Autorin/Autor:
Henry Wydler
Der Begriff Luftfahrt umfasst die Benutzung des Luftraums durch Luftfahrzeuge jeglicher Art sowie die damit verbundene Infrastruktur. Sie gliedert sich in die Bereiche militärische (Luftwaffe) und zivile Luftfahrt, diese in die Verkehrs- und die allgemeine Luftfahrt.
Der Start eines Ballons des Aero-Clubs der Schweiz in Schlieren zu Beginn des 20. Jahrhunderts zieht eine grosse Menge von Schaulustigen an (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Wehrli).
Ballone und Luftschiffe
Autorin/Autor:
Henry Wydler
Der erste bemannte Aufstieg eines Ballons in der Schweiz gelang dem Franzosen Jean-Pierre Blanchard 1788 in Basel. Im 19. Jahrhundert errangen verschiedene Schweizer mit Erfindungen von Luftfahrzeugen vor allem im Ausland Erfolge, so Jakob Degen in Wien als Erfinder eines flugfähigen Schlagflügelapparats (1810) und des ersten flugfähigen Hubschraubermodells (1816). Ab den 1880er Jahren machten in der Schweiz Eduard Spelterini, später auch Théodore Schaeck und Emil Messner als Gasballonfahrer von sich reden. Spelterinis Ballonfahrten und Luftfotografien ab 1893 trugen zur Popularität des Ballonsports bei. 1900 erfolgte die Aufstellung einer schweizerischen Ballontruppe, 1901 die Gründung des Aero-Clubs der Schweiz (AeCS). Aufsehen erregten 1931-1932 Auguste Piccards Ballonfahrten in die Stratosphäre und 1999 die erste Weltumrundung im Ballon durch seinen Enkel Bertrand Piccard.
Das Aufkommen gesteuerter Luftfahrzeuge (Zeppelin-Luftschiffe, LZ) bewog die Tourismusstadt Luzern 1910 zum Bau einer Luftschiffstation, von der aus die Aero Genossenschaft Luzern 1910-1912 mit einem Prall-Luftschiff Fahrten organisierte. Bedeutung erlangten in den 1930er Jahren die sogenannten Schweizerfahrten des LZ 127 Graf Zeppelin. 2003 wurde der touristische Luftschiffbetrieb über dem Vierwaldstättersee erneut aufgenommen. Trotz guter Frequenz (über 11'000 Passagiere) wurde er nach dem letzten Rundflug vom 3. Juli 2006 aufgrund von Lärmemissionen wieder eingestellt.
Die Stadt Luzern I verlässt ihren neuen Hangar. Fotografie, 1910 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Wehrli).
Pionierjahre des Motorflugs – zivile Flugzeugindustrie
Autorin/Autor:
Henry Wydler
1910 wurden mit einem Wright-Doppeldecker im März erste Flüge über dem gefrorenen St. Moritzersee durchgeführt. Im August überflog Armand Dufaux den Genfersee der Länge nach, und im September gelang Geo Chavez erstmals ein Flug über die Alpen, wobei er der Simplonroute folgte. Schweizer Pioniere der Luftfahrt waren Edmond Audemars (Erstflug von Paris nach Berlin 1913), Emile Taddeoli (Überflug des Mont Blanc 1919), Ernest Failloubaz (Brevet No. 1 1910, schweizerische Manöverflüge 1911), René Grandjean (Erbauer eines Ski- und Wasserflugzeugs 1912), Max Bucher (erster schweizerischer Nachtflug 1911) und François Durafour (Landung auf dem Mont Blanc 1921). Am nachhaltigsten prägte Oskar Bider die Frühzeit der schweizerischen Luftfahrt.
In beiden Weltkriegen war die Schweizer Luftwaffe vom Nachschub abgeschnitten, die schweizerische Industrie und Rüstungsbetriebe somit zum Bau von Flugzeugen und Triebwerken zu militärischen Zwecken gezwungen. Ab den 1920er Jahren machten sich Alfred Comte und die Dornier-Werke (Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein), nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem die Pilatus Flugzeugwerke einen Namen in der zivilen Flugzeugindustrie.
Verkehrsluftfahrt
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Henry Wydler
Nach 1918 versuchten ehemalige Militärpiloten sich mit umgebauten Kriegsflugzeugen eine Existenz aufzubauen. Sie gründeten erste Fluggesellschaften: 1919 in Zürich die Aero-Gesellschaft Comte-Mittelholzer & Co. und die Ad Astra, Schweizerische Luftverkehrs AG, die 1920 zur Ad Astra Aero fusionierten, in Genf die Avion-Tourisme, 1925 die Basler Luftverkehr AG Balair und 1929 die Alpar in Bern. Der erste Luftpostflug führte 1919 von Dübendorf nach Bern, der Kurs wurde jedoch bald eingestellt. Ab 1922 erfuhr die Luftpost einen nur vom Zweiten Weltkrieg unterbrochenen Aufschwung. 1920 wurde als Aufsichtsbehörde über die zivile Luftfahrt das Eidgenössische Luftamt (seit 1979 Bundesamt für Zivilluftfahrt, Bazl) geschaffen.
Mehrere DC-3 der Swiss Air Lines auf der Rollbahn des Flughafens Zürich-Kloten. Fotografie, 1953 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Schweizerische Verkehrszentrale).
Fehlender Reisekomfort, Wetterabhängigkeit, ähnliche Streckenpläne wie die Eisenbahn und die gegenseitige Konkurrenz behinderten den kommerziellen Erfolg der Fluggesellschaften und erzwangen Zusammenschlüsse, so 1931 der Balair und der Ad Astra Aero zur Swissair. Die von Walter Mittelholzer geleiteten Flugexpeditionen in die Arktis, nach Asien und Afrika, seine Luftfotografien und Publikationen trugen in der Vorkriegszeit viel zur Anerkennung der Schweizer Luftfahrt bei. Insgesamt machten geringe Geschwindigkeiten (200 km/h) und kurze Reichweiten die Luftfahrt gegenüber den Eisenbahnen noch wenig konkurrenzfähig. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam die zivile Luftfahrt vorerst zum Erliegen. Ab 1940 wurden einzelne Strecken wieder bedient (Locarno-Barcelona, Zürich-München, Zürich-Stuttgart-Berlin), doch als 1944 eine schweizerische Maschine bei einem Luftangriff auf Stuttgart zerstört wurde, stellte die Swissair den Betrieb ein. Nach Kriegsende begann auch in der Schweiz der Ausbau der Flughäfen (Flugplätze) in Erwartung einer raschen Zunahme des Flugverkehrs, die mit der allgemeinen wirtschaftlichen Expansion nach 1950 auch eintraf. Ab 1951 betrieb die Swissair zielgerichtet den Ausbau des Verkehrsnetzes. Im Gleichschritt mit der technischen Entwicklung der Luftfahrt führte sie ab 1960 Düsenflugzeuge und ab 1971 Grossraumflugzeuge ein. Bis 1995 weitete sie ihr Liniennetz auf 340'000 km mit 117 Destinationen in mehr als 70 Ländern aus.
Im rasch wachsenden Markt entstanden Nischen für neue Fluggesellschaften, so die Globeair (1961-1968) in Basel und die Société anonyme de transports aériens (Sata 1968-1978) in Genf, die sich auf Charterflüge spezialisierten. Im europäischen Linienverkehr wurden 1979 die Crossair und 1989 die Air Engiadina tätig. 1994 arbeiteten im Charterverkehr 120 Unternehmen, darunter die TEA Basel, die Aéro-Jet sowie 24 Helikopterbetriebe, bis 1995 auch die 1993 fusionierten Swissair-Töchter Balair (ab 1957) und CTA (ab 1978 Companie de transport aérien). Die rasante Entwicklung des gewerblichen Luftverkehrs zwischen 1955 und 1995 auf Schweizer Flughäfen beruhte auf der Flugtätigkeit vor allem der Swissair (1995 51% der Fluggäste, 73% der Fracht), aber auch der rund 85 ausländischen Liniengesellschaften. Brachte die Ablehnung des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum durch die Schweizer Stimmberechtigten 1992 der Schweizer Luftfahrt erhebliche Nachteile im europäischen Luftraum, erhielt sie mit dem Inkrafttreten der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) 2002 wieder gleichberechtigten Zugang zum liberalisierten europäischen Luftraum. Gleichzeitig erlebte aber die internationale Luftfahrt eine schwere Krise wegen Überkapazitäten, die 2001-2002 den Zusammenbruch der Swissair-Gruppe mitverursachte. An der unter dem Namen Swiss neu gegründeten Gesellschaft hielt die deutsche Lufthansa ab 2005 zunächst eine Beteiligung von 49%. Seit dem 1. Juli 2007 ist die Swiss zu 100% im Besitz der Lufthansa.
Die Gesetzgebung in der Luftfahrt wurde 1922 dem Bund übertragen (Artikel 37ter Bundesverfassung). Das schweizerische Luftrecht basiert im Wesentlichen auf dem Luftfahrtgesetz von 1948, das oft und letztmals 1998 revidiert worden ist (u.a. Aufhebung des Monopols der Swissair im Linienverkehr, Anpassung an die Liberalisierung der Luftfahrt in der EU), sowie auf dem Bundesgesetz von 1959 (Luftfahrzeugbuch). Dem Warschauer Abkommen (Haftungsrecht) ist die Schweiz 1934 beigetreten, der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation Icao 1947, der Europäischen Zivilluftfahrt-Konferenz Ecac 1955. Der 1945 gegründete Internationale Luftverkehrsverband Iata, dem unter anderem auch die Swiss angehört, unterhält einen Sitz in Genf.
Die Flugsicherung oblag 1931-1987 der Radio-Schweiz AG, 1988-2000 der Swisscontrol und seit 2001 liegt sie in der Verantwortung der Skyguide. Genf führte 1945 als erster Flughafen ein Instrumenten-Landesystem (ILS) ein, Zürich 1954 die erste Radarstation. 1998 waren neben den drei Landesflughäfen Zürich, Basel-Mülhausen und Genf-Cointrin auch einige Regionalflughäfen mit ILS ausgerüstet. Die beiden Kontrollzentren (Area Control Center, ACC) Zürich und Genf-Cointrin teilen sich in die Radarüberwachung des schweizerischen Luftraums, wobei seit 2001 die zivile und militärische Flugsicherung durch ein einziges Unternehmen erbracht wird.
Entscheidendes zur Entwicklung der schweizerischen Luftfahrt beigetragen haben namentlich Theodor Real (Aufbau der Fliegertruppe), Arnold Isler (erster Direktor des Eidgenössischen Luftamts), Jakob Ackeret (Professor für Aerodynamik an der ETH Zürich), Eduard Amstutz (ETH-Professor für Flugzeugstatik und -bau) sowie Walter Berchtold (Swissair).
Allgemeine Luftfahrt
Autorin/Autor:
Henry Wydler
Erstmals 1946 wurde mit Flugeinsätzen die Personenrettung eines im Gebirge notgelandeten Flugzeugs durchgeführt (Dakota der US-Luftwaffe auf dem Gauligletscher). Fredy Wissel ab 1950 und Hermann Geiger ab 1952 setzten als Erste systematisch Flächenflugzeuge mit Skiern und Rädern für Touristik-, Versorgungs- und Rettungsflüge ein. Helikopter bewährten sich bei Rettungseinsätzen der 1952 gegründeten Schweizerischen Rettungsflugwacht und seit 1958 in der Luftwaffe. Seither erfüllten Helikopter vielfältige Aufgaben.
Zum Ballon- kam in den 1920er Jahren der Segelflugsport hinzu. Viele nationale und internationale Segelfluglager trugen zu dessen Verbreitung bei. Nach 1945 nahm der Motorflugsport grossen Aufschwung. Es folgten nach 1970 weitere Flugsportarten wie Fallschirmspringen, Delta- und Gleitschirmfliegen. Dem AeCS, dem nationalen Dachverband des Flugsports und der Leichtaviatik, gehörten um 2005 über 20'200 Mitglieder an, dem 1974 gegründeten Schweizerischen Hängegleiterverband 13'690 Delta- und Gleitschirmpiloten. Der Bund übertrug dem AeCS auch die Organisation und Administration der fliegerischen Abklärung Sphair.
In der Schweiz registrierte Luftfahrzeuge 1955-2005
Jahr | Motorflugzeuge (gewerbsmässige) | Motorflugzeuge (nicht gewerbsmässige) | Helikopter | Segelflug |
---|
1955 | 189 | 256 | 6 | 169 |
1960 | 250 | 261 | 6 | 235 |
1965 | 252 | 474 | 14 | 325 |
1970 | 313 | 712 | 27 | 417 |
1975 | 345 | 900 | 52 | 602 |
1980 | 370 | 1 202 | 102 | 780 |
1985 | 405 | 1 304 | 139 | 950 |
1990 | 562 | 1 389 | 199 | 1 035 |
1995 | 588 | 1 480 | 238 | 1 072 |
2000 | 2 011 | 246 | 1 033 |
2005 | 1 892 | 285 | 949 |
In der Schweiz registrierte Luftfahrzeuge 1955-2005 - Bundesamt für Zivilluftfahrt; Aerosuisse