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Knabenschaften

Der Begriff Knabenschaften – auch Knabengesellschaften oder Burschenschaften – bezeichnet straff organisierte, zunftähnliche Vereinigungen lediger junger Männer eines Dorfes oder einer Stadt. In ganz Europa verbreitet, wurzelten die Knabenschaften in den genossenschaftlichen Strukturen der mittelalterlichen Welt. Analog zum Zusammenschluss der verheirateten, stimmfähigen Männer in der Gemeinde waren die heiratsfähigen in Knabenschaften zusammengeschlossen, in der Westschweiz wurden sie als Abteien bezeichnet. Ähnlich bildeten die Gesellen zünftig-berufliche knabenschaftliche Verbände (Königreiche). Die zahlreichen Knabenschaften sind schwer fassbar, weil sie trotz Zwangscharakter als mehrheitlich informelle Gruppierungen meist nur über mündlich tradierte Verhaltens- und Kompetenzkodizes verfügten. Sie wurden daher vor allem ab dem 17. Jahrhundert über die Gerichtsprotokolle und ab dem 18. Jahrhundert auch über schriftliche Statuten aktenkundig.

In der Regel umfassten Knabenschaften die heiratsfähigen «Knaben» ab dem 15. oder 16. Altersjahr. Ihre Vereinigungen waren ähnlich strukturiert wie das politische Gemeinwesen: Der städtische Rat oder das örtliche Gericht wurden – oft auch als skurrile Persiflage – zum Vorbild genommen (z.B. der grosse, allmächtige und unüberwindlichen Rat von Zug, 1586). Die durch Rituale von Zucht und Anstand geregelte Versammlung wählte einen Vorstand (z.B. Weibel, Säckelmeister, Schreiber) sowie den Vorsitzenden (Ammann, Präsident, mistral, capitani, abbé usw.) und gab sich Statuten (erstmals 1491 in Genf, abbaye de Saint Pierre). Bei ihrer Aufnahme in die Knabenschaften mussten die neuen Mitglieder ihre Mannhaftigkeit zum Beispiel durch Mutproben beweisen, einen Eid ablegen und eine Eintritts- bzw. bei der Heirat eine Loskaufssumme leisten. Trotz dieser Charakteristika war das Erscheinungsbild der Knabenschaften vielfältig und von örtlichen und regionalen Unterschieden geprägt.

Als Hüter der Moral traten die Knabenschaften für das korrekte Verhalten ihrer Mitglieder und allgemein für den Erhalt von Sitte und Brauch im Dorf ein. Dies geschah durch ihre gesellschaftlichen, dem örtlichen Brauchtum verpflichteten Tätigkeiten, etwa dem Organisieren von Dorffesten. Ausserdem engagierten sich die Jugendlichen vor allem in katholischen Gebieten im kirchlichen Bereich, etwa durch Mitwirken an Gottesdiensten und Prozessionen. Ihr militärisches Gepräge zeigte sich im Tragen von Uniformen und Waffen an Kirchen- und Dorffesten und betonte ebenfalls das Sittenwächteramt. Ausserdem betätigten sich die jungen Männer in den «Knabengerichten», die zum Beispiel Ehebrecher im Ort mit Geld- und Ehrenstrafen belegten. Politische Wirksamkeit ist bei Bündner Knabenschaften (rätoromanisch cumpagnia da mats) überliefert sowie beim Äusseren Stand der bernischen Patriziersöhne.

Die geregelte, ritualisierte Beziehung zum andern Geschlecht spielte eine zentrale Rolle: Auf dem Land gehörten abendliche Spinnstubeten (Stubeten) bei den Mädchen und der nächtliche Kiltgang zu den Vorrechten der Knabenschaften, die gegen Ortsfremde verteidigt wurden. Unter «Vormundschaft» der Knabenschaften gestellt, wurden heiratsfähige Mädchen von ihren durch Los zugeteilten Knaben (sogenannten Vögten) beaufsichtigt, zum Tanz und zu Ausfahrten eingeladen und bewirtet. Bei Heiraten trieben die Mitglieder der Knabenschaften oft argen Schabernack mit dem Brautpaar; so sind etwa in Wohlen (AG) im 18. Jahrhundert Schüsse ins Ehebett bezeugt. Die Reformation bekämpfte diese Bräuche, doch weder in reformierten noch in katholischen Gebieten gelang es der Geistlichkeit, sie zu unterdrücken. Im aargauischen Freiamt fungierten Mitglieder der Knabenschaften noch Anfang des 20. Jahrhunderts als Heiratsvermittler.

Wie bei Gesellenverbänden bestand auch bei den Knabenschaften ein Trend zur Willkür. In der Waadt zum Beispiel erpressten sie von heiratenden Witwen und Witwern und von einheiratenden Ortsfremden Geld. Die Opfer wurden oft über Wochen und Monate durch abendliche Charivari, obszöne Gesänge, verbale Verunglimpfungen und Schädigung von Haus, Hof und Flur zu Zahlungen gezwungen, welche die jungen Männer bei Festen vertranken. Selten wagte jemand zu klagen, da die Knabenschaften von der Dorfbevölkerung gedeckt wurden. Ab dem 17. Jahrhundert bekämpften die Obrigkeiten Auswüchse, indem die Knabenschaften mit Preisgaben für ihre Wettschiessen in das Schützenwesen und durch die Kadetten in den militärischen Vorunterricht eingebunden wurden.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts büssten die Knabenschaften ihre dominierende Rolle zunehmend ein. Sie verschwanden ganz oder gingen in neuen Jugendverbänden auf, so im katholischen Graubünden in der Jungmannschaft oder in der Surselva in dörflichen Jugendvereinen, die auch Mädchen aufnahmen. Die Mitglieder der noch bestehenden Knabenschaften beschränkten sich auf die Organisation von Tanzanlässen wie die Göttigesellschaft Wohlen (AG) oder Dorffesten wie die Fêtes de Jeunesse im Kanton Waadt. Nach 1950 lebte vor allem in den Kantonen Graubünden, Zürich und Thurgau die Tradition der Knabenschaften wieder auf.

Quellen und Literatur

  • G. Caduff, Die Knabenschaften Graubündens, 1932
  • K.R.V. Wikman, Die Einleitung der Ehe, 1937
  • L. Junod, «Le charivari au pays de Vaud dans le premier tiers du XIXe siècle», in SAVk 47, 1951, 114-129
  • H.E. Cromberg, Die Knabenschaftsstatuten der Schweiz, 1970
  • Encycl.VD 10, 93-101
  • P. Hugger, «Liebe, Partnerschaft, Ehe...», in Hb. der schweiz. Volkskultur 1, hg. von P. Hugger, 1992, 130-132
  • N. Schindler, «Die Hüter der Unordnung», in Gesch. der Jugend 1, hg. von G. Levi, J.-C. Schmitt, 1996, 319-374 (ital. 1994)
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Knabenschaften", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.10.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027153/2013-10-03/, konsultiert am 19.03.2024.