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Ökologische Bewegung

Bei der ökologischen Bewegung, oft auch Umwelt- oder Umweltschutzbewegung genannt, handelt es sich um eine soziale Bewegung, die das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft zur natürlichen Umwelt in den Vordergrund ihrer politischen Aktivitäten stellt. Noch zu Beginn der 1970er Jahre sprach man von der Naturschutzbewegung (Naturschutz), bevor sich dann der Begriff ökologische Bewegung durchsetzte, wobei die Namensänderung die Bedrohung des Planeten Erde und des natürlichen Lebensraums der Menschen betont.

Von Beginn des 20. Jahrhunderts an setzten sich verschiedene Organisationen für den Schutz von Natur und Landschaft ein, zum Beispiel der 1909 gegründete Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN). Im traditionellen Naturschutz wurde der Schwerpunkt auf den Landschaftsschutz, die Erhaltung von Naturdenkmälern und die Schaffung von Naturreservaten gelegt (Nationalpark), wobei eine patriotisch-romantisierende Naturästhetik und eine kulturpessimistische Kritik an der Modernisierung und Massenkultur hinzukamen (Heimatschutz). In den 1950er und 1960er Jahren mehrte sich der Widerstand gegen Wasserkraftwerke und dann gegen die Folgen der Gewässer- und Luftverschmutzung. Trotz der allgemeinen Wachstums- und Wohlstandseuphorie der Nachkriegszeit zeigten sich in dieser Opposition erste Ansätze einer ökologischen Fortschrittskritik. Teile der Naturschutzbewegung unterstützten dabei die ab Mitte der 1960er Jahre erstarkende Anti-Überfremdungsbewegung mit ihren fremdenfeindlichen Anliegen, die in der Immigration eine Ursache für die Verbauung der Landschaft und die Übervölkerung sah. Für die Nationale Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat (Schweizer Demokraten) bildete der Natur- und Umweltschutz von Beginn an eine wichtige und kontinuierliche Konstante ihres Parteiprogramms.

In der Schweiz erreichte das öffentliche Bewusstsein für Umweltprobleme zu Beginn der 1970er Jahre einen ersten Höhepunkt. Dazu trugen das Europäische Naturschutzjahr 1970, der Umweltschutzartikel der Bundesverfassung 1971 und der erste Bericht des Club of Rome 1972 bei. Die Erdölkrise und wirtschaftliche Rezession führten 1973 zum Ende der Hochkonjunktur und verstärkten die Zweifel am Fortschrittsparadigma. Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund entstand die moderne ökologische Bewegung. Der Antiatombewegung als wichtigstem Zweig der ökologischen Bewegung gelang damals eine breite umweltpolitische Mobilisierung. Den soziokulturellen Kern der ökologischen Bewegung bildete die Gegenkultur der 68er-Generation mit ihrer Betonung postmaterieller Werte, humaner Bedürfnisse und alternativer Lebensweisen.

Plakat ("Mit dem Zug durch die Alpen. Ja!") des Parti écologiste genevois für die Volksinitiative zum Schutz des Alpengebiets vor dem Transitverkehr vom 20. Februar 1994 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat ("Mit dem Zug durch die Alpen. Ja!") des Parti écologiste genevois für die Volksinitiative zum Schutz des Alpengebiets vor dem Transitverkehr vom 20. Februar 1994 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Die Besetzung des AKW-Geländes Kaiseraugst 1975 gilt als das Gründungsereignis der modernen ökologischen Bewegung. Neue Formen der Opposition wie Besetzungen, Demonstrationen und direkte Aktionen waren wichtige Instrumente des politischen Kampfes. Die ökologische Bewegung benutzte zudem intensiv die Mittel der direkten Demokratie. Allein im Energie- und Verkehrssektor fanden zwischen 1977 und 2003 neunzehn eidgenössische Abstimmungen aufgrund von Volksinitiativen der ökologischen Bewegung statt. Obwohl ausser dem AKW-Moratorium 1990 und der Alpeninitiative 1994 alle Initiativen vom Stimmvolk verworfen wurden, bestand insgesamt eine relativ hohe Unterstützung für umweltschützerische Forderungen (im Durchschnitt 38,5% Ja-Stimmen).

In den 1980er Jahren setzte die Einbindung der ökologischen Bewegung ins politische System der Schweiz ein. Umweltverbände wie der SBN (seit 1997 Pro Natura), die 1971 gegründete Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz und der 1979 formierte Verkehrs-Club der Schweiz sowie international vernetzte Massenorganisationen wie der WWF und Greenpeace verstärkten ihren politischen Einfluss. Mit dem Verbandsbeschwerderecht und der Beteiligung an vorparlamentarischen Entscheidungsprozessen nahm die Integration der ökologischen Bewegung weiter zu. Der Einzug grüner Parteien in die Parlamente und Exekutiven beschleunigte diese Entwicklung. In den letzten Jahrzehnten sahen sich die Umweltorganisationen wieder vermehrt dem Druck der Wirtschaftskreise und rechtsbürgerlicher Parteien ausgesetzt; dies zeigen die Diskussionen über die Einschränkung des Verbandsbeschwerderechts, die in einer Volksabstimmung 2008 mit 66% der Stimmen abgelehnt wurde, und den Ausbau der Atomenergie. Andererseits flossen mit der weltweit geführten Klimadebatte und der Forderung nach Reduktion der Emission von Treibhausgasen zentrale Anliegen der ökologischen Bewegung in die politische Agenda ein.

Quellen und Literatur

  • R. Levy, «Polit. Basisaktivität im Bereich der Umweltproblematik», in Schweiz. Jb. für Polit. Wiss. 21, 1981, 9-37
  • H. Zwicky, «Umweltaktivierung in den 80er Jahren», in Schweiz. Jb. für Polit. Wiss. 33, 1993, 185-203
  • D. Skenderovic, «Die Umweltschutzbewegung im Zeichen des Wertewandels», in Rechte und linke Fundamentalopposition, hg. von U. Altermatt et al., 1994, 33-61
  • L. Kummer, Erfolgschancen der Umweltbewegung, 1996
  • F. Walter, Bedrohl. und bedrohte Natur, 1996 (franz. 1990)
  • M. Giugni, F. Passy, Zwischen Konflikt und Kooperation, 1999 (franz. 1997)
  • P. Kupper, Atomenergie und gespaltene Gesellschaft, 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Damir Skenderovic: "Ökologische Bewegung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.03.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016515/2012-03-27/, konsultiert am 28.03.2024.