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Helvetische Revolution

Zeitgenössische Publizisten und Historiografen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstanden unter dem Begriff Helvetische Revolution die Periode vom Zusammenbruch des Ancien Régime 1798 bis zum Inkrafttreten der Mediationsakte 1803. Historiker des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts hingegen beschrieben unter diesem Terminus nur noch die unmittelbare Vorgeschichte der Helvetischen Republik. Um eine Definition bemühte sich lediglich Johannes Strickler. Als Anfangsdatum der Helvetischen Revolution betrachtete er die am 2. Januar 1798 einsetzende Agitation der Patrioten in Lausanne, als Enddatum die am 17. Mai 1798 erfolgte Niederwerfung der Oberwalliser durch französische Truppen. Karl Dändliker, der den Franzoseneinfall und den dadurch verursachten Verlust der staatlichen Unabhängigkeit hervorhob, gebrauchte Helvetische Revolution als Synonym für den Untergang der alten Eidgenossenschaft. Seiner Ansicht nach fand sie zwischen dem Staatsstreich vom 4. September 1797 in Paris und der bernerischen Niederlage im Grauholz vom 5. März 1798 statt. Erst Ulrich Im Hof legte das Gewicht auf die vor dem Hintergrund der französischen Bedrohung zustande gekommene innenpolitische Umgestaltung der Eidgenossenschaft. Er sah in der um die ehemaligen Untertanengebiete erweiterten föderalistischen Eidgenossenschaft der Übergangszeit eine Alternative zur zentralistischen Helvetischen Republik.

Vorspiel

Nach der Beendigung des Ersten Koalitionskriegs im Oktober 1797 wurde die als Aufmarschgebiet gegen Österreich strategisch wichtige Eidgenossenschaft zur Zielscheibe der französischen Expansionspolitik. Diplomatischer Druck aus Paris bewirkte, dass der englische Gesandte William Wickham am 7. November die Schweiz verlassen musste. Napoleon Bonapartes schroffes Verhalten auf der Durchreise an den Rastatter Kongress führte den altgesinnten Obrigkeiten die hoffnungslose Lage der aussenpolitisch isolierten Eidgenossenschaft vor Augen und nährte bei den Patrioten die Hoffnung auf eine baldige Revolution. Während im Dezember der Basler Oberstzunftmeister Peter Ochs und der Waadtländer Frédéric-César de La Harpe in Paris mit dem Direktorium und mit General Bonaparte über die Umwandlung der Eidgenossenschaft in eine Schwesterrepublik verhandelten, annektierte Frankreich am 14. Dezember die in die eidgenössische Neutralität einbezogenen südlichen Ämter des Fürstbistums Basel. Im zugewandten Ort Mülhausen, der ab 1790 durch eine Zollsperre isoliert war, sprach sich am 4. Januar 1798 eine Ratsmehrheit für die Vereinigung mit Frankreich aus (am 15. März vollzogen). Die vom 27. Dezember 1797 bis zum 31. Januar 1798 in Aarau versammelte ausserordentliche Tagsatzung vermochte auf diese Ereignisse lediglich mit einer Neubeschwörung der alten Bünde zu reagieren.

Die Helvetische Revolution vor dem französischen Angriff

"Einheit und Eintracht". Proklamation der provisorischen Repräsentativversammlung der Waadt, 24. Januar 1798 (Archives cantonales vaudoises, Chavannes-près-Renens).
"Einheit und Eintracht". Proklamation der provisorischen Repräsentativversammlung der Waadt, 24. Januar 1798 (Archives cantonales vaudoises, Chavannes-près-Renens). […]

Im Januar 1798 nahm die Helvetische Revolution in Basel ihren Anfang. Am 13. Januar forderten die Baselbieter – sie standen in engem Kontakt mit dem städtischen Patriotenzirkel – die Rechtsgleichheit. In Liestal wurde ein Freiheitsbaum errichtet, die Landvogteisitze Waldenburg, Farnsburg und Homburg gingen in Flammen auf (17.-23. Januar). Der eigentliche Machtwechsel erfolgte am 20. Januar mit der Ausstellung einer Freiheitsurkunde für die Landbevölkerung durch den Grossen Rat. Die oberste Staatsgewalt übernahm eine Nationalversammlung, die aus 20 Stadtvertretern, 20 Landschaftsvertretern und 20 von der Landschaft gewählten Stadtbürgern bestand.

In der Waadt bildeten die Patrioten Anfang Januar überall Komitees, die eine Petitionskampagne zur Einberufung einer Landesversammlung in Gang setzten. Aufgrund der fehlenden bernischen Konzessionsbereitschaft entstand daraus eine Unabhängigkeitsbewegung. Als der Berner Grosse Rat Truppen aufbot und eine französische Division aus Italien bei Versoix am Genfersee eintraf (20. Januar), deren Befehlshaber Philippe Romain Ménard den Waadtländern den Schutz Frankreichs zusicherte, spitzte sich die Situation zu. Am 24. Januar gelangte die Revolution zum Durchbruch. In Lausanne trugen die Menschen grüne Kokarden. Die dort versammelten Abgeordneten der Städte und Gemeinden konstituierten sich als provisorische Repräsentativversammlung der Waadt, die bernischen Landvögte verliessen das Land. Der Zwischenfall von Thierrens vom 25. Januar lieferte General Ménard den erwünschten Vorwand für den Einmarsch, der am 28. Januar erfolgte und in den angrenzenden Gebieten sogleich Untertanenrevolten auslöste.

In Freiburg sagten sich die französischsprachigen Landvogteien im Süd- und im Nordwesten des Kantons von der Hauptstadt los. Die Unterwalliser erzwangen am 1. Februar von den sieben Zenden des Oberwallis den Verzicht auf ihre Herrschaftsrechte. Aufgeschreckt durch die politische Umwälzung in Basel und in der Westschweiz leiteten die Räte von Bern, Solothurn und Freiburg eine Staatsreform in die Wege. Den revolutionären Bestrebungen im Aargau bereitete jedoch bernisches Militär durch die Besetzung Aaraus am 4. Februar ein rasches Ende. Im Kanton Solothurn wurden praktisch alle Patrioten durch die Obrigkeit oder die Landbevölkerung gefangen gesetzt (5.-9. Februar). Die Luzerner Räte dankten am 31. Januar freiwillig ab, amtierten aber als provisorische Regierung weiter, bis am 1. März eine Konstituante mit Repräsentanten von Stadt und Land zusammentrat. In der östlichen Schweiz forderten die Untertanen als Gegenleistung für die von Bern begehrte Bundeshilfe ihre Befreiung. Der durch Gemeindekongresse ausgeübte Druck bewirkte, dass am 5. Februar in Zürich und am 6. Februar in Schaffhausen die Rechtsgleichheit verkündet und die Wahl von Verfassungsräten beschlossen wurde. Das Territorium des Fürstabts von St. Gallen zerfiel in zwei Freistaaten. Im Toggenburg übergab Landvogt Karl Müller-Friedberg am 1. Februar die Verwaltung dem Landrat. Die Freiheitsbewegung des Fürstenlandes unter Johannes Künzle errang die Souveränität am 4. Februar nach der Androhung von Gewaltmassnahmen. Zehn Tage später errichtete eine Landsgemeinde in Gossau die Freie Republik der Landschaft St. Gallen. Die gemeinen Herrschaften Thurgau, Rheintal und Sargans verlangten im Februar in Volksversammlungen ein Ende der Untertänigkeit. Der eidgenössische Repräsentantenkongress in Frauenfeld erklärte sie am 3. bzw. 5. März unter dem Eindruck der militärischen Entwicklung im Westen für unabhängig und stellte ihnen Freilassungsurkunden aus. Dadurch verlieh er der politischen Umwälzung eine rechtliche Form.

Die Entwicklung nach dem französischen Einmarsch

Nach der französischen Offensive (1.-5. März) gewährten Schwyz und Glarus den Vogteien Gaster und Uznach die Autonomie am 6. bzw. 21. März. Die Freien Ämter, Baden und Gams, die keine Veränderung der Herrschaftsverhältnisse wünschten, erhielten das Selbstbestimmungsrecht zwischen dem 19. und dem 28. März.

Die Erweckung des Schweizers, Allegorie der Helvetischen Revolution von 1798. Kolorierte Radierung des Solothurner Künstlers Lorenz Ludwig Midart (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).
Die Erweckung des Schweizers, Allegorie der Helvetischen Revolution von 1798. Kolorierte Radierung des Solothurner Künstlers Lorenz Ludwig Midart (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen). […]

In den durch die Annexionsbestrebungen der Cisalpinischen Republik gefährdeten ennetbirgischen Vogteien war die Helvetische Revolution durch das Ringen der Bevölkerungsmehrheit um einen Verbleib bei der Schweiz gekennzeichnet. Am 15. Februar wehrten die Luganeser den Überfall eines cisalpinischen Korps erfolgreich ab. Die zwölf Orte gestanden Lugano und Mendrisio gleichentags die schweizerische Freiheit zu. Locarno folgte am 6. März, das Vallemaggia am 21. März. Provisorische Regierungen bemühten sich mit Hilfe der Landvögte und eidgenössischen Repräsentanten um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Die Leventina erlangte am 14. März die Gleichberechtigung innerhalb des Kantons Uri, die Vogteien Bellinzona, Blenio und Riviera wurden von Uri, Schwyz und Nidwalden am 4. April freigegeben. Der ausserordentliche Landtag des durch den Verlust des Veltlins, Bormios und Chiavennas schwer erschütterten Freistaates der Drei Bünde erwog den Anschluss an die Eidgenossenschaft und erbat am 15. Februar von den Gemeinden ein entsprechendes Verhandlungsmandat. In der Innerschweiz hob Zug die städtischen Vogteien am 17. Februar auf. Am 17. April fand die erste gemeinsame Landsgemeinde der «Alt- und Neugefreiten» statt. Schwyz gestand seinen Landschaften (Küsnacht ZH, Höfe, Einsiedeln) die Gleichberechtigung am 18. Februar zu. Die March, der erst am 8. März eine Befreiungsurkunde ausgestellt wurde, sagte sich sogleich vom schwyzerischen Staatsverband los. Glarus erteilte den Werdenberger Untertanen das Selbstbestimmungsrecht am 19. Februar und die Unabhängigkeit am 11. März. Die Abtei Engelberg schliesslich entliess die Talleute am 30. März in die Freiheit.

Zum Zeitpunkt der französischen Militäraktion gegen die Patriziate von Solothurn, Freiburg und Bern hatte sich die Schweiz innenpolitisch entscheidend verändert. Nach dem 4. April existierten keine untertänigen Gebiete mehr. Das Staatengebilde umfasste nun knapp 40 territoriale Einheiten, die entweder als repräsentative Demokratien oder als Landsgemeinderepubliken organisiert waren. Die befreiten Landschaften betrachteten sich als gleichrangige Verbündete der dreizehn Orte und Zugewandten und setzten – zu spät – militärische Aufgebote gegen die Franzosen in Marsch. Die munizipalstädtischen bzw. ländlichen Oberschichten, welche die Helvetische Revolution zum Teil mit Unterstützung der hauptstädtischen Patrioten bewerkstelligt hatten, hofften auf eine Weiterexistenz der nunmehr demokratisierten Eidgenossenschaft. In Paris war jedoch die Umgestaltung des östlichen Nachbarlandes in einen Einheitsstaat nach französischem Vorbild beschlossene Sache. Anfang Februar wurde die von Peter Ochs ausgearbeitete und vom Direktorium abgeänderte Verfassung der Helvetischen Republik durch französische Agenten überall in der Schweiz verbreitet. Das «höllische Büchlein» stiess durchwegs auf scharfe Ablehnung. Die Basler Nationalversammlung modifizierte die Konstitution und nahm sie am 15. März als schweizerisches Grundgesetz an. Die meisten Kantone akzeptierten nach der Besetzung den weniger zentralistischen Basler Entwurf als das kleinere Übel, da inzwischen die Gefahr einer territorialen Zerstückelung der Eidgenossenschaft drohte. Die am 16. bzw. 19. März vom französischen Oberkommandierenden General Guillaume Brune verfügte Errichtung der drei Republiken Rhodanien (West- und Südschweiz), Helvetien (Nord- und Ostschweiz) und Tellgau (Innerschweiz) blieb allerdings eine Episode. Am 28. März ordnete Regierungskommissär François-Philibert Le Carlier an, dass nur die unveränderte Pariser Verfassung in Kraft treten könne. Zwei Wochen später, am 12. April, proklamierten in Aarau Deputierte aus zehn Kantonen die Helvetische Republik.

Quellen und Literatur

  • EA 8
  • ASHR 1, 1-553
  • J. Strickler, Die Helvetische Revolution 1798 mit Hervorhebung der Verfassungsfragen, 1898
  • Feller, Bern 4
  • HbSG, 785-869
  • M. Manz, Die Basler Landschaft in der Helvetik (1798-1803), 1991
  • Basel 1798, Ausstellungskat. Basel 1998, 13-60
  • De l'ours à la cocarde: régime bernois et révolution en pays de Vaud (1536-1798), hg. von F. Flouck et al., 1998
  • Ticino 1798-1998, Bd. 1, Ausstellungskat. Lugano, 1998, 25-37
  • C. Chuard, 1798: à nous la liberté, 1998
  • SGGesch. 5, 171-177
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Fankhauser: "Helvetische Revolution", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.03.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017217/2011-03-24/, konsultiert am 28.03.2024.