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Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB)

Dreisprachiger Aufruf zu dem vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund unterstützten ersten nationalen Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991, Plakat gestaltet von Mario Comensoli (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Dreisprachiger Aufruf zu dem vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund unterstützten ersten nationalen Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991, Plakat gestaltet von Mario Comensoli (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) ist die grösste und politisch bedeutendste Dachorganisation schweizerischer Arbeitnehmerverbände. Im November 1880 beschloss der Kongress des sogenannten Alten Schweizerischen Arbeiterbunds in Olten die Selbstauflösung und die Bildung einer reinen Gewerkschaftsorganisation. Aktiv wurde der SGB aber erst nach Genehmigung der Statuten und der Wahl des Vororts im April 1881. Weil die beschränkten Mittel vieler lokaler Gewerkschaften die Mitgliedschaft in drei übergeordneten Organisationen nicht zuliessen, stand der SGB in Konkurrenz sowohl zu den Zentralverbänden (Berufs- oder Industriegewerkschaften) als auch zu den Arbeiterunionen. Eine wesentliche Stärkung brachte 1891 die Eingliederung der Allgemeinen schweizerischen Arbeiterreservekasse, eines Streikfonds. Das innere Erstarken der Zentralverbände, die überdies zunehmend dem SGB beitraten, verschärfte die Kompetenzkonflikte. Diese Streitigkeiten und die Auseinandersetzungen um die Strategie, mit der der SGB auf die Konkurrenz durch die aufkommenden christlichen Gewerkschaften reagieren sollte, bewirkten 1900-1908 eine ständige Diskussion der Statuten. Zuerst ging es um die weltanschauliche Neutralität, die 1906 mit dem Bekenntnis zur Klassenkampf-Theorie aufgegeben wurde. Dann erfolgte die entscheidende Gewichtsverlagerung zu den Zentralverbänden, die 1906 die Funktionen der Reservekasse übernahmen und über den 1908 geschaffenen Gewerkschaftsausschuss, ein von ihren Funktionären dominiertes Parlament, den SGB kontrollierten. Dieser blieb als Dachverband organisatorisch und finanziell schwächer und hat keinen direkten Zugriff auf Einzelmitglieder. Ohne Unterstützung durch die Zentralverbände ist er seither handlungsunfähig. Den Bedeutungsverlust in der Gestaltung der industriellen Beziehungen konnte der SGB auf politischer Ebene kompensieren.

Präsidenten und Präsidentinnen des SGB

PräsidentAmtsdaten
Ludwig Witt1884-1886
Johann Kappes1886
Ludwig Witt1886-1888
Albert Spiess1888
Georg Preiss1888-1890
Rudolf Morf1890-1891
Conrad Conzett1891-1893
Eduard Hungerbühler1893-1894
Eduard Keel1894-1896
Lienhard Boksberger1896-1898
Alois Kessler1898-1900
Heinrich Schnetzler1900-1902
Niklaus Bill1902-1903
Karl Zingg1903-1908
Emile Ryser1909-1912
Oskar Schneeberger1912-1934
Robert Bratschi1934-1953
Arthur Steiner1954-1958
Hermann Leuenberger1958-1968
Ernst Wüthrich1969-1973
Ezio Canonica1973-1978
Richard Müller1978-1982
Fritz Reimann1982-1990
Walter Renschler1990-1994
Christiane Brunner
und Vasco Pedrinaa
1994-1998
Paul Rechsteiner1998-2018
Pierre-Yves Maillard2019-
  

a Co-Präsidium

Präsidenten und Präsidentinnen des SGB -  Boillat, Valerie et al. (Hg.): Vom Wert der Arbeit, 2006

Nachdem sich im Landesstreik 1918 die Stärke der freien Gewerkschaften gezeigt hatte, übernahm der SGB die Funktion des Neuen Schweizerischen Arbeiterbunds als Repräsentant der Arbeiterschaft bei den Bundesbehörden; er entsandte fortan Vertreter in die Expertenkommissionen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements und von den 1930er Jahren an auch in diejenigen der übrigen Departemente. Die Klassenkampftheorie verlor an Bedeutung und verschwand 1927 aus den Statuten. Zunehmend wurde der SGB als einer der vier Spitzenverbände (Verbände) der schweizerischen Wirtschaft wahrgenommen und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg in tripartite Absprachen (Sozialpartnerschaft) einbezogen. Auch in Abstimmungskämpfen spielte er gelegentlich eine führende Rolle (z.B. Referendum gegen Lex Schulthess 1924, Kriseninitiative 1935); in der Blütezeit der Integration ins vorparlamentarische Verfahren verzichtete er aber fast ganz darauf und ergriff zwischen 1951 und 1974 kein Referendum. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel erschwerte vor allem ab den 1970er Jahren die innere Konsensfindung und untergrub den Anspruch, die gesamte Arbeiterschaft zu repräsentieren; zunehmend fand sich der SGB in der Opposition, auf betrieblicher Ebene gegen den Abbau kollektiver Regelung der Arbeitsbedingungen, auf politischer gegen die Einschnitte bei der sozialen Sicherheit.

Zur Zeit der Reorganisation 1908 zählte der SGB 20 Zentralverbände, 1928 trotz mehrerer Neueintritte (v.a. Eisenbahn und PTT) wegen verschiedenen Fusionen nur mehr 15. Danach blieben Mutationen bis in die 1990er Jahre selten. Für die Anfangsjahre fehlt eine zuverlässige Mitgliederstatistik; Ende 1886 wurde die Grenze von 1000 Personen überschritten, 1890 die von 5000 und 1896-1898 folgte ein Sprung von weniger als 8000 auf ca. 14'000, 2015 zählte der SGB mehr als 360'000 Mitglieder.

Mitgliederzahlen der Verbände des SGB 1910-2015

JahrSMUVGBHGBIVHTLUNIASEVVPODÜbrigeaTotal
191024 60015 400 5 300 2 0002 50016 30066 100
192082 70023 400 19 500 38 60010 20049 100223 500
194065 80035 100 22 800 31 60018 50038 800212 600
1950101 50065 700 39 400 57 00031 10082 600377 300
1960130 30083 300 42 000 61 30036 90083 200437 000
1975144 200111 000 31 200 58 70040 00086 400471 500
1980132 300113 400 29 900 57 20042 00085 100459 900
1985118 300115 200 28 400 57 90040 40083 300443 500
1990110 900-124 50026 600 57 80041 60082 500443 900
1995102 500-121 50022 100 59 50040 50073 700419 800
200090 900-91 00017 100 53 60036 60096 900386 100
2005----203 10050 20036 10093 800383 200
2010----193 40045 70035 50097 400372 000
2015----201 20042 20035 10082 600361 100
    
 kursive Zahlen = Verband bestand damals noch nicht in dieser Form.

a Unter "Übrige" sind zusammengefasst: PTT-Union, GDP, VBLA (bis 1991), GTCP (bis 1992) sowie verschiedene Kleinverbände.

Mitgliederzahlen der Verbände des SGB 1910-2015 -  Angaben Bernard Degen; Schweizerischer Gewerkschaftsbund

Quellen und Literatur

  • B. Degen, Richtungskämpfe im Schweizerischen Gewerkschaftsbund, 1918-1924, 1980
  • P. Garbani, J. Schmid, Le syndicalisme suisse, 1980
  • E. Ribbe-Ochsner, Der Schweizerische Gewerkschaftsbund und seine Verbände, 1980 (mit Bibl.)
  • E. Kobelt, Die Wirtschaftspolitik der Gewerkschaften, 1920-1950, 1987
  • Gruner, Arbeiterschaft 2
  • B. Degen, Abschied vom Klassenkampf, 1991
  • R. Fluder et al., Gewerkschaften und Angestelltenverbände in der schweiz. Privatwirtschaft, 1991
  • M. KüblerDie Integration des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes in das politische System der Schweiz in den Jahren 1908 bis 1939, 1998
  • Vom Wert der Arbeit, hg. von V. Boillat et al., 2006
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.03.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016484/2015-03-18/, konsultiert am 29.09.2023.