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Feste

Feste stellen eine Zäsur im Alltag dar und heben die Menschen für eine begrenzte Zeit in eine andere Dimension ihres Daseins. Sie gründen in religiösen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Anlässen; seit dem 20. Jahrhundert spielen kommerzielle Motive eine zunehmend bedeutende Rolle. Wichtige Festzyklen sind der Jahres- und Lebenslauf. Ersterer gliedert sich nach den Rhythmen der Vegetation, der bäuerlichen Arbeiten, dem Lauf der Gestirne, aber auch nach dem Kirchenjahr. In manchen Regionen gab es im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit über 100 Feiertage. Diese wurden mit der Reformation, später mit der katholischen Aufklärung und der Industrialisierung stark reduziert. Wichtigste Festtermine sind Fasnacht, Ostern und Weihnachten. Daneben verteilen sich über das ganze Jahr und mit unterschiedlichen regionalen und lokalen Schwerpunkten Anlässe, die teils religiöse Bedeutung haben, teils zu allgemeinen Belustigungen und Volksfesten, teils zu inszenierten Spektakeln geworden sind wie etwa Kirchweih, Kinder- und Jugend-, Seenachts-, Orts- und Vereinsfeste. Stark mit der bäuerlichen Arbeitswelt verbunden sind die Bräuche in der alpinen Kultur wie Alpaufzug, Alpabfahrt und Sennenchilbi.

Einschneidende Übergänge im Lebenslauf, in denen der Mensch einen anderen gesellschaftlichen Status erhält, zum Beispiel Taufe, Konfirmation und Firmung, Hochzeit, werden nach Arnold Van Gennep Übergangsriten (rites de passage) genannt. An diesen Riten und Festen, die einst die Rolle des Individuums in der Gemeinschaft definierten, nimmt heute nur noch der Familien- und Freundeskreis teil, die Öffentlichkeit ist weitgehend ausgeschlossen oder nur noch als Zuschauer zugelassen. Die Beteiligung von Gemeinde oder Nachbarschaft ist einer zunehmenden Individualisierung, Privatisierung und Intimisierung gewichen.

Erklärungsmodelle

Feste sind vor allem von Ethnologen und Volkskundlern erforscht worden. Ethnologische Untersuchungen betonen die Funktion von Festen als Ausbruch und als Grenzüberschreitung, erreicht durch den Genuss von Alkohol und anderen Drogen, durch ekstatische Tänze oder ausgelassene Handlungen. Den transzendenten Charakter von Festen erkennen auch religiös oder philosophisch inspirierte Theorien, die das mässigende Element, Kontemplation und Einkehr hervorheben. Auf der Ebene der Rollenzuschreibung und Machtverteilung bewegen sich Erklärungen, die im Fest das temporäre Wegfallen von sozialen Schranken und die Umkehrung der bestehenden Ordnungen sehen. Andere Ansätze halten dem entgegen, Feste dienten als Ventil, um gesellschaftlichen Druck abzubauen, und seien so ein Mittel der Stabilisierung und Herrschaftssicherung. Ferner wird Festen eine identitätsstiftende Funktion zugesprochen. Je nach Fest sind die einen oder anderen Elemente wichtiger, und häufig sind verschiedene Erklärungen für das gleiche Fest möglich. Feste leben von Gegensätzen, von Grenzen und Entgrenzung, Zwang und Anarchie, Ordnung und Chaos. Manche Autoren verwenden die Begriffe Fest und Feier ganz oder teilweise synonym, andere sehen in der Feier einen würdig-ernsten Akt, der die tägliche Wirklichkeit durch bewusste Sinngebung bewältigt, im Fest hingegen einen fröhlichen Anlass, in dem der Alltag durch Erholen und Vergessen für eine gewisse Zeit aufgehoben wird. Häufig werden Feste unterschieden nach Elementen (Rede, Wettkampf, Umzug, Tanz), Symbolen (Sterne, Kreuze, Fahnen, Puppen) und Ritualen, verstanden als expressive institutionalisierte Handlungen (Heischen, Spenden, Vernichten einer Figur).

Antike

Das Amphitheater von Avenches. Aquarell von Erasmus Ritter, 1790 (Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.XXIa.91, S. 34).
Das Amphitheater von Avenches. Aquarell von Erasmus Ritter, 1790 (Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.XXIa.91, S. 34). […]

Welche der zahlreichen öffentlichen und privaten Feste im Gebiet der Schweiz während der römischen Epoche (1.-4. Jahrhundert n.Chr.) begangen wurden, ist nicht überliefert. Gefeiert wurde sicher das wohl wichtigste römische Fest, die Saturnalien (Abschluss der Ackerarbeiten, 17.-23. Dezember). Die Amphitheater oder Theater in Augusta Raurica (Augst), Aventicum (Avenches), Noviodunum (Nyon), Vindonissa (Brugg/Windisch), Lenzburg und Octodurus (Martigny) legen nahe, dass an Festtagen auch regelmässig ludi publici, d.h. öffentliche Spiele wie Tierhetzen, Gladiatorenkämpfe oder Schauspiele abgehalten wurden. Gefeiert wurden ausserdem private Feste, so unter anderem die depositio barbae (das erstmalige Schneiden des Barts), der Geburtstag der Schutzgottheiten einzelner Berufsvereinigungen (collegia), die vinalia (zu Ehren der Liebesgöttin Venus) und die floralia (zu Ehren der Frühlingsgöttin Flora), die nominalia (Namenstage der Familienangehörigen), die lemuria (unheilabwehrende Riten des Familienoberhaupts am 9., 11. und 13. Mai) sowie die Aufnahme der Freigeborenen in die Bürgergemeinde (liberalia, 17. März).

Vom Spätmittelalter zur Aufklärung

Im Spätmittelalter haben sich in der Schweiz wie im übrigen christlichen Europa Festformen ausgeprägt, welche die unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Zustände reflektieren. Kirchliche Anlässe waren von grosser Bedeutung. Neben den Feiern des Kirchenjahres und zahlreichen lokalen Heiligenfesten (Heiligenverehrung) wiesen auch Wallfahrten festliche Elemente auf (Pilgerwesen). Translationsfeiern, an denen die Reliquien von Heiligen an einen neuen Ort gebracht wurden, zelebrierte man mit grossem Aufwand. Höfische Rituale bildeten die Welt des Adels und des Rittertums mit ihren Idealen ab. Das Volk vergnügte sich an den Jahrmärkten; fahrende Komödianten, Tanz, Spiel und Wein führten zu ausgelassenem Festbetrieb, den obrigkeitliche Verbote nicht zu verhindern vermochten. An den Schützenfesten trafen sich ab dem 15. Jahrhundert Schützengesellschaften, wurden politische Bündnisse erneuert und Konflikte beigelegt (Schützenwesen). In den Städten waren die Feste der Zünfte und Bruderschaften ein wichtiges Element der Inszenierung lokaler Macht. An Stubeten bot sich der ländlichen Jugend die Gelegenheit, sich kennenzulernen. Arbeit, Unterhaltung, Brautwerbung und Feste gingen nahtlos ineinander über. Träger dörflicher Feste und Anlässe, die wie das Charivari auch disziplinierenden Charakter annehmen konnten, waren häufig die Knabenschaften.

Schützenfest in St. Gallen, 1583. Illustration in der Chronik des Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 19, Fol. 172r).
Schützenfest in St. Gallen, 1583. Illustration in der Chronik des Chorherrn Johann Jakob Wick (Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung, Wickiana, Ms. F 19, Fol. 172r). […]

Wichtigste Zäsur in der Entwicklung der Feste war die Spätzeit der Aufklärung, weil hier die Festformen einer republikanischen, demokratischen und bürgerlichen Gesellschaft entstanden. Vorbild waren die französischen Revolutionsfeiern (Freiheitsbaum, Bankette); als Vordenker gilt Jean-Jacques Rousseau, der Volksfeste unter freiem Himmel in Gegensatz zum geschlossenen Theater stellte, das er als Ausdruck einer aristokratischen Geisteshaltung kritisierte. Bestrebungen, alte Bräuche durch Pflege vor dem Untergang zu retten, setzten ein. In der Schweiz bilden die Alphirtenfeste in Unspunnen (1805 und 1808) mit Steinstossen, Schwingen, Alphornblasen, Jodel und Volksliedern eine solche frühtouristische und folkloristische Festform (Nationalspiele der Schweiz).

Patriotische Feste des 19. Jahrhunderts

Geleitet von erzieherischen Absichten feierten die Vereine die frühen eidgenössischen Helden als historische Idealbilder, die zur "edlen Vaterlandsliebe" anspornen sollten. Feiern wie die Schlachtjahrzeiten verbreiteten vor allem mit Festspielen mythische Geschichtsvorstellungen. Sie bildeten ein wichtiges Element im Aufbau eines modernen Nationalbewusstseins (Gedenkfeiern). Aus der Tradition der Kantone, ihren Beitritt zur Eidgenossenschaft zu feiern, ging 1891 bzw. 1899 mit dem 1. August die Bundesfeier hervor.

Eine eigene Kategorie bilden die eidgenössischen Feste der Vereine, der Schützen, Turner, Sänger, Blasmusikanten, später der Schwinger, Jodler und Hornusser. Sie waren politische Plattformen der liberalen und radikalen Kräfte und Orte der Diskussion mit stürmischen Banketten, Reden und Gesang in riesigen Festhallen. Das von Gottfried Keller im Fähnlein der sieben Aufrechten beschriebene Schützenfest von 1849 versuchte, die Einigung im Bundesstaat symbolträchtig zu feiern. Die sogenannten Eidgenössischen blieben jedoch im Wesentlichen Veranstaltungen des liberalen Bürgertums. Grossenteils ausgeschlossen waren die konservativen Katholiken als Verlierer des Sonderbundskriegs, die Arbeiterschaft, die Frauen, bei einzelnen Festen auch die Westschweiz und das Tessin. Arbeiterschaft und Katholisch-Konservative schufen zum Teil parallele Feste, die allerdings nicht die Bedeutung der liberal-bürgerlichen Anlässe erreichten. Die Frauen mussten sich ihre Teilnahme oder ihre eigenen Feste erkämpfen (z.B. 1. Schweizerischer Frauenturntag 1932).

Eidgenössisches Schützenfest in Wiedikon bei Zürich vom 13. bis 19. Juli 1834. Kolorierte Aquatinta von Johann Jakob Sperli (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Graphische Sammlung).
Eidgenössisches Schützenfest in Wiedikon bei Zürich vom 13. bis 19. Juli 1834. Kolorierte Aquatinta von Johann Jakob Sperli (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Graphische Sammlung).

Komplexe Feste wie die Eidgenössischen sprechen verschiedene Grundbefindlichkeiten an: feierlich-sakrale und patriotisch-ergreifende in den zeremoniellen Teilen (z.B. Fahnenrituale), auf Spannung und Selbstdarstellung ausgerichtete im Wettkampf sowie Ausgelassenheit, Vitalität und Geselligkeit im Unterhaltungsteil. Mit Werten wie Einmütigkeit und Gemeinschaft wird das szenisch inszenierte Massenerlebnis verbunden, wie der kollektive Schlussgesang (z.B. Landeshymne) oder die sogenannten allgemeinen Übungen bei Turnfesten (Turnbewegung). Im 19. Jahrhundert kam an den Eidgenössischen ein starker Glaube an die Zukunft zum Ausdruck. Heute erweist sich ein konservativer Zug als bestimmend; das Bild einer idealisierten heilen Schweiz wird vermittelt. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung drücken diese Feste die Sehnsucht nach Vertrautheit, Sicherheit und Überschaubarkeit aus.

Ein gegenläufiger Trend zu politisch-öffentlichen Festen war die Entwicklung eines privaten, familiären Festwesens. Vor allem Weihnachten wurde zur Inszenierung der bürgerlichen Kernfamilie. Auch entstanden neue Festtypen, welche die Individualität betonten, zum Beispiel das Geburtstagsfest.

Feste im 20. Jahrhundert

Kann man die Festkultur des 19. Jahrhunderts als bürgerlich dominiert bezeichnen, kommt es im 20. Jahrhundert durch das Erstarken anderer gesellschaftlicher Gruppen zu einer Auffächerung. Nach 1889 entwickelte sich mit der Arbeiterschaft die Feier des Ersten Mai, bestehend aus einer Demonstration mit Musik, Fahnen und Transparenten, einer Kundgebung mit Reden und einem Vergnügungsteil. Ab Mitte der 1960er Jahre wurde sie vermehrt zum Fest der Fremdarbeiter und der neuen sozialen Bewegungen, das Erscheinungsbild wurde bunter, die Forderungen internationaler.

Eine Vorstellung des Theaters von Bergamo an einem Fest im Genfer Quartier Les Grottes. Fotografie, November 1985 (Interfoto Genève).
Eine Vorstellung des Theaters von Bergamo an einem Fest im Genfer Quartier Les Grottes. Fotografie, November 1985 (Interfoto Genève).

Wie früher mit Sittenmandaten versuchten die Behörden auch im 20. Jahrhundert immer wieder, Feste einzudämmen. Die Konjunktur der Feste wurde aber weniger von solchen Anstrengungen als von ökonomischen und politischen Entwicklungen beeinflusst. Während die 1920er Jahre mit ihren erstmals aus den USA importierten Moden in Kleidung, Musik und Tanz als Zeit moderner Festformen gelten, ist aus den Jahrzehnten der Krise und des Zweiten Weltkriegs vor allem die Landi von 1939 in Erinnerung geblieben. Leistungsorientiertheit verband sich an den Landesausstellungen mit dem Wunsch nach gesellschaftlich-ideologischer Fundierung. Konfessionelle Feiern wie die Katholikentage (1903-1954) boten den Gläubigen Orientierung. Die Epoche des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1950er und 1960er Jahre war nicht die Zeit grosser Feste. Immer wichtiger wurden dagegen private Parties, Quartier- und Dorffeste, aber auch die Anlässe bestimmter Gruppen und Subkulturen, die im Fest eine Ausdrucksform ihrer Weltanschauung, ihres Lebensstils oder ihres Protestes sahen. Die internationale Medienindustrie schuf mit Musik und Filmen Leitbilder, denen vor allem Jugendliche nacheiferten. Wilde Tanzanlässe in kleinen Lokalen, aber auch gigantische Spektakel wie Open-Air-Festivals schwankten ab den 1960er Jahren zwischen Rebellion, Auflehnung gegen das Establishment sowie Massenkultur, Konsum und Kommerz. Diese Pole sind bis heute geblieben, sichtbar etwa in Sportveranstaltungen oder in der Technoszene. Die 1992 in Zürich erstmals durchgeführte Streetparade, an der mehrere hunderttausend Menschen teilnehmen, weist einige wesentliche Merkmale neuerer Festkultur auf: Sommerliche Anlässe lösen in der Freizeitgesellschaft die früher häufigeren winterlichen Feste ab. Paraden lehnen sich wie andere Kulturelemente an US-amerikanische Vorbilder an. Generell werden Feste vermehrt auf der Strasse und im Freien gefeiert. Sie werden auf die mediale Vermittlung ausgerichtet und stehen in intensiver Wechselwirkung mit der Werbe- und Tourismuswirtschaft; zum Teil werden sie auch musealisiert.

Heute besteht die Möglichkeit auszuwählen, welche der zahlreichen Feste man besuchen will; soziale und kulturelle Zwänge sind kleiner geworden. Viele entfliehen bestimmten Festen und nutzen die Feiertage für Ferien und Freizeit. Letztere bieten ebenfalls Alternativen zum Alltag, betonen aber die individuelle Entscheidungsfreiheit, nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Quellen und Literatur

  • E. Hoffmann-Krayer, Feste und Bräuche des Schweizervolkes, 1913, 1940 (Nachdruck 1992)
  • Atlas der Schweizerischen Volkskunde, 1950-1995, (Karten und Kommentare zu vielen Festen)
  • Das Jahr der Schweiz in Fest und Brauch, hg. von R. Thalmann, 1981
  • H.H. Scullard, Römische Feste, 1985
  • Stadt und Fest, hg. von P. Hugger, 1987
  • «L'esprit de la fête populaire», in: Présences 35, 1988
  • C. Santschi, Schweizer Nationalfeste im Spiegel der Geschichte, 1991
  • Handbuch der schweizerischen Volkskultur, hg. von P. Hugger, 3 Bde., 1992
  • Festgenossen, hg. von B. Schader, W. Leimgruber, 1993
  • Feste im Alpenraum, 1997
Weblinks

Zitiervorschlag

Walter Leimgruber: "Feste", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.02.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017447/2015-02-19/, konsultiert am 19.03.2024.