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Antiatombewegung

Anti-AKW-Bewegung

Pfingstmarsch gegen radioaktive Abfälle, Lucens 1978. Fotografie von Roland Schlaefli (Schweizerisches Nationalmuseum, Actualités suisses Lausanne).
Pfingstmarsch gegen radioaktive Abfälle, Lucens 1978. Fotografie von Roland Schlaefli (Schweizerisches Nationalmuseum, Actualités suisses Lausanne).

Bereits 1946 forderte Ständerat Friedrich Traugott Wahlen, "die Verwendung der Atomenergie für Kriegszwecke zu ächten", befürwortete aber ihre Nutzung für friedliche Zwecke. Diese Doktrin galt für die ganze Antiatombewegung der 1950er und frühen 1960er Jahre. 1950 unterschrieben in der Schweiz 250'000 Personen den Stockholmer Appell des (kommunistischen) Weltfriedensrates für ein Verbot aller Atomwaffen. Als Reaktion auf den Bundesrat, der 1957 Atomwaffen für die Schweiz forderte, gründeten 1958 pazifistisch-kirchliche Kreise (ohne die Partei der Arbeit) die Schweizerische Bewegung gegen die atomare Aufrüstung und lancierten eine Atomwaffenverbots-Initiative. Sie scheiterte 1962 mit 65,5% Nein-Stimmen und 18 zu 4 Ständen. 1963 lehnten 62,2% der Stimmenden und 17½ Stände auch die SP-Initiative ab, die den Beschluss zur Atombewaffnung der Schweiz dem Referendum unterstellen wollte. Mit jährlichen Ostermärschen entwickelte die Antiatombewegung 1963-1967 neuartige Aktionsformen. 1970 trat mit dem Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke (NWA) erstmals eine organisierte Opposition gegen den 1964 eingeleiteten Bau von Atomkraftwerken auf, zuerst vorab gegen die Flusswasserkühlung, ab 1971 gegen Kühltürme gerichtet. Die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst (GAK) organisierte 1973 erste Besetzungen des Baugeländes. Jene von April bis Juni 1975 leitete schliesslich den Verzicht auf das AKW Kaiseraugst ein. Von der GAK spaltete sich die linke Gewaltfreie Aktion gegen das AKW Kaiseraugst (GAGAK) ab, die 1975 das Schweizerische Aktionskomitee gegen das AKW Gösgen initiierte und 1977 die Nationale Koordination aufbaute. Zur Antiatombewegung gehört auch die 1980 gegründete Arbeitsgemeinschaft gegen Atomexporte.

1979 und 1984 verwarf das Volk knapp zwei Antiatom-Initiativen. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 kamen zwei neue Initiativen zustande: Das Volk lehnte 1990 jene der SP für den Ausstieg aus der Atomenergie mit 53% Nein ab, stimmte aber mit 54,5% Ja einem zehnjährigen Moratorium für den Bau neuer Atomanlagen zu. Auch nach dessen Ablauf war in der Frage der Kernenergienutzung noch immer kein Konsens gefunden worden. In der Folge lancierten linksalternative und grüne Kreise, unterstützt durch SP und die Grüne Partei der Schweiz, zwei Volksbegehren, die einerseits den Ausstieg aus der Atomenergie, andererseits ein erneutes zehnjähriges Moratorium verlangten. Beide Initiativen wurden 2003 abgelehnt, während das revidierte Kernenergiegesetz, das 2001 dem Parlament als indirekter Gegenvorschlag des Bundesrats vorgelegt worden war, 2005 in Kraft trat. Befürchtungen vor Versorgungsengpässen bei den fossilen Energieträgern und die Umweltfolgen der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen wie Luftverschmutzung und Treibhauseffekt führten zur Wiederaufnahme der öffentlichen und politischen Kontroverse um den Bau neuer Atomkraftwerke.

Quellen und Literatur

  • H. Kriesi, AKW-Gegner in der Schweiz, 1982
  • J.-C. Favez, L. Mysyrowicz, Le nucléaire en Suisse, 4 Bde., 1987
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Hug: "Antiatombewegung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.07.2007. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016516/2007-07-23/, konsultiert am 29.03.2024.