Verlegerfamilie aus Einsiedeln, als Besitzerin des katholischen Benziger Verlags der Innerschweizer Wirtschaftselite zugehörig, 1848-1908 durchgehend im Schwyzer Grossrat vertreten.
Die Familie Benziger war seit dem 16. Jahrhundert in Einsiedeln ansässig. Im Jahr 1584 wurde Heinrich Benziger, von Beruf Weber, ins Bürgerrecht von Einsiedeln aufgenommen. Seine Familie war wahrscheinlich aus dem Kanton Appenzell zugewandert, wo der Nachname Benziger in der alternativen Schreibweise Bänziger bis heute verbreitet ist. Die folgenden Generationen blieben bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zumeist in Einsiedeln sesshaft. Danach verstreute sich die Familie über die katholischen Kantone der Schweiz und einzelne Staaten der USA (v.a. New York und Ohio).
Die Familie Benziger teilte sich vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert in fünf Linien auf, die in der Regel nach den Wohnhäusern der jeweiligen Stammväter benannt waren: Hieronimus Benziger-Reimann (1689-1765) begründete die Schwertlinie; Joseph Anton Benziger-Ruhstaller (1722-1796) die Schlüssellinie; Franz Sales Benziger-Kälin (1758-1827), als Leiter der Buchdruckerei des Klosters «Faktor» genannt, die Linie Faktor Sales; Karl Benziger-Fuchs (1762-1841) stand am Anfang der Buchhändlerlinie, die sich eine Generation später in die Hirschenlinie und die Adlerlinie verzweigte. Mitglieder der Familien Benziger betätigten sich im Wallfahrtsort Einsiedeln mit seiner traditionell hohen Gewerbedichte als Gastwirte, Bäcker, Metzger, Buchdrucker, Devotionalien-, Buch- und Spezereienhändler.
Die vorübergehende Aufhebung des Klosters 1798, das zuvor die lokale Wirtschaft kontrolliert hatte, und die rechtliche Gleichstellung der vormals abhängigen Landschaft Einsiedeln mit den übrigen Bezirken des Kantons Schwyz beschleunigten den sozialen Aufstieg. Insbesondere der Hirschen- und der Adlerlinie gelang es im 19. Jahrhundert aufgrund ihres unternehmerischen Erfolgs, sich in der sozioökonomischen und politischen Elite der Region zu etablieren. Karl und sein Bruder Nikolaus Benziger übernahmen 1833 das Verlagsgeschäft ihres Vaters Josef Karl Benziger (1762-1841) und erweiterten es zu einem industriell produzierenden Betrieb mit mehreren Hundert Angestellten in Einsiedeln sowie Filialen in den USA, Deutschland und Frankreich (Benziger Verlag). Die Nachkommen der Gebrüder Benziger blieben bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als Teilhaber, Direktoren, Verwaltungsräte und Aktionäre mit der Firma verbunden.
Die Schwert- und die Schlüssellinie hingegen blieben auch nach 1800 weitgehend im lokalen Kleingewerbe verwurzelt. Einzelne Angehörige dieser Linien schlugen Laufbahnen als Lokalpolitiker, Ärzte oder Geistliche ein, andere wanderten in die USA aus. Die Linie Faktor Sales führte über mehrere Generationen kleinere Druckereibetriebe in Einsiedeln. Franz Sales Benziger-Stocker (1826-1893) gründete 1859 den Einsiedler Anzeiger.
Die Heiratspraxis spiegelt die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Linien wider: Die am Verlagsunternehmen beteiligten Familien der Hirschen- und Adlerlinie grenzten sich immer mehr von der lokalen Gesellschaft und der weiteren Verwandtschaft ab, indem sie eheliche Verbindungen mit Familien der alteingesessenen Innerschweizer Aristokratie (z.B. von Reding in Schwyz) oder mit katholischen Familien des neuen industriellen Bürgertums (z.B. Stoffel in St. Gallen) eingingen. Zudem schlossen sie auch vermehrt Allianzen innerhalb der näheren Verwandtschaft. Die Töchter wurden in Privatinstituten sorgfältig ausgebildet und so auf ihre Rolle als Ehefrauen der neuen Elite vorbereitet.
Angehörige der Familie Benziger bekleideten mehrfach höhere politische Ämter: Der oben genannte Karl Benziger war 1850-1852 Landammann des Kantons Schwyz. Aus der nächsten Generation wurden 1863 Josef Karl Benziger und 1883 Nikolaus Benziger in den Nationalrat gewählt. Letzterer setzte seine politische Karriere 1905 im Ständerat fort. Im Schwyzer Kantonsrat war die Familie Benziger zwischen 1848 und 1908 durchgehend mit mindestens einem, zeitweise mit bis zu fünf Mitgliedern vertreten. Als Handelsleute vertraten die Benziger gemässigte politische Positionen. Zum katholischen Sonderbund und später zum Kulturkampf hielten sie kritische Distanz.
In Einsiedeln förderte die Familie Benziger in karitativ-paternalistischer Manier soziale Einrichtungen und wirkte als Motor der lokalen Entwicklung: Ihre Mitglieder zählten zu den Gründern eines Waisenhauses sowie eines neuen Spitals, trieben die Gasversorgung im Dorf voran und beteiligten sich über die Familienfirma ab 1870 an der Projektierung und der Errichtung der Wädenswil-Einsiedeln-Bahn. Die Frauen der Familie waren traditionellerweise vor allem im Devotionalienhandel tätig, wie zum Beispiel Meinrada Josefa Benziger, und engagierten sich über den lokalen Frauen- und Töchterverein in der sozialen Fürsorge. In den USA waren Familienangehörige in Unterstützungsvereinen für deutschsprachige Einwanderinnen und Einwanderer aktiv.
Die Benziger unter den Privatpersonen mit dem höchsten Steuerkapital in Einsiedeln, 1891-1896
Name | Steuerkapital in Franken | Bemerkungen | |
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1 | Martin Benziger-Dietschy | 700 000 | Verleger; Mitinhaber Firma Benziger 1860-1887; Cousin von 2 und 4, Onkel von 10 |
2 | Adelrich Benziger-Koch | 525 000 | Verleger; Mitinhaber Firma Benziger 1860-1880; Bruder von 4, Cousin von 1, Schwager von 3 |
3 | Benedikt Gyr-Benziger | 370 000 | Kaufmann; Schwager von 2 und 4 |
4 | Nikolaus Benziger-Benziger II | 300 000 | Verleger; Mitinhaber Firma Benziger 1860-1886; Bruder von 2, Cousin von 1, Schwager von 3 |
5 | Witwe von Thomas Birchler | 230 000 | |
6 | Heinrich Wyss | 185 000 | Kerzenfabrikant, Mitbesitzer der Verlagsfirma Wyss, Eberle & Cie. |
7 | Josef Anton Birchler | 180 000 | Wachsfabrikant |
8 | Karl Gyr | 175 000 | Wirt zum Pfauen |
9 | Werner Kälin | 170 000 | Gründer und Mitbesitzer der Verlagsfirma Eberle, Kälin & Co. |
10 | Rudolf Benziger-Arnold | 151 000 | Verleger; Mitinhaber Firma Benziger; Neffe von 1 |
Der erwirtschaftete Reichtum und die gute, zunehmend akademische Bildung begünstigten herausragende internationale Karrieren: Joseph Nicholas Adelrich Benziger, der in den US-amerikanischen Filialen des Verlags tätig war, wurde 1864 zum schweizerischen Konsul von Cincinnati ernannt. Sein Grossneffe Carl Josef Benziger war von 1920 bis 1931 Chef des eidgenössischen Konsulardienstes in Bern und später Generalkonsul in Dublin. August Benziger schuf sich als Kunstmaler und Porträtist der US-amerikanischen und europäischen Oberschicht einen Namen. Alois Maria Benziger trat in Brügge dem Karmeliterorden bei und wurde 1905 Erzbischof von Quilon in Indien. Unternehmerisch und politisch trat die Familie Benziger im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts kaum mehr in Erscheinung. Einzelne Vertreter nahmen weiterhin repräsentative Funktionen in katholischen Laienorganisationen ein. Ein Familienzweig in den USA liess sich ab 1973 in Kalifornien nieder und betätigte sich dort erfolgreich im Weinbau.
Als Politiker, Mäzene, Kleriker und Unternehmer, vor allem aber als Inhaber des Benziger Verlags nahmen Vertreter der Familie Benziger im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine bedeutende Position in den Netzwerken des transnationalen Katholizismus ein. Auf nationaler Ebene lässt sich die Verlegerfamilie Benziger zur zweiten Garde der wirtschaftsbürgerlichen Vermögenselite zählen.