Der Begriff Alpinismus umfasst verschiedene Formen des Bergsteigens in den Alpen und in andern Gebirgen der Welt – vom Bergwandern (Wandern) über alpine Skitouren (Skisport) bis hin zum Sport- und Extremklettern in Fels und Eis.
Bis ins ausgehende Mittelalter wurden die Alpengipfel von Menschen gemieden. Sie waren von Sagen und Legenden umwoben und galten als Sitz von Dämonen. Noch 1387 sperrten die Behörden der Stadt Luzern den Mönch Niklaus Bruder und fünf geistliche Begleiter ein, die eine Besteigung des mythenumrankten Pilatus versucht hatten.
Eine neue Umweltwahrnehmung durch den Humanismus brach ersten Formen des Alpinismus im 16. Jahrhundert den Bann. Befreit von kirchlichen Fesseln erstieg Vadian 1518 den Pilatus, und Konrad Gessner verherrlichte 1541 in "De admiratione Montium" die Schweizer Berge: "Ich bin fest entschlossen, jedes Jahr einige Berge oder mindestens einen zu besteigen (...) sowohl, um die Bergflora zu untersuchen, als meinem Körper eine edle Übung und meinem Geist eine Freude zu verschaffen." Vorab durch die Aufklärung geweckte naturwissenschaftlichen Interessen sowie das Naturverständnis der Romantik motivierten im 18. Jahrhundert zu vermehrten Reisen in die Bergwelt: 1723 berichtete Johann Jakob Scheuchzer ausführlich über seine 1702-1711 unternommenen "Itinera per Helvetiae alpinas regiones". Als älteste Bergfahrtenschilderung aus den Ostalpen gilt Nicolin Sererhards "Schesaplana Bergreis" um 1730. Laurent Joseph Murith, Prior des Grossen St. Bernhards und Botaniker, bestieg 1779 als Erster den Mont Vélan. Als Geograf, Botaniker und Geologe war auch der Disentiser Pater Placidus Spescha, 1789 Erstbesteiger des Rheinwaldhorns, im Gebirge unterwegs. Eine im wörtlichen Sinne höhere Dimension eröffnete sich dem Alpinismus, nachdem der Genfer Naturwissenschaftler Horace Bénédict de Saussure und seine Begleiter 1786-1787 den Mont Blanc bestiegen hatten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lockten vor allem gletscherkundliche Interessen Naturforscher wie Louis Agassiz, Edouard Desor und Franz Joseph Hugi in die Berner und Walliser Hochalpen. Aus Gründen der Kartografie wurde 1811 die Jungfrau bestiegen, 1850 der Piz Bernina 1806 erschien das erste alpine Jahrbuch "Alpina, eine Schrift, der genaueren Kenntnis der Alpen gewidmet", herausgegeben von Karl Ulysses von Salis.
Der Durchbruch des im Zeichen des Sports und des Tourismus stehenden modernen Alpinismus erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den 1850er und 1860er Jahren prägten englische Alpinisten wie John Ball, John Tyndall, Leslie Stephen und Edward Whymper die "Goldene Zeit des Alpinismus" 1857 gründeten sie den British Alpine Club – den weltweit Ersten seiner Art – mit dem Ziel, Bergerfahrungen vor allem aus der Schweiz auszutauschen. "Peaks, Passes and Glaciers" (ab 1859) war der erste Clubführer, "The Playground of Europe" (1871) von Leslie Stephen das erste Bergbuch. Erste Zentren des Alpinismus in der Schweiz wurden Grindelwald und Zermatt. Die Engländer liessen sich von einheimischen Bergführern begleiten (namentlich Christian Almer, Franz Andenmatten, Melchior Anderegg, Franz Biner, Peter Knubel, Ulrich Lauener, Peter Taugwalder, Matthäus Zum Taugwald), und so wurden nach dem Vorbild von Chamonix erste Bergführervereinigungen 1857 in Grindelwald, 1858 in Zermatt und 1871 in Pontresina gegründet. Als letzter Hauptgipfel der Schweizer Alpen wurde 1865 das Matterhorn bestiegen. Das sportliche Interesse richtete sich nun auf neue, schwierige Routen und aussereuropäische Hochgebirge (u.a. Anden, Himalaya, Karakorum, Kaukasus, Pamir, Rocky Mountains).
Der 1863 gegründete Schweizer Alpen-Club (SAC) setzte sich die Hauptziele, den Alpinismus zu fördern und den Alpenraum wissenschaftlich zu erschliessen. Er bearbeitete Clubführer und Landkarten, baute Wege und mit der Grünhornhütte am Tödi 1863 die erste SAC-Hütte und nahm sich der alpinistischen Ausbildung an. 1905 wurde das Schweizerische Alpine Museum Bern eröffnet. Die Geschichte des Alpinismus ist auch in lokalen Museen dargestellt, namentlich im Alpinen Museum in Zermatt und im Lötschentaler Museum in Kippel.
Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat die sportliche Seite des Bergsteigens an Bedeutung gewonnen. Zunächst kam das sogenannte künstliche Klettern auf, bei welchem Felshaken, die ursprünglich nur zur Sicherung benutzt wurden, zur Fortbewegung dienten. Der Deutsche Wilhelm Welzenbach kletterte als Erster mittels spezieller Eishaken in Eiswänden und entwickelte eine Schwierigkeitsskala für Kletterrouten. 1925 durchstieg er die Nordwand der Dent d'Hérens, zwischen 1930 und 1933 unter anderem jene des Grossen Fiescherhorns und des Walliser Weisshorns. Mit der Ersteigung der Matterhorn-Nordwand 1931 wurde die Reihe der "letzten Probleme" der Alpen eingeleitet. 1938 durchstiegen die Deutschen Anderl Heckmair und Ludwig Vörg zusammen mit den Österreichern Fritz Kasparek und Heinrich Harrer die Eigernordwand (Eiger).
Zwischen 1950 und 1964 wurden alle 14 Achttausender des Himalaya und Karakorum im aufwendigen Expeditionsstil bestiegen. Einer von Albert Eggler geleiteten Schweizer Expedition gelang 1956 die zweite Besteigung des Mount Everest und die Erstbesteigung des Lhotse. 1960 standen Mitglieder einer Expedition unter der Leitung von Max Eiselin erstmals auf dem Dhaulagiri. Nach dem Südtiroler Reinhold Messner und dem Polen Jerzy Kukuczka gelang es dem Schweizer Erhard Loretan als Drittem, alle 14 Gipfel zu erreichen. 1978 wurde die 1947 als internationale Alpenskala eingeführte sechsstufige Schwierigkeitsskala von der Union Internationale des Associations d'Alpinisme (UIAA) nach oben geöffnet. Bessere Ausrüstungen eröffneten neue Möglichkeiten; das (gesicherte) freie Klettern verdrängte das künstliche Klettern an Hakenreihen. Sportkletterer übten im Klettergarten und kletterten neue Routen auch in den Alpen, zum Beispiel Martin Scheel im Rätikon 1984 eine Route im 9. Grad. Die schwierigsten Stellen werden heute mit 10 und 11 bewertet. Seit den 1970er Jahren wird der Alpinismus in allen Gebirgen der Welt ausgeübt, in Formen, die vom Breiten- bis zum Extremsport reichen. Facetten des in jüngerer Vergangenheit sehr vielfältig gewordenen Sports sind zum Beispiel wettbewerbsmässiges Sportklettern an Kunststoffwänden in Hallen, Klettern an vereisten Wasserfällen, Trekking, Snowboard-Hochtouren, die Verbindung mit Gleitschirmfliegen oder das Canyoning. Die vielfältigen Formen des modernen Alpinismus spiegeln sich auch in steigenden Zahlen in der Übernachtungs- und Bergnotfall-Statistik des SAC (1964-1965 158'519, 1999-2000 266'670 Übernachtungen; 1959-1960 235 Verunfallte, 96 Todesopfer, 2000 1245 Verunfallte, 93 Todesopfer).
Die zum Beispiel am Grossen St. Bernhard bereits 1129 fassbare Führertätigkeit von Einheimischen für Pilger, Händler und andere Alpenreisende gewann nach der "Entdeckung" der Alpen zusehends an Bedeutung. Der eigentliche Beruf des Bergführers entwickelte sich von der "Goldenen Zeit des Alpinismus" an: Dem ersten Reglement für den Führerberuf im Kanton Wallis (1870, bereits mit Patentpflicht) folgten zahlreiche weitere kantonale Reglemente, Verordnungen und schliesslich Gesetze. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schlossen sich die lokalen Bergführervereine zu Kantonalvereinen zusammen. Der 1906 gegründete und praktisch nur von Berner und Urner Bergführern getragene Verband schweizerischer Bergführer (VSB) wurde 1929 vom Schweizerischen Bergführerverband (SBV) abgelöst, der jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Leitung von Christian Rubi und dessen Nachfolgern einen Aufschwung erlebte. 1998 waren ca. 1300 Bergführer (darunter 11 Bergführerinnen) registriert, wovon 600-700 aktiv, von diesen die Hälfte vollberuflich tätig waren. Dauerte der erste Bergführerkurs in Interlaken 1878 noch eine Woche, so liegt dem seit 1992 vom BIGA (heute dem Bundesamt für Bildung und Technologie BBT unterstellt) anerkannten Beruf eine sich über drei Jahre erstreckende, vielseitige theoretische und praktische Ausbildung im Sommer und Winter zugrunde. Dem 1969 gegründeten Schweizerischen Verband der Bergsteigerschulen gehörten 2000 29 Schulen zwischen Genf und Pontresina an.
Erstbesteigungen in den Schweizer Alpen bzw. durch Schweizer in Anden und Himalaya 1774-1960
Jahr | Gipfel (Gebirge) | Höhe | Erstbesteiger | |||
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1744 | Titlis | 3239 m | I. Hess, J.E. Waser und zwei weitere Engelberger Klosterleute | |||
1811 | Jungfrau | 4158 m | J.R. und H. Meyer, J. Bortis, A. Volker | |||
1812 | Finsteraarhorn | 4274 m | A. Volker, J. Bortis, A. Abbühl | |||
1824 | Tödi | 3614 m | A. Bisquolm, P. Curschellas | |||
1850 | Les Diablerets | 3210 m | G.S. Studer, M. Ulrich, J.D. Ansermoz, J. Madutz | |||
1850 | Piz Bernina | 4049 m | J.W. Coaz, J. und L. Raguth Tscharner | |||
1855 | Dufourspitze | 4634 m | E.J. Grenville Smyth, C. Smyth, C. Hudson, J. Birbeck, E.-J. Stephenson, U. Lauener, J. und M. Zum Taugwald | |||
1858 | Eiger | 3970 m | C. Barrington, C. Almer, P. Bohren | |||
1858 | Dom | 4545 m | J.L. Davies, J. Zum Taugwald, J. Kronig, H. Brantschen | |||
1859 | Bietschhorn | 3934 m | L. Stephen, J. Siegen, J. Ebener | |||
1861 | Schreckhorn | 4078 m | L. Stephen, C. und P. Michel, U. Kaufmann | |||
1861 | Weisshorn | 4505 m | J. Tyndall, J.J. Benet/Bennen, U. Wenger | |||
1862 | Dent Blanche | 4357 m | T.S. Kennedy, W. Wigram, J.B. Croz, J. Kronig | |||
1864 | Zinalrothorn | 4221 m | L. Stephen, F.C. Grove, M. Anderegg, J. Anderegg | |||
1865 | Matterhorn | 4478 m | E. Whymper, D.R. Hadow, C. Hudson, F. Douglas, M.A. Croz, P. Taugwalder Vater und Sohn | |||
1897 | Aconcagua (Anden) | 6958 m | M. Zurbriggen | |||
1956 | Lhotse (Himalaya) | 8516 m | E. Reiss, F. Luchsinger | |||
1960 | Dhaulagiri (Himalaya) | 8167 m | E. Forrer, A. Schelbert, M. Vaucher, H. Weber, P. Diener |