Der Feminismus ist sowohl ein theoretisches Konzept als auch eine politische Bewegung. Er gründet in der Kritik an der sozialen, ökonomischen und rechtlichen Diskriminierung sowie an der hierarchischen Unterordnung der Frauen (Geschlechterrollen). Von Feminismus als Theorie und Bewegung spricht man seit Ende des 19. Jahrhunderts. Eng verbunden ist der Feminismus mit der Geschichte der Frauenbewegung.
Theorie
Im Angelsächsischen dominierte in der Tradition von John Stuart Mill die Auffassung der Gleichheit von Mann und Frau und, damit verbunden, die Forderung nach formaler Gleichstellung der Geschlechter. Dieser liberal-individualistische Feminismus orientierte sich am Mann als Norm und hatte die Abschaffung jeglicher Diskriminierung zum Ziel. In Kontinentaleuropa stand die Beziehung zwischen den Geschlechtern im Sinne einer Ergänzung von Mann und Frau im Zentrum: Ausgehend von der Auffassung einer unterschiedlichen, aber gleichwertigen Verantwortung in der Gesellschaft und der wichtigen Rolle der Frauen als Mütter (Mutterschaft) wurde Egalität sowie Partnerschaft ohne Hierarchie gefordert. Diese Position stellte 1949 Simone de Beauvoir in ihrem Buch Le deuxième sexe (Das andere Geschlecht, 1951) in Frage. Die französische Philosophin vertrat die These, Weiblichkeit sei konstruiert, und kritisierte die Orientierung am Mann als dem Wesentlichen, auf das sich die Frau als das Andere angeblich beziehen sollte. Patriarchatskritische Positionen vertraten auch die Basler Juristin Iris von Roten in Frauen im Laufgitter 1958 und die US-Amerikanerin Betty Friedan in The Feminine Mystique 1963 (Der Weiblichkeitswahn, 1966). Beide Werke richteten sich gegen die Reduktion der Frauen auf den häuslichen Bereich und den Sex-Appeal. Sie bildeten den Ausgangspunkt für die feministischen Debatten Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre.
Als Patriarchatskritik war der Feminismus transnational ausgerichtet. Körper (Körpergeschichte) und Sexualität wurden unter dem Aspekt der Selbstbestimmung und der individuellen Selbstverwirklichung thematisiert. Der sozialistische Feminismus hielt an Marx' Klassenbegriff fest, erweiterte ihn allerdings durch patriarchatskritische Positionen (Sozialismus). Der radikale Feminismus dagegen analysierte die patriarchale Unterdrückung in der Aneignung der Arbeit und des Körpers der Frauen. Der «Sexismus» zeige sich im Alltag und in der Gewalt gegen Frauen, in der Sprache und in der symbolischen Repräsentation. Unter dem Einfluss der von der Psychoanalyse geprägten französischen Diskurstheorie, vor allem Luce Irigarays Ce sexe qui n'en est pas un von 1977 (Das Geschlecht, das nicht eins ist, 1979), wurde in den 1980er Jahren im Bereich der feministischen Psychologie, Philosophie und Theologie der aufklärerische, an der männlichen Erfahrung orientierte Vernunft- und Subjektbegriff dekonstruiert, der männlich definierte Gottesbegriff kritisiert und die Frage der Egalität bzw. Differenz grundsätzlich neu diskutiert. Der Separatismus postulierte für Frauen eigene Institutionen bis hin zu separaten Rechtsordnungen für beide Geschlechter. Die feministische Sozialwissenschaft orientierte sich mehr an der Unterscheidung der US-amerikanischen Historikerin Joan Wallach Scott von sex als biologischem Geschlecht und gender als gesellschaftlicher Produktion von Geschlechterdifferenzen. Da Normen und Dinge nur über Sprache Realität würden, stellte in den 1990er Jahren die postfeministische Kulturkritik in Anlehnung an die US-Amerikanerin Judith Butler die Unterscheidung von sex und gender in Frage: Auch das biologische Geschlecht sei kontextabhängig, werde konstruiert und individuell inszeniert. Die «Politik der Differenzen» schliesst an die amerikanische Debatte um Rasse, Klasse und Geschlecht an und verknüpft die beiden Diskurse über Egalität und Differenz, um die Ungleichheit zwischen Frauen ebenso in ihre Analyse miteinzubeziehen wie die Diskriminierung der Frauen als Geschlecht.
Bewegung
Unter Feminismus als Bewegung wird das Engagement von – zumeist organisierten – Frauen für die gesellschaftliche Gleichstellung verstanden. Eine radikale gleichstellungspolitische Position vertrat in der Schweiz Meta von Salis. Die Mehrheit der Frauenrechtlerinnen um Helene von Mülinen (Bund Schweizerischer Frauenvereine, BSF) und Emilie Gourd (Schweizerischer Verband für Frauenstimmrecht, SVF) orientierten sich allerdings am Modell der Partnerschaft, betonten aber im Gegensatz zur gemeinnützigen Frauenbewegung (Schweizerischer Gemeinnütziger Frauenverein) das Recht der Frauen auf Ausbildung, Berufsarbeit (Frauenerwerbsarbeit), gleichen Lohn für gleiche Arbeit, das Frauenstimmrecht, zivilrechtliche Gleichstellung und Kontrolle über den eigenen Körper. In der deutschen Schweiz wurde der Begriff Feminismus aufgrund der weit verbreiteten Ablehnung der angelsächsischen Suffragetten kaum verwendet, wohl aber in der Westschweiz, wie der Titel der 1912 gegründeten Zeitschrift Le Mouvement féministe bezeugt. Die partnerschaftliche Variante des Feminismus prägte auch den sozialistischen Feminismus, der aber gleichsam die Diskriminierung aufgrund der Klassenzugehörigkeit betonte und damit die Unterschiede zwischen Frauen markierte.

Die internationale open-door-Bewegung der 1920er Jahre, die auf dem Arbeitsmarkt die Abschaffung der Sonderregelungen für Frauen verlangte, stiess in der Schweiz auf Ablehnung, ebenso in der Nachkriegszeit Iris von Rotens Forderung nach vermehrter sexueller Freiheit für Frauen. Auch die Kritik von Gertrud Heinzelmann an der Diskriminierung der Frauen in der katholischen Kirche anlässlich des Zweiten Vatikanischen Konzils stiess im Ausland auf grösseres Echo als in der Schweiz.
Erst im Kontext der internationalen Protestbewegungen der 1960er Jahre (Jugendunruhen) stellten in der Schweiz vorwiegend jüngere Frauen mit kollektiven Aktionen die traditionellen Autoritäten, die familienzentrierten Werte, die kommerzialisierte Sexualität und die Fortpflanzung in Frage. Der Leitspruch «Das Private ist politisch» brachte den engen Zusammenhang zwischen individueller Erfahrung und gesellschaftlichen Bedingungen auf den Punkt. In den urbanen Zentren der deutschen, französischen und italienischen Schweiz entstand in Anlehnung an Gruppierungen gleichen Namens in den angelsächsischen und westeuropäischen Ländern die Frauenbefreiungsbewegung (FBB).
Bewegung und Theorie seit den 1970er Jahren
Der Begriff Feminismus für die Bewegung einerseits und die patriarchatskritische Theorie andererseits fanden in der deutschen Schweiz erst Mitte der 1970er Jahre Verbreitung, gleichzeitig mit der Distanzierung von der Neuen Linken. Die Patriarchatskritik zeigte sich nun im Anspruch auf Autonomie im Sinne der individuellen Selbstverwirklichung, aber auch im Sinne der Unabhängigkeit von bestehenden öffentlichen Institutionen und gemischtgeschlechtlichen Organisationen. Auftrieb erhielt diese Ausrichtung auch durch die Lesbenbewegung (Homosexualität). Der Feminismus als Bewegung manifestierte sich in der Gründung vieler autonomer Gruppen und Projekte, die sich zu einem eigentlichem Netz feministischer Subkultur verdichteten.

Der neue Feminismus verstand sich als Kritik der traditionellen Frauenbewegung, wurde aber von dieser auch rezipiert. Die Frage der Abtreibung dominierte zeitweilig die politischen Auseinandersetzungen. Die Anfang der 1980er Jahre einsetzenden Diskussionen um die Gewalt gegen Frauen im privaten und öffentlichen Bereich, die Neudefinition der Arbeit und die kritische Beurteilung der Reproduktionstechnologien schlugen sich unter anderem dank des Engagements von Parlamentarierinnen in Gesetzesartikeln nieder: In der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, der Berücksichtigung der Betreuungsarbeit in der Sozialversicherung, der Ahndung sexueller Belästigung sowie dem Anspruch auf tatsächliche statt nur formale Gleichstellung in der neuen Bundesverfassung von 1999. Dem Verein Feministische Wissenschaft gelang ansatzweise die Verankerung der feministischen Theorie in Lehre und Forschung.
Während Themen wie Unabhängigkeit, feministische Spiritualität oder Egalität bzw. Differenz viele Frauen ansprachen, wurde die postfeministische Debatte um Judith Butler vorwiegend in der Wissenschaft geführt und entwickelte nur geringe politische Wirkungskraft. Die von schwarzen Frauen ausgehenden Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Rasse und Geschlecht griffen in der Schweiz vor allem Migrantinnen auf, die damit die Differenzen unter Frauen neu thematisierten, aber auch die Frage der Egalität neu stellten.
Quellen und Literatur
- Joris, Elisabeth; Witzig, Heidi (Hg.): Frauengeschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz, 1986 (20014).
- Offen, Karen: «Defining Feminism. A Comparative Historical Approach», in: Signs. Journal of Women in Culture and Society, Bd. 14, 1988/1, S. 119-157.
- Nagl-Docekal, Herta; Pauer-Studer, Herlinde et al. (Hg.): Politische Theorie. Differenz und Lebensqualität, 1996.
- Schmuckli, Lisa: Differenzen und Dissonanzen. Zugänge zu feministischen Erkenntnistheorien in der Postmoderne, 1996.
- Christensen, Birgit (Hg.): Demokratie und Geschlecht. Interdisziplinäres Symposium zum 150jährigen Jubiläum des Schweizerischen Bundesstaates, 1999.
- Nagl-Docekal, Herta: Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven, 1999.
- Studer, Brigitte: «Von der Legitimations- zur Relevanzproblematik», in: Aegerter, Veronika (Hg.): Geschlecht hat Methode. Ansätze und Perspektiven in der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Beiträge der 9. Schweizerischen Historikerinnentagung 1998, 1999, S. 19-30.
- Gosteli, Marthe (Hg.): Vergessene Geschichte. Illustrierte Chronik der Frauenbewegung 1914-1963, 2 Bde., 2000.
- Gottschall, Karin: Soziale Ungleichheit und Geschlecht. Kontinuitäten und Brüche, Sackgassen und Erkenntnispotentiale im deutschen soziologischen Diskurs, 2000.