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Pangermanismus

Der Begriff Pangermanismus bezeichnet eine im 19. Jahrhundert entstandene ideologisch-politische Bewegung, die ein angeblich gemeinsames Stammesbewusstsein aller Völker germanischen Ursprungs behauptete und alle deutschsprechenden Völker in einem Staat vereinigen wollte.

Der Pangermanismus während des Deutschen Kaiserreichs

Mit der Thronbesteigung von Kaiser Wilhelm II. 1888 begann die Hinwendung Deutschlands zur sogenannten Weltpolitik, einer territorialen und wirtschaftlichen Expansion, die ein deutsches Kolonialreich analog zum britischen Empire anstrebte. Zur selben Zeit lieferten die Rassentheorien von Joseph Arthur de Gobineau oder Houston Stewart Chamberlain dem Pangermanismus eine Rechtfertigung. Zu den ersten pangermanischen Organisationen zählte der 1891 in Berlin gegründete Allgemeine Deutsche Verband, der sich 1894 neu formierte und in Alldeutscher Verband umbenannt wurde. Er setzte sich unter anderem die Förderung des deutschen Volkstums in Europa und Übersee, die Verteidigung deutscher Interessen im Ausland und die Unterstützung der deutschen Kolonialpolitik zum Ziel. Hingegen gehörte die Einverleibung der Schweiz, der Niederlande, Luxemburgs, Belgiens und einiger französischer Departemente sowie im Osten diejenige Polens und der baltischen Staaten ins Reich nicht zum offiziellen Programm, auch wenn solche Ideen von einigen Wortführern des Verbands und in pangermanischen Schriften vertreten wurden.

In der Deutschschweiz stiess der Pangermanismus kaum auf Resonanz und übte nur innerhalb der deutschen Kolonie einen spürbaren Einfluss aus. Als Reaktion auf die Schrift «Die deutschfeindliche Bewegung in der französischen Schweiz» von H. Meier (ein Pseudonym von Edgar Schmid) und die Obersten-Affäre warnte in der Westschweiz Maurice Jeanneret in seiner Replik «Sauvons la Suisse» (1916) das Schweizer Volk vor der Gefahr des Pangermanismus, dessen Ideen die Existenz und Einheit des Landes in Frage stellen würden.

Der Pangermanismus während des Nationalsozialismus

Mit der nationalsozialistischen Expansionspolitik gewann der Pangermanismus in der Zwischenkriegszeit auch in der Schweiz an Virulenz (Nationalsozialismus). Er führte zur Frage, ob die deutsche bzw. alemannische Schweiz «unerlöstes» Gebiet sei und man sie nicht «heimholen» müsse. Solche Überlegungen mündeten in den Vorwurf an die Schweiz, sie habe damals das Reich im Moment grosser Schwäche verraten und verlassen. Da das Vollprogramm eines Anschlusses der Schweiz ans Dritte Reich keinerlei Chancen auf Unterstützung in der Deutschschweiz hatte, beschränkte sich der pangermische Anspruch auf das Gewährenlassen des straff organisierten Auslanddeutschtums.

Die usurpatorische Inanspruchnahme des Deutschschweizer Raumes manifestierte sich in vereinzelten deutschen Kartenwerken und Bildkalendern zum «deutschen Raum», die etwa den Rheinfall oder gewisse Schweizer Berge umfassten. Das Erscheinen solcher Darstellungen löste in der Schweiz jeweils heftige Abwehrreaktionen aus. Selbst die Sympathisanten des Nationalsozialismus wie die Formationen der Frontenbewegung sprachen sich, obwohl sie die enge kulturelle und rassische Gemeinsamkeit betonten, nicht für einen Anschluss ans Reich, sondern für eine Scheineigenständigkeit unter Deutschlands Führung aus. Mit dem Untergang des Dritten Reichs lösten sich die pangermanischen Ambitionen auf.

Quellen und Literatur

  • K. Humbel, Nationalsozialist. Propaganda in der Schweiz, 1931-1939, 1976
  • K. Urner, Die Deutschen in der Schweiz, 1976
  • W. Rüthemann, Volksbund und SGAD, 1979
  • J. Fink, Die Schweiz aus der Sicht des Dritten Reiches, 1933-1945, 1985
  • M. Korinman, Deutschland über alles: Le pangermanisme 1890-1945, 1999
Weblinks

Zitiervorschlag

Toni Cetta; Georg Kreis: "Pangermanismus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017464/2010-09-23/, konsultiert am 28.03.2024.