Vogteien sind eine typische, im Spätmittelalter in Territorien von genügendem Umfang entwickelte Form territorialer Verwaltungsorganisation (Territorialherrschaft). Eine Vogtei (auch Amt, Kastlanei; von lateinisch [ad]vocatia) fasste einzelne Rechte zum Zweck ihrer effektiveren Geltendmachung organisatorisch zusammen, sie bündelte ein Konglomerat von (landesherrlichen) Rechten und Besitztiteln, ist aber keinesfalls mit einer allumfassend zuständigen Verwaltungsinstanz neuzeitlicher Prägung zu vergleichen. Auch die eidgenössischen Orte und ihre Zugewandten stellten die dezentrale Verwaltung ihrer Untertanengebiete auf die organisatorische Grundlage von Ämtern bzw. Vogteien. Verwalter und Vorsteher einer Vogtei war der Vogt (Landvogt, auch Amtmann, Kastlan, Hofmeister, Kommissar). Als gemeine Vogteien oder gemeine Herrschaften wurden die von mehreren eidgenössischen Orten gemeinsam regierten Gebiete bezeichnet.
Historische Entwicklung
Die Territorialpolitik der eidgenössischen Städte- und Länderorte führte bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Ausbildung von Territorialherrschaften unterschiedlichen Umfangs. Als Einzelorte waren die Städte Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, Solothurn, Basel und Schaffhausen am erfolgreichsten, während die Territorialbildung der Länderorte sowie jene der Städte Zug, St. Gallen und Genf hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Rückwirkungen auf die Landesorganisation hinter jener der erstgenannten Städte zurückblieb. Uri (Leventina), Schwyz (Küssnacht, March, Höfe, Einsiedeln) und Glarus (Werdenberg) haben zwar eine einzelörtische Territorialpolitik betrieben. Wichtiger blieb aber für die Länder insgesamt ihre Beteiligung an der Regierung der gemeinen Herrschaften, sofern diese nicht überhaupt die einzige Form der Teilhabe an Untertanengebieten darstellte (Nid- und Obwalden).
Als Rechtsnachfolger der früheren Herren traten die eidgenössischen Orte in ihren stückweise erworbenen Herrschaften jeweils in höchst heterogene Herrschafts- und Besitzrechte ein. Häufig übernahmen sie die bereits bestehende Ämterorganisation, welche in den landesherrlichen Territorien teilweise schon im 13. Jahrhundert eingeführt worden war, zum Beispiel jene Savoyens in der Waadt. So wurden die Länder und Ämter der habsburgischen «Vorlande» nicht mehr von Lehensleuten, sondern von absetzbaren Landeshauptleuten und Landvögten verwaltet. Wo einem eidgenössischen Ort die Arrondierung und Verdichtung seiner Herrschaft gelang, errichtete er bisweilen neue Vogteien als Verwaltungsmittelpunkte. Im 15. und 16. Jahrhundert begannen die Orte im Zuge der Fortbildung ihrer Landesherrschaft zur Landeshoheit damit, die übernommenen Herrschaftsrechte straffer wahrzunehmen, zu vereinheitlichen und mit einigen übergreifenden hoheitlichen Kompetenzen (Eid der Untertanen, Mannschaftsrecht, Steuern, Gesetzgebung) zu überformen. Allerdings erreichten die regierenden Orte in ihren Vogteien zu keinem Zeitpunkt eine monopolartige Konzentration aller Herrschaftsrechte in ihrer Gewalt. Klöster und Stifte, Twing- oder Gerichtsherren, Landstädte und Gemeinden behielten ihre hergebrachten Rechte, Freiheiten und Privilegien bei, de jure meist unangetastet, faktisch allerdings durch Eingriffe von Seiten der Landeshoheit eingeschränkt. In einigen Vogteien musste der obrigkeitliche Vogt die Herrschaftsgewalt mit anderen Grund- und Gerichtsherren teilen.
In den Anfängen der Territorialverwaltung der einzelnen Orte erscheinen die Aufgaben, die Amtsdauer und Besoldung der Vögte sowie die obrigkeitliche Kontrolle ihrer Amtstätigkeit noch wenig institutionalisiert und vereinheitlicht. Dafür war auch der rechtliche Status mancher Erwerbung im 15. Jahrhundert noch zu unsicher, sodass zum Beispiel in Zürich das Amt des Vogts bei jeder Besetzung definiert werden musste. Ein regelmässiger Wechsel nach festgelegter Amtsdauer, geregelte Besoldung und ein eigentliches Pflichtenheft entwickelten sich nur langsam aus oft pfand- oder ämterkaufartigen Bestallungsverhältnissen im Verlauf des weiteren Territorialisierungsprozesses im 15. und frühen 16. Jahrhundert. Dieser Prozess wird auch in der Zunahme und Systematisierung des Schriftguts aus der Vogteiverwaltung fassbar. Im Zuge der spätmittelalterlichen Territorialbildung, des administrativen Ausbaus der Landesherrschaft und der nach der Reformation erfolgten Säkularisation des Kirchenguts in den reformierten Orten entstanden Vogteien bzw. Klosterämter. Diese erschlossen den Angehörigen der regierenden Familien neue Betätigungsfelder und Einkommensquellen. Nach der Entlassung der Untertanengebiete aus der eidgenössischen Herrschaft im Verlauf der 1790er Jahre (Helvetische Revolution) wurden die Vogteien durch neue Strukturen der Staatsorganisation ersetzt, nicht ohne teilweise Spuren in den Grenzen der jüngeren Bezirke der Kantone hinterlassen zu haben.
Vogteien bildeten auch im Fürstentum Neuenburg, im Fürstbistum Basel sowie in den Herrschaftsgebieten der Stadtrepublik Genf, der Abtei und der Stadt St. Gallen sowie in den Kleinstterritorien vereinzelter Landstädte (z.B. Burgdorf, Winterthur) die Basiseinheiten der Territorialverwaltung, während die Walliser bzw. Bündner Untertanengebiete, vergleichbar den gemeinen Herrschaften der eidgenössischen Orte, gemeinsam durch die Walliser Zenden bzw. durch die Drei Bünde regiert wurden.
Typen von Vogteien
Zwei Typen von Vogteien lassen sich in der Ämterorganisation der meisten eidgenössischen Städte mit umfangreichem Territorium unterscheiden. Die frühen, im unmittelbaren Umkreis der Stadt gelegenen Erwerbungen (Landgerichte, innere Vogteien, Alte Landschaft, Obervogteien) wurden häufig von Amtleuten (Obervögte, Venner) verwaltet, die ihren Wohnsitz in der Hauptstadt behielten, in der Regel aus dem Kreis der Kleinräte gewählt wurden und während ihrer Amtszeit als Vögte weiterhin Sitz und Stimme im Kleinen Rat besassen. Sie begaben sich nur bei Bedarf und zu den festen Gerichts- und Rechnungstagen in ihre Ämter und überliessen die kontinuierliche Besorgung der Amtsgeschäfte lokalen Stellvertretern (Untervogt). In den entfernteren Gebieten hingegen nahmen Landvögte auf Burgen und Schlössern als den Herrschaftsmittelpunkten der Vogteien ihren ständigen Wohnsitz. Gewisse Landvogteien waren zwar allen Bürgern der Hauptstadt zugänglich, doch blieben die meisten dem Grossen oder Kleinen Rat vorbehalten. Wo Kleinräte als Landvögte wählbar blieben (z.T. in Basel, in Zürich bis etwa in die 1620er Jahre), musste die Ratsstelle nach der Wahl teilweise aufgegeben werden, weil beide Ämter als unvereinbar galten. Hingegen blieben die aus dem Grossen Rat gewählten Vögte in der Regel auch während ihrer Amtszeit Ratsmitglieder (Bern, Solothurn, Zürich). Luzern liess sowohl die den Kleinräten vorbehaltenen sogenannten grossen Vogteien wie auch die den Grossräten offen stehenden kleinen Vogteien durch Vögte verwalten, die ihr Amt von der Stadt aus versahen (wichtigste Ausnahme: Willisau ab 1652). Besonders privilegierte Stadt- und Talgemeinden, die zum Teil die Hochgerichtsbarkeit für ihren Bereich autonom verwalteten, konnten von der allgemeinen Vogteiorganisation ausgenommen sein und unmittelbar dem regierenden Ort unterstehen (Zofingen, Aarau, Lenzburg, Brugg, Lausanne und die Talschaft Hasli im Kanton Bern; Winterthur und Stein am Rhein im Kanton Zürich; Sursee und Sempach im Kanton Luzern). Die Länderorte setzten nicht in allen abhängigen Gebieten ständig residierende Vögte ein: Während der Urner Vogt in der Leventina residierte und Schwyz bis 1712 seinen Vogt in die Höfe Pfäffikon und Wollerau entsandte, liess sich der Schwyzer Vogt über die Waldstatt Einsiedeln durch einen einheimischen Amtsvogt vertreten. Der March und Küssnacht (SZ) beliess Schwyz eine weitgehende Selbstverwaltung, ohne sie der Aufsicht eines Vogts zu unterstellen.
Das Amt des Vogts
Die Vogteien der Städte- und Länderorte waren rechtlich Bürgern der Hauptstadt bzw. Landleuten vorbehalten. Faktisch entstammten die Vögte mehrheitlich jenen Familien, die in den Räten und höheren Stadt- oder Landesämtern regelmässig vertreten waren. Mit der Einführung des sogenannten Ämterkaufs, der die neu gewählten Vögte verpflichtete, ihr Amt durch grössere Zahlungen an den Staatssäckel und die Landleute zu kaufen, wollten die Länderorte im 17. Jahrhundert die Vielfalt der Wahlpraktiken eindämmen, machten damit aber auch klar, dass die Vogteien Angehörigen kapitalkräftiger Familien vorbehalten waren: Immerhin galt es etwa für den Glarner Landvogt in Werdenberg, in drei Jahren eine Investition von 3500-6000 Gulden zu amortisieren. In fürstlichen Territorien (Neuenburg, Fürstbistum Basel, Fürstabtei St. Gallen) bekleideten häufig Adlige, gebildete Laien und Angehörige städtischer Oberschichten die Vogteien. Bis zum Ende des Ancien Régime blieben bei der Selektion nicht die zuvor erbrachten Leistungen, sondern an den Status gebundene Kriterien (Herkommen, Geburt) massgebend.
Die Vögte wurden in den Städteorten durch den Grossen Rat (Bern, Zürich ab 1515, Stadt St. Gallen, Basel ab 1691) oder den Kleinen Rat (Basel bis 1691, Schaffhausen, Solothurn), in den Länderorten durch die Landsgemeinde gewählt. In fürstlichen Territorien oblag die Besetzung der Vogteien dem Landesherrn. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde als Massnahme gegen den Stimmenkauf in mehreren Orten das Losverfahren eingeführt. In den Anfängen der Landesverwaltung war die Amtsdauer der Vögte noch keineswegs normiert. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts setzten sich befristete Amtszeiten von zwei, drei, fünf oder sechs Jahren durch. Unter gewissen Bedingungen waren zumindest in Bern, Zürich und Glarus Wiederwahlen nach einem sogenannten Stillstand möglich, doch scheinen sie in Zürich oder Glarus viel seltener vorgekommen zu sein als in Bern.
Grundlage des Dienstverhältnisses war der Amtseid, den der Vogt bei Amtsantritt seiner Obrigkeit leistete und der seine wesentlichen Aufgaben und Pflichten aufzählte. Seine Besoldung setzte sich in der Regel zusammen aus einem Fixum in Geld und Naturalien, einem Anteil an den Bussen (häufig 10%, zum Teil auch mehr), Abgaben und Taxen sowie aus der Nutzung des Schlossguts. Allerdings gab es hinsichtlich der Einkünfte eines Landvogts je nach Grösse, Ausstattung und Wirtschaftsstruktur der Vogteien erhebliche Unterschiede: Die vier bestbesoldeten Zürcher Vogteien Kyburg, Grüningen, Wädenswil und Eglisau waren gleichzeitig jene mit den besten Erträgen, für die die Stadt auch die höchsten Kaufpreise entrichtet hatte. Die Einteilung der Berner Landvogteien in vier Einkommensklassen oder der in den Länderorten praktizierte Ämterkauf zeigen, dass aus den Vogteien, im Gegensatz zu den Rats- und Kommissionsämtern, durchaus lukrative Einkünfte erzielt werden konnten.
Als wichtigster, oft auch einziger unmittelbarer weltlicher Vertreter der Obrigkeit hatte der Vogt in der ihm anvertrauten Vogtei die Rechte und Interessen seiner Herrschaft wahrzunehmen. Er war das zentrale ausführende Organ in der Verwaltung der Landschaft. Seine herausgehobene Stellung kam in der Huldigung zum Ausdruck, die er beim Amtsantritt («Aufritt») im Namen der Landesherrschaft von den Untertanen der Vogtei entgegennahm. Sein Aufgabenbereich gestaltete sich je nach der Organisation der Landschaftsverwaltung und Bedeutung der jeweiligen Vogtei unterschiedlich, doch berührten seine wichtigsten Kompetenzen das (Hoch- und/oder Nieder-)Gerichtswesen, das Militär- und Polizeiwesen, Aufsichtsfunktionen über die Verwaltung der Gemeinden, der Pfarreien und die Tätigkeit der Pfarrer sowie die Verwaltung der obrigkeitlichen Besitztitel und Einkünfte. Regelmässig hatte er darüber vor der Obrigkeit Rechenschaft abzulegen. Er stellte die Mittlerinstanz zwischen Obrigkeit und Untertanen dar und war allgemein für die Weiterleitung und Umsetzung obrigkeitlicher Anordnungen zuständig. Gleichzeitig war er Ansprechpartner für die Untertanen und nahm deren Bittschriften und Klagen zuhanden der Obrigkeit entgegen. Bei der Wahrnehmung seiner vielfältigen Aufgaben wurde er durch einen oft einheimischen Vogteischreiber unterstützt, der häufig auf Lebenszeit gewählt war. Weiter war er entscheidend auf die Mitwirkung und Loyalität der aus der einheimischen Bevölkerung bestellten wichtigeren Lokal- und Gemeindebeamten (Untervogt, Meier, Ammann) angewiesen, die als verlängerter Arm des Vogts im Dorf und gleichzeitig als Repräsentanten der Gemeinde- und Untertaneninteressen gegenüber der Obrigkeit eine Doppelstellung einnahmen. So unterlag die Tätigkeit des Landvogts trotz oder vielleicht gerade wegen dessen weitreichenden Zuständigkeiten einer mehrfachen Kontrolle: von oben jener des Rats (Rechnungsprüfung), vor Ort jener durch die Institutionen der landschaftlichen und kommunalen Selbstverwaltung sowie durch die Pfarrer und Vögte der benachbarten Ämter, schliesslich von unten jener der Untertanen, nahm doch der Rat im Interesse einer stabilen Herrschaft deren Klagen über Amtsmissbrauch durchaus ernst.
Quellen und Literatur
- W. Oechsli, «Die Benennungen der Alten Eidgenossenschaft und ihrer Glieder», in JSG 41, 1916, 189-205
- B. Amiet, Die solothurn. Territorialpolitik von 1344-1532, 1929
- Peyer, Verfassung, 55-61, 116-121 (mit Bibl.)
- D. Willoweit, «Die Entwicklung und Verwaltung der spätma. Landesherrschaft», in Dt. Verwaltungsgesch. 1, hg. von K.G.A. Jeserich et al., 1983, 66-143
- Braun, Ancien Régime, 239-255 (mit Bibl.)
- D. Schindler, Werdenberg als Glarner Landvogtei, 1986
- H.-R. Dütsch, Die Zürcher Landvögte von 1402-1798, 1994
- K. Weissen, "An der stuer ist ganz nuett bezalt", 1994
- P. Robinson, Die Fürstabtei St. Gallen und ihr Territorium 1463-1529, 1995
- F. Hitz, Fürsten, Vögte und Gem., 2012.
Kontext | Kastlanei, Landvogtei |