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Kantone

Die Bündnispartner der frühen Eidgenossenschaft wurden im 14. Jahrhundert meist als Städte und Länder, ab der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer mehr als Orte bezeichnet. Als französische Entsprechung zu Ort fand der Begriff canton (Winkel, Landschaft, Ort) zuerst in der Westschweiz Verwendung; ab 1475 ist er in Freiburger Akten überliefert. Die Bezeichnung der eidgenössischen Orte als Kantone verbreitete sich ab den 1490er Jahren im französischen und italienischen Sprachgebiet und bald auch in andern Teilen Europas. Im deutschsprachigen Raum dagegen erscheint er erst ab 1650, ohne sich gegen die bevorzugten Begriffe Ort und Stand durchzusetzen. Insbesonders die um 1550 aufgekommene Benennung als Stand, die Freiheit und Souveränität implizierte, erfreute sich grösserer Beliebtheit. Die Helvetische Revolution brachte 1798 die Begriffe Ort und Stand zum Verschwinden. Für die neuen obersten Gebietseinheiten innerhalb der Helvetischen Republik setzte sich die Bezeichnung Kanton durch. Nach der Mediationsakte (1803) galten die Begriffe Kanton und Stand synonym, nach dem Bundesvertrag (1815) benannten sich die Kantone bevorzugt als Stände. Im Bundesstaat bezeichnen die Bundesverfassungen seit 1848 die «souveränen» Gliedstaaten des Bundes als Kantone, in deutscher Sprache synonym auch als Stände.

In der alten Eidgenossenschaft (bis 1798)

Die Städte und Länder der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft waren nur durch ein Geflecht von verschiedenen Bünden zusammengeschlossen. So bestand zum Beispiel zwischen Zürich und Bern vor 1423 kein direkter Vertrag. Gemeinsam war den Bundesbriefen, dass sie den militärischen Beistand, die schiedsgerichtliche Erledigung von Streitigkeiten (Schiedsgericht) und die gegenseitige Rechtshilfe regelten. Jeder Ort konnte jedoch andere Bündnisse eingehen, wie dies etwa in der burgundischen Eidgenossenschaft und im Schwäbischen Städtebund geschah. Konkordate wie der Pfaffenbrief (1370) oder der Sempacherbrief (1393) ergänzten das Bundesgeflecht. Die früh gefestigte Reihenfolge der acht Orte Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zug drückte die Hierarchie der (Reichs-)Städte vor den Ländern sowie die nachrangige Stellung von Glarus und Zug aus. Tagungen zu Schiedsgerichts-, Kriegs- und Vertragsfragen entwickelten sich im frühen 15. Jahrhundert zu Tagsatzungen, an denen unter anderem die Regierung der gemeinen Herrschaften geregelt wurde. Sie blieben bis 1798 die einzige gemeinsame Institution der eidgenössischen Orte. Die häufigen Tagungsorte Zürich und Luzern traten als erste Vororte hervor. An der Beschickung der Tagsatzungen und am Turnus der Landvögte in den gemeinen Herrschaften ist erkennbar, dass Ob- und Nidwalden zusammen als Stand Unterwalden galten.

Das Stanser Verkommnis von 1481 entschärfte das akut gewordene Problem der Sonderbünde, stärkte die Position der einzelnen Orte und leitete mit der gemeinsamen Aufnahme von Solothurn und Freiburg, allerdings in zurückgesetzter Stellung, die Erweiterung zur dreizehnörtigen Eidgenossenschaft ein. Basel und Schaffhausen wurden 1501 aufgenommen; Appenzell folgte 1513. Diese Verträge waren nicht identisch und stellten die neuen Orte, zum Beispiel in Bündnisfragen und in der Herrschaftsverwaltung, auch nicht den acht alten gleich.

In der frühen Neuzeit bestand die als Corpus helveticum bezeichnete Eidgenossenschaft als Bund 13 souveräner Orte mit ihren einzelörtischen oder gemeinsamen Herrschaften, zugewandten Orten, Verbündeten (Drei Bünde, Wallis) und Schirmherrschaften (z.B. Kloster Engelberg). Die eidgenössische Vermittlung verdrängte das Schiedsgericht als Mittel der Konfliktregelung. Zwar sahen sich die Orte in den Zeiten des Konfessionalismus, des Absolutismus und der Aufklärung mit neuen Themen konfrontiert. Projekte zur Bundesreform blieben jedoch auf der Strecke; die Landfriedensbünde und die Defensionalordnungen waren die einzigen Ergebnisse der zähen Verhandlungen zwischen katholischen und reformierten Ständen bzw. Länder- und Stadtorten.

In der Helvetik (1798-1803)

Mit dem Einmarsch französischer Truppen und der Errichtung der Helvetischen Republik als Einheitsstaat nach französischem Muster ging 1798 die alte Eidgenossenschaft unter. Das Gebiet der Republik wurde im Frühjahr 1798 in 10, dann 22 und schliesslich 19 ähnlich grosse Kantone eingeteilt, die aber blosse Verwaltungs-, Gerichts- und Wahlbezirke unter je einem Regierungsstatthalter mit einer Verwaltungskammer waren. Die alten städtischen Kantone blieben nur dem Namen nach und zum Teil in neuen Grenzen bestehen, wogegen die ehemaligen Länderorte verschwanden. Neu errichtet wurden die Kantone Léman, Wallis, Oberland, Aargau, Baden, Waldstätten, Lugano, Bellinzona, Thurgau, Linth, Säntis und Rätien.

Dieses Gebilde hatte jedoch keinen Bestand. Mit der Verfassung von Malmaison (1801) und der Zweiten Helvetischen Verfassung (1802) gewannen die Kantone beschränkte staatliche Kompetenzen (z.B. Finanzen, Erziehung) zurück. Sie durften eigene Behörden bestellen (z.B. Kantonaltagsatzungen) und wurden beauftragt, Kantonsverfassungen («Organisationen») zu entwerfen, die indes nicht in Kraft traten. 1802 wurden zudem die Kantone Waldstätten, Oberland, Baden, Bellinzona, Lugano, Linth und Säntis aufgelöst; das Wallis schied aus der Helvetischen Republik aus.

Zwischen Mediationsakte und Bundesverfassung (1803-1848)

Die Mediationsakte stellte die Souveränität der Kantone wieder her, allerdings in modernisierter Gestalt. Erstmals regelte ein einziger Vertrag die Beziehungen aller Kantone zueinander. Erstmals wurde auch festgehalten, dass die Kantone alle Gewalt ausübten, die sie nicht ausdrücklich dem Bund übertrugen. Die 13 alten und die 6 neuen Kantone erhielten, im Rahmen der Abhängigkeit von Frankreich, eigene Kantonsverfassungen, die ihre öffentlichen Aufgaben (z.B. Zivil- und Strafrecht, Polizeigewalt) umschrieben. Die Untertanenverhältnisse blieben abgeschafft, alle Kantone waren grundsätzlich gleichgestellt. In der Tagsatzung besassen Bern, Zürich, Waadt, St. Gallen, Aargau und Graubünden, die als bevölkerungsreichste Kantone galten, jedoch zwei Stimmen. Zudem lösten sich mit Freiburg, Solothurn und Luzern bzw. Bern, Basel und Zürich drei katholische und drei reformierte Kantone als Vororte für ein Jahr ab. Die Regierung des Vororts war zugleich Bundesregierung, ihr Vorsteher Landammann der Schweiz. Der Bund erhielt Kompetenzen in der Aussenpolitik, der Armeeführung und zur Wahrung der inneren Ordnung.

Das grosse Siegel der Eidgenossenschaft der 22 Kantone von 1815. Stich von Rudolf Dickenmann, um 1850 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-39461).
Das grosse Siegel der Eidgenossenschaft der 22 Kantone von 1815. Stich von Rudolf Dickenmann, um 1850 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-39461). […]

Der Zerfall der napoleonischen Herrschaft spaltete die Kantone Ende 1813 in eine «alte» und eine «neue» Schweiz. Restaurative Kräfte in Bern, Freiburg, Solothurn und den Innerschweizer Kantonen suchten die Anerkennung der 1803 gegründeten Kantone rückgängig zu machen. Der Bundesvertrag von 1815 stellte aber die alten und neuen Kantone in einem Staatenbund auf die gleiche rechtliche Basis. Neu traten Wallis, Neuenburg und Genf dem Bund als Kantone bei. Tagsatzung und Vorortsregierung blieben die einzigen Organe des mit aussen- und sicherheitspolitischen Kompetenzen ausgestatteten Bundes, als dessen Vororte sich neu Zürich, Bern und Luzern im Zweijahresturnus ablösten. Bis 1848 trugen zudem Konkordate zur vertraglichen und rechtlichen Harmonisierung zwischen den Kantonen bei.

Zu Beginn der Regeneration gaben sich 1830-1831 elf Kantone liberale Verfassungen. Bereits 1831 wurde in den regenerierten Kantonen auch der Wunsch laut, den Bundesvertrag durch eine Bundesverfassung (BV) zu ersetzen. Moderate Entwürfe einer Bundesurkunde scheiterten jedoch 1833 (Rossi-Plan). Im Kanton Basel führten die Spannungen zwischen Konservativen und Liberalen im selben Jahr zur Kantonstrennung. Danach vertieften sich in der Frage nach der Stellung der Kantone im Bund die Gräben zwischen Föderalisten und Zentralisten, Konservativen und Radikalen. Die Spannungen entluden sich 1847 im Sonderbundskrieg. Die Niederlage der sieben katholisch-konservativen Kantone des Sonderbunds ebnete den Weg zur Gründung des Bundesstaats.

Karikatur von Heinrich von Arx, Lithografie um 1845/1846 (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung).
Karikatur von Heinrich von Arx, Lithografie um 1845/1846 (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung). […]

Im Bundesstaat (seit 1848)

Mit der BV von 1848 wurde die Eidgenossenschaft zum Bundesstaat, der, aus den Kantonen zusammengesetzt, auf dem Föderalismus aufbaut. Staatlichkeit und Souveränität der Kantone erhielten eine eingeschränkte Bedeutung. So verloren sie ihre aussenpolitische Handlungsfähigkeit weitgehend, und der Bund übernahm die Gewährleistung für die Kantonsgebiete und -verfassungen. Grundsätzlich üben die Kantone seit 1848 alle Rechte aus, die nicht gemäss BV dem Bund übertragen sind. Somit sind neue Aufgaben zuerst Sache der Kantone und werden nach dem Grundsatz der Subsidiarität nur dann dem Bund übertragen, wenn sie einer einheitlichen Regelung bedürfen.

Eine besondere Stellung haben die Kantone bei der Willensbildung im Bund, namentlich durch die Mittel des Ständemehrs (bei obligatorischen Verfassungs- und Staatsvertragsreferenden), durch die Wahl der Ständeräte (zwei pro Kanton) und durch das Recht zur Standesinitiative.

Klarer als zuvor umschreibt die BV von 1999 das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen: Sie betont das partnerschaftliche Zusammenwirken, hält den Vorrang des Bundesrechts vor entgegenstehendem kantonalen Recht sowie die Mittel der Bundeskontrolle (Bundesaufsicht, Bundesinterventionen) fest und bezieht neu auch die dritte Ebene der Gemeinden mit ein.

Nachdem für die Gründung des Kantons Jura 1979 eine entsprechende Verfassungsgrundlage noch gefehlt hat, regelt die BV von 1999 die Verfahren bei Bestandes-, Gebiets- und Grenzveränderungen der Kantone. Gemeinsame Aufgaben mehrerer Kantone haben denn auch im späten 20. Jahrhundert Vorschläge zu Zusammenschlüssen hervorgebracht, etwa in der West- und Innerschweiz. 1999 wurden zum Beispiel in den Kantonen Genf und Waadt Initiativen lanciert, die auf einen Zusammenschluss der beiden Kantone abzielen. Wurden Ob- und Nidwalden, Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden ab 1848 als Halbkantone bezeichnet, so verwendet die BV von 1999 diesen Begriff nicht mehr. Mit Ausnahme des einzelnen Ständeratssitzes und der halben Standesstimme sind die genannten Stände den übrigen Kantonen gleichgestellt. Die beiden Basel streben jedoch nach je zwei Ständeratssitzen und ganzen Standesstimmen.

In der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen hat sich das Gewicht seit 1848 zum Bund hin verschoben. Zuerst hatte dieser nur wenige Zuständigkeiten (z.B. Zoll-, Post- und Münzwesen, Aussenpolitik). Die BV von 1874 weitete die Bundeskompetenzen erheblich aus (z.B. Armee, Zivil- und Strafrecht). Auch die meisten der folgenden Kompetenzausscheidungen wiesen dem Bund mehr Aufgaben zu (z.B. Gesetzgebung, Versicherung, Umweltschutz, Verkehr, Steuern). Die beiden Weltkriege und die dazwischen liegende Krisenzeit gaben Anlass, die Bundeskompetenzen im Rahmen des Vollmachtenregimes auszuweiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Vollmachten zwar wieder abgebaut. Der Verfassungsgeber hat aber die ordentlichen Kompetenzen des Bundes weiter ausgedehnt, wenn auch seit Ende der 1970er Jahre verlangsamt. Die zahlreichen Bundeskompetenzen, die wachsende Bedeutung des Finanzausgleichs und die den Kantonen zukommenden Subventionen des Bundes haben dessen Einfluss auf die Kantone verstärkt. Sie erschienen bisweilen nur noch als Vollzugsorgane des Bundes.

Diese Entwicklung müssen sich die Kantone ein Stück weit selbst zuschreiben. Die Vielfalt der kantonalen Regelungen hat den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zuweilen behindert. Die BV von 1999 trägt dem erhöhten Bedarf an gesamtschweizerischer Koordination und einheitlichen Regelungen Rechnung. Sie bietet aber auch Grundlagen, auf denen der Föderalismus weiter wirken kann. So wird die Souveränität der Kantone einzig im Sinne eines «Traditionsanschlusses» erwähnt (Artikel 3 BV). Die BV statuiert das Subsidiaritätsprinzip, gemäss welchem der Bund von seinen bestehenden Aufgaben nur jene übernimmt, «die einer einheitlichen Regelung» bedürfen (Artikel 42 Abschnitt 2 BV), und verpflichtet den Bund auch zur Wahrung der Eigenständigkeit der Kantone (Artikel 47 BV). Diese Bestimmungen sollen einen genügend grossen Spielraum für das kantonale Eigenleben wahren. In diese Richtung zielt auch die 2004 von Volk und Ständen angenommene «Neugestaltung des Finanzausgleichs» (NFA), dessen Rahmenbestimmungen das Subsidiaritätsprinzip, die Gestaltungsfreiheit der Kantone sowie die Bedeutung der kantonalen Staatsverträge als Koordinationsinstrument stärken.

Quellen und Literatur

  • W. Oechsli, «Die Benennungen der alten Eidgenossenschaft und ihrer Glieder», in JSG 41, 1916, v.a. 67-87, 182-189
  • Peyer, Verfassung
  • Kommentar zur BV der Schweiz. Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, hg. von J.-F. Aubert et al., 1987-95 (v.a. Ordner 1: Gesch. Einführung und Allg. Bestimmungen)
  • J.-F. Aubert, Bundesstaatsrecht der Schweiz 1, 1991, v.a. 218-357, 479-524 (franz. 1967)
  • Hb. Polit. System der Schweiz, 4 Bde., 1983-93, (s. Reg. in Bd. 4)
  • U. Häfelin, W. Haller, Schweiz. Bundesstaatsrecht, 52001, 263-366
  • M. Illi, Von der Kameralistik zum New Public Management: Gesch. der Zürcher Kantonsverwaltung von 1803 bis 1998, 2007
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Kley: "Kantone", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.04.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/026414/2016-04-13/, konsultiert am 18.03.2024.