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Diaspora

Der aus dem Griechischen stammende Begriff Diaspora (deutsch Zerstreuung) ist eng verknüpft mit der Geschichte des Judentums. Er dient allgemein zur Bezeichnung für jede unter einer andersgläubigen Mehrheit lebende religiöse Minderheit, zum Beispiel in Westeuropa die islamische. Im Christentum, wo er traditionell in Bezug auf die konfessionellen Verhältnisse gebraucht wird, bezeichnet er eine konfessionelle Minderheit im Gegensatz zu der sie umgebenden Mehrheit und die Gebiete, in denen diese Minderheit lebt. Im heutigen Sprachgebrauch tritt die Bedeutung des Konfessionellen zurück und wird unter Diaspora zunehmend die Situation einer christlichen Minderheit in einer pluralistisch-säkularisierten bzw. weltanschaulich-ideologisch aufgefächerten Gesellschaft verstanden.

Katholiken an der Fronleichnamsprozession durch die Gundeldingerstrasse in Basel, um 1920 (Archiv der Pfarrgemeinde Heiliggeist, Basel).
Katholiken an der Fronleichnamsprozession durch die Gundeldingerstrasse in Basel, um 1920 (Archiv der Pfarrgemeinde Heiliggeist, Basel).

In der Schweiz schuf die Bundesverfassung von 1848 mit der Niederlassungsfreiheit und der Handels- und Gewerbefreiheit die staatsrechtliche Grundlage für die Entstehung einer katholischen bzw. einer reformierten Diaspora, nachdem sich in verschiedenen Kantonen schon seit der Helvetik einzelne kleine Diasporagemeinden gebildet hatten. Mit der Industrialisierung kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer grossen Binnenwanderung, welche die Auflösung der geschlossenen konfessionellen Räume bewirkte. Die Industriezentren in den Kantonen Zürich, Basel, St. Gallen, Genf und Neuenburg bildeten das Einzugsgebiet von Arbeit suchenden Katholiken aus ländlichen Gebieten. Zudem wanderten katholische Arbeitskräfte aus Frankreich und Süddeutschland ein, gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Italiener, die ihr Auskommen im Eisenbahnbau suchten. In mehreren rein reformierten Landesteilen entstanden so unterschiedlich grosse katholische Diasporagebiete. Die Ansiedlung von Katholiken in reformierten Gebieten stagnierte nach dem Ersten Weltkrieg, setzte jedoch nach 1945 wieder ein. Die erneute Immigration sogenannter Gastarbeiter aus dem Süden (Italiener, Spanier, Portugiesen) liess den Anteil der Katholiken in katholischen Diasporagebieten weiter anwachsen. Bevorzugte Ziele waren die Industrieorte in den Kantonen Zürich und Basel sowie in der Westschweiz, etwa in Biel, Lausanne und Genf.

Umgekehrt war die Wanderungsbewegung von Reformierten in katholische Landesteile weit geringer. Zur reformierten Diasporabildung kam es in den industriell aufstrebenden Kantonen Solothurn (Gerlafingen), Zug und Luzern (Emmen) entlang der Bahntransversalen, im freiburgischen Sensebezirk durch die Ansiedlung von Berner Bauern sowie in den Touristikzentren der Innerschweiz und im Tessin.

Die Gründung von Diasporagemeinden beider Konfessionen war nur durch Unterstützung der betreffenden konfessionellen Stammlande möglich. Nachdem die Diasporakatholiken anfänglich ohne kirchlich-seelsorgerische Betreuung weitgehend sich selbst überlassen waren, nahmen sich ihrer Laien aus dem Piusverein als Erste an. Auf Initiative des Zuger Arztes Johann Melchior Zürcher wurde 1863 nach deutschem Vorbild mit der Inländischen Mission eine eigene Organisation für die Katholiken gegründet. Das Diasporahilfswerk, dem nach anfänglichem Zögern auch die Schweizer Bischöfe ihre Zustimmung erteilten, kam mit Hilfe von ausschliesslich freiwilligen Spenden für den Lebensunterhalt von Priestern auf und trug zur Finanzierung von Kirchenbauten, Pfarrhäusern und Schulen bei. Seit den 1960er Jahren wurden die Hilfeleistungen der Inländischen Mission auf finanzschwache Pfarreien der ganzen Schweiz ausgedehnt. Für die reformierten Diasporagemeinden wurden auf Anregung des Freiburger Pfarrers Wilhelm Legrand seit 1842 in den meisten Kantonen reformiert-kirchliche Hilfsvereine gegründet, die sich gesamtschweizerisch im Basler Vorverein zusammenschlossen und eine der Inländischen Mission analoge Unterstützung leisteten.

Quellen und Literatur

  • E. Vischer, Das Werk der schweiz. prot.-kirchl. Hilfsvereine, 1944
  • TRE 8, 707-718
  • R. Pfister, Kirchengesch. der Schweiz 3, 1984, 312-332
  • P.L. Surchat, «Die Inländ. Mission der kath. Schweiz», in Gesch. des kirchl. Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jh. 3, hg. von E. Gatz, 1994, 134-137
  • R. Brülisauer, Die inländ. Mission, 1995
  • LThK 3, 199-203
Von der Redaktion ergänzt
  • Fink, Urban: Schweizer Katholizismus in Bewegung. 150 Jahre Inländische Mission, 2013.
Weblinks

Zitiervorschlag

Franz Xaver Bischof: "Diaspora", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.12.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/026993/2006-12-01/, konsultiert am 19.03.2024.