Die Handelsbilanz der Schweiz, eine Teilbilanz der Zahlungsbilanz, erfasst die gesamte jährliche Einfuhr und Ausfuhr von Waren. Die Ausfuhren werden zu fob-Werten (free on board, d.h. Warenwert an der Zollgrenze des exportierenden Landes), die Einfuhren zu cif-Werten (cost, insurance, freight, d.h. Warenwert inklusive Transport-, Versicherungs- und Verladekosten an der Zollgrenze des importierenden Landes) erfasst. Übersteigen per Saldo die Exporte die Importe, liegt ein Überschuss vor (positive Handelsbilanz, aktive Handelsbilanz), im umgekehrten Fall ein Defizit (negative Handelsbilanz, passive Handelsbilanz). Die Handelsbilanz enthält nur Transaktionen zwischen inländischen Wirtschaftssubjekten auf der einen und ausländischen auf der andern Seite. Sie ist damit eine wichtige statistische Grösse für den Aussenhandel (Aussenwirtschaft), klammert aber den Binnenmarkt aus. Die Abgrenzung zwischen In- und Ausländern erfolgt nach dem Domizilprinzip. Auslandschweizer sind im Sinne der Handelsbilanz Ausländer, Schweizer Niederlassungen ausländischer Firmen Inländer.
Vorgeschichte
Der Begriff der Handelsbilanz scheint um 1610 im Merkantilismus aufgekommen zu sein. Da die Merkantilisten den Reichtum eines Landes an seinem Besitz an Gold und Silber massen, sahen sie in einer aktiven Handelsbilanz das beste Mittel, diesen zu heben. Der Warenexport sollte staatlich gefördert, der Import beschränkt werden. Schon zur Zeit des Merkantilismus wurde diese Auffassung von Vertretern der Physiokratie bekämpft, besonders aber dann in den freihändlerischen Lehren von Adam Smith und seinen Nachfolgern (Freihandel). Heute richtet sich das Hauptaugenmerk nicht mehr auf den Saldo, sondern auf den Aufbau der Handelsbilanz Die Fortschritte in der statistischen Erfassung des Warenhandels ermöglichen es, quantitative und strukturelle Veränderungen der Handelsbilanz zu verfolgen.
Die Schweizer Handelsstatistik
In der Aussenwirtschaft der Schweiz spielte der Ausgleich der Handelsbilanz durch Exporte seit dem Spätmittelalter eine wichtige, statistisch aber nicht erfasste Rolle. Entscheidend für die Entstehung einer Statistik des schweizerischen Aussenhandels war die Entwicklung im Zollwesen (Zölle). Bis 1848 war die Zollhoheit grösstenteils in den Händen der Kantone. Die Grundlage für die ersten Aufzeichnungen über einen gesamtschweizerischen Aussenhandel bildete 1816 die Einführung der eidgenössischen Grenzzölle zuhanden des Eidgenössischen Kriegsfonds. Mit der Gründung des Bundesstaats ging das Zollwesen ganz an den Bund über. Durch die Bundesverfassung von 1848 wurde zwar ein neues Zollsystem mit einer umfassenderen Warenstatistik eingeführt; erst 1885 nahm aber die neu geschaffene handelsstatistische Abteilung der Oberzolldirektion ihre Arbeit auf. Gegenwärtig bilden Artikel 10 des Zolltarifgesetzes von 1986 und die Verordnung über die Statistik des Aussenhandels von 1988 die rechtlichen Grundlagen der schweizerischen Handelsstatistik. Massgebend sind ausserdem die Internationale Übereinkunft über Wirtschaftsstatistik von 1928, geändert 1948, und das Internationale Übereinkommen über das harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren.
Die Handelsstatistik liefert Informationen über die wirtschaftliche Lage der Schweiz und damit Grundlagen für Entscheide der Handelspolitik (Handel). Die Handelsbilanz, in Beziehung gesetzt zum Bruttoinlandprodukt, ergibt einen Indikator für die Aussenverflechtung der Schweiz. Der Aussenhandelsanteil am Bruttoinlandprodukt stieg von 1948 (Beginn der statistischen Erfassung des Bruttosozialprodukts) bis 1977 kontinuierlich an und stagnierte dann bis Mitte der 1990er Jahre. Ab 1996 wuchs der Aussenhandel deutlich stärker als das Bruttoinlandprodukt. Aufgrund der weltweiten wirtschaftlichen Stagnation ging der Aussenhandel ab 2001 zurück. 2003 wurden 43 Rappen jedes von Inländern erwirtschafteten Frankens im Ausland verdient. Damit ist die Schweizer Wirtschaft mit abhängig von Nachfrageentscheidungen, die im Ausland gefällt werden. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sie vom Wirtschaftswachstum der Industrienationen stark profitiert: Pro 1% Wirtschaftswachstum in den OECD-Ländern nahmen die schweizerischen Exporte jeweils um 1,5% pro Jahr zu. Der Warenimport hängt vor allem von der Wirtschaftsentwicklung im Inland ab. Eine Zunahme der Gesamtnachfrage um 1% ist im Mittel mit einer Zunahme der Importe von rund 1,6% verbunden.
Normalerweise importiert die Schweiz mehr Güter als sie exportiert. Zwischen 1885 und 2005 war die schweizerische Handelsbilanz erst 16-mal positiv und dies meist in ausserordentlichen Lagen: 1916 (Erster Weltkrieg), 1945 (Ende des Zweiten Weltkriegs), 1953 (Ende der Koreakrise), 1976 (Rezession nach der Erdölkrise), 1993-1999 und ab 2002 (Strukturanpassung). Im Allgemeinen gilt: Je besser die inländische Konjunkturlage, desto negativer die Handelsbilanz. In Zeiten inflationärer Hochkonjunktur war das Handelsbilanzdefizit meist besonders gross, weil der Importbedarf dann hoch war und gleichzeitig ungünstigere Bedingungen für den Export bestanden. Umgekehrt bewirkte eine inländische Rezession einen Rückgang der Importe und eine Zunahme der Exporte. Auf der Importseite hat sich die schweizerische Handelsbilanz als besonders abhängig von Schwankungen der Konjunktur erwiesen. Dies hängt damit zusammen, dass ein grosser Teil der Importe aus Vorleistungen (Rohstoffe, Halbfabrikate) für die Produktion besteht. Der Import wird damit stark durch den Lageraufbau bzw. Lagerabbau beeinflusst. Aufschlussreich ist auch die Zusammensetzung der Handelsbilanz
Die Güterstruktur im Schweizer Aussenhandel ist in der jüngeren Vergangenheit vergleichsweise stabil geblieben. Beim Export zeigten sich über die letzten 30 Jahre nur zwei deutliche Trends: Der Anteil von Textilien (Textilindustrie) ist 1970-2005 von 10% auf 2,6% zurückgegangen, während sich die chemische Industrie von 21% auf 33,6% gesteigert hat. Ersichtlich ist auch, dass die Exportseite stärker konzentriert ist als der Import. Die fünf wichtigsten Gruppen schweizerischer Exportgüter machten 2005 wertmässig zusammen rund 80% aller Exporte aus. Diese Spezialisierung erklärt sich auf dem Hintergrund einer zunehmenden weltweiten wirtschaftlichen Integration. Maschinen waren gleichzeitig der wichtigste Import- und Exportposten (Maschinenindustrie), und auch sonst entfiel ein grosser Teil der Importe auf Waren, bei denen die Schweiz selbst über eine sehr leistungsfähige Industrie verfügt. Dies deutet auf die hohe Spezialisierung der inländischen Industrien hin und auf eine starke strukturelle Einbettung der Schweiz in den Handel zwischen den Industrieländern. Gleiches lässt sich auch in der geografischen Struktur des Schweizer Aussenhandels ausmachen. Man findet eine sehr starke Verankerung in Westeuropa, die auf der Importseite noch ausgeprägter ist als auf der Exportseite. Seit Ende der 1950er Jahre stammten nicht weniger als 30% der schweizerischen Einfuhren allein aus der (alten und neuen) Bundesrepublik Deutschland, gefolgt von Frankreich und Italien mit je rund 10%. 2005 kamen 82,3% aller schweizerischen Einfuhren aus der EU. Die Abnehmer von Schweizer Waren waren etwas breiter gestreut, jedoch ist auch hier eine starke Konzentration auf Westeuropa sichtbar: 2005 gingen 62,9% aller Exporte in diesen Wirtschaftsraum, davon 19,9% nach Deutschland. Weitere wichtige Absatzmärkte für Schweizer Exportprodukte waren die USA, der Ferne Osten und Schwellenländer.