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Kommunismus

"Kommunismus". Lithografie von Martin Disteli aus dem Schweizerischen Bilderkalender, 1844 (Privatsammlung).
"Kommunismus". Lithografie von Martin Disteli aus dem Schweizerischen Bilderkalender, 1844 (Privatsammlung). […]

Der Begriff Kommunismus umfasst seit der Russischen Revolution von 1917 eine Herrschaftsform, eine politische Bewegung und eine Weltanschauung, die eng mit der modernen Arbeiterbewegung verknüpft sind. Im weiteren Sinne meint Kommunismus alle Zielvorstellungen, politischen Aktivitäten und Gesellschaftsmodelle, welche die Verwirklichung sozialer Gleichheit ohne Privateigentum zum Inhalt haben. Im Deutschen ist der Begriff Kommunist erstmals Anfang der 1840er Jahre belegt. Wichtig für die Begriffsgeschichte waren die heftigen, ambivalenten Reaktionen auf den amtlichen antikommunistischen Bericht über den Kommunismus in der Schweiz aus der Feder des Zürchers Johann Caspar Bluntschli (1843). Kommunismus lässt sich im Französischen bis auf die Französische Revolution zurückverfolgen, wo er sich auf das gemeinsame Nutzungsrecht an einem Kollektivbesitz bezog. Obwohl im utopischen Schrifttum des 16. und 17. Jahrhunderts theoretische und im Täufertum praktische Vorläufer auszumachen sind und der utopische Sozialismus gewissermassen als eine Vorform fungiert, wird der Begriff erst 1848 durch das "Kommunistische Manifest" von Karl Marx und Friedrich Engels geschichtsphilosophisch abgestützt und als politisches Programm ausformuliert (Marxismus). Zu jener Zeit figuriert Kommunismus bereits im politischen Vokabular als Kampfansage an die bestehende bürgerliche Gesellschaft. Bis zur Oktoberrevolution 1917 gerät er jedoch zunehmend ins Abseits. Die sozialdemokratischen Parteien rekurrieren kaum mehr auf ihn (Sozialdemokratische Partei), und auch der späte Marx verwendete ihn nur noch als Bezeichnung für die angestrebte Gesellschaftsformation, die den Kapitalismus überwunden und aufgehoben haben würde.

Es war Lenin, der mit seinem ausgeprägten semantischen Sinn den Begriff in den "Aprilthesen" von 1917 wieder aufnahm und 1918 die Umbenennung der Partei in kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) erzwang. Erst mit der Gründung der Kommunistischen Internationale (KI) von 1919 kam Kommunismus als Bezeichnung für politische Organisationen im Westen in Gebrauch. Die aus der linksradikalen Gruppe Forderung, auch Internationale revolutionäre Sozialisten der Schweiz genannt (Linksradikalismus), konstituierte kommunistische Partei der Schweiz (später Altkommunisten) dürfte als eine der ersten den Namen für sich in Anspruch genommen haben. Die sozialistische Jugendorganisation der Schweiz, welche der Kommunistischen Jugendinternationale beitrat, nahm eine entsprechende Namensänderung 1920 vor. Einen festen Stellenwert im Schweizer Parteiensystem bekam der Begriff dann mit der Gründung der Kommunistischen Partei (KP) 1921, einer Fusion zwischen einem Teil der sozialdemokratischen Linken und den Altkommunisten. Die in Verbundenheit mit den russischen Bolschewisten gewählte Benennung wie auch der Beitritt der KP zur KI signalisierten den Anschluss der neuen Partei an die Oktoberrevolutionäre. Die Zeichen wurden denn auch von den Gegnern in genau diesem Sinne verstanden: Fortan galt Kommunismus als identisch mit Bolschewismus. Die Schweizer Kommunisten optierten zugleich für eine an den Bolschewiki orientierte Programmatik und Doktrin, Strategie, Organisationsstruktur und Werthaltung. Zu den zu jener Zeit noch mit der Sozialdemokratischen Partei geteilten Zielsetzungen gesellten sich die Forderung nach Verstaatlichung der Produktionsmittel und der proletarische Klassenkampf (Klassengesellschaft) gegen die bürgerliche Gesellschaft sowie die leninistischen Organisationsprinzipien, die auf einer voluntaristischen Parteitheorie, einer quasi militärischen Disziplin und einer strikten Zentralisierung fussten.

Wahlplakat von Carl Scherer, 1922 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Wahlplakat von Carl Scherer, 1922 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Die anfänglich noch an gewissen internen Verhandlungsmechanismen partizipierenden Parteien der KI entwickelten sich mit der Durchsetzung des sowjetischen Führungsanspruches mehr und mehr zu Befehlsempfängern der Moskauer Zentrale. Der zum Teil gewaltsame Anpassungsprozess der kommunistischen Parteien über ihre Bolschewisierung und Stalinisierung, dessen Höhepunkt Ende der 1920er Jahre lag, vollzog sich zwar nicht reibungslos. Doch nach seinem Abschluss zu Beginn der 1930er Jahre konnte am sowjetischen Deutungsmonopol über den Inhalt des Kommunismus nicht mehr gerüttelt werden. Die nun als Marxismus-Leninismus bezeichnete Lehre war auf einige simple Formeln zusammengeschrumpft. Das kommunistische Weltbild ging in einem geschlossenen System der Gesellschafts- und Geschichtstheorie mit endgültigen Prinzipien auf (sogenannter Historischer und Dialektischer Materialismus).

"Kommunismus und Zusammenbruch gehen zusammen. Stimmen Sie Ja gegen den Kommunismus". Plakat zugunsten der Totalrevision der Bundesverfassung für die Abstimmung vom 8. September 1935, gestaltet von Jacques Wasem (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
"Kommunismus und Zusammenbruch gehen zusammen. Stimmen Sie Ja gegen den Kommunismus". Plakat zugunsten der Totalrevision der Bundesverfassung für die Abstimmung vom 8. September 1935, gestaltet von Jacques Wasem (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Neben diesen zunehmend autoritären Zügen wies der Kommunismus aber auch eine utopische Komponente auf, die insbesondere im sozialen Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg und während der Wirtschaftskrise eine gewisse Attraktivität ausübte. Die Vorstellung einer vom Krieg befreiten Welt wirkte neben den Forderungen nach einer gerechten Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen und nach breiteren demokratischen Entscheidungsbefugnissen wie ein Magnet auf die Anhänger des Kommunismus. Die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Organisation erfüllte des weiteren die Funktion einer politischen Religion mit sinnstiftenden und sozialintegrativen Elementen. Die zahlreichen kommunistischen Organisationen, welche verschiedene Zielgruppen ansprachen (Frauen, Jugendliche, Arbeitslose, Gewerkschaften usw.) und eine grosse Bandbreite von Aktivitäten abdeckten (Freizeit, Kultur, Weiterbildung usw.), bildeten eine eigene Lebenswelt, deren Kohäsion umso grösser war, als die gesellschaftliche und politische Marginalisierung der kommunistischen Parteien ausserhalb der Sowjetunion im Lauf der 1920er Jahre anwuchs.

Der Einfluss des Kommunismus in der Schweiz lässt sich nicht an den geringen Mitgliederzahlen und dem schwachen Stimmenanteil der KP bemessen, zumal diese der parlamentarischen Demokratie keinen grossen Stellenwert einräumte. In den 1930er Jahren übte die Partei vor allem in zwei Bereichen eine starke Anziehungskraft aus. Zum einen zeitigte die propagandistische Idealisierung der Sowjetunion Wirkung. Das sogenannte Vaterland aller Werktätigen zog ebenso Intellektuelle und Künstlerinnen aus aller Welt wie stellenlose Arbeiter und Ingenieure in seinen Bann. Doch viele Zeitgenossen nahmen weder die menschlichen Kosten noch die Unterdrückung jeglicher Opposition wahr, welche die ab 1929 mit dem ersten Fünfjahresplan forcierte Industrialisierung und die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft mit sich brachten, sondern nur die machtvoll inszenierten Erfolge in der Form grandioser Produktionssteigerungen und Monumentalbauten. Erst die Liquidierung der politischen Gegner und das Auftreten einer offensichtlich allgegenwärtigen Verschwörungsspsychose während der Moskauer Schauprozesse (1936-1938) brachten eine Ernüchterung. Zum anderen gelang es der Sowjetunion im Spanischen Bürgerkrieg, sich anfänglich als engagierteste Verteidigerin der Republik zu profilieren, was das durch die Moskauer Prozesse entstandene negative Bild relativierte und viele von der Abkehr vom Kommunismus abhielt.

"Das Volk von Genf ehrt J.V. Stalin, den genialen Erbauer des Kommunismus, den grossen Verteidiger des Friedens, am Montag, 9. März 1953, 20.30 Uhr, Salle du Faubourg, Partei der Arbeit". Vier Tage nach dem Tod des sowjetischen Diktators berief die Partei der Arbeit mit Plakaten eine Feier zu seinen Ehren ein (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
"Das Volk von Genf ehrt J.V. Stalin, den genialen Erbauer des Kommunismus, den grossen Verteidiger des Friedens, am Montag, 9. März 1953, 20.30 Uhr, Salle du Faubourg, Partei der Arbeit". Vier Tage nach dem Tod des sowjetischen Diktators berief die Partei der Arbeit mit Plakaten eine Feier zu seinen Ehren ein (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Doch vor allem die internationalen politischen Ereignisse verspielten dem Kommunismus die restlichen Sympathien. Mit dem Misserfolg der französischen Volksfrontregierung, dem Münchner Abkommen von 1938, dem Sieg Francos 1939 und der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes im selben Jahr setzte eine mehrjährige Phase der Randexistenz und schliesslich der Illegalität ein. Als die KP 1940 gesamtschweizerisch verboten wurde, soll sie nur noch etwa 350 Mitglieder gezählt haben; anlässlich ihrer Gründung hatte sie über 6000. Eine Wiederbelebung brachte das kommunistische Engagement in der Résistance und der Kampf der Roten Armee gegen den Nationalsozialismus. Gekoppelt mit dem sozialpolitischen Aufschwung ab 1943-1944 begünstigte diese Konstellation auch die Neugründung der Partei der Arbeit (PdA), die eine gewisse Kontinuität mit den alten Kadern und Mitgliedern der KP aufwies. Die Geschichte des Kommunismus blieb in der Nachkriegszeit eng verknüpft mit der Entwicklung der zusehends dogmatischeren PdA. Die Partei isolierte sich durch die verstärkte Anbindung an die Sowjetunion und distanzierte sich erst nach deren Einmarsch in Prag 1968 vom "Grossen Bruder". Den antiautoritären Aufbruch der Studierenden und der Jugend in jenen Jahren konnten die Schweizer Kommunisten nicht für ihre Bewegung nutzen (Progressive Organisationen), trotz der Renaissance des Kommunismus als Weltbild der Neuen Linken und – begünstigt durch die Globalisierung seit den 1990er Jahren – jüngerer linksradikaler Splittergruppen. Es ist zweifelhaft, ob die nach dem Fall der Mauer 1989 und der Implosion der Sowjetunion 1991 repositionierte PdA als politische Kraft links von der SP eine Zukunft hat.

Der Kommunismus hat als eine der grossen politischen Strömungen das 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt. In den wenig entwickelten Ländern der ehemaligen Sowjetunion hat er zweifellos als Schrittmacher der Industrialisierung und der gesellschaftlichen Modernisierung gedient. Als totalitäres Herrschaftssystem hat er aber auch Archaismen und ein polizeiliches Kontrollsystem produziert, welche diese Gesellschaften immensen Humankosten unterworfen und sie in ihrer Entfaltung gehemmt haben. Im Westen, wo er stets nur politische Bewegung und Ideologie blieb, ist sein historischer Stellenwert schwieriger einzuschätzen. Es muss zwischen Absicht und Wirkung, zwischen seiner Rolle als Feindbild (Antikommunismus) und seiner Anziehungskraft, zwischen seinen Deklarationen und seinen konkreten Interventionen im politischen Alltag unterschieden werden.

Quellen und Literatur

  • E. Joos, Parteien und Presse im Kt. Schaffhausen, 1975
  • H.U. Jost, Die Altkommunisten, 1977
  • J.-M. Rossignol, Le Parti suisse du Travail en Suisse romande, Ms., 1978
  • W. Gerster, Die Basler Arbeiterbewegung zur Zeit der Totalkonfrontation zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, 1980
  • P. Stettler, Die Kommunist. Partei der Schweiz 1921-1931, 1980
  • W. Schieder, «Kommunismus», in Geschichtl. Grundbegriffe 3, hg. von O. Brunner et al., 1982, 455-529
  • B. Schneider, Schweizer Auswanderer in der Sowjetunion, 1985
  • C. Uhlig, Utopie oder Alptraum?, 1992
  • B. Studer, Un parti sous influence, 1994
  • P. Huber, Stalins Schatten in die Schweiz, 21995
  • B. Studer, Sous l'œil de Moscou, 1996
  • A. Petersen, Radikale Jugend, 2001
Weblinks

Zitiervorschlag

Brigitte Studer: "Kommunismus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 28.10.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017455/2008-10-28/, konsultiert am 17.09.2024.