Ein Gesamtarbeitsvertrag ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmerverbänden und einzelnen Arbeitgebern oder Unternehmerverbänden, die Arbeitsbedingungen festlegt und das gegenseitige Verhältnis der Parteien regelt (Sozialpartnerschaft). Einzelarbeitsverträge dürfen die Normen der Gesamtarbeitsverträge nicht unterschreiten. Gesamtarbeitsverträge, die neben Gesetzen wichtigsten arbeitsrechtlichen Instrumente (Arbeitsrecht), enthalten einerseits normative Bestimmungen über Lohn, Arbeitszeit und weitere Bedingungen, anderseits schuldrechtliche Bestimmungen bezüglich der Rechte und Pflichten der Parteien, zum Beispiel die Friedenspflicht (Arbeitsfrieden). Das Friedensabkommen von 1937 in der Maschinenindustrie zählt mangels eines normativen Teils nicht zu den Gesamtarbeitsverträgen. Der 1911 vom revidierten Obligationenrecht (OR) geprägte, nur in der Schweiz gebräuchliche Begriff Gesamtarbeitsvertrag verdrängte ältere Bezeichnungen wie Vereinbarung, Arbeits- oder Kollektivvertrag und vor allem den in Deutschland verbreiteten Tarifvertrag. Nach dem Geltungsbereich werden vor allem Firmen-, Orts-, Regional- und Landesgesamtarbeitsverträge unterschieden. Rahmen- oder Mantelverträge regeln grundsätzliche Fragen und überlassen die übrigen Bereiche lokalen Gesamt- oder Einzelarbeitsverträgen.

Erste, bescheidene Gesamtarbeitsverträge entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts, so 1850 für die Genfer Typografen. Ebenfalls zu den Pionieren gehörten Uhrenarbeiterinnen und -arbeiter, in geringerem Masse auch Schreiner und Schuhmacher (Arbeiterbewegung). Gesamtwirtschaftlich blieb die Bedeutung der Gesamtarbeitsverträge aber sehr beschränkt. Beide Seiten hielten sich lange zurück: Die Gewerkschaften, weil sie ihre Bewegungsfreiheit nicht verlieren wollten, die Arbeitgeber, weil sie auf dem Standpunkt beharrten, «Herr im Haus» zu sein. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts breiteten sich die Gesamtarbeitsverträge hauptsächlich als Folge der Streikwelle (Streiks) in den Jahren 1905-1907 aus, unter anderem wurden erste Landesverträge (Maschinensetzer 1906, Typografen 1907) abgeschlossen. 1910-1912 zählte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) 412 Gesamtarbeitsverträge mit rund 45'000 Arbeiterinnen und Arbeitern, vor allem Uhren-, Metall- und Holzarbeiter sowie Typografen und Schneider. Damit gehörte die Schweiz nicht zu den Pionierländern. Eine nächste Welle von Vertragsabschlüssen folgte in den konfliktreichen Jahren 1917-1920 (Landesstreik), wiederum fast ausschliesslich im Gewerbe. Dieses konnte weniger Widerstand leisten und zeigte zudem zum Teil selbst Interesse an Arbeitsmarktregelungen. Die erste amtliche Erhebung 1929 ergab 303 Gesamtarbeitsverträge mit ca. 65'000 Arbeiterinnen und Arbeitern, bei der zweiten Erhebung 1938 wurden 417 gezählt. Der Durchbruch erfolgte erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, vor allem nachdem die Chemie als erste Exportindustrie Anfang 1945 den Widerstand gegen den Gesamtarbeitsvertrag aufgegeben hatte. 1944-1950 stieg die Zahl der Gesamtarbeitsverträge, wiederum in einer Streikwelle, von 632 auf 1447 an. 1951 verfügten ca. 775'000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über einen Gesamtarbeitsvertrag; danach verlangsamte sich der Anstieg. Seit den 1970er Jahren wurden zunehmend mehr Angestellte einbezogen, die Zahl der Verträge stieg bis Anfang der 1960er Jahre, stagnierte anschliessend und ging nach 1966 – wegen der grösseren Reichweite – deutlich zurück. 1994 zählte man 1231 Gesamtarbeitsverträge mit 1,3 Mio. Unterstellten, die im 2. Sektor ca. 60%, im 3. Sektor ca. 44% der Arbeitsverhältnisse abdeckten, 2001 592 Gesamtarbeitsverträge mit gut 1,3 Mio. Unterstellten. Wichtigste Erstunterzeichner waren die Verbände des SGB, gefolgt von der Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA). Das Baugewerbe und die Banken sind am besten erfasst. Lange wurden die Gesamtarbeitsverträge ausgebaut und neben Lohn und Arbeitszeit auf andere Aspekte wie Ferien, Feiertage, Spesen, Versicherung etc. ausgedehnt. In den 1990er Jahren zeichnete sich eine gegenläufige Entwicklung ab.
Der Einstieg in die Gesetzgebung erfolgte im internationalen Vergleich früh, indem 1911 das OR dem Gesamtarbeitsvertrag Rechtswirkung verlieh, fast alle übrigen Regelungen aber den Vertragsparteien überliess. Spät kam dagegen die Kompetenz zur Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Gesamtarbeitsverträgen: Das 1920 gescheiterte Bundesgesetz betreffend Ordnung des Arbeitsverhältnisses sah diese zwar vor, eine Rechtsgrundlage bot aber erst ein dringlicher Bundesbeschluss von 1941, der bis zum Bundesgesetz über die AVE von Gesamtarbeitsverträgen von 1956 verlängert wurde. In der Praxis fand das Gesetz selten Anwendung (v.a. im Gast- und Bauhauptgewerbe). In den Schlussbestimmungen erfuhr der gewöhnliche Gesamtarbeitsvertrag rechtliche Präzisierungen. Das neue Arbeitsvertragsrecht von 1971 änderte wenig.