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Eingabe der Zweihundert

Die Eingabe der Zweihundert wurde am 15. November 1940 an den Bundesrat gerichtet. Die aus dem Umfeld des 1921 gegründeten germanophilen Volksbunds für die Unabhängigkeit der Schweiz stammenden Verfasser gingen davon aus, dass die zukünftige Ordnung Europas durch das Dritte Reich bestimmt werde; sie forderten deshalb in ihrem Programm eine strikte Auslegung der Neutralität auch in innenpolitischen Bereichen, die jegliche Kritik am bzw. Brüskierung des nationalsozialistischen Deutschland ausschliesse (Nationalsozialismus).

Der Eingabe voraus ging ein Treffen zwischen Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz und vier der sieben Verfasser der späteren Eingabe. Der Bundesrat empfing Hektor Ammann, Heinrich Frick, Andreas Sprecher von Bernegg und Caspar Jenny am symbolträchtigen 1. August 1940, eine Woche nach dem Rütli-Rapport, mit dem General Henri Guisan nach der Niederlage Frankreichs (Zweiter Weltkrieg) und der anschliessenden zweideutig anmutenden Radioansprache von Pilet-Golaz vom 25. Juni 1940 die Bevölkerung und die Armee hatte beruhigen sowie zum Widerstand anhalten wollen. Das Gespräch drehte sich hauptsächlich um Punkte, die später auch in der von Rudolf Grob, Emil Friedrich und Fritz Rieter mitverfassten Eingabe enthalten sein sollten.

«Die berüchtigte Eingabe der "200" im Wortlaut». Publikation der Eingabe der Zweihundert vom 15. November 1940 in der Berner Tageszeitung Der Bund, Nr. 36, Morgenausgabe, 23. Januar 1946 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
«Die berüchtigte Eingabe der "200" im Wortlaut». Publikation der Eingabe der Zweihundert vom 15. November 1940 in der Berner Tageszeitung Der Bund, Nr. 36, Morgenausgabe, 23. Januar 1946 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Zu deren Forderungen zählten der sofortige Abbruch aller Beziehungen zum Völkerbund und dessen Ausweisung aus der Schweiz sowie die Entfernung von Kritikern der faschistischen Diktaturen aus allen verantwortlichen Stellen des Staates (Faschismus); namentlich zielten die Unterzeichner in diesem Zusammenhang auf den Sozialisten Robert Grimm, den Chef der Sektion Kraft und Wärme im Eidgenössischen Kriegs-, Industrie- und Arbeitsamt. Weiter verlangten die Unterzeichner der Eingabe die Wiedergutmachung aller Schäden, welche verurteilte Frontisten oder Landesverräter durch «Übergriffe unserer politischen Polizei» erlitten hätten (Staatsschutz); deren Ehre sei wiederherzustellen und die Verantwortlichen zu bestrafen. Ein weiteres Postulat der Eingabe war die Durchführung von rigiden Zensurmassnahmen bei Presse und Rundfunk: Für die Wahrung der Freiheit und die Pflege guter Beziehungen zu allen Nachbarn sei die «Ausmerzung» jener Presseorgane unabdingbar, die «im Dienste fremder politischer Gedanken» stünden und beherrscht seien von der «nebelhaften Vorstellung einer internationalen Weltdemokratie». In einem internen Papier des Volksbunds waren vorher die Chefredaktoren der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), des Bunds und der Basler Nachrichten sowie die Nachrichtenblätter Die Weltwoche, die National-Zeitung und Die Nation aufgeführt worden. Der mit der Eingabe der Zweihundert ausgeübte politische Druck deckte sich inhaltlich mit den Anpassungsforderungen von deutscher Seite bzw. einer Intervention des deutschen Presseattachés Georg Trump im Juli 1940; eine direkte Zusammenarbeit zwischen Trump und dem Volksbund, der die Eingabe vorbereitete, lässt sich aber nicht nachweisen.

Die Eingabe der Zweihundert der «Aktion zur Wahrung der schweizerischen Neutralität» vom 15. November 1940 wurde von 105 Personen aus rechtsbürgerlichen akademischen, politischen und wirtschaftlichen Kreisen unterschrieben, darunter ca. 80 Offizieren. Zwei weitere Listen wurden am 12. Dezember 1940 und Anfang 1941 mit 45 bzw. 23 Namen nachgereicht. 

Der Bundesrat nahm 1941 mündlich Stellung, trat aber nicht auf die Eingabe der Zweihundert ein. Publik gemacht wurde sie erst 1946, nachdem der Bundesrat innenpolitisch unter Druck geraten war. Die Kritik an anpasserischen, antidemokratischen Tendenzen in der Schweiz konzentrierte sich in der Folge auf die «Zweihundert», denen die Rolle von Sündenböcken zukam, während die zumindest ambivalente Haltung der Behörden in den Hintergrund rückte.

Quellen und Literatur

  • Waeger, Gerhart: Die Sündenböcke der Schweiz. Die Zweihundert im Urteil der geschichtlichen Dokumente 1940-1946, 1971.
Weblinks
Kurzinformationen
Variante(n)
Eingabe der 200
Kontext Aktion zur Wahrung der schweizerischen Neutralität

Zitiervorschlag

Ruedi Brassel-Moser: "Eingabe der Zweihundert", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.10.2024. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017341/2024-10-21/, konsultiert am 06.12.2024.