Homosexualität – eine Wortbildung aus dem psychiatrisch-medizinischen Diskurs des 19. Jahrhunderts – bezeichnet eine auf gleichgeschlechtliche Partner gerichtete Sexualität. Umgangssprachlich werden männliche Homosexuelle als Schwule, weibliche als Lesben bezeichnet. Die ehemals abwertende Bezeichung schwul wird seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert von Männern verwendet, welche bewusst und betont offen einen homosexuellen Lebensstil pflegen (Schwulenbewegung). Für männliche Homosexuelle wird seither auch das englische Wort Gay benutzt.
Homosexualität im Recht
Wurzeln einer religiös motivierten Ablehnung der Homosexualität finden sich in der indoeuropäischen, antiken und der jüdisch-christlichen Tradition. Vom frühen Mittelalter an galten gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte, gestützt auf die sich auf das Neue Testament (Römer 1,26) berufenden Strafrechtsnovellen Kaiser Justinians von 538 und 559, als sündhafte Abweichung von gottgewollten, naturgesetzlichen Verhaltensnormen. Mit Bezeichnungen wie vitium sodomiticum (Sodom und Gomorrha, Genesis 19) machte die mittelalterliche Theologie Homosexualität schuldhaft und konstruierte einen Kausalzusammenhang zu Naturkatastrophen (Erdbeben, Hungersnöten, Pest) als Gottesstrafen.
Die mittelalterlich-frühneuzeitliche Strafverfolgung betraf homosexuelle Annäherungen eines Mannes an abhängige Jugendliche ebenso wie einvernehmliche Homosexualität zwischen Erwachsenen. Alle als widernatürlich taxierten Formen des Sexualverkehrs (Unzucht), neben homosexuellen auch nicht zeugungsorientierte, empfängnisverhütende heterosexuelle, wurden unter dem Begriff Sodomie (heute im deutschen Sprachgebrauch auf den Verkehr mit Tieren verengt, Zoophilie) zusammengefasst und bis in die Frühneuzeit mit dem Tod bedroht (u.a. durch die Carolina). Allerdings fielen Urteile gegen die sogenannten Sodomiten auch im Gebiet der heutigen Schweiz je nach Ansehen der Person aus: So wurden zum Beispiel im Zürcher Prozess von 1482 der elsässische Ritter Richard Puller von Hohenburg und dessen Geliebter wegen Sodomie zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Anders schützten nach 1416 die Dominikaner ihren Ordensmann Heinrich von Rheinfelden nach einer Anklage wegen homosexueller Nötigung vor gerichtlicher Verfolgung durch den Basler Rat. Reformation und katholische Reform verschärften die Strafverfolgung: In Genf gab es allein zwischen 1560 und 1569 fünfzehn Verfahren wegen Homosexualität, sechs Hinrichtungen und acht Verbannungen. Die bis ins 17. Jahrhundert verfolgte angebliche Teufelsbuhlschaft von Frauen (Hexen) schloss Vorstellungen von Homosexualität und Zoophilie ein.

Der Code Napoléon schaffte die Strafbarkeit der Homosexualität zwischen Erwachsenen ab. Wo er ab Anfang des 19. Jahrhunderts Geltung erhielt, vor allem in den west- und südschweizerischen Kantonen, wurde homosexueller Verkehr ganz oder teilweise straffrei. Deutschschweizer Kantone dagegen ahndeten Homosexualität zwischen Erwachsenen weiterhin als Straftatbestand zwischen Offizial- und Antragsdelikt, je nach Kanton schärfer (Luzern, Aargau) oder larger (Bern, Zürich, Glarus, Solothurn). Basel verfolgte ab 1919 nur noch Sexualhandlungen von mündigen Homosexuellen mit Unmündigen sowie gewerbsmässige Homosexualität als Offizialdelikt.
Die eidgenössische Strafrechtsreform (1929-1942) brachte 1938 mit dem ersten bundesweiten Sexualstrafrecht, das nur noch männliche Prostitution und Sexualverkehr zwischen Männern bei Verletzung des Schutzalters von 20 verfolgte, eine Entkriminalisierung. Aber erst die Strafrechtsrevision von 1991 behandelte homo- und heterosexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen bei allgemeinem Schutzalter von 16 gleich. Homosexuelle Prostitution wurde legal, und die Erregung öffentlichen Ärgernisses durch Homosexuelle fiel weg. Sexueller Missbrauch in Abhängigkeitsverhältnissen blieb bei allen sexuellen Beziehungen strafbar und sexuelle Belästigung von gleichgeschlechtlichen Personen wurde neu klagbar. Ab den 1990er Jahren wurde die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen und Konkubinate zwecks zivil- und erbrechtlicher Besserstellung der Partner angestrebt. 2005 wurde das neue Partnerschaftsgesetz, das homosexuellen Paaren eine gesetzlich abgesicherte Partnerschaft erlaubt, mit 58% der Stimmen angenommen.
Homosexualität in der Gesellschaft
Bis ins 19. Jahrhundert wurden homosexuelle Männer – und weniger offensichtlich lesbische Frauen – nach Verhaltensnormen beurteilt, die ihnen nicht gerecht wurden und sie in die Heimlichkeit abdrängten. Nur allmählich liess sich die Diskriminierung überwinden: Ein frühes Zeugnis einer Selbstdefinition war das schriftliche Geständnis der Homosexualität des Langenthaler Fürsprechs Franz Desgouttes, der 1819 in Aarwangen wegen Mordes an seinem Lehrling hingerichtet wurde. Der Glarner Autor Heinrich Hösli griff den Fall Desgouttes auf und wurde damit zum europäischen Pionier homosexueller Selbstverteidigung. Als sozial unverträglich eingesperrt, verteidigte der St. Galler Jakob Rudolf Forster sein Recht auf Homosexualität in Eingaben an Straf- und Zivilbehörden bis zum Bundesrat.
Ab 1930 bildeten sich Tanz- und Geselligkeitsklubs nach dem Beispiel Berlins der 1920er Jahre zuerst in Zürich, zum Beispiel die Lesbengruppe Amicitia 1931, später in Basel. Als schweizerische Sektionen der Schwulen- und Lesben-Selbsthilfeorganisation Bund für Menschenrecht waren sie Keimzellen der schweizerischen Emanzipationsbewegung. «Der Kreis» – massgebliche Zeitschrift für ein homosexuelles Männerpublikum – bot 1932-1968 Lebensberatung und Lebensstilbildung an, mahnte die Leser zu Zurückhaltung und stand auch nicht im Verkauf, sondern musste auf Empfehlung abonniert werden. Ab 1942 erschien sie mit einer französischen Beilage und ab 1951 unter dem Titel «Der Kreis-Le Cercle-The Circle» auch mit englischen Beiträgen. Anders als in den Niederlanden und Skandinavien riss in der Schweiz das anfänglich gemeinsame Band zwischen schwulen und lesbischen Organisationen bald.
Mit der Entkriminalisierung der Homosexualität in den 1930er Jahren kam die Frage um deren Therapierbarkeit als Folge einer vermehrt medizinisch-psychiatrischen Sichtweise auf. Gleichzeitig aber verschärfte die städtische Sittenpolizei, vor allem in Zürich und Bern, ihr Vorgehen; sie verfolgte Strichjungen und deren Kunden, überwachte einschlägige Treffpunkte der schwulen Subkultur und legte Homosexuellen-Register an. Militärdienstpflichtigen Homosexuellen drohte ein Eintrag im Dienstbüchlein, den Arbeitgeber entschlüsseln konnten.
Die allgemeine Individualisierung des Lebensstils nach 1970 brachte die Schwulen- und Lesbenemanzipation in Gang. Viele Lesben standen der Frauenbewegung nahe. Als Coming-out bezeichnet, nahm öffentliches Sich Bekennen zur gleichgeschlechtlichen Veranlagung zu. Die 1971-1972 gegründeten Homosexuellen Aktionsgruppen Zürichs, Basels und Berns gingen 1978 mit öffentlichem Protest und parlamentarischen Anfragen gegen die polizeiliche Registrierung vor, die im Kanton Bern erst durch Intervention des Datenschützers 1988 beendet wurde. 1978 entstand in Genf die GHOG (Groupe homosexuel de Genève) und 1976 in Lausanne die GLH (Groupe de libération homosexuelle). Diese sogenannte zweite Schwulenbewegung nach 1970 trat anfangs betont herausfordernd auf, um in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen zu werden: Provokativ waren unter anderem Magazine wie «Hey» und «Anderschume» und das TV-Doku-Drama «Die Konsequenz» (1977) des Journalisten Alexander Ziegler. Die 1974 gegründeten Homosexuellen Aktionsgruppen (ab 1993 Pink Cross) erfuhren in den 1990er Jahren einen Generationenwechsel in der Führung und etablierten sich als medienwirksame Interessengruppen. Weniger auf Öffentlichkeit erpicht, organisierten sich lesbische Frauen, so unter anderem 1989 in der Lesbenorganisation Schweiz, und ökumenisch ausgerichtete Schwule und Lesben in der Organisation Homosexuelle und Kirche. Im Tessin wurde 1995 der Spazio gay in Massagno eröffnet und 2002 der Collettivo lesbico gay Ticino gegründet. Die Gruppen der sich anfänglich befehdenden effeminierten Schwulen (Tunten), der ängstlichen Unkenntlichen und der provokativ Politischen wandelten sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu kulturellen Szenen, die sich in eigenen Sites auf dem Internet präsentieren.
Seit 1978 erinnert auch in der Schweiz die jährliche Sommerdemonstration des Christopher Street Day an den Sturm der New Yorker Schwulen gegen die Polizei 1969. Die Immunschwächekrankheit Aids führte ab 1985 besonders bei den männlichen Homosexuellen zu zahlreichen Todesfällen. Sensibilisierungskampagnen des Bundes, die von Schwulengruppen mitgetragen wurden, trugen zu risikosenkenden Verhaltensänderungen bei. Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert nimmt die Kommerzialisierung der Schwulenkultur mit einem breiten Angebot von Büchern und Zeitschriften, Saunas, Bars, Diskos, Reisebüros und Hotels zu.
Quellen und Literatur
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- Beitr. der Koordinationsstelle für Homosexualität und Wissenschaft, 1988-
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- H. Puff, Sodomy in Reformation Germany and Switzerland 1400-1600, 2003
- T. Lau, «Sodom an der Limmat», in SZG 56, 2006, 273-294
- Rechte der Lesben und Schwulen in der Schweiz, hg. von A.R. Ziegler et al., 2007
- R. Chianese, Omosessualità, una bibliografia, 2007
- Ruckstuhl, Brigitte; Ryter, Elisabeth: Zwischen Verbot, Befreiung und Optimierung. Sexualität und Reproduktion in der Schweiz seit 1750, 2018.
- Delessert, Thierry; Voegtli, Michaël: Homosexualités masculines en Suisse. De l’invisibilité aux mobilisations, 2012.
- Kokula, Ilse; Böhmer, Ulrike: Die Welt gehört uns doch! Zusammenschluss lesbischer Frauen in der Schweiz der 30er Jahre, 1991.
Kontext | Gay, Lesben, Schwule, Sodomie |