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Feuilleton

Feuilleton bezeichnet eine kurze, prägnante Form gelehrter bzw. unterhaltsamer Zeitungsartikel, die sich nicht immer präzise abgrenzen lässt von Gattungen wie dem Essay oder der Glosse (Presse). Das Feuilleton wurde erstmals um 1800 in Frankreich («Journal des Débats») gepflegt, ab 1850 war es auch im deutschen Sprachgebiet verbreitet. Typisch war die Anordnung der Texte «unter dem Strich», d.h. im unteren Drittel oder Viertel der Seite. Im italienischen Kulturraum setzte sich das Konzept der sogenannten dritten Seite (terza pagina) durch, das 1901 durch den «Giornale d'Italia» eingeführt und bald auch von anderen Tageszeitungen jahrzehntelang verwendet wurde. So bezeichnet das Feuilleton – vor allem seit 1945 – denn auch den Kulturteil einer Zeitung, der unter anderem Kritiken (Literatur, Theater, Musik, Kunst), Essays, Interviews und Berichte aus dem Kultur- und Geistesleben beinhaltet.

In Deutschland und Österreich erlebte das Feuilleton in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zur Machtergreifung Hitlers 1933 mit Alfred Kerr, Karl Kraus und Kurt Tucholsky seinen Höhepunkt. In dieser Zeit pflegten in der Schweiz die NZZ mit Eduard Korrodi, «Der Bund» mit Josef Viktor Widmann und Hugo Marti, die «National-Zeitung» (bis 1976) mit Otto Kleiber und die «Basler Nachrichten» (bis 1976) mit Eduard Fritz Knuchel, ab 1933 auch «Die Nation» (bis 1952) mit Peter Surava und die «Weltwoche» mit Manuel Gasser ein hochstehendes Feuilleton. Als nach 1933 deutsche Feuilletonisten in der Schweiz Asyl suchten, wurde ihnen die Mitarbeit am schweizerischen Feuilleton weitgehend verweigert. In der vom französischen Kulturverständnis geprägten Westschweiz nahm das Feuilleton ab 1900 eine wichtige Position ein. In der «Gazette de Lausanne» (bis 1998) schrieben Edouard Rod und Philippe Godet, im «Journal de Genève» (bis 1998) Philippe Monnier, später Robert de Traz, Jean-Bernard Bouvier und Charly Clerc. Für den Feuilletonismus wichtig waren auch Zeitschriften wie die «Bibliothèque universelle» (bis 1924), die «Semaine littéraire» (bis 1943) oder die «Revue de Genève» (bis 1930) in der französischen Schweiz, «Wissen und Leben» (bis 1926) und die «Schweizer Monatshefte» (ab 1921) in der Deutschschweiz. Ab 1933 kämpften verschiedene Schweizer Autoren wie Albin Zollinger oder Elisabeth Thommen für eine bessere Vertretung in den Feuilletons, die sie als Existenzgrundlage für literarisch Tätige verstanden. Der 1939 gegründete Schweizer Feuilleton-Dienst versorgte die Zeitungen im Zeichen der Geistigen Landesverteidigung als staatlich subventionierte Agentur mit deutschen und französischen Romanen, Erzählungen und Essays schweizerischer Provenienz. Bis 1945 blieben die Fortsetzungsromane in der Schweiz wie auch in Deutschland ein fester Bestandteil des Feuilletons. Danach verloren Roman und Erzählung im Feuilleton an Bedeutung.

Titelseite der letzten Ausgabe des Samedi littéraire vom 29. Februar 1998 (Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf).
Titelseite der letzten Ausgabe des Samedi littéraire vom 29. Februar 1998 (Fotografie A. & G. Zimmermann, Genf). […]

Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden feuilletonistische Formen wie das Feature oder die Kritik auch Eingang in die neuen, elektronischen Medien. Literaturkritiker wie Max Rychner, Werner Weber, Béatrice von Matt, Marcel Raymond, Bertil Galland, Franck Jotterand, Pierre-Olivier Walzer und Isabelle Martin schrieben Beiträge für die Feuilletons der grossen Tages- und Wochenzeitungen, «Die Tat» (bis 1977), die NZZ, den «Tages-Anzeiger», den «Bund» und die «Weltwoche», die Beilagen «Samedi littéraire» («Journal de Genève», von Walter Weideli initiert) und «Gazette littéraire» («Gazette de Lausanne»), den «L'Hebdo», den kurzlebigen «Le Nouveau Quotidien» (1991-1998) und seit 1998 die «Le Temps». Aber auch Schriftsteller wie Hermann Burger, Laure Wyss, Hugo Loetscher, Ruth Schweikert, Jacques Chessex, Jean Starobinski, Etienne Barilier, Yvette Zgraggen und Daniel Maggetti sind in den Feuilletons präsent. Das Feuilleton der italienischen Schweiz konzentrierte sich auf den bürgerlichen «Corriere del Ticino» und die sozialdemokratische «Libera Stampa» (bis 1993). Eine zentrale Bedeutung für das Feuilleton im Tessin spielt auch das Radio der italienischen Schweiz. Als wichtige Feuilletonisten sind ausserdem Guido Calgari, Giuseppe Zoppi, Arminio Janner, Giovanni Bonalumi, Giovanni Orelli und Alberto Nessi zu nennen. Neben den obgenannten Medien wird Zeitschriften-Feuilletonismus seit 1945 auch in «Drehpunkt» (1968-2006), «Orte» (seit 1974) und «Entwürfe» (seit 1992), in «Ecriture» (1964-2005) sowie in «Svizzera italiana» (1941-1962) und «Il Cantonetto» (seit 1953) gepflegt.

In jüngster Zeit ist ein verstärkter Innovationsdruck auf das Feuilleton und seine traditionellen Formen zu beobachten. Im Zuge von wechselnden Leserinteressen wird von den Herausgebern und Redaktoren immer deutlicher eine Art von (Zeitungs-)Kulturteil favorisiert, in dem unterhaltsame Formen wie Interview, Feature und Klatschkolumne die zunehmend als unzeitgemäss diskreditierte eigentliche Kritik und Rezension ablösen.

Quellen und Literatur

  • W. Haacke, Hb. des Feuilletons, 3 Bde., 1951-53
  • Francillon, Littérature
  • Für den Tag schreiben, hg. von C. Linsmayer, 1999
  • Die lange Gesch. der kleinen Form, hg. von K. Kauffmann, E. Schütz, 2000
  • A. Clavien, F. Vallotton, Les supports de la critique littéraire en Suisse romande: grandes revues, "variétés" et suppléments littéraires: 1830-1960, 2007
Weblinks

Zitiervorschlag

Charles Linsmayer: "Feuilleton", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.06.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024572/2012-06-01/, konsultiert am 19.03.2024.