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Schweizerischer Gewerbeverband (SGV)

1879 bzw. formell 1880 als Gewerbeverein gegründet, nennt sich die Dachorganisation der gewerblichen Meister und Kleinunternehmer seit der Statutenrevision von 1916 SGV. Seit den späten 1990er Jahren führt er den Zusatz Dachorganisation der kleinen und mittleren Unternehmen KMU. Eine Umbenennung in KMU Schweiz dagegen lehnten die Mitglieder 2004 ab.

Das Kleingewerbe, vorab Handwerk und Kleinhandel in den Städten, verfügte seit dem Mittelalter in den Zünften über einflussreiche Verbindungen. Die Helvetische Republik versuchte nach dem Vorbild der französischen Konstituante (Loi Le Chapelier von 1791) intermediäre Organisationen zwischen dem Einzelinteresse des Bürgers und dem im Staat repräsentierten Allgemeininteresse, vor allem die Vertretung von Standes- und Berufsinteressen, auszuschalten. Dies gelang nur unvollständig. Die 1803 in einigen Kantonen wieder zugelassenen Zünfte erlangten im frühen 19. Jahrhundert aber nur mehr einen Bruchteil ihrer einstigen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung, und ausser in Basel mussten sie sich seit der Regeneration mit geselligen und sozialen Aufgaben begnügen. Nach dem liberalen Umschwung von 1830 organisierte sich das Gewerbe auf der Basis des liberalen Vereinsrechts neu (Vereine). Lokale Handwerks- und Gewerbevereine entstanden ab den 1830er (1833 Oberuzwil und Winterthur, 1835 St. Gallen, 1839 Bern und Zürich) und dann vor allem ab den 1840er Jahren. Als erster nationaler Berufsverein konstituierte sich 1843 der Schweizerische Apothekerverein. Frühe Versuche zur Gründung einer nationalen Dachorganisation 1843 in Zofingen und 1847 in Aarau scheiterten. Der erste nationale Gewerbeverein im Bundesstaat wurde bereits 1849 in Zürich gegründet, blieb aber unbedeutend und erlosch 1864. Ein zweiter, 1869 in Zürich ins Leben gerufene Verein richtete im folgenden Jahr eine Petition an den Bundesrat und verschwand dann ebenfalls wieder. Anlässlich der Gewerbeausstellung in Luzern beschlossen Vertreter von 16 lokalen Gewerbevereinen im November 1879 die Gründung einer Dachorganisation, die im April 1880 in Winterthur formell erfolgte. Schon damals erwies sich die Berufsbildung als Kernaufgabe des SGV.

Präsidenten des SGV

PräsidentAmtsdaten
Louis Troxler1879
Friedrich Autenheimer1880-1882
Theodor Hoffmann-Merian1882-1884
Friedrich Wüest1884-1885
Johannes Stössel1885-1897
Jakob Scheidegger1897-1915
Hans Tschumi1915-1930
August Schirmer1930-1941
Paul Gysler1941-1951
Ulrich Meyer1951-1968
Karl Hackhofer1968-1973
Rudolf Etter1973-1982
Markus Kündig1982-1991
Hans-Rudolf Früh1991-2004
Eduard Engelberger2004-2010
Bruno Zuppiger2010-2011
Jean-François Rime2012-2020
Fabio Regazzi2020-
Präsidenten des SGV -  Das Gewerbe in der Schweiz, 1979; Schweizerischer Gewerbeverband; Angaben Bernard Degen

Obwohl der SGV zunächst ein schwaches Gebilde blieb und wie andere nationale Vereine von einer Vorortssektion geleitet wurde, sicherte ihm der Bundesrat bereits Ende 1884 Subventionen für ein ständiges Sekretariat nach dem Vorbild des Schweizerischen Handels- und Industrievereins zu. Im folgenden Jahr führte er die nötigen Statutenrevisionen durch, sodass Anfang 1886 in Zürich das Gewerbesekretariat eröffnet werden konnte. Die zu Beginn starke Abhängigkeit des SGV vom Bund zeigt noch die Rechnung von 1913, gemäss der von gut 100'000 Fr. Totalausgaben 75'000 Fr. aus der Bundeskasse kamen. Im Gegenzug lieferte das Gewerbesekretariat den Behörden Erhebungen und Expertisen. 1897 wurde es wegen der vielfältigen Kontakte zur Bundesverwaltung samt Vorort nach Bern transferiert. Anfänglich blieb der SGV eine Dachorganisation von lokalen und regionalen Vereinen. Erst ab 1910 konnten Berufs- und Branchenverbände beitreten. Diese hatten vor allem ab den späten 1880er Jahren massiven Zuwachs erhalten, nicht zuletzt auch wegen der vielen Streiks. Während des Ersten Weltkriegs gewannen sie zunehmend an Gewicht, weshalb die Statutenrevision von 1917 ihre Stellung stärkte. Weil sie über mehr Mitglieder und eigene Sekretariate verfügten, dominierten sie den SGV bald.

Gründung der gewerblichen Berufs- und Branchenverbände
Gründung der gewerblichen Berufs- und Branchenverbände […]

Zu den wichtigsten Berufs- und Branchenverbänden zählten der Schweizerische Bierbrauerverein (gegründet 1877, seit 2005 Schweizer Brauerei-Verband), der Verein Schweizer Gastwirte (1882, ab 1891 Schweizerischer Hotelierverein, seit 2002 Hotelleriesuisse), der Verband schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (1887), der Schweizerische Spenglermeister- und Installateur-Verband (1891, seit 2002 Suissetec), der Schweizerische Wirteverband (1891, seit 1996 Gastrosuisse), der Schweizerische Baumeisterverband (1897), der Schweizerische Verband der Lebensmittel-Detaillisten (1900, seit 1948 auch unter dem Kürzel Veledes bekannt), der Schweizerische Detaillistenverband (1909), der Autogewerbe-Verband der Schweiz (1927), die Schweizerische Metallunion (1972) und der Schweizerische Nutzfahrzeugverband (1979, Automobilverbände). Lokale und regionale Organisationen hatten sich nach der Statutenänderung von 1923 in kantonalen zusammenzuschliessen. Als dritte Gruppe erfasste der SGV gewerbliche Selbsthilfeorganisationen, wozu lange oder noch immer Bürgschaftsgenossenschaften, die Artisana-Krankenversicherung (1952), das Schweizer Buchzentrum, die Galenica oder die Usego gehörten. Schliesslich schlossen sich Organisationen zur Gewerbeförderung wie die Allgemeine Gewerbeschule Basel (1886) oder Kunstgewerbeschule und Kunstgewerbemuseum Zürich (1878) an. 2012 vertrat der SGV gemäss eigenen Angaben 250 Verbände mit etwa 300'000 KMU. Darin sind allerdings Mehrfachzählungen enthalten, da ein Gewerbebetrieb in der Regel sowohl einem kantonalen als auch einem Branchenverband angehört.

Eine gewerbliche Presse existierte schon vor der Gründung des SGV, weshalb dieser vorerst auf eine eigene Zeitung verzichtete und einigen bestehenden den Untertitel «Organ des SGV» verlieh. Dieser Zustand befriedigte immer weniger, sodass die Delegiertenversammlung 1905 beschloss, ein eigenes Organ zu schaffen. Dies geschah durch den Kauf der ab 1884 unter verschiedenen Namen erscheinenden «Schweizerischen Gewerbe-Zeitung», die seit 1906 als offizielles Organ dient. Die Auflage hielt sich aber trotz der hohen Zahl angeschlossener KMU in bescheidenem Rahmen. Deshalb versuchte der SGV 2010, mit einer Neugestaltung des Blatts eine Grossauflage zu erreichen.

Neben der Berufsbildung gehörten anfänglich vor allem Zölle und Handelsverträge (gemässigte Schutzzölle) sowie das Submissionswesen zu den zentralen Themen. Um die Jahrhundertwende kamen Streiks und unter dem Einfluss der sich organisierenden Detaillisten Bemühungen um Einschränkung der Konsumvereine und Warenhäuser dazu. Ebenfalls noch vor dem Ersten Weltkrieg entbrannten Diskussionen um die Gewerbegesetzgebung (Gewerbepolitik). Im Spannungsfeld von Staatsintervention und Selbsthilfe operierte man pragmatisch. In der Weltwirtschaftskrise setzte der SGV stark auf den Staat (Etatismus), wobei es auf Bundesebene vorab um Schutzklauseln ging (1933 Filial- und Warenhausbeschluss, 1934 Schuhmacherbeschluss). An den allgemeinen schweizerischen Gewerbetagen 1938 in Bern, Zürich, Luzern, Olten, St. Gallen und Chur forderten etwa 25'000 Mitglieder mit einer Resolution, für bestimmte Branchen Bedürfnisklauseln bei der Eröffnung neuer Betriebe einzuführen, Massnahmen zur Arbeitsbeschaffung und zum Schutz des Mittelstands zu treffen sowie bestehende Zugangsbeschränkungen für gefährdete Gewerbe zu verlängern oder auszuweiten. Vorübergehende Diskussionen einer berufsständischen Ordnung in den frühen 1930er Jahren schlugen sich im sogenannten St. Galler Entwurf von 1933 nieder (Korporativismus). Nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem aber nach dem Scheitern der Vorlage über den obligatorischen Fähigkeitsausweis 1954, entfernte sich der SGV zunehmend vom Etatismus und propagierte die Selbsthilfe. In den späten 1960er und 1970er Jahren führte er in zahlreichen Referendumskämpfen die Gegnerschaft von bundesstaatlichen Interventionen an. Der Versuch, sich wieder mehr auf direkte Anliegen des Gewerbes zu konzentrieren, führte in den 1980er Jahren in eine Krise mit zwei Direktorenwechseln. Zudem untergrub der Neoliberalismus mit dem Abbau der Marktregulierung und der Ausdehnung des Freihandels die politische Stellung des Gewerbes. Nach 2000 geriet der SGV, der lange in allen bürgerlichen Parteien gleichmässig verankert gewesen war, zunehmend ins Fahrwasser der Schweizerischen Volkspartei.

Quellen und Literatur

  • H. Tschumi, Der schweizerische Gewerbeverband, 1879-1929, 1929
  • A. Gutersohn, J. Weibel, Das Gewerbe in der schweiz. Wirtschaftspolitik, 1954
  • M. Trossmann, «Der Schweizerische Gewerbeverband 1879-1979», in Das Gewerbe in der Schweiz, 1979, 5-58
  • K. Angst, Von der "alten" zur "neuen" Gewerbepolitik, 1992
  • 125 Jahre Schweizerischer Gewerbeverband, 2004
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Schweizerischer Gewerbeverband (SGV)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.01.2022. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016466/2022-01-24/, konsultiert am 18.01.2025.