Pedrazzini

Aus Campo (Vallemaggia) stammende Familie, die dort seit Mitte des 17. Jahrhunderts belegt ist. Ihre männlichen Angehörigen waren grösstenteils Handelsleute in Kassel und Honoratioren in den Vogteien Vallemaggia und Locarno sowie Politiker im Kanton Tessin. 

Familienwappen der Pedrazzini. Wandmalerei auf einer der Fassaden der Bürgerhäuser in Campo (Vallemaggia), um 1730 (Associazione delle Famiglie Pedrazzini).
Familienwappen der Pedrazzini. Wandmalerei auf einer der Fassaden der Bürgerhäuser in Campo (Vallemaggia), um 1730 (Associazione delle Famiglie Pedrazzini). […]

Die spärlichen Hinweise auf die Ursprünge der Familie Pedrazzini aus Campo gehen eher auf Legenden denn auf historische Berichte zurück. Der hier dargestellte Zweig der Familie siedelte sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts in der höchstgelegenen Gemeinde des Valle di Campo im oberen Vallemaggia an. Aus diesem Bergdorf zog der Kaufmann Gaspare Pedrazzini (1643-1724) Ende des 17. Jahrhunderts weg, um sich – wie andere Auswanderer aus den gemeinen Herrschaften und der Lombardei – in den Handelszentren des Heiligen Römischen Reichs nördlich der Alpen niederzulassen. Zunächst Teilhaber der Bankiers Guaita aus Menaggio mit Handelsniederlassungen in Paderborn und Frankfurt am Main, trennte sich Gaspare alsbald von seinen Partnern und eröffnete Anfang des 18. Jahrhunderts in Kassel ein eigenes Kolonialwarengeschäft (Handel) unter dem Firmennamen Gaspard Pedrazzini & Fils. Der Kaufmann, seine Söhne Giovanni Battista und Guglielmo Pedrazzini (1675-1744) sowie ihre zahlreichen männlichen Nachkommen wechselten sich als Direktoren des Familienunternehmens ab, wobei sie regelmässig zwischen der Landgrafschaft Hessen und ihrem Heimatdorf hin und her reisten. 1830 musste das Geschäft wegen einer Reihe ungünstiger Faktoren geschlossen werden, darunter familiärer Streitigkeiten, politischer Umstürze und ökonomischer Krisen.

Porträt von Gaspare Pedrazzini, umrahmt von zwei Enkelsöhnen. Öl auf Leinwand, 1708 (Privatsammlung).
Porträt von Gaspare Pedrazzini, umrahmt von zwei Enkelsöhnen. Öl auf Leinwand, 1708 (Privatsammlung). […]

Während mehr als eines Jahrhunderts verblieb das Unternehmen fest in den Händen der Familie, auch dank der Verpflichtung verschwägerter Direktoren und von Arbeitskräften, die im Maggiatal angeworben wurden. Die Guaita belieferten die Pedrazzini mit den an den Nordseehäfen ankommenden Kolonialwaren wie Gewürzen, Kaffee und Schokolade und mit Produkten aus italienischen Handelszentren wie Käse, Oliven und Zitronen. Mit weiteren Unternehmerfamilien, die in oberrheinische Städte ausgewandert waren, pflegten sie Handelsbeziehungen, etwa mit den Fantina in Heidelberg, den Sartori in Mannheim oder den Tosetti in Mainz (Auswanderung). Auf den Reisen zwischen dem heimatlichen Tal und dem Unternehmen in Kassel wurden die Pedrazzini von ihren Landsleuten beherbergt; mit ihnen knüpften sie mitunter Heiratsverbindungen, die den Zusammenhalt der Handelsdynastien aus dem Valle di Campo stärkten. Auch der Austausch von Arbeitskräften zwischen den Unternehmungen und die kaufmännische Ausbildung der künftigen Erben in den Firmen der Partnerfamilien festigten die Bindungen. Die jugendlichen Nachfolger rundeten dort ihre in kanonischen Schulen und religiösen Kollegien erworbene Bildung mit Kenntnissen in Fremdsprachen, Schrift- und Rechnungswesen sowie Buchhaltung ab.

Zwei Veduten von Stefano Lamberti mit den Titeln Case Pedrazzini verso mezzogiorno (links) und Case Pedrazzini, Campo Vallemaggia (rechts). Aquarellierte Zeichnungen, 1825 (Privatsammlung).
Zwei Veduten von Stefano Lamberti mit den Titeln Case Pedrazzini verso mezzogiorno (links) und Case Pedrazzini, Campo Vallemaggia (rechts). Aquarellierte Zeichnungen, 1825 (Privatsammlung). […]

Der unternehmerische Weg der Pedrazzini war von Erfolg gekrönt und ging mit ihrem Aufstieg in die Reihen der Honoratioren der gemeinen Herrschaften sowie mit ihrer Verankerung in Campo einher. Hier liessen sie mit ihrem durch Handel erworbenen Vermögen mehrere herrschaftliche Häuser errichten, die sich in geschlossener Form um die dem Patronatsrecht der Familie unterstehende und Johannes dem Täufer geweihte Kapelle gruppieren. Diese zeugen von der Macht der Familie und der Rolle ihrer Mitglieder als Mäzene. In den eleganten Innenräumen, in denen Dienstmädchen und Gehilfen arbeiteten, fanden sich exotische Möbel und kostbare Gegenstände – gekauft in den Zentren der Auswanderung – in einem raffinierten Dekor, welches das Bestreben der Pedrazzini nach sozialem Aufstieg unterstrich.

Der durch den Handel erworbene Reichtum vergrösserte den Grundbesitz der Familie. Dieser umfasste Güter und Rechte (Ackerland, Weiden, Weinberge und Wälder) in den Vogteien Vallemaggia und Locarno, von den Alpen rund um das Dorf, auf denen die Pedrazzini ihre Herden weideten, bis zu den Hängen des Gambarogno. Über dieses Gebiet erstreckte sich auch ein Netz von privaten und öffentlichen Schuldnern, denen die Pedrazzini als Geldgeber Kredit gewährten. Die hohen Geldbeträge, die sie von Einzelnen und vor allem von den als besonders kreditwürdig geltenden Kommunen eintrieben, verweisen auf enge klientelistische Abhängigkeiten.

Aus den Investitionen und Erwerbungen wird deutlich, dass die Pedrazzini, die nicht auswanderten, sondern in der Heimat verblieben, den Einflussbereich der Familie in Campo gezielt ausweiteten. Sie unterstützten als Wohltäterinnen und Mäzene Einzelpersonen, Gemeinschaften, Bruderschaften sowie Kirchen und vertraten als Ansprechpartner deren Interessen bei eidgenössischen Gesandten und Beamten. Zu den besonders freigiebigen Familienangehörigen gehörte auch die Witwe Maria Apollonia Pedrazzini. Während die Männer in der Fremde weilten, kam den Frauen als bürgerliche Herrinnen die Aufgabe zu, den Familienbesitz zu verwalten und sich um die zahlreichen Nachkommen zu kümmern. Auf diese Weise sorgten sie für die Verankerung der reisenden Kaufleute im Dorf, gewährleisteten deren Zugang zum lokalen Gemeindeverband und verteidigten die erworbenen Privilegien und Rechte. Das reichhaltige Quellenmaterial, das in den Familienarchiven aufbewahrt wird und grösstenteils aus Korrespondenzen besteht, dokumentiert eine Geschichte, in der die unternehmerische Mobilität der Auswanderer deren Zugehörigkeit zu ihrer Heimat vertiefte.

Im 19. und 20. Jahrhundert, nach der Ära der Auswanderung, trugen vor allem Politiker und Unternehmer zum Ansehen der Familie bei. Mehrere ihrer Mitglieder bekleideten wichtige Ämter auf kantonaler und eidgenössischer Ebene, darunter Martino und Giovan Battista Pedrazzini.

Quellen und Literatur

  • Archivio di Stato del Cantone Ticino, Bellinzona, Archivio delle Famiglie Pedrazzini di Campo Vallemaggia.
  • Mondada, Giuseppe: Commerci e commercianti di Campo Valmaggia nel Settecento. Dalle lettere dei Pedrazzini e di altri conterranei attivi in Germania e in Italia, 1977.
  • Chiesi Ermotti, Francesca: Le Alpi in movimento. Vicende del casato dei mercanti Pedrazzini di Campo Vallemaggia (XVIII s.), 2019.

Zitiervorschlag

Francesca Chiesi Ermotti: "Pedrazzini", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.05.2022, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024719/2022-05-03/, konsultiert am 16.09.2024.