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Adel

Adel ist eine geburtsständisch definierte, sozial und ökonomisch heterogene Oberschicht (Feudalgesellschaft, Ständische Gesellschaft, Vasallität). Beim hohen Adel (Hochfreie, Edelfreie, nobiles) handelt es sich um eine durch freie Geburt und allodiale Autonomie herausgehobene Elite mit selbstständigen oder vom König abgeleiteten Herrschaftsrechten über Land und Leute (Allod, Lehen). Ständisch klar geschieden vom hohen Adel ist der im 13. Jahrhundert entstandene Ritteradel (Niederadel, milites), der auf verschiedene Wurzeln zurückgeht, überwiegend aber aus der in Hof-, Verwaltungs- und Kriegsdienst beschäftigten Ministerialität weltlicher oder kirchlicher Herrschaftsträger hervorgegangen ist.

Mittelalter

Deutsche Schweiz

Vom 6. Jahrhundert an verschmolz der reichsrömische Senatorenadel mit den Führungsgruppen der einwandernden germanischen Völker. Die frühen Herzöge der Alemannen waren eher Amtsträger der prädominierenden fränkischen Könige als Stammesherzöge. Die geopolitische Randlage des Raums der heutigen Schweiz hatte indes zur Folge, dass die fränkische Herrschaft auch mit der Einführung der karolingischen Grafschaftsverfassung keine tiefgreifende Wirkung ausübte. Infolge der faktischen Schwäche des sich im 10. Jahrhundert konstituierenden Herzogtums Schwaben kam es dann im Hochmittelalter überall zur Festigung von Adelsherrschaften, die einen Landesausbau durch Rodung, Burgenbau (Burgen und Schlösser) und innere Herrschaftsverdichtung betrieben. Ein neues, agnatisches, d.h. die lineare männliche Stammfolge betonendes Geschlechterbewusstsein löste in dieser Zeit einen lockeren, kognatisch orientierten Zusammenhalt innerhalb von Clans ab. Quellenmässig fassbar ist im 11. und frühen 12. Jahrhundert weiterhin nur der hohe Adel, der auf der Basis von grund- und gerichtsherrlichen Rechten ein überregionales Beziehungsnetz bildete: die Hunfride, Gerolde, Nellenburger, Lenzburger, Habsburger, Kyburger, Homberger, Frohburger und andere als unterscheidbare Adelsgruppen, von denen sich allerdings der später bekannte Hochadel nicht im Sinne einer kontinuierlichen agnatischen Nachfolge ableiten lässt.

Während des Investiturstreits erwarb der in unserem Raum päpstlich gesinnte Hochadel grössere Selbstständigkeit gegenüber dem deutschen König. Die Zähringer erreichten in der Auseinandersetzung mit den Staufern um die Herzogswürde das Rektorat über Hochburgund und beerbten 1173 die Grafen von Lenzburg. Als Erben der Zähringer profitierten nach 1218 vor allem die Grafen von Kyburg, hatten sich aber bis zu ihrem Aussterben 1264 des Einflusses der Grafen von Savoyen und von Habsburg zu erwehren. Im 13. Jahrhundert stellten die Hochfreien und Grafen, Letztere ursprüngliche Amtsinhaber als Vertreter königlicher Gewalt, einen relativ geschlossenen Kreis dar. Bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts war die Adelsstruktur im Gebiet der deutschsprachigen Schweiz bezüglich Herrschaftsausbau relativ rückständig: Eine verglichen mit anderen Gebieten hohe Zahl von Edelfreien hatte sich halten können, da der Territorialisierungsprozess infolge des Aussterbens der Lenzburger, Zähringer und Kyburger diskontinuierlich verlief. Der Aufstieg zu einem landesfürstlichen Geschlecht gelang nur – und relativ spät – den Grafen von Habsburg. Nachdem sie bereits zu den Gewinnern im lenzburgischen und im zähringischen Erbgang gehört hatten, unterstützte die Wahl Rudolfs I. zum deutschen König 1273 die habsburgische Hausmachtpolitik noch zusätzlich. Allerdings hat man sich die Entwicklung der habsburgischen Vorherrschaft nicht linear vorzustellen. Daneben sind vom 12. Jahrhundert an kleinere edelfreie Geschlechter fassbar wie die Grafen von Rapperswil, Toggenburg, Aarberg, Buchegg und Sax, die Freiherren von Brandis, Eschenbach, Vaz und Tarasp.

Bereits um 1200 begann die Zahl der Hochfreien-Geschlechter zurückzugehen, ein Prozess, der sich um 1280 beschleunigte. Gegen 1300 geriet die Gruppe der Hochfreien wirtschaftlich und politisch in eine Krise, was zum sozialen Abstieg nach rascher Liquidation des Besitzes führte. Dies wiederum hatte den Verlust des spezifisch ständischen Sozialprestiges (soziales Aussterben), zum Teil auch das biologische Aussterben eines grossen Teils des hochfreien Adels bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts zur Folge. Die Umgestaltung des Adels im Spätmittelalter ist ein allgemein europäisches Phänomen. Die Adelskrise – die nicht mehr allein durch biologistische Argumente (Aussterben im Mannesstamm, Pest, Tod auf dem Schlachtfeld, hohe Zölibatsquote) oder durch vermehrte, nicht kompensierbare Erbteilung nach der Aufgabe der Gesamthand im 13. Jahrhundert erklärt wird – muss als Teil der strukturellen Krise des Spätmittelalters verstanden werden: Der Adel verlor bei stagnierenden Einkünften seine wirtschaftliche Ordnungsfunktion bezüglich der bäuerlichen Produktion (Grundherrschaft) und erlitt gleichzeitig eine politische Entfunktionalisierung durch die sich formierende habsburgische Landesherrschaft, die bereits um 1270 eine konkurrenzlose Stellung erreicht hatte, später durch die sich ausbildende Eidgenossenschaft. Eine Anpassung durch den Eintritt in den landesherrlichen Dienst wurde durch die Konkurrenz des Ritteradels und das ständische Wertesystem (Rittertum) fast verunmöglicht. Einige wenige Ausnahmen für eine gegenläufige Entwicklung innerhalb des hochfreien Adels in Richtung eigenständiger Territorialisierung im 14. und 15. Jahrhundert waren in der deutschsprachigen Schweiz die Grafen von Toggenburg – eine der dominierenden Dynastien in der Ostschweiz –, die Freiherren von Thierstein und von Falkenstein.

Heinrich von Meissen auf der Beizjagd. Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift des frühen 14. Jahrhunderts (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Fol. 14v).
Heinrich von Meissen auf der Beizjagd. Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift des frühen 14. Jahrhunderts (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Fol. 14v). […]

Für den Ritteradel spielte gegen 1400 die Herrschaftsnähe zur habsburgischen Landesherrschaft – mit den Möglichkeiten zur Pfandschafts-, Lehens- und Ämterübernahme – in zunehmendem Masse eine wichtige Rolle als Mittel des Überlebens oder sogar Aufstiegs (z.B. Ritteradlige von Hallwyl, Werdenberg, Landenberg). Dabei war vor allem der Erwerb von Pfandbesitz wichtig. Der hauptsächlich aus der Spitzenschicht des Ritteradels stammende sogenannte Landesadel hatte mit der alten Ministerialität die Dienstfunktion, aber nicht mehr die persönliche Bindung gemeinsam. Über die Entwicklung eigenständiger ritteradliger Organisationsformen ausserhalb des habsburgischen Kreises ist fast nichts bekannt. Ein breites Mittelfeld, das teilweise auch von der Landesherrschaft abhängig war, unterschied sich kaum noch von der bürgerlichen und bäuerlichen Oberschicht. Andere Namen verschwinden aus den Quellen.

Im frühen 14. Jahrhundert vermehrten sich die Beziehungen des Adels zur Stadt. Unter den stadtsässigen Rittergeschlechtern grösserer Kommunen setzte um 1300 ein sozialer Differenzierungsprozess ein: Neue Erwerbsmöglichkeiten in den Städten und im Solddienst führten in einzelnen Fällen zur Integration in die neuen kommunalen Führungsgruppen. Bereits nach 1350 ist beim Ritteradel zudem vielfach ein politisches Lavieren zwischen den Eidgenossen und den Habsburgern zu beobachten. Die einseitige Abhängigkeit von Habsburg führte nach dem Sempacherkrieg zum Niedergang bestimmter Geschlechter: Die allmähliche zurückweichende Ordnungsmacht Habsburg, die nicht in der Lage war, für Ruhe und Schutz zu sorgen, wurde durch einzelne eidgenössische Stadt- und Länderorte abgelöst. Dieser Vorgang dauerte bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. Einzelnen Familien gelang die Integration in die neuen eidgenössischen Führungsgruppen. Andere wanderten unter dem eidgenössischen Druck in den süddeutschen Raum ab.

In seiner Schweizer Chronik von 1576 nimmt Christoph Silberysen die Schlacht bei Sempach zum Anlass, um den Niedergang des Adels in einer Zeichnung und einem Spottgedicht zu karikieren (Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau, MsWettF 16: 1, S. 417; e-codices).
In seiner Schweizer Chronik von 1576 nimmt Christoph Silberysen die Schlacht bei Sempach zum Anlass, um den Niedergang des Adels in einer Zeichnung und einem Spottgedicht zu karikieren (Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau, MsWettF 16: 1, S. 417; e-codices).

Französische Schweiz

In burgundischer und merowingischer Zeit (5.-7. Jh.) wurden die meisten hohen kirchlichen Würdenträger, wie zum Beispiel Marius, Bischof von Lausanne, oder Germanus, der Gründer von Moutier-Grandval, als Adlige bezeichnet. Zum Adel zählten auch hohe weltliche Amtsinhaber, wie etwa Chramnelenus, der dem pagus Ultrajoranus (dem westlichen Teil des schweizerischen Mittellandes) vorstand, das Kloster Romainmôtier neu aufbaute und das Kloster Baulmes gründete. Sie entstammten einem Adel, in welchem die gallorömischen und germanischen Elemente kaum zu trennen sind, auch wenn Letztere dominiert zu haben scheinen. Unmittelbar aus dem hohen moralischen Prestige, das Inhabern wichtigster weltlicher oder kirchlicher Funktionen zugebilligt wurde, dürfte sich der Adel als Geburtsstand abgeleitet haben. Kann zwischen der spätrömischen Aristokratie und dem merowingischen Adel noch eine gewisse Kontinuität nachgewiesen werden, so lässt die dünne Überlieferung aus karolingischer Zeit kaum gültige Schlüsse über genealogische Verbindungen zu den führenden Persönlichkeiten (Grafen und andere principes) aus dem Umfeld der Könige von Hochburgund (888-1032) zu. Ebenso problematisch ist es, ungeachtet des Einfallsreichtums gewisser Historiker, diese Führungsgruppen wiederum mit den herrschenden Familien des Hochmittelalters in Verbindung zu bringen, mit Ausnahme vielleicht möglicher Vorfahren der Grafen von Genf. Die Westschweiz als Machtzentrum des Zweiten Königreichs Burgund erlebte in dieser Zeit keine Entfaltung von Dynastenfamilien mit Hegemonialansprüchen. Die Bischöfe von Lausanne, Sitten und Basel, die von Regalien profitierten, welche ihnen König Rudolf III. von Burgund verliehen hatte, verhinderten vermutlich nachhaltig die Ausbildung einer westschweizerischen Dynastie, welche den Adel zum eigenen Vorteil gefolgschaftsmässig hätte strukturieren können.

Nach dem Ende des Zweiten Burgundischen Königreichs entwickelte der Adel eine Dynamik, die auf Kosten der kirchlichen Institutionen ging. Deren Überlieferung erlaubt eine mal besser, mal schlechter gesicherte Rekonstruktion der genealogischen Zusammenhänge und der territorialen Verankerung des Westschweizer Adels im 11. und 12. Jahrhundert. Wie andernorts stützte sich die Adelsmacht auf die Gerichtsherrschaft, die Kontrolle über Kirchen, eine ritterständische Gefolgschaft sowie den Besitz befestigter Zentren. Neben den Grafen von Neuenburg und Greyerz zählten die de Blonay im Chablais, die de Mont und de Cossonay in der Waadt, die de Corbières im Saanetal, die von Oltigen und die de Glâne im burgundisch-alemannischen Grenzgebiet, die von Grandson am Fusse des Jura und die von Hasenburg im Fürstbistum Basel zu den Grossen. Vom 13. Jahrhundert an traten diese Geschlechter, meist gegen finanzielles Entgegenkommen, in die Gefolgschaft der grossen, von aussen wirkenden Mächte ein, die sich in entscheidender Weise in der Westschweiz festsetzten: die Fürstbischöfe von Basel im Norden, die de Chalon und de Montfaucon im Jurabogen, die Savoyer in der Waadt und im Chablais. Wirtschaftliche Gründe vermögen diese Unterordnung der Hochfreien teilweise zu erklären. In derselben Zeit setzten brillante Karrieren niederadliger Ministerialenfamilien in der Verwaltung, in militärischen oder kirchlichen Diensten ein, zum Beispiel der de Billens als Vasallen des Hauses Savoyen. Im 13. und 14. Jahrhundert erweiterte sich der Horizont mancher Angehöriger des westschweizerischen Adels: Im Gefolge der Savoyer gelangten zahlreiche Waadtländer (u.a. de Bonvillars, de Champvent, de Mont) an den englischen Hof und begründeten zuweilen gar einen englischen Zweig (von Grandson). Die Grafen von Neuenburg kämpften in Italien im Dienste der Visconti, und mehrere Geschlechter (von Greyerz, von Grandson, von Neuenburg-Nidau) waren in verschiedenen Schlachten des Hundertjährigen Kriegs vertreten, meist auf der Seite der Franzosen. Im 15. Jahrhundert erfuhr der Adel der Westschweiz eine grundlegende Umgestaltung: Zahlreiche grosse Familien (de Cossonay, von Grandson, von Montagny) verschwanden zugunsten von Geschlechtern aus Savoyen (Champion), dem Genevois (de Menthon, Lullin, de Viry) oder dem Aostatal (de Challant). Andere gingen in kognatischer Folge über Frauen in oberdeutschen Adelsfamilien auf, so das Haus Neuenburg in den Häusern Freiburg und später Hochberg.

Kenotaph der Grafen von Neuenburg in der städtischen Stiftskirche. Fotografie, 1995 (Heinz Dieter Finck).
Kenotaph der Grafen von Neuenburg in der städtischen Stiftskirche. Fotografie, 1995 (Heinz Dieter Finck). […]

Eine vom 13. Jahrhundert an zunehmende Vielfalt der Quellen erlaubt es, das adlige Selbstverständnis besser zu ergründen. Der erbliche Charakter des Adelsrangs wird von der Zeit um 1200 an auch in der Verbreitung des Begriffs Junker (für den noch nicht zum Ritter geschlagenen Sohn eines Adligen) fassbar. Der Adlige kennzeichnete sich vor allem durch seine Lebensführung (Besitz einer Burg, eines Turms, eines festen Hauses, eines Streitrosses); er unterhielt oft bevorzugte Beziehungen zu einem Kloster, als dessen Stifter er sich gerne darstellte, und er verlangte Steuerprivilegien für sich. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfolgte im Erbrecht der Wechsel von der Gesamthand zur Realteilung, was zu Verzweigungen und Mitherrschaften führte. Gleichzeitig festigte sich ein strukturiertes heraldisches System (einfarbige Wappenschilder, Beizeichen) mit erbweise weitergegebenen Wappen. Dagegen scheint der westschweizerische Adel kein spezifisches Erbrecht entwickelt zu haben. Die ältesten Rechtskodifizierungen aus dem 15. Jahrhundert zeigen den Adel als in die Ständeversammlung der Waadt (Etats de Vaud) integrierten Stand. Erst aus dieser Zeit stammen auch die ersten kaiserlichen oder fürstlichen Adelsbriefe. Obwohl Teil des Reichsadels, orientierte sich der Adel der Westschweiz in kultureller Hinsicht an Frankreich. Allerdings schweigen die erzählenden und literarischen Quellen mit wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel den Werken des ritterlichen Poeten Otto III. von Grandson, zu diesem Thema.

Italienische Schweiz

Die Informationen über den mittelalterlichen Adel in der italienischen Schweiz sind dürftig und lückenhaft. Die Quellen sind mit Vorsicht zu interpretieren, da ihre Terminologie dazu verleitet, manche Familien nicht zum Adel zu zählen, deren soziale Merkmale und Machtstellung im Spätmittelalter durchaus an eine höhere Stellung in früheren Zeiten denken lassen. Zahlreiche dieser Familien scheinen vom Frühmittelalter an im Tessin ansässig gewesen zu sein und eine erwiesene oder mutmassliche langobardische Abstammung zu haben. Aus Mendrisio, ursprünglich einer langobardischen Niederlassung, stammt die für adlig gehaltene Familie Torriani, von der sich der Zweig der Bosia abspaltete. Die politische und soziale Bedeutung der Torriani überstieg die anderer ländlicher Adelsgeschlechter (z.B. aus Coldrerio, Morbio, Novazzano und Melano) beträchtlich, von denen die meisten im 12. und 13. Jahrhundert von der Kommune Como gezwungen wurden, in der Stadt Wohnsitz zu nehmen. Auch andere bedeutende Familien in der Region Lugano waren den Torriani unterlegen. Wahrscheinlich langobardischen Ursprungs waren auch die Capitanei von Sessa im Malcantone, die einige Exponenten des mailändischen Adels zu den ihren zählten. Zum Adel comaskischer Herkunft gehörten einige in der Region Lugano ansässige Geschlechter, in erster Linie die Rusca (mit Zweigen in Bironico, Bedano, Magliaso, Bedigliora, Comano und Tesserete). Einige ihrer Vertreter wurden im 15. Jahrhundert Lehensträger der Herzöge von Mailand und erhielten den Grafentitel von Lugano und der Luganeser Täler. Auch die adligen Familien Quadrio und Canonica de Criviasca in der Capriasca hatten ihren Ursprung in Como.

Der am besten dokumentierte Adelsverband im Tessin ist derjenige der Capitanei di Locarno mit seiner bekannten Verwandtschaft (Orelli, Magoria, Rastelli, Duni und Muralto/von Muralt). Dieses wahrscheinlich auch von Langobarden abstammende Geschlecht aus Besozzo (Varese, I) setzte sich um 1000 im wichtigsten Ort am Langensee fest und verzweigte sich später an strategisch günstige Orte entlang der Route zum Lukmanierpass (Sementina, Gnosca, Biasca, Bleniotal). Im 13. Jahrhundert beteiligte sich mit Simone Orelli ein Vertreter des Locarneser Adels aktiv an den Kämpfen zwischen Mailand, Como und dem Reich um die Vorherrschaft im Tessin und half den Visconti von Mailand, die Macht zu erlangen. Im Bleniotal und in der Leventina gehörten die herrschenden Geschlechter wahrscheinlich dem lokalen Kleinadel an, zumindest scheinen sie ihre Ursprünge in das Frühmittelalter zurückgeführt zu haben. Die weit verzweigte Familie da Torre im Bleniotal spielte im 12. Jahrhundert eine wichtige Rolle im Kampf zwischen dem Reich und der Mailänder Kirche. In der Leventina und in der Riviera könnten Familien, die den Namen ihrer wichtigsten Residenz (Giornico, Lodrino) angenommen hatten, in kleinerem Rahmen ein vergleichbares politisches Gewicht gehabt haben.

Neuzeit

Während die frühe Neuzeit in den meisten Ländern Europas ein Zeitalter der Refeudalisierung war und der Adel dort in Politik, Gesellschaft und Kultur eine dominierende Rolle spielte, blieb sein Gewicht in der Schweiz marginal. Gleichwohl verschwand der Adel nach 1500 nicht ganz. In den Städteorten ging er allerdings meist im Patriziat auf, aus den Länderorten wanderte er oft aus. Er konnte sich vor allem bei den Zugewandten (Fürstbistum Basel, Fürstabtei St. Gallen, Drei Bünde), weniger auch in einigen Untertanengebieten (Aargau, Thurgau, Waadt) halten. Im Wallis gab es nach 1634 juristisch gesehen keinen Adel mehr. Im Fürstentum Neuenburg war der alte Adel ausgestorben, doch hatte sich als Ersatz ein oligarchischer Beamtenadel nach französischem Muster ausgebildet. Einige schweizerische Adelsfamilien erwarben Grundbesitz im angrenzenden Ausland und verlegten dann ihren Schwerpunkt dorthin (z.B. von Beroldingen, von Hallwyl, von Roll zu Bernau, von Wessenberg); innerhalb des Reichs wurden sie vielfach bei der Reichsritterschaft immatrikuliert. Der umgekehrte Fall, dass ausländische Adelsfamilien sich in der Schweiz niederliessen, blieb weit seltener (etwa die aus Norditalien zugewanderten von Thurn-Valsassina). Die Heiratskreise waren eng, daher schloss das Konnubium auch Adelsfamilien im angrenzenden Ausland (Schwaben, Elsass, Tirol) mit ein. Grundbesitz gehörte konstitutiv zum Adel, doch reichte das Einkommen aus den vergleichsweise kleinen Herrschaften selten zur standesgemässen Lebensführung und Versorgung aller Kinder aus. Im Wesentlichen bestanden drei Möglichkeiten zu Zusatzeinkommen: 1) fremde Dienste als Offizier, entsprechend dem adligen Lebensideal, 2) geistliche Pfründen in den Domkapiteln von Basel, Konstanz, Chur und Sitten, vereinzelt auch in Nebenstiften, 3) Ämter in der Zentral- (in den geistlichen Fürstentümern) und Lokalverwaltung (z.B. in der Waadt).

Anonyme Pariser Karikatur des städtischen Patriziats aus der Zeit der Französischen Revolution (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Anonyme Pariser Karikatur des städtischen Patriziats aus der Zeit der Französischen Revolution (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Die für die frühe Neuzeit typischen Rangerhöhungen finden sich auch bei schweizerischen Adelsfamilien. Sie beschränkten sich aber auf einfache Adelstitel oder blosse Wappenbriefe, häufig auch auf die Erhebung in den Freiherrenrang, wogegen ein Aufstieg zum landsässigen oder gar Reichsgrafen (z.B. von Salis-Zizers 1694, von Beroldingen 1800) selten war. Solche Standeserhöhungen kamen vor allem vom deutschen Kaiser, aber auch von anderen Monarchen (v.a. französischer König, Haus Savoyen, preussischer König für Neuenburg). Der Zudrang zu diesen Statussymbolen hielt sich gleichwohl in Grenzen, da sie in den alten Orten oft den Zugang zu wichtigen Ämtern verschlossen. Überhaupt waren diese fortlebenden Reste des schweizerischen Adels im Gegensatz zum Ausland alles andere als privilegiert, weder politisch, noch sozial, rechtlich oder fiskal. Die Helvetische Republik nivellierte den Adel radikal, und im 19. Jahrhundert teilte er das Schicksal der entmachteten Patrizier und Häupter. Nach einer teilweisen faktischen Wiederherstellung ständischer Vorrechte in der Restaurationszeit hoben zuerst die Verfassungen der Regenerationskantone und schliesslich die Bundesverfassung von 1848 in Artikel 4 alle früheren Vorrechte der Geburtsstände auf.

Quellen und Literatur

Allgemein
  • HbSG, 93-160
  • LexMA 1, 118-128
Mittelalter, Deutsche Schweiz
  • Sablonier, Adel
  • R. Sablonier, «Innerschweizer Gesellschaft im 14. Jh.», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 2, 1990, 14-38
  • E. Eugster, Adlige Territorialpolitik in der Ostschweiz, 1991
  • Alter Adel - neuer Adel?, hg. von P. Niederhäuser, 2003
Mittelalter, Französische Schweiz
  • Etudes sur la noblesse en Suisse romande et en Franche-Comté, 1950
  • GeschFR 1, 137-147, 159-164
  • Hist.JU, 70-85
  • D. Tappy, Les Etats de Vaud, 1988
  • Hist.NE 1, 197-200, 290-302
  • G. Castelnuovo, L'aristocrazia del Vaud fino alla conquista sabauda, 1990
  • G. Sergi, «Istituzioni politiche e società nel regno di Borgogna», in Il secolo di ferro 1, 1991, 205-242
  • G. Castelnuovo, Ufficiali e gentiluomini, 1994
  • J. Favrod, Histoire politique du royaume burgonde (443-534), 1997
  • B. Andenmatten, La maison de Savoie et la noblesse vaudoise (XIIIe-XIVe s.), 2005
Mittelalter, Italienische Schweiz
  • Meyer, Blenio
  • Schaefer, Sottocenere
  • G. Wielich, Das Locarnese im Altertum und MA, 1970
  • H. Keller, Adelsherrschaft und städt. Gesellschaft in Oberitalien, 1979
Neuzeit
  • M. de Preux, La noblesse valaisanne, [1985]
  • B. de Diesbach-Belleroche, Catalogue des familles nobles subsistantes de Suisse, 1991
  • M. Stubenvoll, «La noblesse vaudoise», in De l'ours à la cocarde, 1998, 311-323
Weblinks

Zitiervorschlag

Franziska Hälg-Steffen; Bernard Andenmatten; Giuseppe Chiesi; Peter Hersche: "Adel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.03.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016368/2011-03-01/, konsultiert am 19.03.2024.