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Jetzerhandel

Hinrichtung von vier Dominikanern in Bern 1509. Titelseite einer lateinischen Flugschrift von Thomas Murner, die kurz nach den Ereignissen von 1509 in Strassburg veröffentlicht wurde, mit einem Holzschnitt von Urs Graf (Bibliothèque de Genève; Fotografie Jean-Marc Meylan).
Hinrichtung von vier Dominikanern in Bern 1509. Titelseite einer lateinischen Flugschrift von Thomas Murner, die kurz nach den Ereignissen von 1509 in Strassburg veröffentlicht wurde, mit einem Holzschnitt von Urs Graf (Bibliothèque de Genève; Fotografie Jean-Marc Meylan). […]

Der Jetzerhandel wird nach dem um 1483 in Zurzach geborenen Schneidergesellen Hans Jetzer benannt. Am 24. August 1506 wurde er als Konverse in den bernischen Dominikanerkonvent aufgenommen, wo er im ersten Halbjahr 1507 zahlreiche Erscheinungen der Jungfrau Maria in Begleitung der Heiligen Barbara, Cäcilia, Katharina von Siena und des Bernhard von Clairvaux hatte. Gemäss Jetzers Aussage habe die Pietà in der Klosterkirche in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1507 blutige Tränen geweint. Vom 12. auf den 13. September 1507 sei auf dem Lettner eine gekrönte Maria erschienen. Diese Erscheinungen warben für die von den Dominikanern gegen die Franziskaner vertretene Lehre von der befleckten Empfängnis Mariens. Anfang Oktober 1507 wurde Jetzer zur Untersuchung an den Bischof von Lausanne überstellt, wo er die Klostervorsteher Prior Johannes Vatter, Lesemeister Stephan Boltzhurst, Subprior Franz Ueltschi und Schaffner Heinrich Steinegger beschuldigte, sie hätten ihm diese Erscheinungen vorgespielt. Nachdem Jetzer Anfang Januar 1508 nach Bern zurückgebracht worden war, wurden die Klostervorsteher Anfang Februar verhaftet. Der Inquisitions- und der folgende Revisionsprozess endeten am 31. Mai 1509 mit der Verbrennung der Klostervorsteher auf der Schwellenmatte (unterhalb von Bern), während Jetzer am 25. Juli 1509 aus dem Gefängnis entkommen konnte und sich in der Folge verheiratete. 1512 nahm ihn der eidgenössische Vogt von Baden in Haft, doch wurde er auf Wunsch Berns laufen gelassen. 1514 soll Jetzer gestorben sein.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts galt die Hinrichtung der Klostervorsteher als "Justizmord" und Jetzer als Alleinschuldiger. In letzter Zeit sind jedoch Zweifel an dieser Alleinschuld geäussert worden. Hauptsächlich aufgrund des relativ hohen intellektuellen Niveaus des Jetzerhandels wird eher davon ausgegangen, dass der Lesemeister Boltzhurst der geistige Kopf des Jetzerhandels war. Andererseits erreichte die Stadt Bern das gewünschte Todesurteil für die Klostervorsteher umso leichter, als Matthäus Schiner, Bischof von Sitten und Mitglied des ausserordentlichen Gerichtshofs, im Mai 1509 als Mittelsmann des Papstes auch für ein Bündnis von Papst Julius II. mit den Eidgenossen geworben hatte. Die Erinnerung an den Jetzerhandel dürfte den Entscheid für die Einführung der Reformation in Bern mitbeeinflusst haben.

Quellen und Literatur

  • Die Akten des Jetzerprozesses, nebst dem Defensorium, hg. von R. Steck, 1904
  • HS IV/5, 297-299, (mit Bibl.)
  • K. Utz Tremp, «Eine Werbekampagne für die Befleckte Empfängnis», in Maria in der Welt, hg. von C. Opitz et al., 1993, 323-337
  • Von den vier Ketzern, hg. von R. Günthart, 2009
Von der Redaktion ergänzt
  • Utz Tremp, Kathrin: Warum Maria blutige Tränen weinte. Der Jetzerhandel und die Jetzerprozesse in Bern (1507-1509), 2022 (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, 78).
Weblinks

Zitiervorschlag

Kathrin Utz Tremp: "Jetzerhandel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.07.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017170/2009-07-22/, konsultiert am 11.09.2024.