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Unternehmerverbände

Bundespräsident Pascal Couchepin während einer Rede an der Feier zum 100-Jahr-Jubiläum des Schweizerischen Arbeitgeberverbands am 7. November 2008 im Stade de Suisse in Bern © KEYSTONE / Peter Klaunzer.
Bundespräsident Pascal Couchepin während einer Rede an der Feier zum 100-Jahr-Jubiläum des Schweizerischen Arbeitgeberverbands am 7. November 2008 im Stade de Suisse in Bern © KEYSTONE / Peter Klaunzer.

In Unternehmerverbänden schliessen sich Unternehmen zusammen, um ihre Interessen untereinander abzustimmen, diese nach aussen zu vertreten sowie Dienstleistungen für ihre Mitglieder bereitzustellen. Mit der Verbreitung neokorporatistischer Strukturen wuchs zudem ihre Bedeutung bei der Ausarbeitung und Einführung von wirtschafts- und sozialpolitischen Massnahmen. Organisiert sind die Unternehmerverbände entweder territorial nach Gemeinde, Kanton, Region und Bund oder fachlich nach produzierten Gütern. Die Unterscheidung zwischen Industrie und Gewerbe bleibt dabei zweitrangig, weil sich die Strukturen in einem Wirtschaftszweig ändern können. So erfasste zwar der Schweizerische Handels- und Industrieverein (SHIV) vorwiegend grössere Industrie- und Dienstleistungsunternehmen; dem Schweizerischen Gewerbeverband gehörten neben Kleinmeistern aber auch mittlere Unternehmen an. Einige Fachverbände schlossen sich beiden Dachverbänden an, so der Schweizerische Baumeisterverband, der Schweizer Brauereiverband oder der Schweizerische Hotelier-Verein. Der Schweizerische Arbeitgeberverband organisierte von Anfang an gewerbliche und industrielle Firmen.

Nach ihren Funktionen lassen sich die Unternehmerverbände in drei Gruppen gliedern. Eine erste Gruppe bilden die Fachverbände und ihre Dachorganisation, der SHIV, die sich fachlichen sowie wirtschafts- und fiskalpolitischen Fragen widmen. Die Fachverbände beschränken sich auf einen Wirtschaftszweig oder einen Teil davon und sind stark differenziert mit präzis umschriebenen Domänen, was die Integration erleichtert. Es gibt allerdings auch umfassende wie den Verband Swissmem. Zu einer zweiten Gruppe gehören Arbeitgeberverbände, die sich auf Branchenebene mit den Arbeitsbedingungen (u.a. Lohn, Arbeitszeit), auf politischer Ebene mit Arbeitsrecht und Sozialpolitik befassen. Sie wirken als Gegenpart der Gewerkschaften, indem sie im Konfliktfall Ressourcen der Arbeitgeber bündeln (u.a. schwarze Listen, Streikversicherung) oder als Vertragspartner Gesamtarbeitsverträge abschliessen. Eine dritte Gruppe bilden meist lokale oder regionale branchenübergreifende Kammern, die zum Teil parastaatliche Funktionen ausüben. In der Schweiz entstanden solche Körperschaften in der frühen Neuzeit. Sie kannten gelegentlich in ihrem Bereich einen Organisationszwang, verschwanden aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend. Bei den heutigen Handelskammern handelt es sich nicht um eigentliche Kammern, sondern um kantonale oder regionale Handels- und Industrievereine bzw. deren Leitungsorgane, die sich den Namen um die Wende zum 20. Jahrhundert vor allem zur Ausstellung von Ursprungszeugnissen zulegten. Eine gewichtige Ausnahme bildete bis 1948 die von den Uhrenkantonen geprägte Chambre suisse de l'horlogerie et des industries annexes (Uhrenkammer), die 1900 aus der 1876 gegründeten Société intercantonale des industries du Jura hervorging.

Die ständischen Unternehmervertretungen

In der alten Eidgenossenschaft organisierten sich Unternehmer auf anderer Grundlage als heute, da die Sphären von Wirtschaft, Politik, Kirche und Privatleben noch nicht klar geschieden waren. Gewisse Funktionen nahmen aber ständische Organisationen wie Zünfte voraus. In diesen gewannen neben Handwerksmeistern zum Teil Grosskaufleute erhebliches Gewicht. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden – nicht zuletzt wegen des französischen Merkantilismus (vor allem Zoll) – kaufmännische Selbstverwaltungsorgane mit unterschiedlichen Verflechtung mit staatlichen Organen, die dem Typ der Kammern entsprachen: 1662 Kaufmännisches Direktorium Zürich, 1682 Kaufmännisches Direktorium Basel, 1675 Kaufmännisches Direktorium St. Gallen, 1687 Kommerzienrat Bern und 1697 Chambre de commerce Genf. Neben der Interessenvertretung übernahmen sie wichtige Aufgaben für den Handel wie zum Teil das Postwesen und die Verwaltung der Kaufhäuser. Zudem konnten sie Bereiche wie das Wechselgeschäft, den Markt oder das Konkurswesen regulieren, einheitliche Handelsordnungen erlassen oder die Interessen der Textilindustrie gegenüber der Webernzunft vertreten.

Die Helvetische Republik bereitete im Geiste der französischen Loi Le Chapelier ständischen Interessenvertretungen fast überall ein vorläufiges Ende. Nach ihrem Zusammenbruch lebten die Körperschaften – allerdings erheblich geschwächt – zum Teil wieder auf, bis die liberalen Regimes sie in den Kantonen endgültig aufhoben. Gewichtigste Ausnahmen bildeten das Kaufmännische Direktorium St. Gallen bzw. dessen Trägerschaft, die Kaufmännische Korporation, sowie wegen des verspäteten Übergangs zur modernen Staatsorganisation das dem Kleinen Rat angegliederte Handelskollegium in Basel.

Anfänge der modernen Verbände

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden – zunächst lokal – moderne Unternehmerverbände. Zur Kaufmännischen Korporation St. Gallen gesellten sich unter anderem 1855 der Börsenverein Zürich, 1859 die Société industrielle et commerciale du canton de Vaud, 1860 der Bernische Verein für Handel und Industrie und 1865 die Association commerciale et industrielle genevoise. Anlass für verschiedene Gründungen boten nicht zuletzt Probleme mit dem Eisenbahntransport. Bereits 1870 entstand mit dem von exportwirtschaftlichen Kreisen initiierten SHIV der während Jahrzehnten wichtigste schweizerische Verband. Anfänglich stützte sich dieser vor allem auf branchenübergreifende regionale Verbände, deren bedeutendste abwechselnd den Vorort stellten (daher die verbreitete Bezeichnung Vorort für den SHIV). Er etablierte sich rasch als wichtigster Gesprächspartner der Bundesverwaltung für die Wirtschaftspolitik und anfänglich auch für die Sozialpolitik. Für Erhebungen und Expertisen erhielt das ständige Sekretariat in Zürich ab 1882/1883 Bundessubventionen. Dieses Modell der Zusammenarbeit zwischen Staat und Privaten wurde später auf andere Verbände ausgedehnt.

Nach 1880 gewannen die Fachverbände gegenüber den regionalen Verbänden an Gewicht. Einige waren schon älter, etwa der Schweizerische Buchdruckerverein von 1869 oder der Verein schweizerischer Baumwollspinner von 1874. Die meisten wichtigen entstanden aber in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, so 1882 der Verband der schweizerischen Leinenindustrie, der Verband der schweizerischen Wollindustriellen und die Schweizerische Gesellschaft für Chemische Industrie (SGCI), 1883 der Verein schweizerischer Seidenzwirner und der Verein Schweizerischer Maschinen-Industrieller (VSM, seit 2007 Swissmem), 1887 der Verband schweizerischer Schuhindustrieller und 1897 der Baumeisterverband. Sie schlossen sich mehrheitlich – der VSM als bedeutendster 1884 – dem SHIV an, sodass dieser mit dem 1893 erfolgten Anschluss der SGCI die wichtigsten Industriezweige vertrat. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte die Selbstregulierung der Branche.

Nach der breiten Streikwelle um die Wende zum 20. Jahrhundert begannen sich Fachverbände vorab im Gewerbe mit Fragen zur Bewältigung kollektiver Arbeitskonflikte zu beschäftigen. Als Vorbild diente der Baumeisterverband, der mit der Reorganisation 1905 ein Schwergewicht auf Arbeitnehmerfragen legte. In der Exportindustrie dagegen entstanden spezielle Organisationen. Der VSM als Pionier lagerte die Pflege der industriellen Beziehungen 1905 in den neuen Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinen- & Metallindustrieller (ASM) aus, der weitgehend die gleiche Mitgliedschaft vertrat. Anfang 1908 schlossen sich die bestehenden Arbeitgeberverbände sowie die gewerblichen Fachverbände mit ausgebauter Arbeitgeberfunktion zum Zentralverband schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen (ab 1996 Schweizerischer Arbeitgeberverband, SAGV) zusammen.

Neokorporatistische Strukturen

Das System der Unternehmerverbände stand in den wesentlichen Zügen bereits vor dem Ersten Weltkrieg fest. In der Folge wurden Lücken ausgefüllt, so in der Uhrenindustrie, in der die staatsnahe Uhrenkammer zwar seit 1879 dem SHIV angehörte, ein unabhängiger Unternehmerverband, die Fédération suisse des associations de fabricants d'horlogerie (FH), aber erst 1924 als Folge der Wirtschaftskrise entstand und sich zunächst vor allem mit Mindestpreisen und Normen befasste. Der Arbeitgeberverband, die Convention patronale de l'industrie horlogère suisse, bildete sich 1937 im Rahmen der Uhrenkammer und erlangte erst 1971 juristische Selbstständigkeit. Der wachsenden Bedeutung der pharmazeutischen Produktion trug die 1933 gegründete Interpharma Rechnung. Gefördert von SHIV und SAGV widmete sich seit 1942 die Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (WF) der Information und Propaganda.

In der Zwischenkriegszeit wurde vor allem der SHIV immer stärker in die Wirtschaftspolitik des Bundes einbezogen. Er wirkte in den ausserparlamentarischen Kommissionen entscheidend mit und baute vor allem seine Beziehungen zur Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements stark aus, sodass der SHIV-Direktor gelegentlich als achter Bundesrat bezeichnet wurde. Die Arbeitgeberverbände, vor allem die gewerblichen, aber auch der ASM und der 1906 gegründete Verband der Arbeitgeber der Textilindustrie (VATI), konnten sich nach dem Landesstreik nicht mehr mit der Abwehr gewerkschaftlicher Aktivitäten begnügen, sondern traten zunehmend in substantielle Verhandlungen ein. Vorerst schlossen aber nur die gewerblichen Verbände Gesamtarbeitsverträge ab. Diejenigen der Exportindustrie folgten erst nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei der seit 1909 bestehende Verband Basler Chemischer Industrieller 1945 den Anfang machte. Die Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung (BV) legten 1947 fest, dass die zuständigen Organisationen der Wirtschaft, also auch die Unternehmerverbände, vor dem Erlass von Gesetzen anzuhören sind und beim Vollzug herangezogen werden können.

Nachlassende Integrationsfähigkeit und Restrukturierung

Im Gefolge der Krise der 1970er Jahre begann die Integrationsfähigkeit der Unternehmerverbände nachzulassen. Dieser Prozess beschleunigte sich mit steigender Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft seit den späten 1980er Jahren. Einerseits wurden Rahmenbedingungen vermehrt in internationalen Übereinkommen – nicht selten multilateral – festgelegt, so dass das traditionelle Lobbying der Unternehmerverbände an Bedeutung verlor. Andererseits glaubten grosse multinationale Unternehmungen, ihre Anliegen mit weniger Verbandspolitik durchsetzen zu können. Gewisse Funktionen wie die Marktregulierung fielen ohnehin weitgehend der Liberalisierung zum Opfer. Zudem waren die Unternehmerverbände in zahlreichen Wachstumsbereichen schwach vertreten. Die wichtigste Anlaufstelle des SHIV, die Handelsabteilung bzw. das Bundesamt für Aussenwirtschaft, ging 1999 im Seco auf.

Die Unternehmerverbände reagierten auf die neue Herausforderung mit zum Teil tiefgreifenden Umstrukturierungen. Den Anfang machte 1982 die durch die Uhrenkrise hart getroffene FH, indem sie mit der seit 1948 auf privater Basis operierenden Uhrenkammer fusionierte. Die traditionell zersplitterte Textilindustrie fand in zwei Schritten – 1990 schlossen sich mehrere Fachverbände zum Gemeinschaftsverband Textil zusammen, der seinerseits 1992 mit dem VATI zum Textilverband Schweiz fusionierte – endlich eine einheitliche Organisation, der sich 1998 auch Swissfashion, der Verband der Bekleidungsindustrie, anschloss. Einen anderen Weg, die Halbierung des Budgets, wählte 1999 die Schweizerische Gesellschaft für chemische Industrie. VSM und ASM schlossen sich ebenfalls 1999 zu Swissmem zusammen. 2000 folgten die Dachverbände SHIV und WF, indem sie gemeinsam den neuen Dachverband economiesuisse bildeten. In diesem gewannen die Grosskonzerne, nicht zuletzt dank der Verstärkung durch die zuvor nur bei der WF organisierten Grossbanken, bedeutend an Gewicht. Letztere nahmen schon in den 1990er Jahren mit beratender Stimme an den Verhandlungen des SHIV-Vorstands teil und halfen nun, die neoliberale Ausrichtung (Neoliberalismus) zu festigen, was 2006/2007 zu einer schweren Krise mit der vorübergehenden Gefahr des Austritts von Baumeisterverband und Swissmem führte.

Quellen und Literatur

  • B. Hotz, Politik zwischen Staat und Wirtschaft, 1979
  • B.R. Zimmermann, Verbands- und Wirtschaftspolitik am Übergang zum Staatsinterventionismus, 1980
  • H. Schmid, Wirtschaft, Staat und Macht, 1983
  • B. Hauser, Wirtschaftsverbände im frühen schweiz. Bundesstaat, 1985
  • Wirtschaftsverbände in der Schweiz, hg. von P. Farago, H. Kriesi, 1986
  • Liberté économique et responsabilité sociale, hg. von J.-F. Cavin, 2004
  • H. Kriesi, «Institutional filters and path dependency», in Governing Interests, hg. von W. Streeck et al., 2006, 49-67
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Unternehmerverbände", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.03.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016459/2016-03-24/, konsultiert am 18.04.2024.