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Katholische Reform

Mit katholischer Reform bezeichnet man jene Veränderungen, die im 16. und 17. Jahrhundert in der römisch-katholischen Kirche parallel zur Reformation oder als Reaktion auf diese vorgenommen wurden. Die Geschichtsschreibung betonte zunächst deren gegenreformatorischen Aspekt (Gegenreformation). Dann erkannte man, dass die nach dem Konzil von Trient (1545-1563) durchgeführten Änderungen Wurzeln hatten, die vor den Protestantismus zurückreichten und daher ihre eigene Logik besassen. Der Begriff der Gegenreformation wurde daher auf jene Massnahmen – vorwiegend politischer und militärischer Art – eingeschränkt, die den Protestantismus bremsen oder zurückdrängen sollten, während die inneren Umgestaltungen der römische Kirche mit katholischer Reform bezeichnet wurden. Die religiöse, geistige und kulturelle Bewegung, die sich damals im Papsttum entwickelte, kann mit den Begriffen der tridentinischen Theologie, der Barockkultur und des christlichen Humanismus umrissen werden.

In der Schweiz äusserte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts trotz der Probleme mit dem schlecht ausgebildeten und oft abwesenden Klerus eine spirituelle Kraft, die auf die Devotio moderna, den christlichen Humanismus und die Nachwirkungen von Niklaus von Flüe zurückzuführen ist. Die Konzils-, Universitäts- und Druckerstadt Basel wurde zu einem Bibel- und Patristikzentrum, das durch Erasmus von Rotterdam grosse Ausstrahlung erhielt. Zwar trat eine Mehrheit der Schweizer Humanisten zum Protestantismus über, doch andere, so Erasmus selbst, Glarean oder Aegidius Tschudi, blieben katholisch.

Nachdem sich Bern 1528 der Reformation angeschlossen hatte, gaben zwei Ereignisse den Katholiken neuen Mut: Der Zweite Kappeler Landfrieden (1531) sicherte den altgläubigen Orten eine Mehrheit in der Tagsatzung. Zudem brachte das Konzil von Trient eine neue Festigkeit der Lehre, konkrete Reformziele sowie die Hilfe der internationalen Gemeinschaft.

Auf der Ebene des Dogmas legte das Konzil die katholische Haltung zur Rechtfertigungslehre fest, bestimmte die kirchliche Autorität und das Verhältnis von Tradition und Bibel, fixierte einen Kanon der heiligen Schriften, definierte die sieben Sakramente und erliess Richtlinien für die Predigt und die Katechese. In seinen Dekreten forderte es die Residenzpflicht der Bischöfe und der Pfarrer, verurteilte die Ämterkumulation, verlangte die Einhaltung des Zölibats und die Schaffung von Priesterseminaren. 1570 liess Papst Pius V. ein neues Messbuch herausgeben. Danach erschienen ein Brevier, ein Katechismus und schliesslich eine verbesserte Ausgabe der Bibel. Kardinal Karl Borromäus, Staatssekretär des Papstes, dann Erzbischof von Mailand, wurde zum Protector Helvetiae ernannt. Er schlug die Errichtung einer Nuntiatur sowie die Gründung eines Jesuitenkollegiums und eines Priesterseminars vor. Zur Ausbildung der Priester aus der Eidgenossenschaft gründete er in Mailand das Collegium Helveticum. Er organisierte Diözesansynoden, an denen gewisse Tessiner Täler, die er überdies Dorf für Dorf visitierte, vertreten waren. All diese von Papst Gregor XIII. (1572-1585) unterstützten Anstrengungen führten zur Errichtung einer Nuntiatur in Luzern, die die Umsetzung der Reformen aufmerksam verfolgte.

Einige Schweizer Bischöfe machten sich ans Werk. Jakob Christoph Blarer von Wartensee, Fürstbischof von Basel, berief 1575 eine Diözesansynode ein und veranlasste die Gründung eines Kollegiums in Pruntrut. Der Bischof von Konstanz, Mark Sittich von Hohenems, veranstaltete ebenfalls eine Synode. In Graubünden versuchten die Flugi von Aspermont, Bischöfe von Chur, wieder Ordnung in die äusserst unruhige Diözese zu bringen. Die von Riedmatten, Bischöfe von Sitten, taten dasselbe im Wallis, wo sich Bewohner von Leuk und Sitten mehr oder weniger offen zum Protestantismus bekannten. Die Reformbemühungen entfalteten ihre Wirkung erst im Zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts, nach der Missionstätigkeit der Kapuziner und der gründlichen Arbeit der Kollegien.

Franz von Sales, Bischof von Genf mit Sitz in Annecy, übte seine Reformtätigkeit in Savoyen, im Wallis und in der Region Genf aus. Infolge seiner gründlichen Studien nahm er seine Verantwortung als Bischof mit grossem Ernst wahr. 1609 veröffentlichte er die «Anleitung zum frommen Leben» und 1616 die «Abhandlung über die Gottesliebe», die zu Klassikern der geistlichen Literatur wurden. Mit Jeanne-Françoise de Chantal gründete er den Frauenorden der Heimsuchung Mariens, dessen Angehörige, die Visitandinnen, sich in Frankreich und in der Schweiz ausbreiteten. Die Jesuiten, deren «Gesellschaft» 1534 in Paris gegründet worden war, gaben der katholischen Reform einen entscheidenden Impuls. Sie wirkten als Prediger und Missionare, als Lehrer und Erzieher. Die mangelnde Bildung des Klerus stellte in der Schweiz eines der Hauptprobleme der Kirche dar. Um Abhilfe zu schaffen, wurden Kollegien gegründet, die auch Unterricht in Theologie erteilten, und zwar in Luzern (1577), Freiburg (1582), Pruntrut (1591), Solothurn (1646), Brig (1650) und Sitten (1625-1734). In diesem Zusammenhang kam Petrus Canisius 1580 nach Freiburg. Der Schriftsteller und eifrige Prediger sowie Autor von drei Katechismen war an der Gründung von 17 Kollegien und Universitäten beteiligt. In der Schweiz publizierte er die Biografie der wichtigsten Volksheiligen, von Hilda bis Niklaus von Flüe.

Die Kapuziner, die 1529 aus einer Reform des Franziskusordens hervorgegangen waren, zeichneten sich durch Armutsliebe und aufopfernde Missionstätigkeit aus. Ihre Popularität stieg rasch an, und die katholischen Obrigkeiten machten einander deren Anwesenheit streitig. Von Bigorio, dann von Sorengo bei Lugano aus, kamen die Kapuziner über die Alpen und gründeten 1581 ein Kloster in Altdorf (UR) und eines in Stans. Mit der Unterstützung von Melchior Lussi taten sie dies darauf auch in Luzern und Schwyz (1585), Appenzell (1587), Solothurn und Baden (1588), Zug (1595), Rheinfelden (1596), Rapperswil (SG, 1602), Sursee (1605), Freiburg (1609), Saint-Maurice (1615), Bremgarten (AG, 1617), Delsberg (1626), Sitten (1631), Sarnen (1642), Olten (1646) und Laufenburg (1650). Sie predigten in ihren Klöstern oder in den Pfarrkirchen und unternahmen Missionsreisen in die abgelegensten Täler. Ihr weiblicher Zweig (Kapuzinerinnen) liess sich in Freiburg (Montorge) nieder und führte die Reform der ehemaligen Klarissen- und Franziskanerinnenklöster durch.

Weitere Frauenorden traten in Erscheinung. Die 1535 in Brescia gegründete Gemeinschaft der Ursulinen wurde nach Pruntrut, dann nach Freiburg, Luzern, Brig, Mendrisio und Bellinzona gerufen. Sie bemühten sich um die Ausbildung und die Unterweisung der Töchter. Die Visitantinnen eröffneten 1635 und 1644 Mädchenpensionate in Freiburg und in Solothurn.

Die Obrigkeiten, namentlich Ludwig Pfyffer von Altishofen in Luzern, Melchior Lussi in Stans, Aegidius Tschudi in Glarus, Jean de Lanthen-Heid in Freiburg und die oberen Zenden des Wallis, förderten diese Bemühungen entschlossen. Unterstützung fanden sie beim Klerus, wie etwa beim Propst Peter Schneuwly und Sebastian Werro in Freiburg, stiessen dabei aber auch auf Widerstand.

Die Reformbewegung der katholischen Kirche fand ihren Ausdruck im Barock. Diese Strömung strebte danach, die Kirche durch Frömmigkeit, Pilgerreisen, Liturgie und Sakramente sichtbar zu machen. Sie löste eine Erneuerung der Architektur, Malerei und Bildhauerei wie auch des Gesangs, der Musik und des geistlichen Theaters aus. Auf der Ebene der Wissenschaften entwickelten sich die Apologetik, die Hagiografie, die Geschichte, die Literatur sowie die Astronomie. Die Übernahme des gregorianischen Kalenders 1582 brachte die Messung des bürgerlichen Jahres wieder in Übereinstimmung mit der astronomischen Zeit (Kalender).

So erneuerte die katholische Reform die Volksfrömmigkeit, hob das geistige und kulturelle Niveau und stärkte die sakramentale Praxis. Sie trug zur Entstehung eines neuen, besser ausgebildeten und disziplinierteren Klerus bei und brachte aussergewöhnliche geistliche Persönlichkeiten hervor. Das Selbstbewusstsein der Katholiken und ihre Bindung an das Papsttum wurden gestärkt. Andererseits errichtete die katholische Reform gegenüber dem Protestantismus unüberwindbare Schranken. Da sie mit dem oligarchischen, auf Solddienst und Landbesitz beruhenden System des Ancien Régime eng verknüpft war, stiess sie später hart mit den Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution zusammen.

Quellen und Literatur

  • J.G. Mayer, Das Konzil von Trient und die Gegenreformation in der Schweiz, 2 Bde., 1901-03
  • B. Duhr, Gesch. der Jesuiten in den Ländern dt. Zunge, 4 Bde., 1907-28
  • O. Eberle, Barock in der Schweiz, 1930
  • T. Schwegler, Gesch. der kath. Kirche in der Schweiz von den Anfängen bis auf die Gegenwart, 1943 (21945)
  • J. Bütler, Männer im Sturm, 1948
  • R. Fischer, Die Gründung der Schweizer Kapuzinerprovinz, 1581-1589, 1955
  • A. Ravier, François de Sales, un sage et un saint, 1962 (52003)
  • A. Chèvre, Jacques-Christophe Blarer de Wartensee, prince-évêque de Bâle, 1963
  • F. Dommann, Der Einfluss des Konzils von Trient auf die Reform der Seelsorge und des religiösen Lebens in Zug im 16. und 17. Jh., 1967
  • C. di Filippo Bareggi, «San Carlo e la Riforma cattolica», in Storia religiosa della Svizzera, hg. von F. Citterio, L. Vaccaro, 1996, 193-246
  • J. Oswald et al., Petrus Canisius - Reformer der Kirche, 1996 (21997)
  • P. Hersche, Musse und Verschwendung, 2 Bde., 2006
Weblinks

Zitiervorschlag

Jean-Blaise Fellay: "Katholische Reform", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.04.2014, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017177/2014-04-03/, konsultiert am 29.03.2024.