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Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)

Plakat für die Wahlen in Zürich 1979, gestaltet vom Atelier Zeugin (Plakatsammlung der Schule für Gestaltung Basel, Münchenstein).
Plakat für die Wahlen in Zürich 1979, gestaltet vom Atelier Zeugin (Plakatsammlung der Schule für Gestaltung Basel, Münchenstein).

Die Christlichdemokratische Volkspartei ist in den Kontext der Parteigeschichte des politischen Katholizismus und des politischen Konservatismus zu stellen. Ihre Vorgängerinnen waren Katholikenparteien, deren organisatorische Anfänge in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreichen und die einen Gegenpol zu den liberal-radikalen Parteien bildeten. Die Programmatik der schweizerischen Christlichdemokraten ist im Zusammenhang mit jener der europäischen Christdemokratie zu sehen. Der Bezug auf die christliche Weltanschauung findet sich bereits in den Programmen von 1881 und 1912 (Katholisch-Konservative). Schon früh wies die Partei auf die christliche Soziallehre als ihre Grundlage hin. Mehrmals änderte sie ihren Namen: 1894 nannte sie sich Katholische Volkspartei, ab 1912 Konservative Volkspartei, ab 1957 Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei und seit 1970 CVP; im Folgenden wird der Begriff CVP auch für die Geschichte der Partei vor 1970 verwendet. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962-1965 vollzog die CVP eine programmatische Öffnung, die zu den Parteireformen von 1970-1971 führte. Mit dem neuen Kurs rückte sie in die Mitte des schweizerischen Parteienspektrums. In der Sozialpolitik koalierte sie häufig mit den Sozialdemokraten, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik mit dem Freisinn, während sie in der Kultur- und Kirchenpolitik christlich-konservative Positionen vertrat. Trotz der ideologischen Öffnung blieb sie auch Anfang des 21. Jahrhunderts eine mehrheitlich katholische Partei. 1972 stammten rund 14% der Wähler aus den Reihen des Protestantismus. In den ursprünglich reformierten Kantonen konnte die Partei nicht richtig Fuss fassen.

Verankerung und Entwicklung

Die Verankerung im Katholizismus garantierte der CVP jahrzehntelang eine ausserordentliche Stabilität, da rund die Hälfte der Katholiken christlichdemokratisch wählten. So wies sie 1919-1987 gesamtschweizerisch einen konstanten Wähleranteil von rund 21% auf. Mit 23,4% erreichte sie in den Nationalratswahlen von 1963 ihr bestes Resultat. Die durch die Säkularisierung, die soziale Mobilität und die Wohlstandsgesellschaft bedingte Auflösung des katholischen Milieus führt seit den 1980er Jahren jedoch zu Erosionserscheinungen. 1987 unterschritt die CVP in den Nationalratswahlen mit 19,7% erstmals die 20%-Grenze. 1999 sank ihr Anteil auf 15,8% (2007 14,4%), und die Partei fiel damit hinter die bisher stets kleinere SVP zurück.

In ihren Stammlanden, den früheren Sonderbundskantonen Luzern, Freiburg, Wallis, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden und Zug, nahm die CVP auch im 20. Jahrhundert lange eine dominante Stellung ein. In den Kulturkampfkantonen besass sie traditionell eine starke Minderheitsposition (z.B. in St. Gallen, Aargau, Solothurn und Genf). Dagegen blieb ihre Bedeutung in den ursprünglich reformierten Mittellandkantonen schwach (so in Zürich, Bern, Waadt). Nach dem Hoch der Nachkriegsjahrzehnte, das bis etwa 1965 dauerte, äusserte sich die Erosion zuerst in diesen reformierten Kantonen. Wegen der Konkurrenz der national-konservativen SVP büsste die CVP in den 1990er Jahren auch in den früheren Kulturkampfkantonen und in den Stammlanden Stimmen ein.

Sitze und Stärke der CVP bei nationalen Wahlen 1919-2015

JahrStänderatNationalratWähleranteil (in %)
1919174121,0
1922174420,9
1925184220,9
1928184621,4
1931184421,4
1935194220,3
1939184317,0
1943194320,8
1947184421,2
1951184822,5
1955174723,2
1959184723,3
1963184823,4
1967184522,1
1971174420,3
1975174621,1
1979184421,3
1983184220,2
1987194219,6
1991163518,0
1995163416,8
1999153515,9
2003152814,4
2007153114,5
2011132812,3
2015132711,6
Sitze und Stärke der CVP bei nationalen Wahlen 1919-2015 -  Bundesamt für Statistik

Im Ständerat ist die CVP seit dem 19. Jahrhundert stark vertreten. In den Kantonen des ehemaligen Sonderbunds hatte sie noch 1945 alle 14 Mandate inne. Bis 1999 musste sie in diesen Stammkantonen fünf Sitze an die FDP abtreten. Das erste Doppelmandat ging 1955 in Luzern verloren, 1971 folgte ein Mandat in Zug, 1979 in Freiburg, 1991 in Schwyz und 1999 im Halbkanton Obwalden. 2007 hielt die CVP das Doppelmandat nur noch in Uri und im Wallis. In den Kantonen St. Gallen, Aargau, Tessin, Graubünden, Glarus, Solothurn, Jura sowie Thurgau hatte die Partei zeitweise Einersitze inne, die allerdings immer umkämpft waren. Mit der Eroberung eines Ständeratsmandats im Kanton Solothurn 1987 erreichte die CVP mit 19 Mandaten ihren anteilsmässigen Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nachdem sie 1991 mit 16 Mandaten vom Freisinn (18 Mandate) überholt worden war, war die Partei – aufgrund der freisinnigen Sitzverluste – 2003 und 2007 wieder stärkste Kraft im Ständerat (2009 CVP 15, FDP 12, SP 9, SVP 6, Grüne 2, Grünliberale 1, BDP 1).

Ein auffallendes Merkmal der CVP bildete im 20. Jahrhundert die breite soziale Verankerung. Als eine alle Gesellschaftsschichten umfassende Volkspartei war die CVP von den frühen 1920er Jahren bis 1970 in Wirtschaftsflügeln organisiert, welche die verschiedenen wirtschaftlich-sozialen Interessen von Bauern, Gewerbetreibenden und Arbeitern vertraten und innerhalb der Partei ausgleichen sollten. Mit der Gründung des Christlichsozialen Arbeiterbundes 1919 gewann die christlichsoziale Arbeiter- und Angestelltenbewegung in der bisher bäuerlich-gewerblich und kleinstädtisch geprägten Partei an Bedeutung. 1907 entstand der Christlichnationale Gewerkschaftsbund der Schweiz. Begünstigt durch den Zuzug von Katholiken in die urbanen Ballungsgebiete des Mittellandes erlebte der christlichsoziale Flügel der Partei einen kontinuierlichen Aufschwung (Christlichsoziale Bewegung). 1955 gründete er die Christlichsoziale Parteigruppe der Schweiz, blieb aber als Pressure group Teil der Gesamtpartei. Diese änderte deshalb 1957 ihren Namen in Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei um. Die Parteireform von 1970 fing die Flügelbildung für eine Zeit lang auf, und die Partei nahm Abschied von der traditionellen, in den 1960er Jahren in Misskredit geratenen Bezeichnung «konservativ». In den 1980er Jahren bewegte sich die CVP nach rechts; Ausdruck davon war etwa die 1982 gegründete innerparteiliche Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft. Kleinere Teile der Christlichsozialen spalteten sich deshalb 1997 von der CVP ab und gründeten eine eigenständige Christlichsoziale Partei. Nach den Nationalratswahlen 2007 bildete die CVP mit der EVP und den Grünliberalen eine gemeinsame Fraktion in der Bundesversammlung.

Die CVP als Regierungspartei

Stärker als die Freisinnigen und die Sozialdemokraten ist die CVP mit der Zauberformel von 1959 der Allparteienregierung verbunden. Als Spätfolge der Einführung des Referendums gewann die CVP 1891 noch vor dem Aufkommen der Sozialdemokratie ihren ersten Sitz im Bundesrat. Nachdem der Freisinn die parlamentarische Mehrheit in den Nationalratswahlen von 1919 verloren hatte, gestand er der CVP einen zweiten Bundesratssitz zu. Noch bestanden aber in der Bundesverfassung die diskriminierenden Ausnahmeartikel gegen die katholische Kirche aus der Kulturkampfzeit, die für die Partei des politischen Katholizismus durch die Jahrzehnte einen mobilisierenden Charakter besassen. Der Jesuiten- und Klosterartikel wurde erst 1973 abgeschafft, der Bistumsartikel 2001. Mitte der 1930er Jahre trat der Klassenkampf zwischen Bürgertum und Sozialdemokratie unter dem Druck des Faschismus in den Hintergrund und führte zu einem Burgfrieden zwischen den regierenden bürgerlichen Parteien (FDP, CVP, BGB) und der Sozialdemokratie. 1943 verlor der Freisinn nach fast hundertjähriger Vorherrschaft die Regierungsmehrheit im Bundesrat. Im gleichen Jahr erhielt die CVP erstmals zu ihren zwei Bundesräten den Posten des Bundeskanzlers. In den 1950er Jahren gab sie ihren dezidiert antisozialistischen Kurs auf, bewegte sich politisch nach links und setzte 1959 zusammen mit der SP die Zauberformel für die Landesregierung durch.

Präsidenten und Präsidentinnen der CVP

1912-1917Adalbert Wirz
1917-1919Eugène Deschenaux
1919-1928Joseph Räber
1928-1932Ernest Perrier
1932-1934Eduard Guntli
1934-1935Raymond Evéquoz
1935-1940Emil Nietlispach
1940-1946Pierre Aeby
1946-1950Josef Escher
1950-1955Max Rohr
1956-1959Jean Bourgknecht
1960-1968Ettore Tenchio
1968-1973Franz Josef Kurmann
1973-1984Hans Wyer
1984-1986Flavio Cotti
1987-1992Eva Segmüller
1992-1994Carlo Schmid
1994-1997Anton Cottier
1997-2001Adalbert Durrer
2001-2004Philipp Stähelin
2004-2006Doris Leuthard
2006-2016Christophe Darbellay
2016-Gerhard Pfister
Präsidenten und Präsidentinnen der CVP -  Autor; Christlichdemokratische Volkspartei

In Europa ist die CVP die christlichdemokratische Partei mit der längsten kontinuierlichen Regierungserfahrung. Seit 1891 ist sie ununterbrochen an der Schweizer Regierung beteiligt, mehrfach stellte sie den Bundespräsidenten. Christlichdemokratische Bundesräte prägten Epochen des Bundesstaats: Josef Zemp verstaatlichte Ende des 19. Jahrhunderts die Eisenbahnen, Giuseppe Motta dominierte 1920-1940 die Aussenpolitik, Kurt Furgler verwirklichte 1972-1982 im Justiz- und Polizeidepartement wichtige Gesetzesprojekte, und unter Arnold Koller wurde die neue Bundesverfassung von 1999 ausgearbeitet. Mit Karl Huber stellte die CVP 1968-1981 einen Bundeskanzler, der wegen seines Einflusses als achter Bundesrat bezeichnet wurde. Die Wählerverluste in den 1990er Jahren hatten zur Folge, dass die seit 1959 bestehende Zweiervertretung im Bundesrat von der stärker gewordenen SVP in Frage gestellt wurde. 2003 verlor die CVP mit der Nichtwiederwahl von Ruth Metzler-Arnold einen Sitz im Bundesrat an die SVP (Wahl von Christoph Blocher).

Quellen und Literatur

  • E. Gruner, Die Parteien in der Schweiz, 1969 (21977)
  • U. Altermatt, Der Weg der Schweizer Katholiken ins Ghetto, 1972 (31995)
  • Die CVP zwischen Programm und Wirklichkeit, hg. von U. Altermatt, H.P. Fagagnini, 1979
  • L'enjeu du centre, hg. von R. Ruffieux, L. Schatz, 1981
  • U. Altermatt, «Die Wirtschaftsflügel in der CVP», in Schweiz. Jb. für Polit. Wissenschaft, 1986, 63-88
  • U. Altermatt, Katholizismus und Moderne, 1989 (21991)
  • U. Altermatt, «Nivellierte Gesellschaft und konfessionelle Kulturen in der Schweiz», in Schweiz. Zs.f. Soziologie 3, 1991, 529-537
  • Schweizer Katholizismus im Umbruch, 1945-1990, hg. von U. Altermatt, 1993
  • L. Rölli-Alkemper, Die Schweiz. Konservative Volkspartei 1935-1943, 1993
  • Schweizer Katholizismus zwischen den Weltkriegen 1920-1940, hg. von U. Altermatt, 1994
  • M. Hodel, Die Schweiz. Konservative Volkspartei 1918-1929, 1994
  • B. Wigger, Die Schweiz. Konservative Volkspartei 1903-1918, 1997
  • U. Altermatt, «Die Christlichdemokrat. Volkspartei der Schweiz 1945-1999», in Christlich-demokrat. und konservative Parteien in Westeuropa 5, hg. von H.-J. Veen, 2000, 35-115
  • U. Altermatt, «Von der kath. Milieupartei zu einer bürgerl. Sammlungspartei», in Politik aus christl. Verantwortung, hg. von M. Delgado, D. Neuhold, 2008, 39-64
Weblinks
Kurzinformationen
Variante(n)
CVP
Kontext Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei (1957-1970), Konservative Volkspartei (1912-1957)

Zitiervorschlag

Urs Altermatt: "Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.03.2018. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017377/2018-03-13/, konsultiert am 19.03.2024.