Unter Frauenbewegung wird der organisatorische Zusammenschluss von Frauen zur Verbesserung ihrer sozialen, politischen und zivilrechtlichen Stellung verstanden. Bereits in ihren Anfängen im 19. Jahrhundert wurde die Frauenbewegung von verschiedenen Strömungen beeinflusst und war eingebunden in internationale Organisationsstrukturen. Sie umfasste unterschiedliche, nicht immer scharf voneinander abgegrenzte Flügel, die von Fall zu Fall zusammenarbeiteten. Ihre Einflussmöglichkeiten waren abhängig von der internationalen, regionalen, politischen oder konfessionellen Einbettung. Entscheidend für das Wirken der Frauenbewegung war jedoch immer die Verankerung ihrer Mitglieder in einem persönlichen und sozialen Beziehungsnetz, das nicht nur grosse, grenzüberschreitende Projekte ermöglichte, sondern eine eigene Lebenswelt darstellte.
Erste Ansätze
Die Wurzeln der Frauenbewegung in der Schweiz reichen zurück in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit der Debatte um den Pauperismus wurden ab den 1830er Jahren auf Initiative und unter der Leitung von Pfarrern und Sozialpolitikern vornehmlich in den grösseren Gemeinden des reformierten Mittellands lokale Frauenvereine gegründet, die sich um Fürsorge und Mädchenerziehung kümmerten. Mitglieder dieser Vereine waren Frauen aus den führenden Kreisen von Wirtschaft, Politik und Bildung. Die geschlechtsspezifische Erziehung sollte die Mädchen auf ihre Rolle als Mütter und Hausfrauen vorbereiten (Geschlechterrollen); geschehen sollte dies insbesondere durch die Integration der Arbeitsschulen (Handarbeitsunterricht) in den Unterricht. Erste Ansätze zur eigenständigen, wenn auch nur informellen Organisation bildeten Frauen zwischen 1846 und 1870 auf kantonaler Ebene. Sie intervenierten – meistens vergeblich – bei anstehenden Revisionen von Verfassung und Privatrecht, um ihre zivilrechtliche Stellung oder Handlungsfähigkeit zu verbessern.
Verbandsgründungen
In den letzten Jahrzehnten des 19. und den ersten des 20. Jahrhunderts entstanden diverse landesweite Verbände. Den Anstoss gab die Totalrevision der Bundesverfassung (BV) von 1874, mit der zahlreiche Rechtssetzungskompetenzen von den Kantonen auf den Bund verlagert wurden. Im Vorfeld dieser Revision forderte die 1868 in Genf gegründete und von Marie Goegg-Pouchoulin geleitete Association internationale des femmes erfolglos die zivil- und arbeitsrechtliche Gleichstellung der Frauen. Sie löste sich bald wieder auf, ebenso ihre Nachfolgeorganisation, die Association pour la défense des droits de la femme (auch Solidarité genannt). Von grösserer Wirkung war das im Rahmen der Fédération abolitionniste internationale (FAI, Abolitionismus) gegründete Comité intercantonal de dames, das die Tätigkeit der lokalen Komitees koordinierte. Der daraus 1877 hervorgegangene Schweizerische Frauenbund zur Hebung der Sittlichkeit, in dem sich zunächst nur Frauen der reformierten Oberschicht engagierten, verband moralreformerische Anliegen mit Fraueninteressen (Sittlichkeitsbewegung). 1901 spalteten sich die deutschschweizerischen Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit, welche die Prostitution in Kooperation mit der Polizei durch Einflussnahme auf die Strafgesetzgebung (Strafrecht) bekämpften, von der FAI ab und bildeten einen eigenen Verband, der sich zur grössten Frauenorganisation der Schweiz in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte.
Vom 1885 gegründeten ersten Schweizerischen Frauen-Verband mit weit gefasster Zielsetzung trennte sich 1888 der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein (SGF), der zusammen mit der einflussreichen Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft in der hauswirtschaftlichen Bildung ein Mittel zur Bekämpfung von Armut und Alkoholismus sah (Abstinenzbewegung). Der SGF setzte sich zudem für die Professionalisierung der sogenannten Frauenberufe ein und schuf mit der Schweizerischen Pflegerinnenschule in Zürich und der Gartenbauschule in Niederlenz die entsprechenden Institutionen (Berufsbildung). Dem SGF schlossen sich auf lokaler Ebene bestehende und neu gegründete Vereine an, deren Mitglieder sich aus der wohlhabenderen ländlichen Mittelschicht rekrutierten. Die gemeinnützige und moralreformerische Frauenbewegung war nicht zuletzt deshalb erfolgreich, weil sie an den traditionellen Geschlechterrollen und an der Strategie der Partizipation durch Zusammenarbeit mit Behörden und einflussreichen Verbänden von Männern festhielt. Neben den genannten konfessionell neutralen Frauenverbänden wurde auf Initiative des Schweizerischen Katholischen Volksvereins 1912 der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) gegründet, der sich für moralreformerische und gemeinnützige Anliegen einsetzte. Die bereits 1899 gegründeten christlichsozialen Arbeiterinnenvereine (Christlichsoziale Bewegung) verstanden sich als katholisches Pendant zum 1890 gegründeten Schweizerischen Arbeiterinnenverband (SAV), der Frauen organisierte, die aufgrund ihrer Tätigkeit nicht in den Gewerkschaften aufgenommen wurden. 1911 feierte der SAV erstmals den internationalen sozialistischen Frauentag, den Vorläufer des 8. März, als Kampftag für das Frauenstimmrecht. Er schloss sich zuerst dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) und nach dessen Reorganisation 1912 der Sozialdemokratischen Partei (SP) an. Er engagierte sich vor allem für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Frauenerwerbsarbeit), den Wöchnerinnenschutz (Mutterschaft) und die Aufnahme der Frauen in die Krankenkassen. 1917 wurde der SAV aufgelöst. Auch der 1893 gegründete schweizerische Lehrerinnenverein (Lehrer) und sein katholisches Pendant sowie der deutsch- und der westschweizerische Hebammenverein (Hebammen) bezweckten die Absicherung ihrer Mitglieder im Erwerbsleben.
Die ab 1890 in den grösseren Städten entstandenen Frauenvereine wie die Union des femmes de Genève, das Berner Frauenkomitee und die Union für Frauenbestrebungen in Zürich setzten sich für die Erneuerung der Mädchenbildung, für eine verbesserte zivil- und arbeitsrechtliche Stellung der Frauen und für das Frauenstimmrecht ein. Diese Vereine versuchten anlässlich der Landesausstellung in Genf 1896 die Anliegen der äusserst heterogenen Frauenbewegung zu koordinieren: Sie organisierten den Ersten Schweizerischen Kongress für die Interessen der Frau, an dem Problemkreise von der Gemeinnützigkeit bis zur politischen Partizipation thematisiert wurden. Die Einrichtung einer permanenten gemeinsamen Kommission scheiterte, ebenso die eines übergreifenden Dachverbands, der auf die Ausarbeitung des eidgenössischen Zivilgesetzbuchs sowie des Strafgesetzbuchs und das Kranken- und Unfallgesetz hätte Einfluss nehmen können (Politische Willensbildung). Dem 1900 gegründeten Bund schweizerischer Frauenvereine, dem späteren Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (BSF, 1999 umbenannt in Alliance F), traten abgesehen von einzelnen lokalen Sektionen weder der SAV noch der SGF oder der Verband deutschschweizerischer Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit bei, ebensowenig die katholischen Vereine, die sich mit dem SKF einen eigenen Dachverband gaben. Eine klar umschriebene Zielsetzung hatte schliesslich der 1909 gegründete – allerdings mitgliederschwache – Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht (SVF), dem auch Männer angehörten. Trotz der organisatorischen und inhaltlichen Heterogenität am Vorabend des Ersten Weltkriegs gab es zwischen den Verbänden vor allem über Doppelmitgliedschaften personelle Verbindungen und über gemeinsame Ziele eine Zusammenarbeit von Fall zu Fall.
Die Entwicklung von 1914 bis 1945
Nach Ausbruch des Kriegs organisierten sich auf internationaler Ebene Pazifistinnen (Pazifismus) im Frauenweltbund zur Förderung internationaler Eintracht und dem von Frauenrechtlerinnen 1915 in Den Haag gegründeten Frauenkomitee für dauernden Frieden, das 1919 in Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) umbenannt wurde. Beide Organisationen hatten auch in der Schweiz Sektionen. In Bern traf sich 1915 auch die Sozialistische Fraueninternationale. Als Antwort auf die kriegsbedingte Zunahme der sozialen Not rief sie zu Aktionen gegen Hunger und Teuerung auf, die dann in mehreren Schweizer Städten von den lokalen Arbeiterinnenvereinen durchgeführt wurden. Auf soziale Aufgaben konzentrierten sich die Sektionen der grossen Frauenverbände, die sich auf lokaler und kantonaler Ebene zu Frauenzentralen zusammenschlossen. Als Informationsstelle für diese wurde 1925 ein von der Frauenzentrale Zürich betreutes Sekretariat eingerichtet. Damit überlagerte das geografische Organisationsprinzip das bisher rein weltanschauliche und ermöglichte der Frauenbewegung in der Zwischenkriegszeit eine verstärkte Präsenz in der Öffentlichkeit.
Auf eidgenössischer Ebene federführend war der BSF, dem auch die Frauenzentralen beitraten. Er organisierte 1921 den Zweiten Schweizerischen Kongress für Fraueninteressen, an dem die Einrichtung einer Zentralstelle für Frauenberufe beschlossen wurde (Beruf). Das Gewicht, das Ausbildung und Berufstätigkeit nun beigemessen wurde, kam in der Gründung von weiblichen Berufsverbänden und in Gewerbeausstellungen zum Ausdruck. 1928 fand in Bern die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit, die Saffa, statt. Dort wurde der Anstoss gegeben zu den 1932 bzw. 1935 erfolgten Gründungen des Schweizerischen Landfrauenverbands, der im Rahmen des Schweizerischen Bauernverbands zuständig war für die Ausbildung der Bäuerinnen (Bauern), sowie des Verbands Schweizerischer Hausfrauenvereine, der sich der Professionalisierung der Hausarbeit durch Rationalisierung verschrieb (Schweizerisches Institut für Hauswirtschaft). Die Saffa bildete auch den Auftakt für die Frauenstimmrechtspetition von 1929, die dank der Nutzung der Infrastruktur der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Gewerkschaften in kurzer Zeit mit mehr als einer Viertelmillion Unterschriften eingereicht wurde. Damit begann eine engere Zusammenarbeit der Frauenbewegung mit den sozialdemokratischen Frauen. Sie fand ihre Fortsetzung in der Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie, die als Antwort auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland von einer breiten Frauenallianz gegründet worden war. Mit der Bewältigung der Krisenfolgen, der Geistigen Landesverteidigung und der Kriegswirtschaft traten jedoch die Ansprüche der Frauenbewegung in den Hintergrund zugunsten aufopfernder Pflichterfüllung für Familie und Nation. Von dem von der Frauenbewegung autonom organisierten Frauenhilfsdienst wurde dessen militärischer Zweig in die Armee integriert (Militärischer Frauendienst). Die Überlastung der grossen Frauenverbände durch den Vollzug der Massnahmen des Kriegsernährungsamts veranlasste den BSF 1944 zur Eröffnung des schweizerischen Frauensekretariats, an dem sich auch die Berufsvereinigungen, der SGF, die Frauenzentralen und die sozialdemokratischen Frauengruppen beteiligten. Die drei Abteilungen befassten sich mit den Bereichen Frauenberufe, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Politik und Recht. Diese Neuordnung erlaubte es den Verbänden, im Rahmen der Vernehmlassung und vorparlamentarischen Kommissionsarbeit (Ausserparlamentarische Kommissionen) vermehrt Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen.
Die Politik der Nachkriegszeit
Die im Krieg erreichte Annäherung kam am Dritten Schweizerischen Frauenkongress von 1946, der erstmals von allen Teilen der Frauenbewegung mitgetragen wurde, nochmals zum Ausdruck. Es gelang jedoch nicht, auch einheitliche Strukturen zu schaffen. Der SGF, der SKF und die reformierten Sittlichkeitsvereine, die als Pendant zum SKF 1947 den Evangelischen Frauenbund der Schweiz gründeten, beharrten auf ihrer Selbstständigkeit. Die neuen Statuten des BSF von 1949 ermöglichten die Aufnahmen des Frauenstimmrechtsverbands und der sozialdemokratischen Frauengruppen, das Frauensekretariat wurde zur Geschäftsstelle des BSF. So kam es in der Folgezeit bei Vernehmlassungen immer auch zu Konkurrenzverhalten, da der BSF gegenüber den Behörden als Vertretung allgemeiner Fraueninteressen auftrat. Erst der Einsatz für das Frauenstimmrecht führte wieder zu gemeinsamem Vorgehen. Es bildete sich ein verbandsübergreifendes Aktionskomitee für das Frauenstimmrecht, dem 1957 die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau (Arge) folgte. Dominierend im Diskurs der Frauenbewegung der 1950er und 1960er Jahre blieb das dualistische Modell, das den Frauen gerade auch wegen der technologischen Innovationen in den Jahren der Hochkonjunktur eine wichtige ausgleichende Rolle in der Familie zuschrieb. Das Primat der Rolle als Hausfrau und Mutter wurde auch an der Saffa 1958 – führende Organisation war der BSF – nicht in Frage gestellt, trotz der breit illustrierten Erfolge der Frauen in verschiedensten Berufszweigen.
Zwischen Neuorientierung und Feminismus nach 1968
Das Jahr 1968 veränderte auch die Frauenbewegung. Die unter dem Einfluss der Jugend- und Studentenrevolten (Jugendunruhen) gegründete Frauenbefreiungsbewegung (FBB) forderte mit medienwirksamen Aktionen gesellschaftliche Veränderungen, die ebenso die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung in der Familie wie die repressive Sexualmoral (Sexualität) betrafen. Ziel dieser transnationalen, sich um die Frage der Abtreibung konstituierenden neuen Frauenbewegung war nicht mehr die Integration in bestehende öffentlich-rechtliche Strukturen politischen Handelns, sondern Autonomie. Trotz dieses grundlegenden Widerspruchs kam es zwischen der «alten» und der «neuen» Frauenbewegung immer wieder zur gegenseitigen Dynamisierung. Am Vierten Schweizerischen Frauenkongress 1975, der unter dem Motto «Partnerschaft» stand, stimmte eine Mehrheit gegen den Willen der katholischen Frauen für die Fristenlösung. Die am Kongress lancierte, vor allem von jungen Feministinnen getragene Volksinitiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau» wurde von der Mehrheit der Frauenorganisationen nicht unterstützt, wohl aber der moderatere Gegenentwurf des Bundesrats, dessen Annahme 1981 zur Verankerung der Gleichstellung in der Bundesverfassung führte. Die vom Kongress geforderte Eidgenössische Frauenkommission war bereits 1976 eingesetzt worden. Deren verantwortliche Sekretärin Claudia Kaufmann wurde 1988 Leiterin des neu geschaffenen Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, nach dessen Vorbild kantonale und städtische Gleichstellungsbüros geschaffen wurden. Diese erwiesen sich als Drehscheiben für die längerfristige engere Zusammenarbeit der «alten» und der sich als Teil des internationalen Feminismus verstehenden «neuen» Frauenbewegung; gemeinsame Anliegen waren die Fristenlösung, die Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung und die gesetzliche Regelung des Mutterschaftsschutzes, dessen Diskussion von der Organisation für die Sache der Frau (Ofra) bei ihrem Gründungskongress 1977 neu lanciert wurde.
Der Einfluss der neuen Frauenbewegung zeigte sich ebenso organisatorisch wie inhaltlich. Es entstanden nebst der Ofra neue lokale Frauengruppen; bestehende Frauengruppen in den Parteien und Gewerkschaften sowie die Frauenfriedensbewegung wurden wiederbelebt, neue Beratungsstellen, migrationspolitische Kontaktstellen, Kinderbetreuungsangebote (Kinderhorte) und Wohnprojekte gegründet und unterstützt. Ausgehend von dem bereits 1975 unter anderem von Vertreterinnen der Commissione femminile italiana della Federazione delle colonie libere italiane in Svizzera formulierten Manifest ausländischer Frauen verlangten Organisationen von Migrantinnen aus verschiedenen Ländern Europas an ihrem Kongress 1980 in Bern die Teilhabe am sozialen und politischen Leben in der Schweiz; am Kongress 1985 in Zürich forderten sie unter anderem das Recht auf Einbürgerung für Frauen unabhängig von ihren Ehemännern, gleiche Arbeitsbedingungen für Schweizerinnen und Ausländerinnen und einen Stopp der juristischen Abschiebungen von Ausländerinnen. Der 1983 gegründete Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (FemWiss) machte sich zur Aufgabe, die Diskriminierung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb zu bekämpfen und feministische Wissenschaft zu fördern. In diesen Jahren formierte sich auch in der Schweiz die Frauengesundheitsbewegung, die mit dem in Genf domizilierten Netzwerk Isis International kooperierte und sich auf die mit den neuen Reproduktionstechnologien auftretenden neuen Fragen fokussierte. Diese Technologien wurden von mehreren feministischen Gruppen wie Antigena in Zürich kritisiert. Mit der Gründung eigener politischer Organisationen wie Frauen macht Politik! (Frap!) in Zürich suchten Feministinnen die direkte Vertretung feministischer Anliegen in den politischen Institutionen. Der ursprünglich von einer gewerkschaftlichen Frauengruppe lancierte Frauenstreik wurde im Jubiläumsjahr 1991 als Protest gegen die ungenügende Umsetzung des Gleichstellungsartikels von über einer halben Million Frauen mitgetragen. Einen ganzen Forderungskatalog zur Verwirklichung der Gleichberechtigung präsentierten Frauen aus unterschiedlichsten Organisationen im Herbst desselben Jahres an der ersten Frauensession im Berner Bundeshaus. Die vom Frauenstreik ausgegangene Mobilisierungskraft zeigte sich 1993 bei der Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat. Aufgrund der massiven Frauenproteste und unter dem Druck seiner Partei musste der gewählte Sozialdemokrat Francis Matthey verzichten, gewählt wurde eine Woche später Ruth Dreifuss. Die zunehmend engere Kooperation der verschiedenen Organisationen drückte sich in der breiten Unterstützung des von vielen feministisch ausgerichteten Anträgen geprägten Fünften Schweizerischen Frauenkongresses von 1996 aus, aber auch in neuen professionalisierten Frauenprojekten und der starken Präsenz der Nongovernmental Organizations (NGO), die auf feministisch geprägtem Expertinnenwissen basierten und vielfach international vernetzt waren. Diese Vernetzung förderte auch das NGO-Forum der Vierten UNO-Weltfrauenkonferenz von 1995 in Peking. Die inhaltlichen Differenzen zwischen Organisationen und Gruppierungen, bedingt durch Unterschiede in Alter und politischer Verortung, manifestierten sich jedoch in den Abstimmungen über das Mutterschaftsversicherungsgesetz 1999 und über die Quoteninitiative 2000, die beide abgelehnt wurden.
Aufschwung und Diversifizierung nach der Jahrtausendwende
Nach der Jahrtausendwende gelangen dank der fast geschlossenen Unterstützung der Frauenbewegung Durchbrüche in langjährigen zentralen Anliegen. Die Frauen der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) stellten sich in der Abtreibungsfrage erstmals gegen die eigene Partei; die Fristenlösung wurde 2002 in der Volksabstimmung angenommen, ebenso 2004 das Modell einer Mutterschaftsversicherung über das Erwerbsersatzgesetz, das die Erwerbsersatzansprüche auf erwerbstätige Mütter ausweitete. Zu gesetzlichen Verbesserungen kam es in diesen Jahren auch im Bereich der häuslichen Gewalt sowie des sexuellen Missbrauchs. Differenzen zwischen Frauenorganisationen, loseren feministischen Gruppierungen und Beratungsstellen zeigten sich vorwiegend in den Fragen der Prostitution. Während beispielsweise die Frauenzentrale Zürich für die Bestrafung der Freier als Mittel im Kampf gegen die Prostitution als Ausbeutung der Frauen eintrat, ging es der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ und dem Verein der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Aspasie in Genf um die Anerkennung der von Frauen ausgeübten Sexarbeit als anderen Dienstleistungen gleichzustellende Erwerbstätigkeit. Ebenso zeigten sich bei der neu entfachten Forderung nach Bezahlung der Haus- und Betreuungsarbeit starke Gegensätze zwischen Feministinnen verschiedenen Alters und unterschiedlicher politischer Ausrichtung.
Zur Formierung neuer Gruppierungen führte 2003 die durch die Abwahl von Ruth Metzler-Arnold aus dem Bundesrat – gleichentags wurden zwei frühere Gegner des Frauenstimmrechts in die Landesregierung gewählt – ausgelöste Protestwelle, die vor allem von jungen Feministinnen lanciert und von älteren Frauenrechtlerinnen mit der Frauenwache vor dem Bundeshaus fortgesetzt wurde. Der 1989 gegründete Dachverband von und für frauenliebende Frauen LOS als Ansprechpartnerin für Lesben, Bisexuelle und queere Frauen kämpfte 2005 erfolgreich für die Annahme des Partnerschaftsgesetzes für gleichgeschlechtliche Paare und feierte 2021 mit der gesetzlichen Verankerung der «Ehe für alle» zugleich die rechtliche Absicherung der Regenbogenfamilien (Homosexualität). Das 2013 gegründete schwarzfeministische Netzwerk Bla*Sh löste die bereits in den 1990er Jahren aktive Bewegung Women of Black Heritage und die Vereine Schwarzer Frauen in Zürich, Basel sowie Genf ab und brachte sich seither in öffentlichen Debatten um Rassismus und Sexismus ein. Alte Feministinnen, darunter viele Pionierinnen der neuen Frauenbewegung, gründeten 2010 die GrossmütterRevolution als Plattform und Thinktank für die Generationenbeziehungen. Mit dem von den Business and Professional Women Switzerland (BPW) 2009 erstmals durchgeführten und von Alliance F sowie dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau unterstützten Equal Pay Day wurde Druck auf Politik und Unternehmen zur Umsetzung der Lohngleichheit ausgeübt. Auch in der Schweiz beteiligten sich Gruppierungen an der Marche mondiale des femmes, einer weltweiten Bewegung gegen Armut und Gewalt an Frauen. Im Kontext transnationaler Bewegungen protestierten gegen Ende der 2010er Jahre immer mehr Frauen aus allen Generationen auf der Strasse und im Netz gegen sexuelle Übergriffe, der 2016 lancierte Hashtag #Schweizer Aufschrei diente der Veröffentlichung von Erfahrungen sexualisierter Gewalt. Über 10'000 Frauen nahmen im März 2017 in Zürich im Gefolge des gegen Donald Trump gerichteten Women’s March in Washington am Marsch gegen Sexismus in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen teil, die #MeToo-Bewegung zeigte ihre Auswirkungen auch in der Schweiz, und 2018 demonstrierten mehr als 20'000 Personen in Bern gegen Lohndiskriminierung. Die steigende Aktionsbereitschaft fast der ganzen Palette der Frauenbewegung – von den Landfrauen über die BPW und Gewerkschaftsfrauen bis zu LGBT+-Gruppen der Queer-Bewegung – manifestierte sich 2019 im zweiten nationalen Frauenstreik, mit dem in der ganzen Schweiz insgesamt eine halbe Million Frauen und Männer gegen die weiterhin bestehende Ungleichheit protestierten. Unter dem Vorzeichen «feministischer Streik» standen nun auch diskriminierende Erfahrungen von Migrantinnen sowie die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit in vielen Städten im Zentrum der Aktionen, auf dem Land auch die ungleiche Stellung der Bäuerinnen. Mit diesem starken Auftritt gelang der Frauenbewegung, weiterhin Druck auf die politische Agenda auszuüben, insbesondere in den virulenten Bereichen der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienarbeit, der Geschlechterparität in Wirtschaft und Politik sowie der sexualisierten Gewalt. Der neu eingeführte Begriff Femizid schafft Klarheit bezüglich der Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Bereits bei den eidgenössischen Wahlen vom Oktober 2019 wurden so viele Frauen gewählt wie nie zuvor; im Ständerat stieg ihr Anteil gegenüber 2015 von 15 auf 26%, im Nationalrat von 32 auf 42%. Den Höhepunkt des Jubiläumsjahrs 50 Jahre Frauenstimmrecht bildete im Herbst 2021 die zweite Frauensession im Bundeshaus. Ihre Forderungen spiegeln die Schwerpunkte der Frauenbewegung in Bezug auf die verschiedenen Facetten von Arbeit, Gleichstellung und sexualisierter Gewalt. So zeigt die Frauenbewegung auch zu Beginn der 2020er Jahre über alle Generationen hinweg ein hohes Mobilisierungspotenzial.
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