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Spiritualismus

Der Begriff Spiritualismus umfasst verschiedenartige Phänomene und besitzt ein uneinheitliches Bedeutungsspektrum. Hier wird Spiritualismus verstanden als vielgestaltiger (religions-)historiografischer Begriff, der im weiteren Sinn eine religiöse vergeistigende Haltung bezeichnet, die eine unmittelbare innere (durch den Geist vermittelte) Beziehung zwischen Mensch und Gott betont (Mystik). Der christliche Spiritualismus gründet in Platonismus und Bibel; seine Erscheinungsformen verdichteten sich ab dem 13. Jahrhundert und wurden durch Neuplatonismus wie Renaissance befördert. Im schweizerischen Protestantismus des 16. Jahrhunderts werden bei der theologischen Interpretation der Sakramente zum Beispiel bei Huldrych Zwingli und bei den Täufern spiritualisierende Tendenzen ersichtlich, die innerprotestantischen Gegner wie Martin Luther als "Schwärmerei" verurteilten. Im engeren Sinn bezeichnet der Begriff Spiritualismus jene vielgestaltigen kirchenkritischen und nonkonformistischen Personen oder Gruppen, die innerhalb der "radikalen Reformation" des 16. Jahrhunderts vom Gegensatz des inneren und äusseren Worts, dem unmittelbaren Geistwirken und der Überlegenheit der religiösen Subjektivität ausgehend die materielle bzw. institutionelle Vermittlung des Heils durch Schrift, äussere Kirche und Sakramente verwarfen und sich somit gegen zentrale reformatorische Lehren und Institutionen wandten. Trotz gewisser inhaltlicher Überschneidungen sind die Spiritualisten von den täuferischen Gruppen zu unterscheiden. Als Vertreter des Spiritualismus ist neben Kaspar von Schwenckfeld, Hans Denck und Sebastian Franck der Thurgauer Ludwig Hätzer zu nennen, der in seiner späten Theologie einen markanten Spiritualismus vertrat und sich immer wieder von den Täufern distanzierte. Elemente des Spiritualismus finden sich auch bei Paracelsus. Der Berner Theologe Wolfgang Musculus verurteilte 1560 den Spiritualismus als Häresie. Zur neuzeitlichen Entwicklung des Gedankens der Toleranz haben die Spiritualisten wie die Täufer einen wesentlichen Beitrag geleistet. Der "radikale Pietismus" des späten 17. und 18. Jahrhunderts rezipierte spiritualistische Positionen.

Quellen und Literatur

  • J.F.G. Goeters, Ludwig Hätzer (ca. 1500-1529), 1957
  • G.A. Benrath, «Die Lehre ausserhalb der Konfessionskirchen», in Hb. der Dogmen- und Theologiegesch. 2, 1980, 560-610
  • C. Bochinger, "New Age" und moderne Religion, 21995
  • TRE 31, 701-708
  • Encyclopédie du protestantisme, hg. von P. Gisel, L. Kaennel, 22006, 1187
Weblinks

Zitiervorschlag

Thomas K. Kuhn: "Spiritualismus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.07.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/026989/2011-07-11/, konsultiert am 19.03.2024.