Arbeit ― verstanden als bewusster und zweckgerichteter Einsatz der körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte des Menschen zur Befriedigung seiner materiellen und ideellen Bedürfnisse ― wird im Folgenden vor allem unter den Aspekten ihrer gesellschaftlichen Stellung und ethischen Wertung im historischen Wandel theologischen, philosophischen und ideologischen Denkens behandelt.
Mittelalter
Die im 10. und 11. Jahrhundert entwickelte Lehre der in drei Stände gegliederten Gesellschaft (Ständische Gesellschaft) wies die Arbeit dem untersten Stand der laboratores zu, d.h. den Handarbeitern (Bauern), das Kriegshandwerk dem Stand der bellatores und das Gebet dem geistlichen Stand, den oratores. Der niedere Stand der vor allem in der Landwirtschaft tätigen Arbeiter hatte für den Erhalt der beiden geachteten Stände zu sorgen.
Den Worten labor und Ar(e)beit lagen bis ins Hochmittelalter vor allem die Bedeutungen passiv erlittener Mühsal, Last und Not sowie mühevoller Anstrengung zugrunde. Bezog sich labor auf menschliche Tätigkeit, stand im Frühmittelalter die Bedeutung von Landarbeit und Landesausbau im Vordergrund. Bei Notker dem Deutschen steht Arbeit für die ganze Existenz im Diesseits. Angelegt ist bei ihm aber auch schon die im Hoch- und Spätmittelalter vollzogene Begriffserweiterung hin zu Werk, Ertrag und Leistung. In der mittelalterlichen Wertehierarchie stand Handarbeit zuunterst, und die auf den Kirchenvätern aufbauenden Gesellschaftskonzepte der Scholastik entwickelten keine Theologie der Arbeit, sondern stellten das Opus Dei grundsätzlich über das Opus manuum, ebenso wie sie die Technik und die Artes mechanicae rangmässig weit unter den spekulativen Wissenschaften, vor allem der Theologie, einstuften. Die geringe Bewertung von Arbeit im mittelalterlichen Abendland fusste zum einen auf der Auslegung des Alten Testaments, wonach Gott nach dem Sündenfall Arbeit mit Mühsal beschwert habe (Gen. 3, 17-19). Zum anderen hatte der Mensch aber auch den Auftrag Gottes erhalten, die Erde zu bebauen und die Schöpfung zu bewahren (Gen. 2, 15). So besass Arbeit nach christlich-jüdischem Verständnis keinen Eigenwert an sich, sondern sollte für den Nächsten und die Gemeinde um Gottes Willen getan werden und zu Gott führen.
Das ursprünglich monastische Ideal (Mönchtum) der Benediktiner und der Reformorden strebte die Vita vere apostolica an: Mönche und Nonnen sollten von ihrer Hände Arbeit leben, wobei Handarbeit auch der Demutsübung und der Vermeidung des Müssiggangs diente. Der grösste Teil ihrer Zeit aber war dem Gottesdienst und der spirituellen Perfektion zu widmen. Im 11. und 12. Jahrhundert traten neben die ambivalenten Haltungen gegenüber Arbeit vermehrt Stimmen, die Arbeit positiv bewerteten und ihr auch in der monastischen Lebensgestaltung mehr Bedeutung beimassen. Argumente für den ethisch-moralischen Nutzen von Arbeit wurden insbesondere in den Auseinandersetzungen zwischen Reformorden (Zisterzienser, Prämonstratenser) und Cluniazensern vorgebracht. Manuelle Arbeit und Kontemplation wurden nicht mehr als unvereinbar betrachtet. Die Forschung sieht in diesem Wertewandel die gelehrte, kirchliche Reaktion auf den gleichzeitigen gesellschaftlichen Umbruch, die Wiederbelebung des Handels sowie den Aufschwung des Städtewesens mit seinen Märkten, Handwerken und Gewerben. In der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde im Libellus de diversis Ordinibus erstmals die Bibelstelle diskutiert: «Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen» (2. Thess. 3, 10).
In der zunehmend arbeitsteiligen Wirtschaft (Arbeitsteilung) des Hoch- und Spätmittelalters entwickelte sich wiederum ein Antagonismus zwischen Handarbeitern und sogenannten Müssiggängern, zum Beispiel Kaufleuten, Rentiers, Magistraten, Amtsleuten und Notaren. Bei Kaufleuten und Handwerkern bildete sich ein neuartiges Berufsbewusstsein aus (Beruf). In der städtischen Gesellschaft entwickelte sich ein spezifischer Arbeitsbegriff, der das Gewinnstreben des einzelnen Betriebs in Handwerk oder Handel mit der Normvorstellung des städtischen Gemeinwohls zu vereinbaren suchte. Nach der in der Bürgerschaft vorherrschenden Arbeitsauffassung sollte jeder Betrieb ein ausreichendes Einkommen zur sogenannten Nahrungssicherung, d.h. zum Lebensunterhalt des Meisters, der Meisterin und ihrer Familie erzielen. Er sollte andererseits vernünftige Preise fordern und auf strikte Einhaltung von Qualitätsnormen bedacht sein, um unlauteren Wettbewerb und die Übervorteilung der Kunden zu vermeiden. Im Lauf des Spätmittelalters wurden die städtischen Handwerke und Gewerbe durch Verordnungen und Kontrollen der Zünfte und der Obrigkeit mehr und mehr reglementiert. Der Begriff der Ehre im Handwerk leitete sich nicht nur aus der Beachtung der Normen in der Produktionssphäre ab, sondern bezog sich ebenso auf die moralischen und sozialen Aspekte von Herkunft und Lebensführung. Von den ehrbaren Berufen wurden die unehrlichen Berufe abgegrenzt. Im gesellschaftlichen System der spätmittelalterlichen Städte wurden die einzelnen Sozialgruppen allgemein vermehrt über ihre Arbeit definiert. In der mittelalterlichen ländlichen Gesellschaft sind spezifische Wertungen der Arbeit kaum fassbar, insbesondere auch nicht im Zusammenhang mit ländlichen Unruhen, in deren Verlauf andernorts in Europa (z.B. Bauernaufstand in England 1381) durchaus Klagen über den Müssiggang von Adel und Klerus geäussert worden sind.
Vom 13. Jahrhundert an erfuhr Arbeit im theologischen Diskurs eine Aufwertung, welche die soziale und wirtschaftliche Entwicklung im Zeichen des Städtewesens reflektierte. Mit den zeitgenössischen städtischen Arbeitsformen setzten sich Vertreter der Bettelorden auseinander, insbesondere die Dominikaner. Der Franziskanerprediger Berthold von Regensburg sah Müssiggang als «Mutter aller Sünden». Er entwickelte einen für alle Stände gültigen christlichen Arbeitsbegriff. Danach herrschte für Ordensleute und Laien gleichermassen das Gebot der Arbeit um der Notdurft willen, damit die Seele nicht Schaden nehme. Auch Berthold stufte das innere, geistlich-andächtige Leben (vita contemplativa) höher ein als das tätige (vita activa). In seinem Konzept der zehn Chöre der Christenheit reihte er die weltlichen Berufe in die sieben niederen Chöre ein, die den drei höchsten, nämlich den herrschenden Ständen, zu dienen verpflichtet waren. Spielleute und andere Angehörige von Randgruppen galten als Abtrünnige, analog zu den gefallenen Engeln. Die Arbeit der in den niederen Chören vereinigten ehrlichen Berufsleute dagegen galt als nützlich und unentbehrlich. Sie bedeutete soziale Verpflichtung der Laien im Sinne eines gottgegebenen Amts, wie dies auch Thomas von Aquin vertrat.
Einen entscheidenden Schritt zur konzeptionellen Überleitung von Arbeit als Berufung hin zum Begriff des christlichen Berufs im Sinne Martin Luthers taten die Mystiker wie Meister Eckhart und Johannes Tauler, indem sie vita activa und vita contemplativa aufeinander bezogen und das eine als Mittel zur Erreichung des anderen sahen. Sie hoben die scheinbare Antinomie zwischen Tätigkeit und Beschaulichkeit auf, wenn zum Beispiel Eckhart gleichermassen die andächtig-beschauliche Maria lobte und die äussere Arbeit der Martha als nützlich wertete. Auch einem Laien war es nach Eckhart auf seinem individuellen Weg möglich, sich mit Gott zu verbinden. Nach Tauler hebt Gott in seiner dreifaltigen Einheit den Gegensatz von Wirken und Ruhen in sich auf. Gottes Aufforderung zur Christus-Nachfolge gilt unabhängig von der kirchlichen oder weltlichen Standeszugehörigkeit, und es gehört zur Lebensaufgabe auch des Laien, die eigene Berufung zu erkennen und auszuüben. Der Mensch sollte eine gute, nützliche Tätigkeit in Unauffälligkeit und Ruhe ausüben, dabei den Blick und das Gemüt nach innen lenken und Gott einbeziehen.
Um die Auffassung von Arbeit entbrannten im Spätmittelalter im sogenannten Armutsstreit langwierige innerkirchliche Auseinandersetzungen, die die Lebensweise und wirtschaftliche Grundlage der Bettelorden betrafen. In der Auseinandersetzung mit den Weltgeistlichen und mit konkurrierenden Orden vertraten die Bettelorden (z.B. Johannes Mulberg) mitunter die Auffassung, wonach der Bettel ihnen (und den regulierten Schwestern) vorbehalten sei, Laien aber sich von Arbeit zu ernähren hätten. Diese Haltung wurde unter anderem in der Polemik gegen die Beginen und Begarden eingenommen, deren handwerkliche Tätigkeit wiederum von den Handwerkern als unliebsame Konkurrenz bekämpft wurde. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurden die Beginen in Basel vertrieben, in Bern traf sie das Gebot, die Ordenstracht abzulegen.
Aus der moralisch-ethischen Aufwertung der Arbeit in den städtischen Bürgerschaften entwickelte sich im ausgehenden Mittelalter der auch von den weltlichen Obrigkeiten propagierte Gedanke der Pflicht zur Arbeit, nicht zuletzt als Reaktion auf das drängende Problem der Armut und des auf wachsende Ablehnung stossenden Bettelwesens.
Frühneuzeit
Die spätmittelalterliche Differenzierung unter den Armen erfuhr im 16. Jahrhundert eine Weiterentwicklung zur reformatorischen Arbeitsethik, welche man bei Huldrych Zwingli ansatzweise, in Johannes Calvins Schriften systematisch formuliert findet: Gottes Schöpfung steht am Anfang aller menschlichen Arbeit. Wer aus freiem Willen arbeitet, steht im Einklang mit Gottes Wirken. Wird Arbeit als Berufung und Gottesdienst empfunden, verleiht sie dem Arbeitenden auch seine menschliche Würde. Deshalb ist jeder Mensch nur dann wahrhaftig Mensch, wenn er im Glauben und Gehorsam arbeitet. Insofern lässt sich Arbeit als Gnade Gottes und als Vorgeschmack des kommenden Reiches erleben. Das hat auch Auswirkungen auf die Berufswahl. Es geht nicht nur darum, den Lebensunterhalt zu verdienen. Arbeit soll dem Nächsten auch nützen. Neben Ackerbau und Handwerk zählen dazu auch nützliche nicht manuelle Aktivitäten wie Regierungsgeschäfte, Handel und Unterricht. Berufe, die nur der Fleischeslust dienen, sind zu meiden. Wer nicht arbeitet, ist nicht wirklich Mensch. Arbeitslosigkeit ist ein Vergehen gegen die Menschlichkeit und gegen Gott, und deshalb nicht zu tolerieren. Durch ehrliche Arbeit erworbener Reichtum ist zugleich Ausdruck göttlicher Gnadenwahl und sozial-ethischer Verpflichtung. Wer finanziell in der Lage ist, anderen Arbeit zu geben, und es nicht tut, macht sich schuldig, und wer einem Menschen die Arbeit wegnimmt, nimmt ihm das Leben. Calvin erhebt sich somit gegen den sozioökonomischen Machtmissbrauch durch die Reichen. Max Weber brachte die protestantische Berufsethik, insbesondere Elemente der innerweltlichen Askese und der Prädestinationsgnade, mit der Entfaltung kapitalistischer Gesinnung (Kapitalismus) in Verbindung und löste mit dieser These eine anhaltende Diskussion aus. Ernst Troeltsch bekräftigte Webers These mit der Behauptung, mit Calvin habe die Modernisierung der Arbeitswelt begonnen. Kritiker wiesen dann aber nach, dass Weber und Troeltsch den aktivistischen Puritanismus des 18. Jahrhunderts mit Calvins Rückbezug auf das Alte und Neue Testament verwechselt hatten.
Von Beginn der Reformation an ordneten einige reformierte eidgenössische Orte (Zürich, Bern, Basel) die Fremden Dienste unter die falschen Berufe ein, weil hier Geld zu leicht und rasch verdient werde. Sie bezeichneten das Annehmen von persönlichen Pensionen und Geschenken als besonders verwerflich und verboten beides. Ziel der evangelischen christlichen Obrigkeit war die Begünstigung ordentlicher Handwerks- und Landarbeit in der Heimat. Mit dem Verbot der Fremden Dienste und der Bekämpfung des Pensionenwesens versuchte man aber auch das Zurschaustellen von Luxus zu unterbinden. Konsequenterweise führte diese Einstellung zur systematischen Verschärfung der Sittenmandate. Wer als ehrlich, rechtschaffen und arbeitswillig galt, aber keinen Erwerb hatte und arm war, erhielt fürsorgliche Unterstützung. Spätestens im 17. Jahrhundert wurde durch städtische und zünftische Almoseneinrichtungen dafür gesorgt, dass Waisenkinder eine Berufslehre absolvieren konnten oder wenigstens zu ehrlicher Erwerbsarbeit angehalten wurden. Das führte an mehreren Orten zur Einrichtung von städtischen Arbeitshäusern für Frauen und Männer. Eine besondere Form des Arbeitshauses war das Schellenwerk (Zwangsarbeitsstrafe). Die Obrigkeit ermutigte auch einheimische und eingewanderte Unternehmer zur Eröffnung von Manufakturen. Daraus entwickelten sich die später als merkantilistische Einrichtungen bezeichneten Wolltuch-, Seiden-, Strumpf-, Baumwolldruck- und Geschirrmanufakturen des 18. Jahrhunderts
Die Aufklärung erwirkte eine Säkularisierung des reformierten Arbeitsethos. Im Rahmen der Ökonomischen Gesellschaften, insbesondere der Helvetischen Gesellschaft, wurden nämlich Ideen des Merkantilismus und der klassischen Nationalökonomie aufgegriffen und diskutiert. Man war der Ansicht, dass sich Liebe zur Arbeit zu Fleiss und Betriebsamkeit steigern könne. Zur Förderung der Arbeitsamkeit, dieses Ausdrucks reiner vaterländischer Sitte, brauche es ein geordnetes Staatswesen («gute Policey»). Man sehe das auf dem Land dort, wo Emsigkeit, Fleiss, Mühe und Arbeit die Wildnis in fruchtbare Äcker und angenehme Wiesen verwandelt hätten. Auch städtisches Handwerk, Gewerbe, Industrie und Handel wurden mit viel Lob bedacht. Die Jugend sei deshalb vermehrt zu arbeitsamen und nützlichen Bürgern zu erziehen (Johann Heinrich Pestalozzi). Allgemein sei nämlich die Arbeit das ursprüngliche Kapital der Nation. Je mehr Bevölkerung mit nützlicher Arbeit beschäftigt sei, desto reicher würden die Nationen. Deshalb vertrage die Schweiz auch noch mehr Konkurrenz, denn diese rege zur Tätigkeit an. Bei der Elite wie beim Volk sei demnach der Müssiggang heftig zu bekämpfen.
Wie die Erziehung zur disziplinierten Arbeit als erste Christenpflicht im Zentrum der reformierten Sozialpädagogik stand, so kam im Vergleich dazu der Arbeitsethik im katholischen Frömmigkeitsideal der Barockzeit neben zahllosen Andachtsübungen, Gebeten, Gottesdienstbesuchen und Wallfahrten eine eher untergeordnete Bedeutung zu. Mit grosser Verspätung und auch viel weniger konsequent übernahmen die katholischen eidgenössischen Orte im Sog der Aufklärung dennoch einige der von den Reformierten entwickelten beschäftigungspolitischen Massnahmen. So reduzierte vermutlich aus ähnlichen Überlegungen heraus Luzern 1763 die Zahl der kirchlichen Feiertage von rund 40 auf 20, was für Handwerker und Taglöhner, sofern sie Aufträge erhielten und Arbeit fanden, eine spürbare Einkommensverbesserung brachte. Doch gelang es in der frühen Neuzeit weder den reformierten noch den katholischen eidgenössischen Orten, Arbeit und Einkommen sinnvoll zu verteilen, um Armut, Arbeitslosigkeit und Müssiggang wirksam zu begegnen.
19.-20. Jahrhundert
Die bürgerliche und industrielle Umwälzung des 19. Jahrhunderts erfasste auch die normativen Vorstellungen und Leitbilder, die sich um den Begriff der Arbeit gelagert hatten (Bürgertum). Dieser vereinheitlichte sich und rückte als zentrales Element von Bürgerlichkeit in den Brennpunkt gesellschaftlicher Wertschätzung. Erst jüngst scheinen sich die Sinngebungen wieder verstärkt zu differenzieren.
Aufklärerische und frühliberale Konzepte (Liberalismus) des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts erhoben Arbeit zum abstrakten, säkularisierten Prinzip, lösten die älteren Bezüge zu «Mühe» und «Last», stellten dagegen eine Verbindung zur Vorstellung von Reichtum her. Der traditionell nach «unten» hin belastete Begriff wuchs über seine Pädagogisierung (Pestalozzi, Isaak Iselin) und Ökonomisierung zu einem Grundprinzip bürgerlicher Weltgestaltung, die sich auf die produktive Kraft freier, formal gleicher und wertschaffender Arbeit berief. Die aus älteren Bindungen freigesetzte Arbeit galt in optimistisch-liberaler Sicht als Garantin der individuellen Lebensbewältigung wie des kollektiven Fortschritts.
Die Umformung und der gesellschaftliche Siegeszug des Konzepts im 19. Jahrhundert vollzogen sich vor dem Hintergrund der Ablösung familien- und hauswirtschaftlicher durch marktvermittelte Formen der Arbeit, die in der sozialen Praxis immer häufiger als Lohnarbeit auftrat (Lohn). Aus dem Widerspruch zwischen den an die Arbeit geknüpften Glücksversprechen und dem Druck, der auf Lohnarbeit lastete, erwuchs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die unter dem Nenner der sozialen Frage abgehandelte Sozialkritik. Vertreter des Sozialismus teilten die bürgerliche Hochschätzung der Arbeit, deren Emanzipation aus ihrer Sicht allerdings noch ausstand. Spätere sozialistische Versuche, die gegebene Pflicht zur lebenslangen Arbeit verfassungsmässig durch ein «Recht auf Arbeit» zu ergänzen (erstmals 1894 durch eine Volksinitiative), scheiterten allerdings.
Neben den säkularisierten und liberalen oder auch konservativ-konfessionell gefärbten Elitevorstellungen von Arbeit lebten im Alltag des 19. und 20. Jahrhunderts vielfältige Formen religiös geprägter normativer Leitbilder fort. Das Modell gottgefälligen Wandels und der darin eingeschriebenen Pflicht steter Arbeit im Rahmen vorgegebener Hierarchien erfuhr von konservativ-kirchlicher Seite und über das Bildungswesen eine breitenwirksame Propagierung. Im späten 19. Jahrhundert fächerte sich der Begriff zunehmend schichtspezifisch auf: Mit den sozioökonomischen Krisen der voll entwickelten Industriegesellschaft wuchs der Bedarf an Legitimation sozialer Ungleichheit. Während das propagierte Ideal der Arbeit für die unteren Schichten am Gedanken des getreuen Dienens und der bürgerlichen Sekundärtugenden von Fleiss, Sauberkeit und Ordnung anknüpfte, betonten unternehmerische und gebildete Eliten in der Selbstdarstellung die Aspekte von Wagemut, schöpferischer Kraft und öffentlichem Wirken. Zeitungen und Verbandsblätter entwickelten sich vom späten 19. Jahrhundert an zu Foren, in denen unzählige (als Quelle noch wenig beachtete) Nachrufe die Kraft der Arbeit priesen.
Parallel zur schichtspezifischen vollzog sich im 19. Jahrhundert die geschlechtsspezifische Differenzierung des Arbeitsbegriffs. Folgenreich war nach 1870 der Wandel in der Bewertung von Frauenarbeit, deren hauswirtschaftlichem Teil (Hausarbeit) mit der zunehmenden Durchsetzung der Lohnarbeit immer mehr der Charakter von Arbeit abgesprochen wurde. In der sich entwickelnden Sozialstatistik fielen selbst erwerbstätige Frauen, zum Beispiel Dienstmädchen, aus dem Kreis der Erwerbenden, wenn sich ihre Tätigkeit im Haushalt vollzog. Die sozialstatistische und sprachliche Unsichtbarmachung grosser Teile weiblicher Arbeit färbte auch auf die Wertschätzung von Frauenerwerbsarbeit ab. Modellhaft schien Arbeit realisiert in der lebenslangen Verpflichtung männlicher Arbeitnehmer. Mit den Anfängen des Sozialstaats wurde die normierende Vorstellung von Arbeit, die grosse Teile weiblicher Lebensrealität ausblendete, auch in den Sozialversicherungen verankert. Vielfältige, zum Teil bis in die Gegenwart reichende Diskriminierungen resultierten daraus. In altersmässiger Hinsicht erfuhr die Kinderarbeit im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts sowohl ihre stärkste Verbreitung als auch ihre schrittweise gesetzliche Einschränkung. Die Aufgabe der Erwerbsarbeit im Alter erhielt mit der dank beruflicher Vorsorgeleistungen (Pensionskassen, AHV) finanziell abgesicherten Pensionierung ebenfalls eine gesetzlich geregelte Form.
Die Blütezeit rigoros durchgesetzter, moralisierter und geschlechtsspezifisch aufgeladener Vorstellungen von Arbeit fiel in die Periode 1930-1960. Das angeblich besondere Verhältnis des Schweizers zur Arbeit geriet zu einem Kernstück nationaler Identität; symbolische und ritualisierte Formen des Alltags bestärkten dies. Privatunternehmen machten in der Zwischenkriegszeit die Ehrung von Arbeitsjubilaren und verwandte Formen der Auszeichnung zum Element betrieblicher Sozialpolitik. Daneben entwickelten sich mit Arbeitswissenschaft und wissenschaftlicher Betriebsführung (Taylorismus) auch zukunftsweisende Debatten um Leistungsmessung, den Begriff der Arbeitsfreude oder der betrieblichen Arbeitsgemeinschaft. Die Angestellten sprachen besonders auf solche vorerst primär sprachlichen Neuerungen an, die eine Aufwertung untergeordneter Lohnarbeit zu versprechen schienen. Nach 1945 entfalteten unter dem Druck des Arbeitskräftemangels solche Konzepte, in denen sich Arbeit mit Vorstellungen von Sozialpartnerschaft verband, starke Zugkraft.
Hochkonjunktur, wachsender Wohlstand und verbesserte Bildung setzten ab den 1960er Jahren den traditionellen Begriff der Arbeit unter Druck. Von Marktforschung und Soziologie interessiert beobachtete Ansprüche auf «Selbstverwirklichung» in Arbeit und Freizeit liessen die Arbeitsmoral des blossen Dienens als altmodisch erscheinen. Die identitätsstiftende Rolle der Arbeit in der individuellen Lebensbewältigung dürfte dennoch hoch geblieben sein, wie der Umgang mit Arbeitslosigkeit zeigt. Nur Randgruppen («Aussteiger») verweigern sich dem Verpflichtungsdruck, der sich seit dem 19. Jahrhundert mit Arbeit verband. Im Begriff des Workaholics äussert sich jedoch auch eine breitere Kritik am zweckvergessenen Leistungsdenken. Ob aus «post-materiellen» Orientierungen, deren angeblicher Vormarsch die Zeitdiagnostik seit den 1980er Jahren konstatiert, ein tieferer Wandel im Begriff der Arbeit hervorgehen wird, entzieht sich vorläufig der Beurteilung. Langfristig von Bedeutung ist hingegen der Wandel, der sich seit etwa 1970 in der Bewertung von Frauenarbeit abzeichnet. Harte Kritik hat seither auf die Existenz der unsichtbar gemachten weiblichen Arbeit ausserhalb marktvermittelter Lohnarbeit und die damit in Zusammenhang stehende Zurücksetzung von Frauen auch in der Erwerbsarbeit hingewiesen. Die Einstellungsmuster ändern sich. Seit der 10. AHV-Revision von 1995 rechnet die Sozialversicherung Guthaben für nicht marktvermittelte Betreuungsarbeit in den Familien an (Erziehungs- und Betreuungsgutschriften).
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