Projekt des Ingenieurs Jean Samuel Guisan für eine Mühle in Payerne, 1796 (Musée cantonal d'archéologie et d'histoire, Lausanne; Fotografie Fibbi-Aeppli, Grandson).
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Autorin/Autor:
Mario König
Der Begriff des Ingenieurs entstammt dem Italienischen, fand von dorther Eingang in das Französische und gelangte aus beiden Sprachräumen um 1600 in die Eidgenossenschaft. Er bezeichnete zunächst einen vor allem kriegstechnisch versierten Fachmann für Befestigungen und Kriegsgeräte (Artillerie), von dem Kenntnisse der Mathematik, der Geometrie und Vermessungslehre erwartet wurden (Genietruppen). Im Ausbau der Stadtbefestigungen während und nach dem Dreissigjährigen Krieg fanden als Ingenieure bezeichnete Spezialisten des Festungsbaus in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erste Aufgaben in der Eidgenossenschaft (Befestigungen). Früh schon zeichnete sich ihre Verwendung auch für zivile Zwecke (z.B. Strassen- und Brückenbau) im Dienst der grösseren Städte ab (Ingenieurwesen).
Der moderne Beruf
Autorin/Autor:
Mario König
Erst im 19. Jahrhundert entstand der moderne Beruf des Ingenieurs, der sich von seinen staatlich-militärischen Anfängen löste und im Sog der Industrialisierung zu einem Schlüsselberuf der industriellen Gesellschaft wurde. Bildungswege und Laufbahnen formten sich in typischer Weise und gaben dem technischen Spezialisten sein an technisch-rationaler Schulung, Machbarkeit und Fortschrittsglauben orientiertes Bewusstsein.
Wiederum kamen wichtige Anstösse von aussen. Das revolutionäre Frankreich schuf mit der Ecole polytechnique 1794-1795 eine vorbildhafte Einrichtung, die aber weiterhin vor allem den staatlichen Bedarf bediente. Die Bildungsprojekte der Helvetik und der Mediation orientierten sich zum Teil daran, blieben aber mit Ausnahme des 1806-1817 betriebenen Philotechnischen Instituts von Christoph Bernoulli in der Planung stecken. Ab den 1820er Jahren folgten weitere Gründungen polytechnischer Fachschulen in Frankreich und Deutschland (1825 Karlsruhe), welche von 1830 an auch der Diskussion in der Eidgenossenschaft Impulse gaben. Mit der Gründung von Industrieschulen in Zürich, Bern, Aarau, St. Gallen bzw. mit der Ecole spéciale (Vorgängerin der ETH Lausanne) 1853 in Lausanne entstand der Grundstock einer höheren technischen Bildung. Schon 1837 organisierten sich Fachkreise im Verein schweizerischer Architekten und Ingenieure (Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein, SIA), wobei der Begriff des Ingenieurs gemäss alter Tradition vor allem Fachleute des Bauwesens bezeichnete. Immerhin nahm der SIA von Anfang an auch Maschinenbauer und Mechaniker auf.
Ab 1855 systematisierte die Eidgenössische Polytechnische Schule in Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule, ETH) die Ausbildung. In einem fliessenden Übergang fand der ältere Begriff des Ingenieurs nun auch Anwendung auf die neue Berufsgruppe akademisch gebildeter Techniker, die rasch in leitende Positionen der Industrie vorrückten und im Eisenbahnbau sowie bei Flusskorrektionen eine zentrale Rolle spielten. Von 1866 an bildete die Mechanisch-technische Schule des Polytechnikums explizit «Maschineningenieure» statt «Mechaniker» aus. Somit war die sprachliche Abgrenzung zu den ab 1874 entstehenden technischen Fachschulen gegeben, die sich von Anfang an am industriellen Bedarf orientierten und für die sich später die Bezeichnung der Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) einbürgerte (Technikum). Ab den 1990er Jahren wurden diese Lehranstalten zu Fachhochschulen (FH) aufgewertet.
Der Beruf des Ingenieurs in der Schweiz lehnte sich ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Zweiteilung in Hochschul- und Fachschulabsolventen – bei etwas geringerer Betonung der berufsständischen Unterschiede – stark an das deutsche Modell an. Die Begriffe Techniker und Ingenieur wurden in der Schweiz noch lange Zeit mit geringer Trennschärfe gehandhabt. Berufserfahrene Techniker erhielten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bisweilen den Ingenieurtitel, um ihren Rang kenntlich zu machen. Die Begegnung mit der titelbewussten deutschen Grossindustrie förderte solche Tendenzen. Mit der deutlicheren Akademisierung der ETH-Ausbildung vor dem Ersten Weltkrieg und den Arbeitsmarktproblemen der Zwischenkriegszeit gewann die Titelfrage temporär an Bedeutung und sorgte für schärfere Abgrenzungen innerhalb der Berufsgruppe. Im Unterschied zu Deutschland unterblieb aber bis in die 1990er Jahre das am akademischen Vorbild orientierte permanente Aufwertungsbestreben bestehender Schulen; das höhere technische Bildungswesen der Schweiz erwies sich als sehr stabil, was der Herausbildung festgefügter Berufe förderlich war. 1951 schufen die Berufsverbände ein Register, welches die Frage der Titel und Berechtigungen klärte. Mit dem Bundesgesetz für die Berufsbildung von 1978 zog der Staat nach, indem er die Titel «Dipl. Ing. ETH» und «Dipl. Ing. HTL» schützte, wobei Letzterer ab den 1990er Jahren durch den «Dipl. Ing. FH» ersetzt wurde.
Vom ausgehenden 19. Jahrhundert an war der Beruf des Ingenieurs primär ein Angestelltenberuf (Angestellte). Nach unten hin grenzte er sich gegen technische Zeichner und Gehilfen ab, die ihre Qualifikation über eine Berufslehre erwarben. Techniker und Zeichner organisierten sich stets getrennt; es kam im Unterschied zu Deutschland über Ansätze hinaus nie zur Herausbildung einer gewerkschaftlichen Organisation unterer technischer Angestellter. Nach oben hin waren die Übergänge fliessend. Chancen zur Selbstständigkeit bestanden vor allem in der Baubranche; für Ingenieure der ETH waren sie etwas grösser als für diejenigen der HTL. Die Aufstiegschancen waren langfristig gut, wenn auch wirtschaftliche Stagnationsphasen für Einbrüche sorgten. Einzelne Ingenieure schafften stets den Aufstieg ins industrielle Management und unternehmerische Bürgertum. Die Mehrheit rückte bis in mittlere Kaderpositionen auf. Die Stellung als Vorgesetzter prägte das berufliche Bewusstsein ebenso wie die mehrjährige wissenschaftlich-systematische Ausbildung.
Berufsstatistik
Autorin/Autor:
Mario König
Erst ab 1930 liefern die Volkszählungen Daten über die Zahl der Ingenieure; für das 19. und das frühe 20. Jahrhundert ist man auf Schätzungen angewiesen. Das zahlenmässige Wachstum der Berufsgruppe lag weit über dem Durchschnitt der Beschäftigten. Im internationalen Vergleich wies die Schweiz um 1990 eine hohe Ingenieurdichte auf (ca. 2% der Erwerbstätigen).
Über 80% der ETH-Ingenieure und über 90% der HTL-Ingenieure waren als Angestellte tätig. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts war die Mehrheit in der Metall-, Maschinen- und Elektroindustrie beschäftigt. Ab den 1970er Jahren gewannen neue Fachrichtungen rasch an Bedeutung. Heute ist das Spektrum überaus breit und umfasst neben den erwähnten Richtungen auch Vermessungs-, Informatik-, Agrar-, Forst-, Lebensmittel-, Textil- und Mikrotechnikingenieure. Der starke Abbau industrieller Arbeitskräfte betrifft auch viele Ingenieure. Lange überwogen die Maschineningenieure die Ingenieure aus andere Sparten; 2000 stellten die Informatikingenieure zahlenmässig die grösste Gruppe. Die Frauen spielen nach wie vor nur eine verschwindend geringe Rolle in diesen Berufen, ihre Zahl blieb an den HTL bzw. den FH noch geringer als an der ETH.
Berufliche Organisation
Autorin/Autor:
Mario König
Neben dem SIA organisierten sich Absolventen des Polytechnikums in der Gesellschaft ehemaliger Studierender des Polytechnikums, die nach einem Pariser Vorbild 1869 entstand. Sie förderte kollegiale Kontakte, unterhielt ein Adressenverzeichnis, vermittelte Stellen und betrieb, gemeinsam mit dem SIA, ein Publikationsorgan (Schweizerische Bauzeitung, ab 1883). Ihren Anspruch als professionelle Interessenvertretung konnte sie bereits mit der Einflussnahme auf die Reform des Polytechnikums 1880 durchsetzen; die Ingenieure verfügten von da an über eine Vertretung im Schulrat. Diesem Vorbild folgten die Absolventen der Technika, indem sie sich seit 1884 in Ehemaligenvereinen organisierten, 1904 die Schweizerische Technikerzeitung und 1905 den Schweizerischen Technikerverband (STV; heute Swiss Engineering / Schweizerischer Technischer Verband) gründeten. Auch den Fachschultechnikern gelang ab 1908 die Einflussnahme auf ihre Herkunftsschulen. 1912 wurde die Association suisse des ingénieurs-conseils (heute Schweizerische Vereinigung beratender Ingenieurunternehmen), 1987 der Verband Engineers shape our future (Ingenieure für die Schweiz von morgen) und 1992 die Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen ins Leben gerufen.
Neben der berufsständischen und professionalistischen Interessenvertretung der Verbände, welche vor allem die Begrenzung des Zutritts zum Beruf erstrebte, erlangten sozialpolitische Tendenzen kaum Bedeutung. Nur während des Ersten Weltkriegs bis in die frühen 1920er Jahre etablierte sich mit dem Bund technischer Angestellter eine gewerkschaftliche Konkurrenzorganisation, die neben Zeichnern und Technikern auch eine gewisse Anzahl von Hochschulingenieuren organisierte. Jüngere Versuche der Gewerkschaften, sich als Industrieverbände Gruppen technischer Angestellter anzugliedern, verzeichneten geringen Erfolg. Auch die traditionellen berufspolitischen Interessenvertretungen kämpfen zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit stagnierenden Mitgliederzahlen. Der einstmals hohe, um 50% betragende Organisationsgrad des STV ist markant zurückgegangen. Die Mehrheit der Berufsleute vertraut auf die eigene Kraft, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Die Möglichkeiten dazu standen seit dem Zweiten Weltkrieg zu keiner Zeit schlecht.