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Nationalsozialismus

Die 1919 in München gegründete, ab 1921 von Adolf Hitler geführte rechtsextremistische Bewegung (Rechtsradikalismus) kam 1933 als Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) in Deutschland an die Macht und herrschte nach Gleichschaltung aller übrigen Parteien und Organisationen als totalitäres Regime bis 1945. Sie wurde von den Siegermächten aufgelöst und ist seither in Deutschland verboten.

Der Nationalsozialismus huldigte dem Rassismus, d.h. dem in Hitlers "Mein Kampf" entfalteten Mythos einer Stufenleiter von der "minderwertigen Rasse" der Juden bis zur "Herrenrasse" der "Arier". Die Rassenideologie führte letztlich zu den Euthanasieprogrammen, zur Vernichtung der Juden ("Endlösung") und zur terroristischen Unterjochung und Ausbeutung vor allem der slawischen Bevölkerung Osteuropas, die als "minderrassige" Sklavenvölker betrachtet wurde. Der Nationalsozialismus vertrat ferner die Fiktion einer "Volksgemeinschaft" in einem unter Hitlers Führung geeinten "Grossdeutschland", das sämtliche Gebiete mit deutschsprachiger Bevölkerung – somit auch Teile der Schweiz – als "deutschen Volksboden" für sich reklamierte. Seine Ideen waren antisozialistisch, antidemokratisch, antiparlamentarisch und zum Teil antichristlich, während der anfängliche Antimodernismus schon vor der Machtübernahme Vorstellungen einer Modernisierungsdiktatur Platz machte, der Antikapitalismus zum Kampf gegen das jüdische Kapital ("raffendes Kapital") umgedeutet wurde und der Zusammenarbeit mit dem Grosskapital (Schwerindustrie) wich. Partei und Staat waren nach dem Prinzip Führer und Gefolgschaft diktatorisch geleitet.

Nationalsozialistische Organisationen der Auslanddeutschen in der Schweiz

Defilee anlässlich eines Sportfestes der NSDAP Anfang 1941 im Stadion Förrlibuck in Zürich © KEYSTONE/Photopress.
Defilee anlässlich eines Sportfestes der NSDAP Anfang 1941 im Stadion Förrlibuck in Zürich © KEYSTONE/Photopress. […]

Noch vor der Machtübernahme der NSDAP sahen sich die Auslanddeutschen der Infiltration durch den Nationalsozialismus ausgesetzt. Bereits 1931 entstand in Zürich die erste Gruppierung der NSDAP. Bald folgten weitere Sektionen, die 1932 zur Landesgruppe Schweiz der NSDAP zusammengefasst und der NSDAP-Auslandabteilung im Deutschen Reich unterstellt wurden. Auch kam es landesweit zur Bildung von nationalsozialistischen Nebenorganisationen. Die ehemals politisch neutralen deutschen Kolonien wurden gleichgeschaltet. Publikationsorgane der nationalsozialistischen Vereine waren die 1933-1935 in Horgen gedruckte Zeitung "Der Reichsdeutsche in der Schweiz", das 1936-1938 in Bern gedruckte "Nachrichtenblatt der deutschen Kolonie in der Schweiz" und die 1938-1945 in Essen erscheinende "Deutsche Zeitung in der Schweiz".

Die Vielfalt nationalsozialistischer Organisationen sollte gemäss Reichsleitung der NSDAP dazu dienen, "dass das Auslanddeutschtum über den Kreis der Parteigenossenschaft hinaus restlos erfasst wird und die Gedanken des Nationalsozialismus auch draussen auf allen Lebensgebieten wirksam werden". Die nationalsozialistischen Funktionäre in der Schweiz mussten einen Eid auf Adolf Hitler leisten. Auf ihre Landsleute und speziell auf Reichsbahnbeamte übten sie Druck zum Beitritt in einen oder mehrere Vereine aus, was gegen die Richtlinien des Bundesrats vom 29. September 1935 betreffend politischer Vereinigung von Ausländern in der Schweiz verstiess. Nach der Ermordung des Landesgruppenführers Wilhelm Gustloff in Davos durch den jüdischen Studenten David Frankfurter (Gustloff-Affäre) löste der Bundesrat am 18. Februar 1936 die zentralen Leitungsorgane der NSDAP in der Schweiz auf. Noch im selben Jahr übernahm jedoch Gesandtschaftsrat Hans Sigismund von Bibra die Landesleitung. Fortan agierte die nationalsozialistische Parteihierarchie unter dem Schutz der diplomatischen Immunität, was vom Bundesrat stillschweigend, ab 1940 sogar offiziell geduldet wurde. 1942, als das nationalsozialistische Deutschland militärisch im Zenit stand und die Nationalsozialisten in der Schweiz aggressiver denn je auftraten, dürfte sich knapp die Hälfte der rund 80'000 Deutschen in der Schweiz an wenigstens einer der nationalsozialistischen Organisationen beteiligt haben. Vergeblich hatten parlamentarische Vorstösse und Pressestimmen nach einem Verbot der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen gerufen, die als trojanisches Pferd empfunden wurden. Da aber der Bundesrat Konflikte mit der deutschen Reichsregierung vermeiden wollte, löste er die auslanddeutschen Vereine erst nach Kriegsende auf. Die bei der Liquidation durchgeführten Hausdurchsuchungen erwiesen sich als wenig ergiebig, war doch gemäss Instruktion der NSDAP-Landesleitung das belastende Material zum grössten Teil vernichtet worden.

Abwehrmassnahmen der schweizerischen Behörden

Anstelle eines Verbots der Nazi-Organisationen griff der Bundesrat zu Abwehrmassnahmen von unterschiedlicher Effizienz: 1933 verbot er das Tragen von Parteiuniformen und 1935 die politische Bespitzelung von Personen und Verbänden, 1938 erliess er Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie, 1940 solche zur Kontrolle von politischen Versammlungen. Die Entführung des deutschen Journalisten Berthold Jacob aus Basel durch die Gestapo (Jacob-Affäre) führte im Juni 1935 zum Aufbau der Bundespolizei, dem die Errichtung einer Politischen Polizei in den Kantonen und Städten folgte. Beide Dienste versahen Funktionen des Staatsschutzes wie Fahndung und Überwachung. Bei Kriegsausbruch wurden Listen verdächtiger Ausländer und Schweizer (ca. 5000 Personen) erstellt, die im Fall einer kriegerischen Verwicklung zu verhaften gewesen wären.

Der Nationalsozialismus und die schweizerische Bevölkerung

Karikatur von Gregor Rabinovitch aus dem Nebelspalter, 1938, Nr. 30 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica).
Karikatur von Gregor Rabinovitch aus dem Nebelspalter, 1938, Nr. 30 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica). […]

In der Schweiz wurde der Nationalsozialismus mit seinem programmatischen Anspruch auf Zusammenschluss aller Deutschsprechenden zu einem grossgermanischen Reich von der Mehrheit als existenzielle Bedrohung empfunden. Am antinazistischen Widerstand partizipierten zahlreiche Journalisten, Verleger, Historiker und Politiker sowie die Theater-, Kabarett- und Filmproduktion mit Schweizern und deutschen Emigranten als Schauspieler. Insbesondere die Abwehrhaltung der Presse war Anlass zu ständigen Reibereien, weil das Deutsche Reich die Schweiz auf Gesinnungsneutralität verpflichten wollte. Auch aus den Landeskirchen erhoben sich Stimmen gegen Rassismus, Totalitarismus und Inhumanität: am prononciertesten die des späteren Kardinals Charles Journet und des Theologieprofessors Karl Barth. Letzteren bezeichnete das Reichssicherheitshauptamt als "Exponenten der reichsfeindlichen Schweiz", welcher "absolut bestimmend für die geistige Haltung des schweizerischen Protestantismus" sei. Die SP und die Gewerkschaften verbanden ihren Antinazismus mit einem Burgfriedenskurs (Programmrevision der SP, Engagement in der Richtlinienbewegung, Friedensabkommen in der Metallindustrie). Dem nationalen Schulterschluss diente auch die Geistige Landesverteidigung, die in der Landesausstellung 1939 zu ihrem wirkungsvollsten Ausdruck fand. Daneben fand allerdings nazionalsozialistisches Gedankengut am rechten Rand der bürgerlichen Parteien einen gewissen Widerhall. Für konservative Intellektuelle war die nationalsozialistische Ablehnung von Liberalismus und Sozialismus durchaus attraktiv, korporatistische Gesellschaftsvorstellungen wirkten sowohl auf die Freisinnigen und Konservativen wie auf die Fronten, wobei allerdings der am italienischen Faschismus orientierte Korporativismus der lateinischen Schweiz gegen die deutschschweizerische Frontenbewegung eingestellt war. In freisinnigen, zum Teil auch bäuerlichen Kreisen spielten Germanophilie, die Bewunderung für autoritäre Lösungen und der Antibolschewismus eine Rolle. Eine antimodernistische Haltung, die aus dem völkischen Fundus schöpfte und sich gegen Juden und Emigranten zugleich wandte, brachte dem Nationalsozialismus sowohl auf politischer wie kultureller Ebene ein gewisses Verständnis entgegen.

Die Blitzsiege der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg führten im Sommer 1940 zu einer Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten. Die Folgen waren Bestrebungen zur Umwandlung des politischen Systems im Sinne einer "Anpassung" an Nazi-Deutschland, Vorstösse zur "Disziplinierung" der "widerspenstigen" Presse, Eingabe der Zweihundert, Wiederbelebung des schweizerischen Frontismus und Empfang einiger ihrer Exponenten durch den Bundespräsidenten, oberflächliche Untersuchung gegen 124 frontistische Offiziere, Intrigen deutschfreundlicher Offiziere gegen die Armeespitze, Vorschlag des Generals zur Entsendung einer Sondermission nach Berlin sowie defätistisches Reden und Handeln der Bundesräte Ernst Wetter und Marcel Pilet-Golaz. Darauf reagierten im selben Jahr der Offiziersbund gegen eine vermutete Kapitulationsbereitschaft des Bundesrats sowie General Henri Guisan mit dem Rütli-Rapport, Manifestationen der militärischen Abwehr, die im zivilen Bereich durch die Aktion Nationaler Widerstand und in der Armee durch Heer und Haus sekundiert wurden.

Spionage

Zwar benützten alle Kriegsparteien die Schweiz als Drehscheibe für ihre Geheimdienstaktivitäten (Nachrichtendienste); dennoch hat einzig Deutschland eine systematisch organisierte Spionagetätigkeit gegen die Eidgenossenschaft entfaltet. Diese wurde nicht nur von den staatlichen Stellen wie den Gesandtschaften, Konsulaten oder der Deutschen Reichsbahn, sondern auch von den nationalsozialistischen Organisationen betrieben. Laut einer Aktennotiz der Auslandabteilung in Berlin arbeiteten 1942 sämtliche 36 NSDAP-Ortsgruppenleiter in der Schweiz für die deutsche Abwehr. In die Spionage liessen sich auch reichsfreundliche Schweizer einspannen. Als sich die Spionagefälle häuften, bewog dies den Bundesrat, die sonst nur für den Kriegsfall vorgesehene Todesstrafe für Landesverrat bereits in der Aktivdienstzeit anzuwenden. Bis 1945 fällten die Gerichte 33 Todesurteile, davon 15 im Abwesenheitsverfahren. 17 wurden vollstreckt und eines in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt. Zudem wurden vom Mai 1943 bis zum Kriegsende 29 im Ausland wohnende staatsfeindliche Schweizer ausgebürgert.

Abrechnung

Gegen Kriegsende erstellte die Bundesanwaltschaft Verzeichnisse von Ausländern, vornehmlich deutscher Nationalsozialisten, deren Aufenthalt in der Schweiz nicht länger geduldet werden könne. Neben parlamentarischen Interventionen kam es in der Bevölkerung zu Demonstrationen, vereinzelt auch zu Krawallen und Sachbeschädigungen. Die Säuberungen, die nach rechtsstaatlichen Verfahren abliefen, sollten einer späteren Reaktivierung des Nationalsozialismus aus der Schweiz vorbeugen und zudem die Schweiz als zuverlässigen Bundesgenossen der Alliierten legitimieren. Die von Bund und Kantonen verfügten Ausweisungen betrafen insgesamt 1504 Nationalsozialisten und 1803 Angehörige. Davon konnte ein gutes Drittel unter anderem wegen begründeter Einsprachen und Internierungen in der Schweiz bleiben. Prominentester Ausgewiesener war Otto Köcher, 1937-1945 deutscher Gesandter in Bern, der Ende 1945 Suizid beging.

Quellen und Literatur

  • E. Ehrich, Die Auslands-Organisationen der NSDAP, 1937
  • E. Morawietz, Die polit. und militär. Gefährdung der Schweiz durch das nationalsozialist. Deutschland, Typoskript, [um 1969], (NB)
  • W. Wolf, Faschismus in der Schweiz, 1969
  • J. Fink, Die Schweiz aus der Sicht des Dritten Reichs, 1985
  • R. Brassel-Moser, «Das Schweizerhaus muss sauber sein», 1999 (mit Bibl.)
  • M. Wipf, Nationalsozialismus und Faschismus in Schaffhausen, Seminararbeit Bern, 1999
  • P. von Hahn, «"Sauberer" als Bern?», in SZG, 51, 2001, 46-58
Weblinks

Zitiervorschlag

Walter Wolf: "Nationalsozialismus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017461/2010-09-07/, konsultiert am 29.03.2024.