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Königreiche

Als Königreiche bezeichneten fahrende Berufsleute (Kessler, Spielleute, Fahrende; Wanderarbeit) im deutschen Reich ab dem 14. Jahrhundert ihre überregionalen zunftähnlichen Organisationen; sie wählten sich einen «König» zum Obmann und Schirmherrn. Dieses Amt übten seit den 1360er Jahren Adlige aus – «Kesslerkönige» unter anderem im Raum Elsass-Jura waren die Herren von Rathsamhausen, am Bodensee die Grafen von Königsegg; ein Pfeifer wurde von den Herren von Rappoltstein im Gebiet Elsass-Jura mit dem Königreich der Fahrenden belehnt (um 1400). Auch Frankreich kannte solche «Könige», zum Beispiel unter den Wandermusikern. Die Königreiche waren eigenständige Organisationen der Berufsleute, das «Königsamt» selbst diente zu deren Regelung durch die Obrigkeit; bei Kesslern und Pfeifern wurde es im 15. Jahrhundert sogar Reichslehen. Bei eigentlich Randständigen (Randgruppen) sind Königsämter mit Amtseid zur obrigkeitlichen oder kirchlichen Überwachung, nicht aber Königreiche überliefert, so zum Beispiel 1396-1399 der «König» der Fahrenden in der Diözese Basel, 1457 die «Königin» der Dirnen in Genf und 1507 der «König» der Pfeiferbruderschaft in Bern. Im schweizerischen Raum gab es im 15. Jahrhundert verschiedene Kessler-Königreiche (auch «Tag», «Kreis» genannt), in Üchtland-Burgund unter den Herren von Bubenberg, in Chur unter den Grafen von Werdenberg-Sargans. Ohne Reichslehen-Status waren die Kessler-Königreiche Bern, Luzern, Zürich und Wil (SG); Stadträte setzten hier Kessler als Könige ein. Auch das Pfeifer-Königreich war vom frühen 15. Jahrhundert an ein Lehen der Stadt Zürich. Die Kessler-Königreiche kannten wie Zünfte Zunftzwang, Handwerksordnung, -versammlung und -gericht unter dem Vorsitz des «Königs» im Beisein von «Schultheiss» und «Weibel», beides Kessler. Wie im Reich umfasste der «Kesslerschutz» eine skurrile militärische Gefolgschaft der Kessler für private Fehdezüge des «Königs» und als Gegenleistung dessen Pflicht, gefangene Kessler zu befreien und arme zu unterstützen. Nach 1470 radikalisierten sich die vereinten Kessler-Königreiche Zürich und Luzern; ihr Ziel war ein eidgenössisches Monopol, ihr «König» Hans Waldmann. Widerstand leisteten die Königreiche Bern unter Adrian von Bubenberg und Chur unter Graf Georg von Werdenberg-Sargans. Anhaltender Streit unter Kesslern bewog die eidgenössische Tagsatzung, 1488 alle Königreiche aufzulösen.

Die überregionalen Königreiche der Gesellen, in organisatorischer Hinsicht Kopien der Königreiche von Pfeifern und Kesslern, erwuchsen aus der spätmittelalterlichen Gesellenbewegung im Reich; mit Streiks wurden sie wie diese militant. Das Königreich der Schmiedegesellen im Raum Schwarzwald-Bodensee-Aargau wurde deshalb nach Streiks (Zürich 1412, Rottweil 1420) um 1420 und das vom Bodensee bis Luzern reichende Königreich der Schuhmachergesellen (Streiks 1421 und 1424) in vereintem Vorgehen von oberdeutschen und schweizerischen Städten 1424 aufgelöst. In der Westschweiz wurden Jugendbünde (Abteien) im Gefolge der Reformation abgeschafft.

Quellen und Literatur

  • F. Göttmann, Handwerk und Bündnispolitik, 1977
  • A.-M. Dubler, Handwerk, Gewerbe und Zunft, 1982, 83-107
  • N. Grass, «Royaumes et Abbayes de la Jeunesse – "Königreiche" und "Abteien" der Jugend», in Fs. für Louis Carlen zum 60. Geburtstag, hg. von L.C. Morsak, M. Escher, 1989, 411-459
  • F. Graus, «Organisationsformen der Randständigen», in Rechtshist. Journal 8, 1989, 235-255
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Königreiche", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.10.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/025743/2012-10-30/, konsultiert am 19.03.2024.