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Washingtoner Abkommen

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs äusserten die Alliierten immer heftigere Kritik an den schweizerischen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen mit den Achsenmächten. Obwohl die Mission Currie-Foot für einen Teil der Streitfragen Lösungen fand, hielt der alliierte Druck an. Verhandlungen ab März 1946 zwischen der Schweizer Delegation unter der Leitung von Walter Stucki sowie den amerikanischen, britischen und französischen Vertretern mündeten schliesslich am 25. Mai 1946 in den Abschluss des Washingtoner Abkommens. Laut dem Vertrag musste die Schweiz 250 Mio. Franken für den Wiederaufbau Europas zahlen. Im Gegenzug verzichteten die Alliierten auf weitere Ansprüche gegenüber der Schweizerischen Nationalbank, deren Aktivitäten während des Kriegs, vor allem der Kauf von deutschem Raubgold, umstritten waren. Die Schweiz verpflichtete sich ferner, die ab dem 16. Februar 1945 blockierten deutschen Vermögen in der Schweiz zu registrieren und die in der Schweiz vorhandenen Vermögenswerte von in Deutschland lebenden Deutschen zu liquidieren. Der anfallende Erlös sollte zur Hälfte für Schweizer Kriegsopfer, zur Hälfte für den Wiederaufbau Europas verwendet werden. Die Alliierten ihrerseits erklärten sich bereit, ihre schwarzen Listen von natürlichen und juristischen Personen mit Wirtschaftsbeziehungen zu den Achsenmächten aufzuheben. Darüber hinaus willigten die Amerikaner in die Freigabe der ab 1941 in den USA blockierten Schweizer Guthaben ein.

William Emmanuel Rappard, Berater der Schweizer Delegation, bezeichnete das Washingtoner Abkommen als «diplomatisches Wunder», weil die westlichen Siegermächte einen wesentlichen Teil ihrer harten Forderungen aufgegeben hatten. Die Schweiz nutzte ihre industriellen und finanziellen Kapazitäten, um Frankreich und Grossbritannien mit entsprechenden Leistungen zu unterstützen, was sich mildernd auf deren Forderungen auswirkte. Zudem profitierte sie von der internationalen Entwicklung, da mit dem beginnenden Kalten Krieg der Druck der westlichen Alliierten abnahm. Dank des Washingtoner Abkommens gelang es der Schweiz, ihre internationale Isolation zu überwinden. Die Umsetzung des Vertrags erwies sich als langwierig, kompliziert und unvollständig. In deren Verlauf konnte die Schweiz ihr Bankgeheimnis wahren. In einem 1946 unveröffentlichten Brief, der Bestandteil des Washingtoner Abkommens war, willigte sie zwar ein, «mit Wohlwollen» die Frage der nachrichtenlosen Vermögen in der Schweiz zu prüfen. Doch dieses in Aussicht gestellte Engagement traf auf den Widerstand der Banken, die das Bankgeheimnis verteidigten. Trotz einiger 1962 vom Parlament verabschiedeter Regelungen wurden erst Ende des Kalten Kriegs bzw. in den 1990er Jahren in dieser Angelegenheit vertiefte Nachforschungen geführt und Fragen der Restitution angegangen.

Quellen und Literatur

  • L. von Castelmur, Schweiz.-alliierte Finanzbeziehungen im Übergang vom Zweiten Weltkrieg zum kalten Krieg, 21997
  • Veröff. UEK 10, 13, 15, 16, 18, 19
  • M. Perrenoud, Banquiers et diplomates suisses (1938-1946), 2011
Weblinks

Zitiervorschlag

Marc Perrenoud: "Washingtoner Abkommen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.06.2013, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017343/2013-06-21/, konsultiert am 10.04.2024.