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Fremde

Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert wurden Menschen als Fremde bezeichnet, die nicht dem eigenen Rechtskreis angehörten und bei verminderter Rechtsfähigkeit Beschränkungen im Alltag und Erwerbsleben erfuhren. Als Fremde oder «Aussere» (Auswärtige, lateinisch extranei) zugezogen, zählten sie nicht zum Kreis der ansässigen, einheimischen «Inneren» (z.B. Stadt- oder Dorfbürger). Eine besondere Gruppe von Fremden waren Flüchtlinge, die vor allem in der Frühneuzeit Zuflucht in der Schweiz suchten. Im weiteren Sinn galten als Fremde auch Hintersassen (wie Habitanten, Beisassen, Divisi) und Zugehörige von Randgruppen (so Fahrende, Juden, Bettler). Örtliche Abweichungen vorbehalten, fallen in der Schweiz die rechtlichen Auswirkungen und die Charakteristika des Fremdseins zusammen und konnten grundsätzlich beseitigt werden, vor allem durch Kauf des Bürgerrechts. Erst das 19. Jahrhundert stellte den Fremden hinsichtlich der Grundrechte dem Einheimischen gleich; Unterschiede, vor allem in Bezug auf die politischen Rechte, blieben jedoch bestehen (Ausländer).

Fremde in der mittelalterlichen Stadt

Im Mittelalter waren Kaufleute Fremde schlechthin. Als grundsätzlich Recht- und Schutzlose konnten sie sich dem Königsschutz unterstellen, wofür dem König unter anderem ihr Nachlass zustand. Geleitschutz (Geleit) und Erbrechte an Fremden kamen im 13. und 14. Jahrhundert als Regal an die Landgrafschaften. Ursprünglich individuell ausgestellte, zeitlich begrenzte Geleitbriefe für Kaufleute (in Bern bis 1500) wurden abgelöst vom generellen, durch Zölle fiskalisch genutzten Marktschutz städtischer Märkte, der im obrigkeitlichen Zoll und Geleit bis ins 19. Jahrhundert überlebte.

Fremde waren dem örtlichen Recht unterworfen. Stadtrechte behandelten sie zum Teil privilegiert, mehrheitlich aber schlechter als Bürger. Bei Delikten war der Fremde strengerer Verfolgung ausgesetzt; zum Beispiel schützte ihn kein Hausrecht vor Auslieferung; weigerte er sich, vor Gericht zu erscheinen, wurde er rechtlos. Er genoss geringeren strafrechtlichen Schutz gegen Misshandlung; beschimpfte er zum Beispiel einen Bürger, durfte ihn dieser ungestraft schlagen. Er war von bürgerlichen Rechten und Institutionen ausgeschlossen, konnte nicht Richter oder Rat sein und war vor Gericht nicht zeugnisfähig.

Das städtische Marktrecht konnte den fremden Kaufmann auch begünstigen: Nebst freiem Geleit und Standplatz genoss dieser im Gastgericht kurze Verfahrensfristen, war eidesfähig und konnte bei Schuldforderung rasch verwertbare Pfänder verlangen. Bei erfolgreichem Prozess erhielt er Ersatz der Herbergskosten. Handel treibende Städte schlossen untereinander Verträge zur Besserstellung ihrer Bürger auswärts.

Fremde in der Frühneuzeit

Ab Ende des 15. Jahrhunderts machte sich aus Gründen des Konkurrenzschutzes zunehmend Fremdenfeindlichkeit bemerkbar, vor allem gegenüber Welschen und Schwaben (Deutschen). Diese wirkte sich in einer Verschärfung der in Ansätzen zum Teil bereits vorhandenen Beschränkungen aus, die nunmehr von der Stadt auch auf das Land übergriffen: Im Dorf waren all jene Fremde, die da nicht eingekauft, geboren und ansässig waren, auch Leute aus der Nachbargemeinde, wobei Fremde neu nach ihrer Herkunft unterschiedlich besteuert wurden; zum Beispiel zahlten Landesfremde 50, Eidgenossen 30 und Landsleute 25 Kronen Einzug (Busswil bei Melchnau 1692).

Besonders erschwert wurde die Niederlassung: Liegenschaftserwerb wurde verboten oder durch Näherkaufrechte (Zugrecht) der Einheimischen unterbunden. Diese waren vom Grundpfandverkehr und ohne eigenen Boden von der Nutzung der Allmend ausgeschlossen. Bis ins 18. Jahrhundert war der Kauf des Bürgerrechts selbst in Dörfern praktisch nicht mehr möglich. Fremde wurden nur noch als Hintersassen aufgenommen; falls sie verarmten, mussten sie mit Abschiebung rechnen. Die Niederlassung wurde besteuert (Einzug). Für Ehen von Einheimischen mit Fremden war allgemein behördliche Bewilligung, bei Frauen der Vermögensnachweis oder eine Bürgschaft und bei Männern eine Barleistung (Heiratseinzug) nötig. Bei Zuwiderhandlung, vor allem bei Ehen mit Andersgläubigen, wurde das Paar aus der Gemeinde gewiesen. Erbschaften von auswärts Verheirateten wurden zurückbehalten zur Deckung eventueller Schulden und später mit einem Abzug von 5-10% des Vermögens (Abzugsrecht) belastet.

Berufsausübung von Fremden wurde vom zünftigen Handwerk behindert und Handelsgesellschaften zwischen Bürgern und Fremden wurden vom Rat mehrheitlich verboten. Ausnahmsweise erteilte dieser Spezialhandwerkern oder industriellen Unternehmern die Niederlassungsbewilligung. Bereits im 17. Jahrhundert existierte der freie Marktbesuch nicht mehr. Fremde Marktfahrer waren zur Lösung von Patenten (Krämerschein) oder zum Einkauf in die örtliche Gewerbezunft verpflichtet. Im 18. Jahrhundert waren ihnen nur noch städtische Märkte und Messen erlaubt, zum Beispiel im luzernischen Staat noch elf von über 50 Märkten, alle anderen aber einheimischen und eidgenössischen Händlern reserviert.

Quellen und Literatur

  • SSRQ, Stadtrechte und Rechte der Landschaft
  • HRG 1, 1266-1272
  • LexMA 4, 909 f.
  • C. Sieber, Spätma. Nationalismus, 1995
  • C. Seiring, Fremde in der Stadt (1300-1800), 1999
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Fremde", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.11.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/025736/2006-11-09/, konsultiert am 09.09.2024.