Der Begriff europäisches Gleichgewicht tauchte zum ersten Mal auf, als die Einheit des mittelalterlichen Europas, die auf einen einzigen Glauben und auf die Idee eines universalen Kaisertums gründete, durch die Glaubensspaltung und den aufkommenden Nationalismus gesprengt wurde. Langsam setzte sich die Überzeugung durch, man müsse die Vorherrschaft einer einzigen Nation in Europa verhindern und für ein Gleichgewicht der Mächte sorgen.
Der Schweizer Beitrag zu diesem Gleichgewicht der Mächte bestand zunächst einmal in seinem Willen, neben den anderen Mächten eine eigenständige Existenz zu führen. Trotz der ungünstigen Umstände am Ende des 13. Jahrhunderts konnten sich die Urkantone schliesslich dank ihrer günstigen Lage behaupten: Sie lagen in der Mitte wichtiger Verkehrswege über die Zentralalpen, für deren Sicherheit sie im Interesse aller Handel treibenden Nationen sorgten. Ab dem 16. Jahrhundert versuchten die jeweils vorherrschenden Staaten – zunächst Spanien, dann Frankreich und schliesslich England – die Eidgenossenschaft zu spalten, aber die dreizehn Kantone blieben miteinander verbunden, vor allem dank der gemeinsamen Verwaltung der gemeinen Herrschaften. Im Westfälischen Frieden von 1648 anerkannten die Mächte schliesslich die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft als ein Element des Gleichgewichts im Herzen Europas. Andere Bindungen, welche die Respektierung dieser Unabhängigkeit förderten, waren die fremden Dienste, der Handel und die Sorge um das konfessionelle Gleichgewicht in Europa. Die Politik der Zurückhaltung, welche die Kantone in der Zeit des Absolutismus praktizierten, verhinderte, dass die Eidgenossenschaft in den Einflussbereich der jeweilig vorherrschenden Grossmacht geriet.
Die Revolution von 1789 zerstörte das im 18. Jahrhundert herrschende Gleichgewicht der Mächte zugunsten Frankreichs. Im Frieden von Campoformio gab Österreich Frankreich die Erlaubnis, die Schweiz zu besetzen. Für England dagegen war die Rückkehr französischer Truppen im Jahre 1802 eine Verletzung des Friedens von Lunéville und des durch diesen geschaffenen Gleichgewichts. Sie war einer der Gründe für die Wiederaufnahme des Krieges. Unter dem ersten Kaiserreich war die Schweiz gezwungen, ihre Neutralität, wenn nicht dem Rechte nach, so doch de facto aufzugeben. Der Wiener Kongress garantierte 1815 den Weiterbestand der Eidgenossenschaft und anerkannte offiziell die Schweizer Neutralität. Für die konservativen Grossmächte, die 1815 das neue Europa als sogenanntes Konzert der Mächte organisierten, war die Schweizer Neutralität ein wichtiges Element des europäischen Gleichgewichts. Nach 1870 beruhte das europäische Gleichgewicht auf zwei rivalisierenden Allianzen: dem Dreibund und der Entente cordiale. Ihr Aufeinandertreffen im Ersten Weltkrieg führte schliesslich zu einem neuen, polyzentrischen Gleichgewicht, das seinen institutionellen Ausdruck fand in dem allen Staaten offenstehenden, friedensichernden Völkerbund. Die Schweiz war zunächst ein sehr aktives Mitglied, zog sich dann aber zurück, als totalitäre Kräfte begannen, eine «neue Ordnung» despotischer Art zu begründen.
1945 gründeten die alliierten Siegermächte eine neue Weltorganisation, die Vereinten Nationen, welche die Schweizer Neutralität nicht akzeptierten. Der Kalte Krieg führte zu einer Neuorganisation des europäischen Gleichgewichts durch Militärbündnisse – die Nato, der Warschauer Pakt – und durch Wirtschaftsverträge: der gemeinsame Markt, der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon). Die Schweiz hielt sich abseits, selbst als sich die Beziehungen zwischen den beiden Blöcken entspannten. Sie akzeptierte zwar die Garantien, welche die «freie Welt» ihr zugestand, hielt aber dennoch an ihrer Neutralität fest im Namen eines umfassenderen Gleichgewichts, das ihren dauerhaften Interessen entsprach. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 aktivierte die Schweiz noch mehr als vorher ihre Neutralität und vergrösserte gleichzeitig die Mittel zu solidarischer Hilfe auf der ganzen Welt. Mit dem Ziel einer Stärkung eines allgemeinen Gleichgewichts arbeitete sie mit in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Verträge von Helsinki) und innerhalb der daraufhin gegründeten Nachfolgeorganisation (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE). Die Ablehnung des Beitritts zum europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992 und die Abstimmung von 2001, in der die rasche Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union verworfen wurde, schlossen vorerst den Eintritt in die Organisation aus, in der Deutschland und Frankreich das europäische Gleichgewicht sichern.