewertet die Leistung der Teilnehmer mit Punkten und bestimmt die Paarungen für den nächsten Gang. Bei den grossen Anlässen, zu diesen zählen das Unspunnen- und das Eidgenössische Schwingfest (sechs- bzw. dreijähriger Turnus), erhält der Sieger, der sogenannte Schwingerkönig, einen jungen Stier (Muneli). Der Schwingerkalender zählt jährlich rund 120 Anlässe. Viel Prestige geniessen der Brünig-, der Stoos- und der Rigischwinget.

Steinstossen

"Der Steinstosser". Lithografie von Joseph Brodtmann nach einer um 1830 entstandenen Zeichnung von Jakob Schwegler (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
"Der Steinstosser". Lithografie von Joseph Brodtmann nach einer um 1830 entstandenen Zeichnung von Jakob Schwegler (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Vom Steinstossen an städtischen und ländlichen Anlässen berichten bereits spätmittelalterliche Quellen. 1472 wurde am Schützenfest von Zürich mit drei verschieden schweren Steinen (15, 30 und 50 Pfund) gestossen. Ähnlich wie das Schwingen wurde die Disziplin aber in der Folgezeit zu einem Bestandteil der Sennenwettkämpfe. Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts erwähnen den Brauch im Appenzell, in Glarus und Schwyz. Dabei kamen nach diesen Angaben 100 bis 200 Pfund schwere Steine zum Einsatz. Gestossen wurde mit oder ohne Anlauf, ein- oder beidhändig, nach einer Zielmarke oder auf grösstmögliche Weite.

Besondere Beachtung fand die Disziplin an den Unspunnenfesten von 1805 und 1808. Ein Duplikat des dort verwendeten, 83,5 kg schweren Findlings kam ab 1905 an weiteren Unspunnen- und an eidgenössischen Schwingfesten zum Einsatz. Dieser Stein mit den eingemeisselten Jahresdaten der ersten Anlässe wurde indes 1984 von jurassischen Separatisten aus dem Museum der Jungfrauregion entwendet. Anlässlich des Marché-Concours tauchte der Stein in Saignelégier 2001 im Vorfeld der Expo.02 überraschend wieder auf. Im September 2005 wurde er erneut gestohlen.

Hornussen

Das zu den Schlagspielen gehörende Hornussen erscheint kurz nach 1600 in den Quellen. Auch hier bildete das Emmental eine Kernzone des Wirkungsbereichs. Eine eindrucksvolle Beschreibung des Spiels findet sich in Jeremias Gotthelfs Roman «Uli der Knecht» (1841). Walter Schaufelberger weist frühe Parallelen im Wallis (Tsara) und Graubünden (Hora, Gerla) nach. Albert Spycher berichtet vom Gilihüsine in Betten. Bei allen Varianten ging es darum, einen Flugkörper (Knochen, Wurzelstück) mit dem Schlag einer festen Gerte in ein Zielfeld zu treiben. Die Gegnerschaft versuchte, das Geschoss mit vorgehaltenen oder hochgeworfenen Schindeln zu stoppen. Dass ursprünglich Körper- und Kopftreffer besonders gewertet wurden, stellt den Zusammenhang zu älteren Kriegsspielen her, bei denen die Schindel eine Schildfunktion hatte.

Heute wird die Sportart vor allem im Bernbiet ausgeübt. Beim modernen Mannschaftsspiel befördert der Schläger den Hornuss, einen 78 g schweren Kunststoffkörper, mit dem elastischen Schwungstecken vom Abschlagbock in Richtung des gegnerischen Feldes (Ries), das 100 m nach dem Bock beginnt (Tiefe: 180 m, Breite: zunehmend von 8 auf 14 m). Die dort verteilten sogenannten Abtuer versuchen, den Hornuss mit vorgehaltener oder hochgeworfener Schindel aufzuhalten. Sechs Kampfrichter stellen fest, bei welcher Distanz die Flugkörper unschädlich gemacht werden oder ob sie im Ries landen, was besondere Strafpunkte für die Abtuer nach sich zieht. Aus diesen Angaben wird die Wertung für den einzelnen Schläger und das Total für die schlagende Partei abgeleitet. Der Schlagende hat zwei mal zwei Versuche. Haben alle Spieler geschlagen, wechselt das Schlagrecht.

Die je nach Stärkeklasse 16-18 Mann starken Teams, sogenannte Gesellschaften, verfügen meist über ein eigenes Spielfeld. Während der Saison, die Meisterschaften in der Gruppen-, Verbands- und Eliteklasse sowie interkantonale Begegnungen und das im Dreijahresturnus abgehaltene Eidgenössische Hornusserfest (erstmals 1903 in Heimiswil ausgetragen) umfasst, wird oft täglich trainiert. 2005 waren 271 Gesellschaften registriert.

Quellen und Literatur

  • Gilihüsine [Film], Regie: W. Egloff, 1956
  • W. Schaufelberger, Der Wettkampf in der Alten Eidgenossenschaft, 1972
  • A. Spycher, Kegeln, Gilihüsine und Volkstheater in Betten (VS), 1985
  • National- und Volksspiele der Schweiz, Ausstellungskat. Basel, 1991 (mit Bibl.)
  • Festgenossen, hg. von B. Schader, W. Leimgruber, 1993
  • 100 Jahre Eidg. Schwingerverband, 1895-1995, 1995
  • Schlagen und Abtun [Film], Regie: N. Wiedmer, 1999
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans Peter Treichler: "Nationalspiele der Schweiz", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.10.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016328/2010-10-21/, konsultiert am 18.04.2024.