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Armenien

Situationskarte Armenien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.
Situationskarte Armenien © 2000 HLS und Kohli Kartografie, Bern.

Mitte des 19. Jahrhunderts lebten 2 Mio. Armenier im Osmanischen Reich, ein halbe Mio. im russischen Kaukasus. Das Erwachen der Nationen fand bei diesem transkaukasischen Volk christlichen Glaubens, das ab 1375 jeglicher eigenen Staatlichkeit (Eroberung von Klein-Armenien) beraubt war, ein breites Echo. 1887 gründete in Genf eine Gruppe armenischer Studenten die sozialdemokratische Partei Hintschak, die zum Kampf für die nationale Befreiung aufrief. Ihr folgte 1890 die Revolutionäre Föderation Daschnakzutiun, die Genf als Zentrum ihrer Auslandaktivitäten wählte. Ihre Zeitung «Droschak» erschien dort bis zum Ersten Weltkrieg. Die Parteien Hintschak und Daschnak organisierten in der Türkei lokale Revolten, was zu massiven Reaktionen seitens des Osmanischen Reichs führte. Die Armenier wurden zu Tausenden niedergemetzelt. Die Empörung im Westen war gross. In der Schweiz fanden sich 1896 454'291 Unterschriften für eine Petition, die den Bundesrat zu einer diplomatischen Intervention aufrief. Lanciert wurde die Bittschrift vom Schweizerischen Hilfsbund für Armenien, der in Sivas und Urfa Waisenhäuser und Kliniken eröffnete. Dabei zeichneten sich besonders der Genfer Léopold Favre und der Appenzeller Jakob Künzler aus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich in Lausanne und Genf, namentlich um die Familie Tchéraz und Tchamkerten, eine armenische Gemeinde zu bilden. Unter den Studenten waren die Schriftsteller Roupen Sévak und Siamanto (von den Türken im April 1915 hingerichtet) sowie Avétis Aharonian (1918 Mitbegründer der Demokratischen armenischen Republik).

Im Januar 1915 fielen die russischen Armeen in die Osttürkei ein. Zahlreiche Armenier sahen in ihnen Befreier. Die osmanische Regierung beschloss darauf, die armenische Bevölkerung zu deportieren und teilweise auszurotten. Der Genozid begann am 24. April 1915 und forderte über 1 Mio. Opfer. Die Überlebenden verteilten sich über die ganze Welt. Die Schweiz brachte Hunderte von Flüchtlingen in Heimen unter, die unter der Leitung des Pfarrers Antony Krafft-Bonnard in Begnins und Genf entstanden waren.

Nach einer kurzen Zeit der Unabhängigkeit (Mai 1918-Dezember 1920) wurde das kaukasische Armenien eine Sowjetrepublik. Im Völkerbund setzten sich die Bundesräte Gustave Ador und Giuseppe Motta für das «Märtyrervolk» ein. Dessen Schicksal wurde an der Konferenz von Lausanne über den Frieden im Nahen Osten besiegelt. Während der Vertrag von Sèvres vom 10. August 1920 Armenien in den vom US-Präsidenten Woodrow Wilson vorgeschlagenen Grenzen anerkannt hatte, erwähnte der Lausanner Vertrag vom 24. Juli 1923 nicht einmal mehr die Existenz eines armenischen Staats. Danach rückte die Armenien-Frage während eines halben Jahrhunderts in den Hintergrund. Die 4000 in die Schweiz (v.a. in die französische Schweiz) emigrierten Armenier integrierten sich gut. Seit 1969 verfügen sie in Troinex über eine Kirche. Zudem wird ihre Sprache seit 1920 an der Universität Freiburg, seit 1974 auch in Genf gelehrt. Mitte der 1970er Jahre geriet die Armenierfrage erneut ins Blickfeld, als eine Welle von antitürkischem Terrorismus auch die Schweiz ergriff. Sie verebbte 1985 nach der Anerkennung des Genozids von 1915 durch die UNO-Unterkommission für Menschenrechte. Danach konzentrierte sich das Armenierproblem auf das sowjetische Armenien. Die am 23. September 1991 unabhängig gewordene Republik Armenien wurde vom Bundesrat anerkannt und unterhält eine Mission bei den Internationalen Organisationen in Genf. Die Schweiz wird in Armenien diplomatisch von der Botschaft in Moskau vertreten. 1997 importierte sie Güter für 4,2 Mio. Franken (Diamanten, Edelmetallabfälle) aus Armenien und exportierte Waren für 1,3 Mio. Franken (v.a. Tabakwaren). Ein bilaterales Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit ist in Verhandlung. Für Armenien besonders einschneidend waren das verheerende Erdbeben von 1988 (Einsatz des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps) und der Konflikt mit Aserbaidschan um die armenische Enklave Nagornyi Karabach.

Quellen und Literatur

  • K. Meyer, Armenien und die Schweiz, 1974
  • Die armen. Frage und die Schweiz (1896-1923), hg. von H.-L. Kieser, 1999
Weblinks
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GND

Zitiervorschlag

Armand Gaspard: "Armenien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.01.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/025005/2011-01-04/, konsultiert am 28.03.2024.