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Raumfahrt

Der Vorstoss des Menschen in den erdnahen und interplanetaren Weltraum mit automatischen oder von Menschen gesteuerten Raumfahrzeugen hat zum Ziel, die Erde als Planeten zu beobachten, Himmelskörper unseres Sonnensystems zu erforschen und Astronomie jenseits der behindernden Erdatmosphäre zu betreiben.

Raumfahrtexperte Bruno Stanek im Fernsehstudio während der Vorbereitungen für die Eurovisionssendung zum zehnten Jahrestag der ersten Mondlandung 1979, publiziert in Radio und Fernsehen in der Schweiz, 2006 (Hier und Jetzt Verlag).
Raumfahrtexperte Bruno Stanek im Fernsehstudio während der Vorbereitungen für die Eurovisionssendung zum zehnten Jahrestag der ersten Mondlandung 1979, publiziert in Radio und Fernsehen in der Schweiz, 2006 (Hier und Jetzt Verlag). […]

Die Schweiz spielt seit den ausgehenden 1950er Jahren in der Raumfahrt eine aktive Rolle. Auf Einladung des Bundesrats fand 1960 in Meyrin bei Genf die weltweit erste Regierungskonferenz über internationale Raumfahrt-Zusammenarbeit statt. Aus ihr ging 1964 die Europäische Raumforschungsorganisation Esro hervor. 1975 bildete sich durch den Zusammenschluss der Esro mit der ebenfalls 1964 gegründeten Europäischen Trägerraketenorganisation Eldo die Europäische Weltraumorganisation ESA (European Space Agency). Die ESA ist ein Beispiel erfolgreicher europäischer Zusammenarbeit. Sie ist finanziell und institutionell unabhängig von der EU und umfasste 2010 18 Mitgliedstaaten. Die Schweiz, Gründungsmitglied von Esro und ESA, gab wesentliche Impulse zur Konzeption und Struktur der Organisation. Sie leistete im Jahr 2009 Beiträge in der Höhe von 150 Mio. Franken (3,3% des Gesamtbudgets). Dank den ESA-Programmen gehört Europa heute zu den grössten «Weltraummächten» der Erde, neben den USA, Russland und China.

Die ersten grösseren Beiträge der Schweiz an die internationale Raumfahrt datieren aus den 1960er Jahren. 1967 startete die von der Firma Contraves entwickelte Höhenforschungsrakete Zenit Messgeräte, die von der Universität Bern und vom Observatoire de Genève entwickelt worden waren. Ein erster Höhepunkt für die schweizerische Weltraumforschung war 1969 die Mondlandung von Apollo 11, bei der als einziges nichtamerikanisches Experiment ein segelförmiges Instrument zur Analyse des Sonnenwinds mitgeführt wurde, eine Gemeinschaftsentwicklung der Universität Bern und der ETH Zürich. Schweizer Institute waren auch an der Analyse von Mondbodenproben beteiligt. In Anknüpfung an diese Pionierleistung organisierte die Schweiz 1994 in Beatenberg das erste internationale Symposium über die Rückkehr zum Mond.

Der Schweizer Astronaut Claude Nicollier bei seinem Ausstieg in den Weltraum 1999 (European Space Agency).
Der Schweizer Astronaut Claude Nicollier bei seinem Ausstieg in den Weltraum 1999 (European Space Agency). […]

Heute gibt es an allen schweizerischen Universitäten, an den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen, am Physikalisch-Meteorologischen Observatorium Davos und am Paul-Scherrer-Institut in Villigen Forschungsgruppen, die im Rahmen von ESA-Programmen oder in direkter Kooperation mit der Nasa und der russischen Raumfahrt an weltraumwissenschaftlichen Missionen beteiligt sind. Sie werden meist vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt und von der Kommission für Weltraumforschung der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften koordiniert. Zu den wichtigsten Projekten mit schweizerischer Mitwirkung zählen die ESA-Magnetosphärensonden Geos (ab 1977), das Weltraumlabor Spacelab (seit 1981), die Giotto-Sonde der ESA zum Kometen Halley (1985-1986), der ESA-Sternvermessungssatellit Hipparcos (1989), die ESA-Sonnenpolsonde Ulysses (1990), das ESA-Infrarotobservatorium ISO (1992), das ESA-Sonnenobservatorium Soho (1995), die Nasa-Magnetosphärensatelliten ISEE-1 (1977), DE (1981), Ampte (1984) und Polar (1995), die Nasa-Sonnenwindsonden ISEE-3 (1978) und Wind (1994), die russischen Marssonden Phobos (1988), die russische Raumstation Mir (1986-2001), die Astronomiemission Integral (seit 2002), die Kometenmission Rosetta (seit 2004), die Huygens-Sonde, welche 2005 auf dem Titan landete, das Automatische Transfervehikel der Internationalen Raumstation und die zwei Teleskope Herschel und Planck (seit 2009). Der Schweizer Astronom und Pilot Claude Nicollier gehörte zur ersten Gruppe von ESA-Astronauten und war bei vier Missionen des Space Shuttle (1992, 1993, 1996, 1999 mit Weltraumspaziergang) im Rahmen von gemeinsamen Projekten der ESA und Nasa im Einsatz.

Im Bereich der Erdbeobachtung mit den europäischen Wettersatelliten (Meteosat ab 1977, MetOp ab 2006) und den ESA-Fernerkundungssatelliten (ERS ab 1991, Envisat ab 2002, EarthExplorer-Missionen ab 2009) sind schweizerische Hochschulinstitute und das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz aktiv beteiligt. Mehrere Forschergruppen führen überdies biologische, medizinische und materialwissenschaftliche Experimente unter Schwerelosigkeit durch. Seit 1995 bestehen in der Schweiz auch zwei internationale Institute zur koordinierten Auswertung von Messdaten wissenschaftlicher Satelliten: das International Space Science Institute (ISSI) in Bern und das auf die Gammastrahlen-Astronomie spezialisierte Integral Science Data Centre (ISDC) in Versoix. Die Leistungen der schweizerischen Industrie konzentrieren sich auf den Bau der Nutzlastverkleidungen der Ariane-Trägerraketen, Satellitenstrukturen, feinmechanischer und mikrotechnischer Elemente, Zeit- und Frequenzstandards für Satelliten sowie auf eine Reihe weiterer anspruchsvoller weltraumtechnischer Produkte für den Bau und die Ausrüstung von Satelliten, Trägerraketen, Startanlagen und Bodenstationen.

Neben ihrer Mitgliedschaft in der ESA ist die Schweiz auch vier internationalen Satelliten-Betriebsorganisationen beigetreten: der 1964 gegründeten Intelsat (Internationale Fernmeldesatelliten-Organisation), der 1976 gegründeten Inmarsat (Internationale Hochseefunksatelliten-Organisation), der 1982 gegründeten Eutelsat (Europäische Fernmeldesatelliten-Organisation) und der 1983 gegründeten Eumetsat (Europäische Wettersatelliten-Organisation).

Quellen und Literatur

  • W. Büdeler, Gesch. der Raumfahrt, 21982
  • B. Stanek, Raumfahrt Lex., 1983
  • Europa im Weltraum - und die Schweiz?, 1991
  • J.-B. Desfayes, Espace Nicollier, 1992
  • Die Schweiz, Europa und die Raumfahrt, 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Creola: "Raumfahrt", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024473/2011-12-16/, konsultiert am 11.02.2025.